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Entpflichtung des Pflichtverteidigers wegen Zerrüttung des Vertrauensverhältnisses

Zur (verneinten) Entpflichtung des Pflichtverteidigers wegen Zerrüttung des Vertrauensverhältnisses des Angeklagten zum bisherigen Pflichtverteidiger.

(Leitsatz des Verfassers)

OLG München, Beschl. v. 25.10.2021 – 3 Ws 820/21

I. Sachverhalt

Gestritten wird um die Auswechslung des bisherigen Pflichtverteidigers. Das OLG war bereits mit dem Verfahren befasst. Bereits mit Beschluss vom 5.10.2021 hat es die sofortige Beschwerde des Angeklagten gegen einen Beschluss des LG vom 15.9.2021 als unbegründet verworfen, mit dem die Auswechslung des Pflichtverteidigers abgelehnt worden war. Es war ein konsensualer Verteidigerwechsel geplant. In der Beschwerdebegründung gegenüber dem OLG führte der Angeklagte über Rechtsanwalt PP1 „erstmals“ aus, dass das Vertrauensverhältnis zwischen ihm und Rechtsanwalt PP2 nachhaltig und endgültig zerstört sei, weil es zwischen beiden seit dem 15.6.2021 keinen Kontakt mehr gebe und Rechtsanwalt PP2 den Angeklagten insbesondere weder nach Übersendung der Anklageschrift noch nach dem Haftprüfungsbeschluss des OLG München oder zur Vorbereitung der Hauptverhandlung aufgesucht habe. Gleiches trug Rechtsanwalt PP1 in einem erneuten Antrag auf Beiordnung im Wege des Austauschs vom 16.9.2021 vor.

Mit Schreiben vom 26.8.2021 hatte der seit 10.8.2021 als Wahlverteidiger bestellte Rechtsanwalt PP1 beantragt, ihn unter Entpflichtung des bisherigen Pflichtverteidigers, des Rechtsanwalts PP2, als Pflichtverteidiger des Angeklagten beizuordnen. Dies sei der Wunsch des Angeklagten; Rechtsanwalt PP2 stehe dem positiv gegenüber; bisher angefallene Gebühren werde nur Rechtsanwalt PP2 abrechnen. Rechtsanwalt PP2 erklärte mit Schreiben vom 1.9.2021 sein Einverständnis mit der Beiordnung von Rechtsanwalt PP1 als Pflichtverteidiger. Auf Anfrage des LG erklärte Rechtsanwalt PP1 am 3.9.2021 telefonisch und schriftlich, er sei ausschließlich an den am 14. und 21.10.2021 anberaumten Hauptverhandlungsterminen verhindert und könne an diesen Tagen im Einverständnis mit dem Angeklagten einen Vertreter entsenden. Mit Schreiben vom 13.9.2021 teilte Rechtsanwalt PP1 weiter mit, es werde hilfsweise seine Beiordnung als weiterer Pflichtverteidiger beantragt. Dies erscheine sachgerecht, weil auch den anderen Angeklagten mehrere Pflichtverteidiger beigeordnet seien. Er, Rechtsanwalt PP1, sei jedenfalls zum 12.10.2021 vollständig eingearbeitet.

Mit Beschluss vom 15.9.2021 lehnte das LG die Bestellung von Rechtsanwalt PP1 anstelle und zusätzlich zu Rechtsanwalt PP2 ab. Ein konsensualer Verteidigerwechsel komme nicht in Betracht, weil dann für die beiden Verhinderungstage, an denen jeweils mehrere wesentliche Zeugen geladen seien, erneut ein weiterer Pflichtverteidiger bestellt werden müsse, der das Verfahren im Gegensatz zum bisherigen nicht begleitet habe. Die Bestellung eines zusätzlichen Pflichtverteidigers sei nicht notwendig.

Mit bei Gericht am 16.9.2021 eingegangenem Schreiben legte Rechtsanwalt PP1 namens und in Vollmacht des Angeklagten sofortige Beschwerde ein. Es sei der Wille des Gesetzgebers, einvernehmliche, nicht mit Mehrkosten verbundene Pflichtverteidigerwechsel weiterhin zu ermöglichen. Der Angeklagte habe zudem nunmehr erstmals sein Wahlrecht ausüben können und sei hinsichtlich dessen und der Frist dafür nie belehrt worden. Schließlich sei das Vertrauensverhältnis des Angeklagten PP zu Rechtsanwalt PP2 nachhaltig und endgültig zerstört, weil es zwischen beiden seit dem 15.6.2021 keinen Kontakt mehr gebe und Rechtsanwalt PP2 den Angeklagten insbesondere weder nach Übersendung der Anklageschrift noch nach dem Haftprüfungsbeschluss des OLG München oder zur Vorbereitung der Hauptverhandlung aufgesucht habe. Gleiches trug Rechtsanwalt PP1 in einem erneuten Antrag auf Beiordnung im Wege des Austauschs vom 16.9.2021 vor.

Mit Beschluss hat das OLG die sofortige Beschwerde des Angeklagten gegen den Beschluss vom 15.9.2021 als unbegründet verworfen und in der Begründung ausgeführt, dass soweit mit der sofortigen Beschwerde der Auswechslungsgrund aus § 143a Abs. 2 S. 1 Nr. 3 StPO geltend gemacht worden sei, dieser auch dem LG erstmals am 16.9.2021 vorgetragen worden sei. Dem OLG sei eine Entscheidung hierüber daher verwehrt, da das LG insoweit bislang nicht entschieden habe, sondern dies erst aufgrund des neuen Antrags vom 16.9.2021 tun könne.

Mit Beschluss vom 5.10.2021 lehnte das LG den Antrag des Angeklagten vom 16.9.2021, ihm Rechtsanwalt PP1 anstelle von Rechtsanwalt PP2 zu bestellen, ab. Dagegen hat der Angeklagte sofortige Beschwerde eingelegt, die beim OLG – erneut – keinen Erfolg hatte.

II. Entscheidung

Das OLG führt aus: Soweit sich die Beschwerdebegründung erneut auf § 143 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 StPO stütze, habe der Senat bereits mit Beschluss vom 5.10.2021 entschieden.

Ein Grund aus § 143a Abs. 2 S. 1 Nr. 3 StPO, den bestellten Pflichtverteidiger zu entpflichten und stattdessen Rechtsanwalt PP1 zu bestellen, liege ebenfalls nicht vor. Das Vorbringen im Schriftsatz vom 16.9.2021 untermauere die Behauptung eines endgültig zerstörten Vertrauensverhältnisses des Angeklagten zum bisherigen Pflichtverteidiger nicht. Das LG habe mit Beschluss vom 13.8.2021 die Anklage zur Hauptverhandlung zugelassen und das Hauptverfahren eröffnet. Gleichzeitig sei Termin zur Durchführung der Hauptverhandlung auf den 12.10.2021 und acht weitere Termine bestimmt worden. Wenn Rechtsanwalt PP1 vortrage, der Pflichtverteidiger habe den Angeklagten nicht zur Vorbereitung der Hauptverhandlung besucht, so könne das ein zerrüttetes Vertrauensverhältnis nicht begründen. Der Beginn der Hauptverhandlung sei am 12.10.2021 gewesen, bis dahin sei also noch ausreichend Zeit, um sich mit dem Angeklagten zu besprechen. Dass der Pflichtverteidiger den Angeklagten nicht so oft besucht habe, wie es sich dieser gewünscht hätte, sei ebenfalls kein Grund nach § 143a Abs. 2 S. 1 Nr. 3 StPO und kann eine Zerrüttung des Vertrauensverhältnisses nicht begründen. Der Pflichtverteidiger – und auch der Wahlverteidiger – diene nicht als „Kindermädchen“ und übernehme nicht die Aufgabe, den Angeklagten ohne Notwendigkeit zu besuchen. Nicht jede Entscheidung bedürfe einer Besprechung zwischen Angeklagtem und Verteidiger.

Das Argument des zerstörten Vertrauensverhältnisses sei – so das OLG – zudem erst vorgebracht worden, als die konsensuale Auswechslung keinen Erfolg zu haben schien. Dies lasse beim Senat erhebliche Zweifel aufkommen und lege den Verdacht nahe, dass die Zerrüttung nur als Vorwand dienen soll, wie es auch das LG gesehen habe.

Außerdem liege weiterhin die unzureichende terminliche Verfügbarkeit von Rechtsanwalt PP1 vor.

III. Bedeutung für die Praxis

1. Wenn man die Entscheidung liest, kann man nur verärgert den Kopf schütteln. Man fragt sich, was in Bayern oder besser beim OLG München eigentlich noch vorgetragen werden muss, um eine Entpflichtung zu erreichen. Die Art und Weise, wie hier das OLG den Antrag des Angeklagten betreffend das Vertrauensverhältnis abgefertigt hat, ist schon bemerkenswert. Und man fragt sich, welche Vorstellung der OLG-Senat eigentlich von einer ordnungsgemäßen Vorbereitung einer Verteidigung/Hauptverhandlung durch den Verteidiger hat. Der ursprüngliche Pflichtverteidiger lässt sich monatelang nicht blicken und das wird dann mit den Worten: „Muss er auch nicht, er ist kein Kindermädchen des Angeklagten“ vom Tisch gewischt. Der Beschluss geht von „monatelang“ aus, nach Auskunft des Einsenders hatte sich der bisherige Pflichtverteidiger mehr als ein Jahr nicht um den Angeklagten gekümmert. Das macht die Entscheidung noch schlimmer (zur Zerrüttung des Vertrauensverhältnisses Hillenbrand, in; Burhoff (Hrsg.), Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, 9. Aufl., 2022, Rn 3507 ff. m.w.N.).

2. Zur einvernehmlichen Umbeiordnung ist nur anzumerken: Warum kommt beim Senat eigentlich offenbar niemand auf die Idee, dass man ja vielleicht dem LG auch mal hätte sagen können, dass es die Frage der Umterminierung von den beiden der neun Hauptverhandlungstermine, an denen der neue Pflichtverteidiger verhindert war, hätte prüfen können. Dazu nichts. Sondern man segnet das Argument, man hätte einen weiteren Pflichtverteidiger bestellen müssen, ab.

3. Und schließlich: Gelinde gesagt frech ist in meinen Augen die Formulierung „Das Argument des zerstörten Vertrauensverhältnisses wurde zudem erst vorgebracht, als die konsensuale Auswechslung keinen Erfolg zu haben schien. Dies lässt beim Senat erhebliche Zweifel aufkommen und legt den Verdacht nahe, dass die Zerrüttung nur als Vorwand dienen soll, wie es auch das LG gesehen hat.“ Ich kenne die Akte nicht, aber den doch recht schwerwiegenden Verdacht stützt man – zumindest im Beschluss – allein auf den Zeitpunkt des Vortrags, offenbar ohne zu bedenken, dass es für diesen „späten Zeitpunkt“ auch andere Gründe geben kann. Vielleicht haben ja auch Angeklagter und neuer Pflichtverteidiger den ursprünglichen zunächst einmal nur schützen wollen? Das wird der neue Pflichtverteidiger nun im Zweifel in Zukunft nicht mehr tun.

RA Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg

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