Beitrag

Pauschgebühr für den Nebenkläger

Zur Gewährung einer Pauschgebühr in Höhe der Wahlanwaltshöchstgebühr für die Grundgebühr und die Verfahrensgebühr für das vorbereitende Verfahren für den Beistand des Nebenklägers.

(Leitsatz des Verfassers)

KG, Beschl. v. 4.11.20211 ARs 35/20

I. Sachverhalt

Nebenklägervertreter in einem Schwurgerichtsverfahren

Der Rechtsanwalt war in einem Verfahren gegen den wegen Mordes in Tateinheit mit Vergewaltigung Verurteilten dem Bruder der Getöteten als Nebenklägerbeistand bestellt. Die Anklage vom 30.4.2019 ist am 24.6.2019 zur Hauptverhandlung zugelassen worden. In der acht Monate andauernden Hauptverhandlung wurden 83 Zeugen gehört und drei Gutachten erstattet. Das Verfahren umfasst 20 Bände Strafakten, elf Beistücke, einen Karton CDs, 61 Sonderbände, einen Protokollband, einen Ladungsband, drei Antragsbände und zwei Kostenbände. Das LG hat den Angeklagten nach 46 Verhandlungstagen, von denen der Antragsteller als Nebenklagevertreter an 37 Verhandlungstagen mit einer durchschnittlichen Verhandlungsdauer von etwa zweieinhalb Stunden teilgenommen hat, am 17.3.2020 wegen Mordes in Tateinheit mit Vergewaltigung zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Das Urteil ist inzwischen rechtskräftig.

Mit seinem Antrag begehrt der Antragsteller die Festsetzung einer Pauschgebühr gemäß § 51 RVG für seine Tätigkeit im Verfahren in Höhe von 25.546,00 EUR. Das KG hat eine Pauschgebühr in Höhe von 18.552,00 EUR bewilligt.

II. Entscheidung

Fallbezogene Gesamtwürdigung

Nach diesen Grundsätzen war nach Auffassung des KG die Tätigkeit des Rechtsanwalts nach der Gesamtwürdigung jedenfalls im Abgeltungsbereich der Grund- und der Verfahrensgebühren durch die gesetzlichen Gebühren nicht zumutbar abgegolten. Auf der Grundlage führt das KG zum Fall dann aus:

Hauptverhandlung

Die Gebühren für das Verfahren im Rahmen der Hauptverhandlung standen nach Ansicht des KG allerdings nicht außer Verhältnis zur Indienstnahme des Rechtsanwalts, obgleich eine besondere Schwierigkeit darin bestanden habe, dass das Tötungsdelikt bereits 12 Jahre zurückgelegen habe und das Aktenkonvolut sowie das Zeugen- und Sachverständigenprogramm umfangreich gewesen sei. Die Pflichtverteidigervergütung im Hauptverfahren sei durch die Terminsgebühr geprägt. Diese soll die Vor- und Nachbereitung des Termins sowie die Teilnahme am Termin bis zu fünf Stunden abgelten (vgl. VerfGH a.a.O., Gerold/Schmidt/Burhoff, RVG-Kommentar, 25. Aufl., VV 4118 bis 4123 Rn 6, VV 4108 Rn 10). Dabei sei auch zu berücksichtigen, dass der Gesetzgeber den mit den vor den Schwurgerichtskammern geführten Verfahren aufgrund der nicht alltäglich von einem Rechtsanwalt zu bewältigenden Inhalte regelmäßig einhergehenden überdurchschnittlichen Schwierigkeit und besonderen Arbeitsbelastung bereits dadurch Rechnung getragen habe, dass der Rechtsanwalt – wie hier der Antragsteller – höhere Verfahrens- und Terminsgebühren (Nrn. 4118 und 4120 VV RVG) erhalte als für eine Tätigkeit in den von den Gebührentatbeständen Nrn. 4106, 4108, 4112 und 4114 VV RVG erfassten erstinstanzlichen Strafsachen vor dem AG oder einer anderen Großen Strafkammer. Diese würden die vom Gesetzgeber für diese Verfahren antizipierten besonders intensiven und wegen der Verfahrensdauer auch zeitlich aufwändigeren Vor- und Nachbereitungen abgelten, die abgesehen davon ohnehin zu den selbstverständlichen und daher nicht besonders zu vergütenden Pflichten des Verteidigers gehören (vgl. KG, Beschl. v. 10.5.2016 – 1 ARs 33/15 und v. 24.10.2019 – 1 ARs 4/19). Die durchschnittliche Verhandlungsdauer von zweieinhalb Stunden, der durch den Antragsteller (zum Teil nicht in Gänze) wahrgenommenen 37 Hauptverhandlungstermine lag deutlich unter der mit etwa sechs Stunden durchschnittlichen Verhandlungsdauer im Verfahren vor der Schwurgerichtskammer des LG. Er sei mithin durch die große Anzahl der jeweils einzeln vergüteten Hauptverhandlungstermine erheblich besser gestellt worden als in einem durchschnittlichen Verfahren, was zu einer Kompensation arbeitsintensiver Abschnitte der Tätigkeit des Verteidigers führe (KG, Beschl. v. 2.6.2016 – 1 ARs 23/15). Bei der durchschnittlichen Verhandlungsdauer von zweieinhalb Stunden sowie einer Erstreckung der 37 Termine über einen Zeitraum von neun Monaten sei die Möglichkeit des Antragstellers, andere Mandate zu bearbeiten, auch nicht erheblich eingeschränkt worden. Insbesondere sei nicht ersichtlich, dass der Rechtsanwalt durch seine Bestellung so belastet gewesen sei, dass dies seine Existenz gefährdete oder zumindest erhebliche negative finanzielle Auswirkungen auf seinen Kanzleibetrieb gehabt habe (vgl. VerfGH a.a.O.).

Einarbeitung

Demgegenüber sei die Phase der Einarbeitung in das Verfahren mit einem Aktenumfang von 17 Bänden Sachakten, 19 Sonderbänden, diversen Bildermappen und zwölf Beistücken sowie der 33 Seiten umfassenden Anklage als besonders umfangreich einzustufen (vgl. KG, Beschl. v. 17.6.2015 – 1 ARs 5/13 und 2.6.2016 – 1 ARs 23/15 m.w.N.; Gerold/Schmidt/Burhoff, a.a.O., § 51 Rn 19 m.w.N.). Dem Antragsteller habe dabei nur eine vergleichsweise kurze Einarbeitungszeit zugestanden (vgl. Gerold/Schmidt/Burhoff, a.a.O., § 51 Rn 21), nachdem er mit Schriftsatz vom 26.5.2019 gegenüber der Staatsanwaltschaft die Vertretung des zur Nebenklage Berechtigten angezeigt und beantragt hatte, die Nebenklage zuzulassen, ihn als Nebenklagevertreter beizuordnen und ihm Akteneinsicht zu gewähren, und er diesen Antrag mit Schriftsatz vom 16.5.2019 erneut an die zuständige Schwurgerichtskammer gerichtet hat, als er durch die Staatsanwaltschaft Kenntnis von der Anklageerhebung erhalten hatte. Die Bestellung des Antragstellers erfolgte am 31.5.2019. Bereits am 17.7.2019 habe eine Vorbesprechung mit den Verfahrensbeteiligten zur Strukturierung der am 31.7.2019 beginnenden Hauptverhandlung stattgefunden. Die Arbeitskraft des Antragstellers sei daher in der Phase der Einarbeitung in das Verfahren, auch vor dem Hintergrund, dass es sich um ein zwölf Jahre zurückliegendes Tötungsdelikt handelte und der Verurteilte nicht geständig war, weit überdurchschnittlich gebunden gewesen. Damit seien die Pflichtverteidigergebühren nach VV 4100, 4104 und 4118 RVG auch in der Gesamtschau nicht mehr zumutbar. Bei der Bemessung der Pauschgebühr seien daher für diese Gebühren statt der Pflichtverteidigergebühren jeweils die Wahlanwaltshöchstgebühren (in Höhe von 360 EUR, 290 EUR und 690 EUR [nach altem Recht]) anzusetzen.

Rechtsprechung des VerfGH Berlin

Das KG merkt in dem Zusammenhang an, dass der VerfGH Berlin in der von dem Antragsteller in Bezug genommenen Entscheidung vom 22.4.2020 (a.a.O.) festgestellt habe, dass die Gebühren des Verteidigers (lediglich) für das Vorverfahren unangemessen sind. Ausweislich der Begründung der Entscheidung sei die Arbeitskraft des Verteidigers durch das vorbereitende Verfahren weit überdurchschnittlich gebunden gewesen, weil er in diesem Verfahrensabschnitt nicht nur an Vernehmungen durch die Strafverfolgungsbehörden teilgenommen habe, sondern auch an 17 Besprechungsterminen mit seinem Mandanten, dem Landeskriminalamt und dem Oberstaatsanwalt (in unterschiedlichen Verfahren), die an unterschiedlichen und vorgegebenen Orten sowie zu vorgegebenen Zeiten stattfanden, weil der Mandant nach vorangegangener Beratung und notwendiger Vorbereitung durch den Verteidiger in das Zeugenschutzprogramm aufgenommen worden war. Die erheblich über solche in einem gleichartigen Verfahren hinausgehenden Vor- und Nachbereitungen der Termine hätten darüber hinaus überdurchschnittlich viel Zeit eingenommen, insbesondere, weil der Mandant sowohl Beschuldigter als auch Hauptbelastungszeuge im Zusammenhang mit verschiedenen Tatkomplexen war und eine Strafmilderung nach § 46b StGB anstrebte. Der VerfGH sah daher die Möglichkeit des Verteidigers, andere Mandate zu bearbeiten, während des mehrere Monate umfassenden vorbereitenden Verfahrens als erheblich eingeschränkt an. Für das 71 Verhandlungstage umfassende Verfahren ab dem Eingang der Anklage beim LG stellte der VerfGH hingegen fest, dass dem Verteidiger; auch unter Berücksichtigung des mit einem durchschnittlichen Schwurgerichtsverfahren nicht vergleichbaren Aufwandes, kein unzumutbares Sonderopfer abverlangt worden sei (vgl. VerfGH Berlin, Beschl. v. 22.4.2020 – VerfGH 177/19, a.a.O., und v. 12.5. 2021 – VerfGH 175/20, AGS 2021, 360). Bereits aufgrund dieser Feststellungen ist eine Vergleichbarkeit mit dem Umfang, der Schwierigkeit sowie der Einbindung des Verteidigers mit dem in Bezug genommen Verfahren nicht gegeben.

III. Bedeutung für die Praxis

Nur teilweise zutreffend

1. Mal wieder eine Pauschgebührenentscheidung, die ja an sich in letzter Zeit sehr rar geworden sind. Das hat u.a. damit zu tun, dass die Obergerichte sehr restriktiv mit der Bewilligung von Pauschgebühren umgehen und die Latte so hoch legen, dass es einem beigeordneten oder bestellten Rechtsanwalt kaum noch gelingt, die Hürde zu überspringen. Zumal sie darin zum Teil auch noch von der Literatur unterstützt werden. Anzumerken ist hier Folgendes:

Soweit das KG eine Pauschgebühr für den Verfahrensabschnitt „Hauptverhandlung“ ablehnt, wird man sich dem letztlich nicht verschließen können, da die durchschnittliche Hauptverhandlungsdauer mit zweieinhalb Stunden dann für ein Schwurgerichtsverfahren doch recht knapp war (vgl. dazu Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG, § 51 Rn 148 ff. m.w.N.). Allerdings vermisst man im KG-Beschluss Ausführungen des KG zur Frage, ob nicht ggf. das Gesamtgepräge des Verfahrens (dazu Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG, § 51 Rn 15 m.w.N.) eine höhere Pauschgebühr gerechtfertigt hätte, weil der Verfahrensabschnitt „Hauptverhandlung“ eben doch zu berücksichtigen gewesen wäre. Stattdessen wird leider ungeprüft der vom BGH (BGH, Beschl. v. 17.9.2013 – 3 StR 117/12, StRR 2013, 39, und v. 11.2.2014 – 4 StR 73/10, StRR 2014, 198) in die Pauschgebührrechtsprechung eingeführte Begriff des „exorbitanten Abhebens“ von anderen Verfahren übernommen, womit sich der Prüfungsmaßstab erheblich verschärft. Vielleicht hätte sich das KG besser damit befasst, als auszuführen, warum denn seine beiden, dem VerfGH Berlin, Beschl. v. 22.4.2020 – VerfGH 177/19, a.a.O., und v. 12.5. 2021 – VerfGH 175/20, AGS 2021, 360 zugrunde liegenden Beschlüsse, die das KG erheblich gerüffelt haben, zumindest teilweise richtig sind.

Alles in allem: Pauschgebühr macht keine Freude und man sollte sich als Pflichtverteidiger gut überlegen, ob man die Mühe, die eine vernünftige Antragsbegründung erfordert, aufwenden will oder ob man die dafür erforderliche Zeit nicht besser für andere Dinge einsetzt.

Zu lange Bearbeitungsdauer

2. Und: Der Pauschgebührantrag des Beistandes datierte, wie sich aus dem Originalbeschluss ergibt, vom 14.7.2020, die Entscheidung des KG dann vom 4.11.2021, ist also fast 16 Monate später ergangen. Die lange Bearbeitungsdauer erschließt sich nicht, denn Pauschgebühr ist ja nun kein Hexenwerk. Vielleicht hätte je eine Verzögerungsrüge nach den §§ 198, 199 GVG die Bearbeitung beschleunigt.

RA Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg

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