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(Neue) aktive Nutzungspflicht der elektronischen Form

Ein bei Gericht nach dem 1.1.2022 nicht in der Form des § 130d ZPO als elektronisches Dokument eingereichter Schriftsatz ist formunwirksam und damit unbeachtlich. Eine per Fax eingereichte Verteidigungsanzeige kann daher ein Versäumnisurteil im schriftlichen Vorverfahren nicht verhindern.

(Leitsatz des Gerichts)

LG Frankfurt am Main, Urt. v. 19.1.20222-13 O 60/21

I. Sachverhalt

Schriftliches Vorverfahren angeordnet

Mit seiner Klage macht der Kläger einen Anspruch auf Einzahlung einer restlichen Stammeinlage geltend. Der Kläger hat bereits in der Klageschrift den Antrag nach § 331 Abs. 3 S. 1 ZPO gestellt. Der Vorsitzende der Kammer hat das schriftliche Vorverfahren angeordnet. Die Anordnung einschließlich der Belehrung gemäß § 276 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 ZPO ist dem Beklagten am 21.12.2021 zusammen mit der Klage zugestellt worden.

Verteidigungsanzeige per Faxkopie/auf dem Postweg

Mit Schreiben vom 3.1.2022, eingegangen als Faxkopie am 4.1.2022 und im Original auf dem Postweg am 5.1.2022, hat der Beklagtenvertreter die Vertretung des Beklagten angezeigt und mitgeteilt, dass sich der Beklagte gegen die Klage verteidigen werde.

Versäumnisurteil

Das LG hat den Beklagten im schriftlichen Verfahren durch Versäumnisurteil zur Zahlung verurteilt

II. Entscheidung

Verteidigungsanzeige als elektronisches Dokument

Der Beklagte sei – so das LG – auf Antrag des Klägers im schriftlichen Vorverfahren gemäß § 331 Abs. 3 S. 1 ZPO ohne mündliche Verhandlung durch Versäumnisurteil zu verurteilen. Obschon ordnungsgemäß gemäß § 276 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 ZPO belehrt, habe der Beklagte seine Verteidigungsbereitschaft nicht fristgerecht angezeigt. Die Verteidigungsanzeige hätte gemäß § 130d S. 1 ZPO als elektronisches Dokument übermittelt werden müssen. Weder das auf dem Postweg eingereichte handschriftlich unterschriebene Anwaltsschreiben noch dessen Faxkopie wahren die seit dem 1.1.2022 zwingend vorgeschriebene Form; sie seien daher unbeachtlich.

Versendung als elektronisches Dokument ist der einzige Weg

Seit dem 1.1.2022 seien gemäß § 130d S. 1 ZPO vorbereitende Schriftsätze sowie schriftlich einzureichenden Anträge und Erklärungen, die durch einen Rechtsanwalt eingereicht werden, als elektronisches Dokument zu übermitteln. Dabei gelte § 130d S. 1 ZPO grundsätzlich für alle anwaltlichen schriftlichen Anträge und Erklärungen nach der ZPO (BT-Drucks 17/12634, S. 28). Zu den von der Vorschrift umfassten Erklärungen gehören nach Auffassung des LG auch die Verteidigungsanzeige im schriftlichen Vorverfahren, die nach § 276 Abs. 1 S. 1 ZPO schriftlich anzuzeigen sei. Der von § 130d ZPO vorgegebene Übermittlungsweg gemäß § 130a ZPO – in der Regel die Einreichung über das besondere Anwaltspostfach (beA) – sei nach dem 1.1.2022 der einzig zulässige (Greger, in: Zöller, ZPO, 34. Aufl. 2022, § 130d Rn 1). Eine Ausnahme, wonach die Übermittlung nach den allgemeinen Vorschriften zulässig sei, bestehe nach § 130d S. 2 ZPO allein für den Fall, dass die Einreichung auf dem Weg des § 130a ZPO aus technischen Gründen vorübergehend nicht möglich sei. In diesen Fällen sei die vorübergehende Unmöglichkeit nach § 130d S. 3 ZPO jedoch bei Ersatzeinreichung oder unverzüglich danach glaubhaft zu machen. Dies sei hier nicht geschehen, weder zusammen mit der Ersatzeinreichung noch unverzüglich danach; seit der Ersatzeinreichung seien zwei Wochen ohne weitere Erklärung vergangen.

Form der Einreichung Frage der Zulässigkeit

Die Form der Einreichung sei eine Frage der Zulässigkeit und von Amts wegen zu beachten. Auf die Einhaltung der Vorgaben des § 130d ZPO können die Parteien nicht verzichten (§ 295 ZPO), der Gegner könne sich auch nicht rügelos einlassen (BT-Drucks 17/12634, S. 27). Die Einschränkung auf die Übermittlung als elektronisches Dokument habe zur Folge, dass auf anderem Wege eingereichte Klagen oder Berufungen als unzulässig abzuweisen bzw. zu verwerfen seien (BT-Drucks 17/12634, S. 27; Greger, in: Zöller, a.a.O., § 130d Rn 1; Siegmund, NJW 2021, 3617, 3618; BeckRA-HdB, § 69 Rn 54; zur Parallelvorschrift des § 46g ArbGG siehe LAG Schleswig-Holstein, Beschl. v. 25.3.2020 – 6 Sa 102/20). Prozesserklärungen seien unwirksam und Fristen würden durch sie nicht gewahrt (Fritsche, NZFam 2022, 1; Hoeren/Sieber/Holznagel, MMR-HdB, Teil 24 Digitale Justiz Rn 11). Diese Rechtsfolge entspreche dem klaren Willen des Gesetzgebers (BT-Drucks 17/12634, S. 27) und sei auch sachgerecht. Denn ohne diese Rechtsfolgenbewehrung könnte die Pflicht zur flächendeckenden Aktivnutzung des beA nicht wirksam etabliert werden. Mithin sei auch eine auf anderem als auf dem elektronischen Übermittlungsweg nach § 130d S. 1 ZPO eingereichte Verteidigungsanzeige unbeachtlich.

III. Bedeutung für die Praxis

1. Die Entscheidung ist im Zivilverfahren ergangen, sie zeigt aber deutlich, welche Gefahren seit dem 1.1.2022 ggf. mit Inkrafttreten des § 32d StPO auch im Strafverfahren drohen.

Aktive Nutzungspflicht in allen Verfahrensordnungen

2. Seit dem 1.1.2022 besteht die aktive Nutzungspflicht der elektronischen Form – also i.d.R. des beA – in fast allen Verfahrensordnungen. Für das Zivilverfahren ist das in § 130d ZPO bestimmt, für das Strafverfahren in § 32d StPO und für das Verwaltungsverfahren in § 55d VwGO. Nach § 130d S. 1 ZPO sind im Zivilverfahren vorbereitende Schriftsätze und deren Anlagen sowie schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen, die u.a. durch einen Rechtsanwalt eingereicht werden, als elektronisches Dokument zu übermitteln. Das gilt nach § 55d S. 1 VwGO auch für das Verwaltungsverfahren (vgl. dazu schon OVG Schleswig-Holstein, Beschl. v. 25.1.2022 – 4 MB 78/21).

§ 32d StPO sieht das in § 32d S. 1 StPO für das Strafverfahren „nur“ als „Sollvorschrift“ vor, in § 32d S. 2 StPO wird für Berufung, Revision, ihre Begründungen, die Revisionsgegenerklärung, die Privatklage und die Anschlusserklärung bei der Nebenklage auch die aktive Nutzungspflicht normiert. Der Verteidiger sollte zur Sicherheit aber auch den § 32d S. 1 StPO als „Pflichtregelung“ ansehen. Nur dann, wenn die elektronische Übermittlung aus technischen Gründen vorübergehend nicht möglich ist, bleibt die Übermittlung nach den allgemeinen Vorschriften zulässig. Die vorübergehende Unmöglichkeit ist bei der Ersatzeinreichung oder unverzüglich danach glaubhaft zu machen; auf Anforderung ist ein elektronisches Dokument nachzureichen. Das sehen so alle Verfahrensordnungen vor (vgl. § 130d S. 2 und 3 ZPO; § 32d S. 3 und 4 StPO; § 55d S. 3 und 4 VwGO).

Folge

Das bedeutet (zu allem a. Deutscher, VRR 2/2022, 5 = VRR 2/022, 4): Schriftsätze per Fax oder Post sind i.d.R. ist nicht mehr fristwahrend. Das gilt für sämtliche Verfahren einschließlich solcher, die bereits zuvor anhängig gemachten wurden (OVG Schleswig-Holstein, a.a.O.). Wird also noch der Versand per Fax oder Post gewählt – oder auch per E-Mail, soweit das überhaupt als zulässig angesehen wird, droht Fristversäumung mit ggf. erheblichen Nachteilen für die Mandanten.

Heilungsregelung

Für die in den Verfahrensordnungen enthaltenen Heilungsregelungen gilt: Es ist unerheblich, ob die Ursache für die vorübergehende technische Unmöglichkeit der elektronischen Einreichung in der Sphäre des Gerichts oder in der Sphäre des Einreichenden zu suchen ist. Die Möglichkeit der Ersatzeinreichung ist verschuldensunabhängig ausgestaltet (OVG Schleswig-Holstein a.a.O.). Die vorübergehende technische Unmöglichkeit muss vorrangig zugleich mit der Ersatzeinreichung glaubhaft gemacht werden. Lediglich dann, wenn der Rechtsanwalt erst kurz vor Fristablauf feststellt, dass eine elektronische Einreichung nicht möglich ist und bis zum Fristablauf keine Zeit mehr verbleibt, die Unmöglichkeit darzutun und glaubhaft zu machen, genügt eine unverzügliche Glaubhaftmachung (OVG Schleswig-Holstein, a.a.O.).

RA Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg

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