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Ablehnung der Pflichtverteidigerbestellung wegen Terminschwierigkeiten des Rechtsanwalts

Ein innerhalb der Frist des § 142 Abs. 5 StPO bezeichneter Verteidiger ist zu bestellen, wenn dem kein wichtiger Grund entgegenstehe. Ein solcher ist u.a. dann gegeben, wenn der Rechtsanwalt wegen anderweitiger Termine gar nicht und zum anderen nicht früh genug verfügbar ist. Das ist der Fall, wenn er an nur drei von 30 in Aussicht genommenen Hauptverhandlungsterminen teilnehmen kann.

(Leitsatz des Gerichts)

BGH, Beschl. v. 18.11.2021StB 35/21

I. Sachverhalt

Ablehnung der Bestellung des vorgeschlagenen Rechtsanwalts

Das OLG führt gegen den Angeklagten u.a. ein Strafverfahren wegen des Vorwurfs der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung im Ausland in Tateinheit mit Zuwiderhandlung gegen ein Bereitstellungsverbot. Der Vorsitzende des mit der Sache befassten Strafsenats des OLG hat den Antrag des Angeklagten abgelehnt, ihm Rechtsanwalt S als Pflichtverteidiger und Rechtsanwalt R als zusätzlichen Pflichtverteidiger beizuordnen. Stattdessen hat der Vorsitzende Rechtsanwalt P als Pflichtverteidiger bestellt. Der Angeklagte wendet sich mit seiner „Beschwerdeʺ gegen die Ablehnung des Antrags auf Beiordnung von Rechtsanwalt S. Das Rechtsmittel hatte keinen Erfolg.

II. Entscheidung

Wichtiger Grund

Die nach § 142 Abs. 7 S. 1 StPO als sofortige Beschwerde des Angeklagten auszulegende Beschwerde sei zulässig, aber unbegründet. Der vom Angeklagten begehrten Bestellung von Rechtsanwalt S als Verteidiger stehe ein wichtiger Grund i.S.d. § 142 Abs. 5 S. 3 StPO entgegen.

Steht Rechtsanwalt zur Verfügung?

Gemäß § 142 Abs. 5 StPO sei dem Beschuldigten vor der Bestellung eines Pflichtverteidigers Gelegenheit zu geben, innerhalb einer zu bestimmenden Frist einen Verteidiger zu bezeichnen. Ein innerhalb der Frist bezeichneter Verteidiger sei zu bestellen, wenn dem kein wichtiger Grund entgegenstehe. Ein solcher sei u.a. dann gegeben, wenn der Verteidiger nicht oder nicht rechtzeitig zur Verfügung stehe. Die mit dem „Gesetz zur Neuregelung des Rechts der notwendigen Verteidigung“ v. 10.12.2019 (BGBl I S. 2128, S. 2130) ausdrücklich benannten Ablehnungsgründe der fehlenden oder nicht rechtzeitigen Verfügbarkeit regeln nach Verständnis des Gesetzgebers die Fälle, in denen der Verteidiger zum einen – unter Anknüpfung an die Rechtsprechung zur früheren Rechtslage – etwa wegen anderweitiger Termine gar nicht und zum anderen nicht früh genug verfügbar sei. Was nicht rechtzeitig sei, solle sich danach richten, wann die Handlung vorgenommen werden soll, derentwegen seine Mitwirkung erforderlich sei. Eine kurze Wartezeit solle insoweit einzuräumen sein, ein Anspruch auf Verschiebung hingegen nicht bestehen (s. BT-Drucks 19/13829, S. 42 f.). Bereits zuvor sei in der Rechtsprechung anerkannt gewesen, dass ein Vorsitzender den Antrag auf Beiordnung eines bestimmten Rechtsanwalts zurückweisen dürfe, wenn dieser an geplanten Terminen nicht teilnehmen könne, die zur Wahrung des Beschleunigungsgrundsatzes mit Blick auf inhaftierte Mitangeklagte geboten seien (s. BVerfG NStZ 2006, 460, 461; vgl. auch BVerfG BayVBl 2009, 185 Rn 10 ff.; BGHSt 64, 10; NStZ-RR 2007,149 [Ls.]).

Rechtsanwalt kann nur an drei von 30 geplanten Tagen

Nach diesen Maßstäben habe Rechtsanwalt S für die Hauptverhandlung nicht zur Verfügung gestanden. Die Anklage richte sich gegen den Angeklagten und drei Mitangeklagte, von denen sich einer nach mehrmonatiger Auslieferungshaft seit dem 6.5.2021 in Untersuchungshaft befinde. Der Vorsitzende des OLG habe mit Verfügung vom 22.9.2021 sämtliche Verteidiger gebeten, in einer vorbereiteten tabellarischen Übersicht ihre Verfügbarkeit an dreißig Terminen zwischen dem 26.10. und 23.12.2021 mitzuteilen sowie etwaige Verhinderungsgründe konkret zu benennen. Rechtsanwalt S habe lediglich drei Termine als ihm möglich markiert. Der Vorsitzende habe an dem Tag, an dem auch über die Eröffnung des Hauptverfahrens und die Beiordnung von Rechtsanwalt P als Pflichtverteidiger entschieden worden sei, 15 Hauptverhandlungstermine ab dem 28.10.2021 bestimmt. An zwei dieser Termine könne Rechtsanwalt S laut seiner Mitteilung teilnehmen. Damit scheide eine Verteidigung des Angeklagten durch Rechtsanwalt S aus. Dies gelte bereits deshalb, weil er innerhalb des für die Hauptverhandlung vorläufig vorgesehenen Zeitraums lediglich an drei Tagen verfügbar sei und der Vorsitzende, dem die Terminierung obliege (vgl. etwa BGHSt 65, 129; StV 2021, 144), ersichtlich mehr Terminstage für erforderlich halte. Dabei sei nicht mehr entscheidend, dass die dem Verteidiger möglichen Tage nicht einmal in einem die Höchstdauer der Unterbrechung nach § 229 Abs. 1 StPO wahrenden Zeitraum lägen. Die vom Angeklagten in den Raum gestellte Durchführung der Hauptverhandlung ab Januar 2022 komme nicht in Betracht, da sich ein Mitangeklagter in Untersuchungshaft befinde und sich diese dadurch ohne sonstigen Grund um mehr als zwei Monate verlängerte.

III. Bedeutung für die Praxis

Zutreffend

Bisher hatte sich – soweit ersichtlich – noch kein Gericht zur Auswahl des Pflichtverteidigers nach neuem Recht geäußert (vgl. zur Auswahl eingehend Hillenbrand, in: Burhoff (Hrsg.), Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, 9. Aufl. 2022, Rn 3313). Nun also als erstes Gericht der BGH, der die frühere Rechtsprechung zu dieser Frage fortschreibt. Denn es war schon nach früherem Recht Konsens unter den (Ober-)Gerichten, dass dann, wenn ein Rechtsanwalt nicht an genügend in Aussicht genommenen Hauptverhandlungsterminen verfügbar war, die Hauptverhandlung aber als Haftsache besonderer Beschleunigung bedurfte, die Bestellung abgelehnt werden konnte (vgl. Burhoff/Hillenbrand, EV, Rn 3321, 3324, 3332 ff.). Daran hält der BGH fest. M.E. muss man auch nicht lange darum streiten, ob das hier zutreffend ist. Denn der gewählte Pflichtverteidiger hätte nur an drei von geplanten 30 Hauptverhandlungstagen erscheinen können. Das sind gerade mal 10 % der Hauptverhandlungstermine. Da muss man dann m.E. dem Vorsitzenden auch nicht mehr vorhalten, dass er sich ggf. um die Behebung von Terminschwierigkeiten bemühen muss. Selbst wenn, wäre das hier nicht erfolgreich gewesen.

RA Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg

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