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Zum Konkurrenzverhältnis zwischen § 370 Abs. 3 AO und § 263 Abs. 5 StGB

Entgegen der Rechtsauffassung des OLG Frankfurt a.M. (Beschl. v. 9.3.2021 – 2 Ws 132/20, NZWiSt 2021, 229) verdrängt der Straftatbestand der Steuerhinterziehung (§ 370 AO) auch den Verbrechenstatbestand des bandenmäßigen Betruges (§ 263 Abs. 5 StGB). Andernfalls würde nämlich die Möglichkeit zur Selbstanzeige nach § 371 AO genommen. Zudem ist außerhalb von Cum-ex-Konstellationen auch in Fällen der Alltagskriminalität oftmals eine gewerbs- bzw. bandenmäßige Tatbegehung gegeben, so dass vermehrt entgegen der gesetzgeberischen Zielsetzung Personen mit dem gegenüber § 370 AO strengeren Strafrahmen des § 263 Abs. 5 StGB konfrontiert würden.

(Leitsatz des Verfassers)

LG Wiesbaden, Beschl. v. 1.9.20216 KLs – 1111 Js 18753/21

I. Sachverhalt

Gegen den Angeklagten wurden durch Beschluss vom 17.3.2021 TKÜ-Maßnahmen auf Basis von §§ 110a Abs. 1 S. 1, 100e Abs. 1 S. 1 StPO angeordnet, welche mit Beschluss vom 17.6.2021 bzw. vom 23.6.2021 um drei Monate verlängert wurden.

Dabei war dem Angeklagten die Hinterziehung von direkten Steuern vorgeworfen worden, wobei er banden- und gewerbsmäßig gehandelt haben soll, weshalb § 263 Abs. 5 StGB für einschlägig erachtet wurde.

Gegen diese Maßnahme legte der Angeklagte Beschwerde ein.

II. Entscheidung

Das LG Wiesbaden erachtet die Beschwerde für begründet. Entgegen der Rechtsauffassung des OLG Frankfurt a.M. (Beschl. v. 9.3.2021 – 2 Ws 132/20, NZWiSt 2021, 229) geht das LG Wiesbaden davon aus, dass § 370 Abs. 1, Abs. 3 S. 2 Nr. 1 AO nicht nur den einfachen Betrug, sondern auch den Verbrechenstatbestand des § 263 Abs. 5 StGB verdrängt, so dass mangels Vorliegens einer Katalogtat die TÜK-Maßnahme zum damaligen Zeit unter Beachtung der dort geltenden Rechtslage nicht hätte angeordnet werden dürfen.

Insofern geht nämlich der BGH in ständiger Rspr. davon aus, dass im steuerlichen Bereich § 370 AO als abschließende Sonderregelung den Betrugstatbestand verdrängt, lediglich wenn durch die Tat noch außersteuerliche Vorteile erstrebt werden, kann Tateinheit zwischen Steuerhinterziehung und Betrug gegeben sein. Dabei erfordert § 370 AO im Unterschied zu § 263 StGB keine Täuschung (BGH, Urt. v. 1.2.1989 – 3 StR 179/88, NJW 1989, 1619; BGH, Urt. v. 6.6.2007 – 5 StR 127/07, NJW 2007, 2864).

Diese Sichtweise entspricht auch dem gesetzgeberischen Willen, denn nur für die indirekten Steuern wurde eine verschärfte Strafbarkeit für bandenmäßige Tatbegehung durch § 370 Abs. 3 S. 2 Nr. 5 AO eingeführt. Käme für die übrigen Steuerarten demgegenüber der Verbrechenstatbestand des § 263 Abs. 5 StGB zur Anwendung, wäre eine härtere Bestrafung als nach § 370 Abs. 3 AO gegeben.

Auch wäre die Änderung aufgrund des Gesetzes zur Fortentwicklung der Strafprozessordnung und zur Änderung weiterer Vorschriften vom 25.6.2021 (BGBl I 2021, S. 2099) in § 100a Abs. 2 Nr. 2a StPO ab 1.7.2021 bei der Sichtweise des OLG Frankfurt a.M. nicht erforderlich gewesen.

Zudem würde die Möglichkeit zur Selbstanzeige nach § 371 AO solchermaßen genommen und bei regelmäßigen steuerlichen Erklärungspflichten würde oftmals eine gewerbsmäßige Begehung in Betracht kommen, so dass dann jenseits von Cum-ex-Konstellationen, die der Entscheidung des OLG Frankfurt a.M. zugrunde lagen, eine Vielzahl von Personen sich der strengeren Strafbarkeit nach § 263 Abs. 5 StGB ausgesetzt sehen würden.

Im Hinblick auf § 100a StPO kann aber ein konkurrenzrechtlich verdrängter Tatbestand nicht Katalogtat sein (BGH, Beschl. v. 26.2.2003 – 5 StR 423/02, wistra 2003, 305).

Da zum maßgeblichen Zeitpunkt der Beschlussfassung § 100 Abs. 2 Nr. 2a StPO noch nicht galt, mithin der Beschluss vom 23.6.2021 auch nicht ab 1.7.2021 rechtmäßig geworden ist, waren die TKÜ-Maßnahmen rechtswidrig. Bei Beschlussfassung ab 1.7.2021 ist außerdem zu beachten, dass im Zuge der Verhältnismäßigkeitsprüfung einzustellen ist, dass der Strafrahmen des § 370 AO milder als derjenige des § 263 Abs. 5 StGB ist.

III. Bedeutung für die Praxis

Die Entscheidung des OLG Frankfurt, von der sich das LG Wiesbaden distanziert, ist in der Literatur auf erhebliche Kritik gestoßen, da entgegen der bisherigen Rspr. des BGH und der h.M. das Konkurrenzverhältnis zwischen Betrug und Steuerhinterziehung in Frage gestellt wird, ohne dies dogmatisch überzeugend herzuleiten. Vielmehr sprachen rein pragmatische Gründe im Zusammenhang mit dem Erlass eines Haftbefehls aus Sicht des OLG Frankfurt a.M. für die Bejahung von § 263 Abs. 5 StGB (Adick/Linke, NZWiSt 2021, 238), wobei das OLG Frankfurt a.M. unlängst seine Rechtsauffassung nochmals bestätigt hat (Beschl. v. 6.5.2021 – 2 Ws 132/20, wistra 2021, 406). Insofern ist zu begrüßen, dass das LG Wiesbaden hier einen anderen Weg geht.

Dr. Matthias Gehm, Limburgerhof

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