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(Verständigungs-)Gespräche in der Hauptverhandlung

In der Hauptverhandlung geführte Gespräche zwischen den Verfahrensbeteiligten unterliegen nur dann der sich aus § 243 StPO ergebenden Mitteilungspflicht, wenn eine synallagmatische Verknüpfung zwischen einem Prozessverhalten des Angeklagten und einem in Aussicht genommenen Verfahrensergebnis hergestellt worden ist.

(Leitsatz des Verfassers)

BGH, Beschl. v. 28.9.20215 StR 140/21

I. Sachverhalt

Verurteilung

Das LG hat den Angeklagten u.a. wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe verurteilt. Dagegen hat sich der Angeklagte mit seiner Revision gewandt, die er u.a. mit Verfahrensbeanstandungen begründet hat. Das Rechtsmittel hatte insoweit keinen Erfolg.

II. Entscheidung

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand

Der BGH hatte dem Angeklagten zunächst Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich der fristgemäßen Begründung der Revision gewährt. In dem fristgerecht per Fax vorab an das Gericht übermittelten Begründungsschriftsatz hatten aufgrund eines technischen Fehlers die Seiten 3 und 12 gefehlt, was der stets zuverlässigen Schreibkraft der Kanzlei nicht aufgefallen war. Jedenfalls der Inhalt der Seite 12 des Schriftsatzes sei für den vollständigen Vortrag der Verfahrensrüge auch unverzichtbar gewesen. Die Rechtsprechung des BGH, nach der eine Wiedereinsetzung zur Begründung von unzulässig erhobenen Verfahrensrügen in aller Regel ausscheide, wenn die Revision anderweitig bereits form- und fristgerecht begründet worden sei (st. Rspr. seit BGHSt 1, 44 unter Hinweis auf die entsprechende ständige Rechtsprechung des Reichsgerichts; vgl. zuletzt etwa BGH, Beschl. v. 4.3.2021 ‒ 4 StR 209/20, StRR 5/2021, 3 [Ls.]), stehe der Wiedereinsetzung nicht entgegen. Denn von den dort aufgestellten Grundsätzen sei die Rechtsprechung etwa in Fällen abgewichen, in denen fristgerecht die Revisionsbegründung vorgelegt worden, aber nicht mit einer Unterschrift des Verteidigers versehen und deshalb nicht formgerecht gewesen sei (BGHSt 31, 161, 162 f.; NStZ 2003, 615). Gleiches habe in einem Fall gegolten, in dem der eigentliche Revisionsbegründungsschriftsatz infolge eines nicht vom Angeklagten zu vertretenden Versehens in der Verteidigerkanzlei einige Tage verspätet bei Gericht eingegangen war (BGH, Beschl. v. 20.8.1996 ‒ 1 StR 378/96). Mit solchen Konstellationen vergleichbar seien Fälle, in denen ‒ wie hier ‒ infolge eines vom Angeklagten nicht verschuldeten technischen Fehlers die Übersendung der Revisionsbegründung nicht (vollständig) gelinge (vgl. BGH NStZ 2019, 625; Beschl. v. 19.1.2021 ‒ 5 StR 423/20). Deshalb sei auch hier dem Angeklagten Wiedereinsetzung zu gewähren.

Verletzung des § 243 Abs. 4 S. 2 StPO

In der Sache hatte der Angeklagte aber mit seiner Rüge der Verletzung von § 243 Abs. 4 S. 2 StPO keinen Erfolg. Bei dem am ersten Prozesstag in Unterbrechung der Hauptverhandlung geführten Gespräch habe es sich nicht – so der BGH – um ein nach § 243 Abs. 4 S. 2 StPO mitteilungsbedürftiges Gespräch gehandelt. Denn nach dem Inhalt des von dem erstinstanzlichen Verteidiger des Angeklagten in öffentlicher Verhandlung angeregten Gesprächs, wie er sich ‒ von der Verteidigung nicht angezweifelt ‒ aus dem allerdings erst am vorletzten Hauptverhandlungstag vom Vorsitzenden der Strafkammer verlesenen Gesprächsprotokoll ergebe, sei nicht über die Möglichkeit einer Verständigung i.S.v. § 257c StPO gesprochen worden (§ 243 Abs. 4 S. 1 StPO). Es hätte von den Verfahrensbeteiligten auch nicht als ein Gespräch verstanden werden können, das aufgrund des ausdrücklichen oder konkludenten Bemühens um eine Verständigung zur Vorbereitung einer solchen diente (vgl. BGH StRR 2015, 255). Vielmehr habe das Gesprächsprotokoll ergeben, dass es sich lediglich um ein nicht mitteilungspflichtiges Rechtsgespräch i.S.v. § 257b StPO handelte, weil weder der Verteidiger für den Angeklagten ein bestimmtes Prozessverhalten ankündigte, noch die Strafkammer ihrerseits einen Strafrahmen zusagte oder auch nur Vorstellungen eines zu erwartenden Strafmaßes in den Raum stellte: Der Verteidiger habe sich darauf beschränkt, die Vorstrafen- und Haftsituation darzustellen, seine Sicht zur Beweislage und zu dem behaupteten Konsumverhalten des Angeklagten mitzuteilen sowie eine abstrakt gehaltene Strafvorstellung (bewährungsfähige Strafe) zu äußern, die der Vorsitzende zurückgewiesen habe. Daneben habe er noch Ausführungen zu einer aus seiner Sicht in Betracht kommenden Zurückstellung der Strafvollstreckung nach § 35 BtMG gemacht; hierzu habe der Vorsitzende mitgeteilt, dass die für eine Sucht des Angeklagten sprechenden Indizien in den Prozess eingeführt würden. Die Staatsanwaltschaft habe lediglich ihre (abweichende) Beurteilung der Beweislage zur Kenntnis gegeben. Danach sei von keiner Seite eine synallagmatische Verknüpfung zwischen einem Prozessverhalten des Angeklagten und einem in Aussicht genommenen Verfahrensergebnis hergestellt worden, wie sie verständigungsbezogene Gespräche auszeichnet (BGH a.a.O. m.w.N.). Es liege auch kein Fall vor, in dem das Tatgericht „die Verfahrensbeteiligten auf dem Weg der weiteren Entscheidungsfindung im Hinblick auf verfahrensbezogene Maßnahmen sowie ihr Prozessverhalten (vgl. § 257 Abs. 2 S. 1 StPO) ‚mitnehmen‘ wollte“ (vgl. zu einer solchen Konstellation BGH NStZ 2016, 688), denn es sei gerade nicht darum gegangen, mit den Verfahrensbeteiligten über ihr Prozessverhalten zu sprechen.

Protokoll „Verständigungsgespräch“

Dieser Beurteilung stand nach Auffassung des BGH nicht entgegen, dass der Instanzverteidiger angeregt hatte, in ein „Verständigungsgespräch“ einzutreten, der Vorsitzende, nachdem er zunächst erklärt hatte, es seien „keine Verständigungsgespräche“ geführt worden, gleichwohl anordnete, das „Protokoll des Verständigungsgesprächs“ zu verlesen, und dieses Protokoll die Überschrift „Verständigungsgespräch“ trägt. Es könne nämlich nicht davon ausgegangen werden, dass der Vorsitzende durch die Verlesung des Protokolls seine vorangegangene Mitteilung, es hätten „keine Verständigungsgespräche“ stattgefunden, korrigieren wollte, denn unmittelbar danach wiederholte er diese Erklärung. Daraus wird deutlich, dass er weiterhin ‒ und, wie dargelegt, im Ergebnis rechtlich zutreffend ‒ die Auffassung vertrat, es habe sich nicht um ein verständigungsbezogenes Gespräch gehandelt, wenn auch das Protokoll darüber missverständlich als „Verständigungsgespräch“ überschrieben worden war.

Transparenzgebot

In diesem Zusammenhang sei allerdings – so der BGH – noch in den Blick zu nehmen, dass durch die Unterbrechung der Sitzung am ersten Hauptverhandlungstag, nachdem der Verteidiger angeregt hatte, „in ein Verständigungsgespräch einzutreten“, der ‒ unzutreffende ‒ Eindruck entstanden sein konnte, es sei tatsächlich doch ein Verständigungsgespräch geführt worden. Nachdem indes die Anregung dazu in öffentlicher Hauptverhandlung ergangen sei und ‒ wenn auch spät ‒ in der Hauptverhandlung durch die Verlesung des Protokolls über den Inhalt des Gesprächs informiert wurde, sei dem Transparenzgebot im Hinblick auf die Belange der Öffentlichkeit (vgl. BVerfG NStZ 2025, 170 f.) noch hinreichend Genüge getan.

III. Bedeutung für die Praxis

Gratwanderung

Der Beschluss schreibt die ständige Rechtsprechung des BGH zur Mitteilungspflicht nach § 43 StPO fort (vgl. die Zusammenstellung der Rechtsprechung bei Burhoff, in: Burhoff (Hrsg.), Handbuch für die strafrechtliche Hauptverhandlung, 10. Aufl. 2022, Rn 2228 ff.). Trotzdem bleibt bei mir ein gewisses Unbehagen. Der Vorsitzende hat dann ein wenig viel über Verständigung geschrieben und geredet, obwohl doch ein „Verständigungsgespräch“ nicht geführt worden ist. Letztlich setzt sich dann aber wohl der Grundsatz „falsa demonstratio non nocet“ durch. Aber es ist – und bleibt – eine Gratwanderung. M.E. hätte man auch ebenso gut anders entscheiden können.

RA Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg

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