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Rechtlicher Hinweis auf die Einziehung des Wertes von Taterträgen

Ein Hinweis auf die Einziehung des Wertes von Taterträgen (§§ 73, 73c StGB) ist nach § 265 Abs. 2 Nr. 1 StPO auch dann erforderlich, wenn die ihr zugrunde liegenden Anknüpfungstatsachen bereits in der zugelassenen Anklage enthalten sind.

(Leitsatz des Gerichts)

BGH – Großer Senat, Beschl. v. 22.10.2020GSSt 1/20

I. Sachverhalt

Rechtlicher Hinweis erforderlich?

Der 5. Senat hält in Fällen wie dem im Leitsatz genannten eine Hinweispflicht nicht für gegeben (NStZ 2019, 747), sieht sich aber an einer solchen Entscheidung durch abweichende Rechtsprechung des 1. Senats (NStZ 2019, 747; NJW 2019, 2486; NStZ-RR 2020, 25) gehindert und hat die Frage dem Großen Senat zur Entscheidung vorgelegt. Dieser hat die Frage wie im Leitsatz ersichtlich entschieden.

II. Entscheidung

Historische Auslegung

Dem Angeklagten sei gem. § 265 Abs. 2 Nr. 1 StPO in der Hauptverhandlung stets ein förmlicher Hinweis zu erteilen, wenn die zugelassene Anklage keinen Hinweis auf eine dort genannte Rechtsfolge wie die Maßnahme der Einziehung des Wertes von Taterträgen (§ 11 Abs. 1 Nr. 8 StGB) enthält. Die Hinweispflicht gelte unabhängig davon, ob sich in der Hauptverhandlung im Vergleich zum Inhalt der Anklageschrift oder des Eröffnungsbeschlusses neue Tatsachen ergeben haben. Von wesentlicher Bedeutung sei für den Großen Senat hierbei die Entstehungsgeschichte der Vorschrift und der sich daraus ergebende Wille des Gesetzgebers. Der Gesetzgeber habe mit der Neuregelung von § 265 Abs. 2 Nr. 1 StPO durch Art. 3 Nr. 33 Buchstabe a des Gesetzes zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens vom 17.8.2017 (BGBl I, S. 3202) die bisher nach § 265 Abs. 2 StPO a.F. geltenden Hinweispflichten auf weitere Rechtsfolgen wie insbesondere die Einziehung, Nebenstrafen und Nebenfolgen erweitern wollen (vgl. BT-Drucks 18/11277, S. 15, 36 f.). Nach der – dem Gesetzgeber ausweislich der Gesetzesbegründung bekannten – Rechtsprechung des BGH zur früheren Gesetzeslage habe die Hinweispflicht bei Maßregeln der Besserung und Sicherung unabhängig von einer im Vergleich zur zugelassenen Anklage veränderten Sachlage in der Hauptverhandlung gegolten (BGH NStZ-RR 2002, 271). Diese Auslegung der in die Neufassung unverändert übernommenen Worte „sich erst in der Verhandlung vom Strafgesetz besonders vorgesehene Umstände ergeben“ habe der Gesetzgeber durch die Neuregelung ersichtlich nicht in Frage stellen wollen. Im Gegenteil habe der Gesetzgeber die bereits bestehenden Hinweispflichten durch die Neuregelung deutlich ausweiten und auf weitere Maßnahmen i.S.v. § 11 Abs. 1 Nr. 8 StGB erstrecken wollen (vgl. BT-Drucks 18/11277, S. 15, 36 f.). Dies spreche dafür, nach der Gesetzesänderung die Hinweispflicht nicht von weitergehenden Voraussetzungen als zuvor abhängig zu machen.

Systematische Auslegung

Dieses am gesetzgeberischen Willen orientierte Auslegungsergebnis sei mit der Systematik der Vorschrift vereinbar. Die Hinweispflichten in § 265 Abs. 1 und 2 StPO ergänzten die gesetzlichen Vorschriften über den notwendigen Inhalt der Anklageschrift (§ 200 StPO) und den Eröffnungsbeschluss (§ 207 StPO). Nach § 200 Abs. 1 S. 1 StPO seien in der Anklageschrift der Angeschuldigte, die Tat, die ihm zur Last gelegt wird, Zeit und Ort ihrer Begehung, die gesetzlichen Merkmale der Straftat und die anzuwendenden Strafvorschriften zu bezeichnen. Rechtsfolgenrelevante Tatsachen zählten dazu nicht, auch wenn sie in der Praxis häufig mit aufgenommen würden. Um den Angeklagten umfassend darüber zu informieren, auf welche Rechtsfolgen er sich einstellen muss, bedürfe es der Ergänzung durch § 265 Abs. 2 Nr. 1 StPO.

Wortlautauslegung

Einer solchen Auslegung stehe auch nicht der Wortlaut der Norm entgegen. Der Große Senat verstehe unter einem sich erstmals in der Verhandlung ergebenden Umstand i.S.v. § 265 Abs. 2 Nr. 1 StPO auch eine rechtsfolgenrelevante Tatsache, die zwar bereits in der zugelassenen Anklage geschildert wurde, deren Bedeutung aber erstmals in der Hauptverhandlung hervorgetreten ist. Denn erst dann, wenn solche (häufig doppelrelevanten) Tatsachen zur Anwendung der in § 265 Abs. 2 Nr. 1 StPO genannten Rechtsfolgen führen sollen, erweise sich ihre dahingehende Bedeutung für den Angeklagten, der vor Überraschungsentscheidungen geschützt werden soll. Der bloßen Schilderung derartiger Tatsachen in der Anklageschrift könne diese Relevanz – anders als beim gesetzlich notwendigen Inhalt (vgl. § 200 Abs. 1 S. 1 StPO) – nicht entnommen werden. Die Regelung in § 265 Abs. 3 StPO, die lediglich tatsächliche Änderungen betrifft (BGH NStZ 2020, 370, 371; NStZ 2018, 558), erfordere angesichts dessen und aufgrund ihres abweichenden Regelungsgehalts nicht, den Begriff „Umstand“ in § 265 Abs. 2 Nr. 1 StPO wie dort auszulegen.

Teleologische Auslegung

Dieses Auslegungsergebnis werde auch Sinn und Zweck des § 265 Abs. 2 Nr. 1 StPO gerecht. Die Hinweispflichten in § 265 Abs. 1 und 2 StPO dienten der Gewährleistung eines fairen Verfahrens und dem rechtlichen Gehör. Sinn und Zweck des § 265 StPO sei es, den Angeklagten vor Überraschungen zu bewahren (BGHSt 25, 287, 289). Ihm solle Gelegenheit gegeben werden, sich hinreichend verteidigen zu können (BGH NStZ 2020, 47). Dieser Zweck werde am zuverlässigsten dadurch erreicht, dass der Angeklagte auf jede in Betracht kommende Rechtsfolge ausdrücklich hingewiesen wird, sei es in der Anklageschrift, im Eröffnungsbeschluss oder in der Hauptverhandlung (BGH NStZ-RR 2020, 25). Der aus Fairnessgründen gebotene Schutz des Angeklagten vor Überraschungsentscheidungen erfordere keine restriktive Auslegung des § 265 StPO, sondern eine umfassende Hinweispflicht (BGHSt 56, 121, 124 = NJW 2011, 1301 = StRR 2011, 193 [Burhoff]). Eine Differenzierung danach, ob eine Rechtsfolge im Ermessen des Gerichts steht, von einer aktuellen Prognose abhängt oder – wie die Vorschriften über die Einziehung des Wertes von Taterträgen nach §§ 73, 73a StGB – zwingend anzuordnen ist, würde dem nicht gerecht. Dass der Gesetzgeber davon ausgegangen ist, die Neuregelung des § 265 Abs. 2 Nr. 1 StPO führe bei der Nebenstrafe des Fahrverbots zu einer unterschiedlichen Anwendung der Hinweispflichten in Fällen fakultativer (§ 44 Abs. 1 S. 1 StGB) und regelmäßiger (§ 44 Abs. 1 S. 3 StGB) Anwendung (vgl. BT-Drucks 18/11277, S. 37), vermöge dies nicht in Frage zu stellen, da § 265 Abs. 2 Nr. 1 StPO in seinen Anordnungsvoraussetzungen nicht zwischen einzelnen Rechtsfolgen unterscheide.

III. Bedeutung für die Praxis

Überzeugend

Vor dem Hintergrund, dass der Gesetzgeber mit der Reform des § 265 StPO im Jahr 2017 die Hinweispflichten zum Schutz des Angeklagten vor überraschenden Entscheidungen ausdehnen wollte, ist die Entscheidung des Großen Senats überzeugend. Bemerkenswert ist allerdings, dass der Beschluss des Großen Senats erst mehr als ein Jahr nach seinem Erlass veröffentlicht worden ist. Die bloße Benennung von Tatsachen in der Anklageschrift, welche die Einziehung des Wertes von Taterträgen begründen können, genügt jedenfalls zur Erfüllung der Hinweispflicht nicht. Denn in solchen Fällen wird für den Angeschuldigten nicht erkennbar, ob die StA trotz Auflistung solcher Umstände in der Anklageschrift nach § 423 Abs. 3 StPO etwa in der Begleitverfügung von der Einziehung abgesehen hat oder eben nicht. In aller Regel wird das Urteil hinsichtlich des Rechtsfolgenausspruchs zur Einziehung auf einem solchen Verstoß gegen die Hinweispflicht beruhen und eine Revision insoweit erfolgreich sein (näher Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 64. Aufl. 2021, § 265 Rn 46 ff.; Burhoff, Hauptverhandlung, 9. Aufl. 2019, Rn 1983; Rechtsprechungsübersicht zur strafrechtlichen Vermögensabschöpfung bei Deutscher, StRR 12/2020, 6).

RiAG Dr. Axel Deutscher, Bochum

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