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Erfordernis der Konnexität beim Beweisantrag

Zum Zusammenhang zwischen Beweistatsache und Beweismittel nach der Neufassung von § 244 Abs. 3 S. 1 StPO („Konnexität“; Aufgabe von BGHSt 52, 284).

(Leitsatz des Gerichts)

BGH, Beschl. v. 1.9.2021 – 5 StR 188/21

I. Sachverhalt

Das LG hat den Angeklagten u.a. wegen versuchten Mordes verurteilt. Dagegen wendet sich der Angeklagte mit der Revision. Mit der macht er geltend, dass das LG einen Beweisantrag abgelehnt hat. Der Angeklagte wollte durch Vernehmung eines Zeugen beweisen, dass das Opfer und der Schütze vor der Tat unabhängig von ihm Kontakt gehabt hatten: In einem Telefonat mit dem Zeugen habe der Geschädigte von einer Bedrohung durch den Täter berichtet. Das LG ist dem Beweisantrag nicht nachgegangen. Es hat ohne Vernehmung des Zeugen festgestellt, dass eine Verbindung zwischen Schütze und Opfer nur über den – u.a. deswegen – wegen Beihilfe verurteilten Mann bestanden habe. Ein zulässiger Beweisantrag habe nicht vorgelegen: Der Zeuge habe gegenüber einem bereits vernommenen Polizeibeamten schon erklärt, dass er nicht mit dem Verletzten, sondern einer anderen Person über eine möglicherweise vom Täter stammende Drohung gesprochen habe. Der Antrag des Angeklagten lege nicht plausibel dar, warum seine Vernehmung nun zu einem anderen Ergebnis führen solle. Die Revision des Angeklagten hatte Erfolg.

II. Entscheidung

Der BGH nimmt in dem zur Veröffentlichung in BGHSt vorgesehenen Beschluss zunächst zur sog. einfachen Konnexität Stellung, die jetzt nach den Änderungen durch das Gesetz zur Modernisierung des Strafverfahrens vom 10.12.2019 (BGBl I, S. 2121) als Beweisantragsmerkmal in der StPO angeführt wird. Zur Konnexität hatte der 5. Strafsenat des BGH in BGHSt 52, 284 ausgeführt, dass der Antragsteller über die Darlegung der Konnexität im sog. einfachen Sinne ggf. darüber hinaus weitergehende Umstände vortragen müsse, die seinen Antrag – etwa bei fortgeschrittener Beweisaufnahme mit bislang gegenteiligen Beweisergebnissen – plausibel erscheinen lassen. Die Rechtsprechung hat der BGH jetzt aufgegeben. Denn solche weitergehenden Anforderungen an die Konnexität, die die vom LG vorgenommene Einstufung als bloßen Beweisermittlungsantrag rechtfertigen könnten, seien von Gesetzes wegen nach der umfassenden Neuregelung des Beweisantragsrechts nicht gestellt.

Der Gesetzestext des § 244 Abs. 3 S. 1 StPO („weshalb das bezeichnete Beweismittel die behauptete Tatsache belegen können soll“) lege nach seinem Wortlaut nicht nahe, dass der Antragsteller über die Darlegung der Konnexität im bezeichneten Sinne hinaus weitergehende Umstände vortragen müsse, die seinen Antrag – etwa bei fortgeschrittener Beweisaufnahme mit bislang gegenteiligen Beweisergebnissen – „plausibel“ erscheinen lassen (vgl. demgegenüber aber u.a. – sogenannte „qualifizierte Konnexität“ – BGHSt 52, 284; kritisch gegenüber dieser Erweiterung des Konnexitätserfordernisses BGH NStZ 2009, 171; 2013, 476; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 64. Aufl. 2021, § 244 Rn 21c).

Diese Auslegung des Konnexitätsmerkmals entspreche auch dem Willen des Gesetzgebers. Ausweislich der Gesetzgebungsgeschichte und der Gesetzesmaterialen habe er bei der Normierung des Merkmals „weshalb das bezeichnete Beweismittel die behauptete Tatsache belegen können soll“ lediglich die „Konnexität“ im zuerst genannten, nicht aber diejenige im „qualifizierten“ Sinne im Blick gehabt (ausführlich Schäuble, NStZ 2020, 377, 379; vgl. auch Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O.; Güntge, StraFo 2021, 92, 97 f.). Dies werde durch seine lediglich auf solche Konstellationen abstellenden Formulierungen in den Gesetzesmaterialien deutlich (vgl. dazu BT-Drucks 19/14747, S. 33 f.).

Eine derartige Auslegung werde auch der Systematik und den Prinzipien des Beweisantragsrechts gerecht. Das Beweisantragsrecht garantiere den Verfahrensbeteiligten als Ausgleich für die dominierende Stellung des die Beweisaufnahme bestimmenden Gerichts ein starkes Teilhaberecht am Prozess der Wahrheitsfindung in der Hauptverhandlung. Es sichere die Subjektstellung des Angeklagten in der Hauptverhandlung sowie seinen Anspruch auf rechtliches Gehör (vgl. BVerfGE 65, 305, 307 m.w.N.) und sei eines der zentralen Rechte des Angeklagten und der Verteidigung. Den Verfahrensbeteiligten müsse es auch möglich sein, solche Tatsachen unter Beweis zu stellen, deren Bestätigung durch das Beweismittel lediglich vermutet oder für möglich gehalten wird (vgl. BGH, Beschl. v. 16.3.2021 – 5 StR 35/21). Zudem sei das Beweisantragsrecht vom Verbot der Beweisantizipation geprägt. Der Antragsteller muss auch eine Tatsache unter Beweis stellen können, für deren Richtigkeit die bisherige Beweisaufnahme keine Anhaltspunkte ergeben hat und die ungewöhnlich oder unwahrscheinlich erscheint (vgl. BGH NStZ 2013, 476 m.w.N.). Für das Vorliegen eines Beweisantrages könne es mithin nicht konstituierend sein, dass der Antragsteller plausibel mache, weshalb das von ihm benannte Beweismittel trotz gegebenenfalls entgegenstehender bisheriger Beweisergebnisse die unter Beweis gestellte Tatsache belegen können soll.

III. Bedeutung für die Praxis

1. Dass die Entscheidung zur Veröffentlichung in BGHSt vorgesehen ist, unterstreicht ihre Bedeutung. Der Verteidiger sollte aber trotz der nun gelockerten Rechtsprechung des BGH zur Konnexität dennoch in möglichst allen Fällen dazu ausführen, um so auf jeden Fall ein Einfallstor zur Ablehnung seines Beweisantrags zu schließen (vgl. auch Burhoff, in: Burhoff (Hrsg.), Handbuch für die strafrechtliche Hauptverhandlung, 10. Aufl. 2022, Rn 1177 ff. m.w.N.; s. auch noch zum neuen Recht Burhoff, StRR 10/2020, 5).

2. Die Entscheidung ist aus einem weiteren Grund lesenswert. Der BGH hat nämlich auch noch zum (Tatbestands-)Merkmal der Ernsthaftigkeit des gestellten Beweisantrags ausgeführt. Danach kommt die Ablehnung eines Beweisantrags als nicht ernsthaft gemeint nur ausnahmsweise in Betracht und erfordere einen hohen argumentativen Aufwand des Tatgerichts. Erforderlich sei eine ausführlich begründete Gesamtwürdigung von Beweisbegehren, Prozessverhalten und Beweislage. Weil die Herabstufung eines ansonsten formgerechten Beweisantrags zu einem bloß unter Aufklärungsgesichtspunkten beachtlichen Beweisermittlungsantrag regelmäßig in ein Spannungsverhältnis zu den Beweisteilhaberechten der Verfahrensbeteiligten und dem das Beweisantragsrecht prägenden Verbot der Beweisantizipation gerate, sei bei der Ablehnung derartiger Anträge mangels Ernsthaftigkeit äußerste Zurückhaltung geboten.

RA Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg

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