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Gebühren im Revisionsverfahren

1. Zur Erstattungsfähigkeit der Gebühren für das Revisionsverfahren, wenn die Staatsanwaltschaft die von ihr eingelegte Revision vor der Begründung zurücknimmt.

2. Mit der Entgegennahme der Revisionsschrift der Staatsanwaltschaft erbringt der Verteidiger die erste Tätigkeit im Rahmen des Revisionsverfahrens; es entsteht damit die Verfahrensgebühr Nr. 4130 VV RVG.

(Leitsätze des Verfassers)

LG Detmold, Beschl. v. 18.12.2020 – 23 Qs 142/20

I. Sachverhalt

Das Berufungsurteil des LG erging gegen den Angeklagten am 29.8.2019. Gegen das Urteil legte die Staatsanwaltschaft am 3.9.2019 Revision ein. Hiervon erhielt der Pflichtverteidiger des Angeklagten am 4.10.2019 Mitteilung. Nach Zustellung des schriftlichen Urteils nahm die Staatsanwaltschaft ihre Revision ohne vorherige Begründung am 16.10.2019 zurück. Durch Beschluss des LG sind die Kosten der Revision sowie die notwendigen Auslagen des Angeklagten der Staatskasse auferlegt worden. Der Pflichtverteidiger hat u.a. eine Verfahrensgebühr Nr. 4130 VV RVG geltend gemacht, die zunächst festgesetzt worden ist. Auf die Erinnerung des Bezirksrevisors hat das AG dann den Kostenfestsetzungsbeschluss ersatzlos aufgehoben. Die dagegen eingelegte Erinnerung des Pflichtverteidigers hatte keinen Erfolg. Das LG hat dann aber auf die Beschwerde des Pflichtverteidigers die geltend gemachte Verfahrensgebühr Nr. 4130 VV RVG festgesetzt. Der Pflichtverteidiger hatte geltend gemacht, dass er bereits begonnen hatte, die Gegenerklärung zu der zu erwartenden Revisionsbegründung der Staatsanwaltschaft vorzubereiten. Er habe den Mandanten über das gegnerische Rechtsmittel und den Gang des Revisionsverfahrens informiert und habe eine erste Einschätzung der Erfolgsaussichten abgegeben. Dies sei für den Mandanten auch deshalb von besonderer Bedeutung gewesen, weil seine Strafe in der Berufungsinstanz zur Bewährung ausgesetzt worden sei und er über die Auswirkungen der Revisionseinlegung habe beraten werden müssen. Dies entspreche den Pflichten eines Verteidigers.

II. Entscheidung

Nach Auffassung des LG sind die Voraussetzungen für die Geltendmachung der Verfahrensgebühr Nr. 4130 VV RVG beim Pflichtverteidiger gegeben. Die hier zur Beurteilung stehende Tätigkeit des Verteidigers sei von seiner Pflichtverteidigerbestellung umfasst gewesen. Durch die Verfahrensgebühr im Rechtsmittelverfahren werden, so das LG, alle Tätigkeiten des Verteidigers abgegolten, die nicht durch gesonderte Gebühren – wie z.B. Terminsgebühren für einen Hauptverhandlungstermin – erfasst sind. Dabei entstehe die Verfahrensgebühr für das Revisionsverfahren gemäß Nr. 4130 VV RVG bereits mit der ersten Tätigkeit des Rechtsanwalts in der Revisionsinstanz (vgl. Gerold/Schmidt/Burhoff, RVG, 24. Aufl. 2019, VV 4130 Rn 4). Dies entspreche dem in der amtlichen Vorbemerkung 4 Abs. 2 festgelegten Willen des Gesetzgebers, dass die Verfahrensgebühr für das Betreiben des Geschäfts einschließlich der Information entstehe.

Die vom Pflichtverteidiger beschriebenen Tätigkeiten seien im Rahmen des Revisionsverfahrens erbracht worden. Dies beginne mit der Einlegung der Revision gemäß § 341 StPO. Damit sei die Berufungsinstanz beendet. Der Pflichtverteidiger habe auch rechtsanwaltliche Tätigkeiten im Rahmen des Revisionsverfahrens erbracht. Ihm sei der Revisionsschriftsatz der Staatsanwaltschaft zugestellt worden. Mit der Entgegennahme der Revisionsschrift habe er die erste Tätigkeit im Rahmen des Revisionsverfahrens entfaltet. Er habe den Angeklagten anlässlich der Revisionseinlegung auch bezogen auf dessen Einzelfall beraten. So habe er ihn nicht nur über die Bedeutung der Revisionseinlegung und den weiteren Verfahrensgang im Allgemeinen, sondern auch konkret über die Folgen der Revision für seine Bewährung aufgeklärt. Dies sei für den Mandanten, dem für seine Bewährung Auflagen und Weisungen aufgegeben worden seien, auch von besonderer Bedeutung. Schließlich habe der Verteidiger auch glaubhaft dargelegt, bereits Vorbereitungen hinsichtlich einer Gegenerklärung zu der zu erwartenden Revisionsbegründung der Staatsanwaltschaft getroffen zu haben.

Die dargelegten anwaltlichen Tätigkeiten waren nach Auffassung des LG auch erstattungsfähig. Dabei sei grundsätzlich nicht zu prüfen, inwieweit die gebührenauslösende Tätigkeit zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung unbedingt erforderlich war (Gerold/Schmidt/Müller-Rabe, a.a.O., § 55 Rn 53). Etwas anderes gelte nur, wenn eine Prozesshandlung völlig überflüssig oder bedeutungslos war (Gerold/Schmidt/Müller-Rabe, a.a.O.). Im vorliegenden Fall seien die Tätigkeiten des Beschwerdeführers nicht nur nicht „völlig überflüssig oder bedeutungslos“, sondern zur sachgemäßen Verteidigung erforderlich gewesen. Dies gelte zunächst für die Entgegennahme der Revisionseinlegung durch die Staatsanwaltschaft. Denn durch die Revisionseinlegung sei das Revisionsverfahren in Gang gesetzt und damit der Beratungsbedarf des Verurteilten hinsichtlich der unmittelbaren Folgen der Revisionseinlegung für ihn ausgelöst worden.

Auch stelle die Revisionseinlegung einen für den Fortgang der Sache wesentlichen Vorgang dar und führe dazu, dass der Verurteilte gemäß § 11 BORA hierüber ohne besondere Aufforderung durch den Verteidiger zu unterrichten sei. Die darauf folgende Beratung hinsichtlich der Wirkung des Revisionsverfahrens auf die Bewährung und die damit verbundenen Weisungen und Auflagen sei objektiv notwendig gewesen. Für den Verurteilten als juristischen Laien sei nicht ohne Weiteres ersichtlich gewesen, welche Folgen die Revisionseinlegung für die Bewährung und insbesondere die Bewährungsauflagen haben würde. Da diese Beratung erst durch die Einlegung der Revision durch die Staatsanwaltschaft erforderlich geworden sei, sei die Tätigkeit des Verteidigers nicht mehr durch die Gebühren des Berufungsverfahrens gedeckt. Denn ohne die Revisionseinlegung der Staatsanwaltschaft wäre die anwaltliche Tätigkeit des Pflichtverteidigers beendet und der Verurteilte hinsichtlich etwaigen Beratungsbedarfs an seinen Bewährungshelfer zu verweisen gewesen. Schließlich sei die Beratung auch unmittelbar nach Zustellung der Revisionseinlegung und nicht erst mit Eingang der Revisionsbegründung der Staatsanwaltschaft erforderlich. Denn Beratungsgegenstand sei insoweit nicht nur die materielle Beurteilung der Erfolgsaussichten der Revision, sondern zumindest auch der Einfluss der Revisionseinlegung auf die dem Verurteilten mit dem Bewährungsbeschluss auferlegten Pflichten.

Zu der Beratung seines Mandanten sei der Verteidiger berufsrechtlich vor dem Hintergrund von § 11 Abs. 2 BORA im Übrigen auch verpflichtet. Denn danach seien Anfragen des Mandanten unverzüglich zu beantworten, wovon nur querulatorische oder gänzlich unbedeutende Anfragen ausgenommen seien. Querulatorisch oder gänzlich unbedeutend sei der Beratungsbedarf des Verurteilten indes nicht.

Des Weiteren sei auch die durch den Verteidiger behauptete Vorbereitung einer Gegenerklärung zu der erwarteten Revisionsbegründung der Staatsanwaltschaft zur sachgemäßen Verteidigung zweckdienlich gewesen. Auch ohne Kenntnis der konkreten Angriffsmittel der Staatsanwaltschaft sei es – wie der Pflichtverteidiger glaubhaft dargelegt habe – möglich und im Einzelfall auch sinnvoll, erste Vorbereitungen für das weitere Revisionsverfahren zu treffen. Mit der Rücknahme der Revision durch die Staatanwaltschaft oder der Versäumung der Begründungsfrist mit der Folge der Unzulässigkeit der Revision habe die Verteidigung entgegen den Ausführungen des AG nicht rechnen müssen.

III. Bedeutung für die Praxis

Die Entscheidung ist in beiden vom LG angesprochenen Punkten zutreffend.

1. Das Revisionsverfahren beginnt grundsätzlich mit der Einlegung der Revision gegen das entsprechende Urteil (vgl. Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG Straf- und Bußgeldsachen, 6. Aufl. 2021, Nr. 4130 VV Rn 2). Wird von der Staatsanwaltschaft Revision eingelegt, beginnt für den Verteidiger das Revisionsverfahren mit der ersten Tätigkeit, die er nach Einlegung der Revision durch die Staatsanwaltschaft für den Mandanten erbringt (Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG, a.a.O., Nr. 4130 Rn 7 m.w.N. auch zur unzutreffenden a.A.). Das ist im Zweifel die Entgegennahme der Nachricht über die Einlegung der Revision durch die Staatsanwaltschaft. Auf die anderen hier vom Pflichtverteidiger erbrachten Tätigkeiten, die das LG allerdings zutreffend der Verfahrensgebühr Nr. 4130 VV RVG zugeordnet hat, kommt es daher für das Entstehen der Gebühr nicht mehr an.

2. Das LG sieht auch die Frage der Erstattungsfähigkeit der Nr. 4130 VV RVG zutreffend. Die Entscheidung hebt sich damit wohltuend von der in der Rechtsprechung der OLG vertretenen Auffassung ab, wonach die Verfahrensgebühr in diesen Fällen erst dann erstattungsfähig sei, wenn der Verteidiger nach der Begründung der Revision durch die Staatsanwaltschaft für den Mandanten tätig werde. Bis dahin soll dieser keinen Beratungsbedarf haben (vgl. u.a. KG RVGreport 2010, 351; RVGreport 2012, 187; OLG Köln AGS 2015, 511 = RVGreport 2015, 383; weitere Nachweise bei Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG, Nr. 4130 Rn 29 und Nr. 4124 VV Rn 28 ff.). Dass das falsch ist, habe ich bereits wiederholt dargelegt. Abgesehen davon, dass der Mandant bereits vor der Begründung der Revision durch die Staatsanwaltschaft Beratungsbedarf hat – was der vorliegende Fall anschaulich zeigt –, ist die Verfahrensgebühr Nr. 4130 VV RVG bereits durch die Entgegennahme der Revisionsschrift der Staatsanwaltschaft entstanden. Diese anwaltliche Tätigkeit muss honoriert werden. Es gibt keine Verteidigung zum Nulltarif, obwohl sich das sicherlich das eine oder andere OLG wünscht. Zudem hat bisher noch kein OLG eine nachvollziehbare Begründung gegeben, warum diese anwaltliche Tätigkeit nicht honoriert werden soll und wie man mit dem Umstand umgeht, dass die Gebühr Nr. 4130 VV RVG bereits entstanden ist. Auf die nachfolgenden Beratungen kommt es insoweit gar nicht mehr an.

3. Das LG hat gegen seinen Beschluss wegen der grundsätzlichen Bedeutung der zur Entscheidung stehenden Frage die weitere Beschwerde nach § 56 Abs. 2 S. 1 RVG i.V.m. § 33 Abs. 6 RVG zugelassen. Wir werden also in der Sache demnächst etwas aus Hamm hören, da der Bezirksrevisor keine Ruhe geben wird. Das OLG hat dann die Gelegenheit, seine alte entgegenstehende Rechtsprechung (vgl. MDR 1978, 586) zu überdenken und richtig zu entscheiden. Viel Hoffnung, dass es das tut, habe ich angesichts der Rechtsprechung der letzten Jahre allerdings nicht (vgl. dazu Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG, Nr. 4124 VV Rn 29; vgl. dazu inzwischen OLG Hamm StRR 10/2021, 34).

RA Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg

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