Durch das „Gesetz zur Fortentwicklung der StPO u.a.“ vom 25.6.2021 (BGBl I, S. 2099) ist § 104 StPO, der die Durchsuchung zur Nachtzeit regelt, geändert worden. Wir stellen Ihnen nachfolgend die Änderungen vor (wegen weiterer Einzelheiten siehe Burhoff, Fortentwicklung der StPO u.a. – Die Änderungen in der StPO 2021 – ein erster Überblick, 2021, Rn 115 ff.).
I.Gesetzgebungsverfahren
Die Änderungen in § 104 StPO sind im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens einem Wandel unterlegen. Sie gehen zunächst zurück auf die ursprünglich in der BT-Drucks 19/27654 nur vorgesehenen Änderungen (vgl. dazu BT-Drucks 19/27654, S. 71 m.w.N.). Diese haben lediglich eine Anpassung des § 104 Abs. 3 StPO a.F. vorgesehen.
Die Änderung in § 104 Abs. 3 StPO ist mit veränderten Lebensgewohnheiten begründet worden (BT-Drucks 19/27654, S. 71 m.w.N.). Die alte Fassung sei der „weitgehend agrarisch geprägten Lebenswelt des 19. Jahrhunderts“ geschuldet gewesen, in der die Nachtruhe – vor allem, weil Tiere in der Landwirtschaft versorgt werden mussten – in den Sommermonaten für weite Teile der Bevölkerung vor 6 Uhr endete. Zudem hat die Rechtsprechung des BVerfG eine Rolle gespielt. Das hatte in seinem Beschluss vom 12.3.2019 darauf hingewiesen, dass § 104 Abs. 3 StPO a.F. den gemäß Art. 13 Abs. 1 GG gebotenen Schutz vor nächtlichen Wohnungsdurchsuchungen „nur unvollkommen gewähre“, soweit er die Nachtzeit in den Sommermonaten bereits um 4 Uhr enden lasse (2 BvR 675/14, NJW 2019, 1428).
II.Anpassung des Begriffs der „Nachtzeit“ (§ 104 Abs. 3 StPO)
Auf der unter I. dargestellten Grundlage (vgl. auch noch Rabe von Kühlewein, NStZ 2019, 501; Jahn, JuS 2019, 822; Sachs, JuS 2019, 1039) ist der Begriff der Nachtzeit i.S.d. § 104 Abs. 1 StPO neu gefasst worden. Nachtzeit ist nach der Änderung in § 104 Abs. 3 StPO jetzt einheitlich der Zeitraum von 21 Uhr bis 6 Uhr morgens. Die Differenzierung zwischen Sommer- und Wintermonaten ist aufgegeben worden. Mit der Änderung ist der Gleichlauf mit sonstigen bundesgesetzlichen Regelungen zur Nachtzeit hergestellt, wie z.B. mit § 758a Abs. 4 S. 2 ZPO. Soweit in Polizei- und Verwaltungsgesetzen des Bundes und der Länder zur Bestimmung der Nachtzeit auf § 104 Abs. 3 StPO verwiesen wird, gilt die Änderung über die „dynamischen Verweise“ (BT-Drucks 19/27654, S. 70).
Hinweis
Da eine „Durchsicht von Papieren“ nach § 110 StPO noch Teil der Durchsuchung ist (u.a. BGH NStZ 2002, 215; 2003, 670 m.w.N.; NStZ-RR 2010, 67 (Ci/Zi); OLG Bremen wistra 1999, 75), hat die Änderung auch Auswirkungen auf diesen Teil der Durchsuchung. Er ist also zur „Nachtzeit“ von 4.00 Uhr bis 6.00 Uhr auch nicht mehr zulässig, es sei denn, es liegen die Voraussetzungen des § 104 Abs. 1 StPO vor (dazu nachfolgend III.).
III.Durchsuchung von Räumen zur Nachtzeit (§ 104 Abs. 1 StPO)
1. Allgemeines
Nach § 104 Abs. 1 StPO dürfen die Wohnung, die Geschäftsräume und das befriedete Besitztum nach den Änderungen nun in folgenden Fällen durchsucht werden: bei Verfolgung auf frischer Tat (Nr. 1), bei Gefahr im Verzug (Nr. 2), wenn bestimmte Tatsachen den Verdacht begründen, dass während der Durchsuchung auf ein elektronisches Speichermedium zugegriffen werden wird, das als Beweismittel in Betracht kommt, und ohne die Durchsuchung zur Nachtzeit seine Auswertung, insbesondere in unverschlüsselter Form, aussichtslos oder wesentlich erschwert wäre (Nr. 3) oder zur Wiederergreifung eines entwichenen Gefangenen (Nr. 4).
Die Regelung des § 104 StPO gilt nach Abs. 1 für „die Wohnung, die Geschäftsräume und das befriedete Besitztum, also für den durch Art. 13 Abs. 1 GG geschützten Bereich. Dieser geschützte Bereich darf nur unter den besonderen Ausnahmen der Nrn. 1–4 durchsucht werden.
2. „Alte Ausnahmen“
Von den Ausnahmen in § 104 Abs. 1 StPO sind die Nrn. 1, 2 und 4 nicht neu. Nr. 1 erfasst den Fall der „Verfolgung auf frischer Tat“ (vgl. insoweit § 127 StPO; Burhoff, Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, 8. Aufl. 2021, Rn 4928 [im Folgenden kurz: Burhoff, EV]), Nr. 2 die Gefahr im Verzug, wenn also das Aufschieben der Durchsuchung bis zum Tagesbeginn ihren Erfolg wahrscheinlich gefährden würde (Burhoff, EV, Rn 1609 ff.) und die Nr. 4 die Wiederergreifung eines entwichenen Gefangenen (vgl. § 120 StGB). Insoweit kann auf bisher vorliegende Rechtsprechung zurückgegriffen werden.
3. Neue Ausnahme Nr. 3
Neu ist die Ausnahme in § 104 Abs. 1 Nr. 3 StPO. Danach darf die Durchsuchung zur Nachtzeit in Zukunft auch erfolgen, wenn bestimmte Tatsachen den Verdacht begründen, dass während der Durchsuchung auf ein elektronisches Speichermedium zugegriffen werden wird, das als Beweismittel in Betracht kommt, und ohne die Durchsuchung zur Nachtzeit seine Auswertung, insbesondere in unverschlüsselter Form, aussichtslos oder wesentlich erschwert wäre. Die Regelung ist zum besonderen Schutz der Nachtruhe (so) restriktiv formuliert (BT-Drucks 19/30517, S. 19).
Die Ausnahme nach § 104 Abs. 1 Nr. 3 StPO erfasst (nur) den Fall, dass während der Durchsuchung auf ein elektronisches Speichermedium zugegriffen wird. Damit verwendet die Neuregelung einen Begriff, der in der StPO bereits enthalten war, und zwar in § 110 Abs. 3 StPO. Gemeint sind damit also alle elektronischen Datenträger und Datenspeicher wie Disketten und die zum Lesen und Verarbeiten notwendigen Zentralcomputereinheiten, EDV-Anlagen sowie auch ein Notebook mit den darauf gespeicherten EDV-Daten (BVerfG NJW 2002, 1410; 2005, 1917; BGHSt 45, 37; BGH NStZ 2003, 670; JR 2007, 78; LG Köln NStZ 1995, 54 [zur Durchsuchung einer EDV-Anlage]; Meyer-Goßner/Schmitt, § 110 Rn 1; Schlegel, HRRS 2008, 23, 25, der darauf hingewiesen hat, dass durch die Einfügung des Abs. 3 a.F. daran kein Zweifel mehr bestand; Hiéramente, wistra 2016, 432; Zerbes/El-Ghazi, NStZ 2015, 425, Burhoff, EV, Rn 1870). Erfasst werden dürften davon nach § 110 Abs. 3 S. 1 StPO auch Daten auf räumlich getrennten Speichermedien (sog. elektronische Netzwerkressourcen; Schlegel, HRRS 2008, 23, 25; Hiéramente, Zerbes/El-Ghazi, jew. a.a.O.). Das folgt m.E. aus dem pauschalen Hinweis in der Gesetzesbegründung auf § 110 Abs. 3 StPO (BT-Drucks 18/30517, S. 19).
Dieses elektronische Speichermedium muss als Beweismittel in Betracht kommen. Insoweit gelten die allgemeinen Regeln. Das elektronische Speichermedium muss also zumindest potenzielle Beweisbedeutung für das Verfahren haben (vgl. dazu Burhoff, EV, Rn 1013 ff. m.w.N).
Voraussetzung für die Zulässigkeit einer Durchsuchung zur Nachtzeit nach § 104 Abs. 1 Nr. 3 StPO ist weiter, dass bestimmte Tatsachen den Verdacht begründen, dass während der Durchsuchung auf das elektronische Speichermedium zugegriffen werden wird, das als Beweismittel in Betracht kommt. Auch die Formulierung, dass „bestimmte Tatsachen den Verdacht begründen“, ist in der StPO nicht neu. Sie wird u.a. verwendet in § 112 Abs. 2 StPO bei der Begründung der Haftbefehlsvoraussetzungen, bei der Onlinedurchsuchung in § 100b Abs. 2 StPO und auch bei der Telefonüberwachung nach § 100a Abs. 1 S. 1 Nr. 1 StPO. Das bedeutet, dass auf die dazu vorliegende Rechtsprechung und Literatur verwiesen werden kann (Burhoff, EV, Rn 2963, 4056, 4152).
Hinweis
Ein bestimmter Verdachtsgrad wird nicht vorausgesetzt. Ausreichend ist also ein einfacher Verdacht, der jedoch auf bestimmten Tatsachen beruhen muss.
Die Neuregelung in Nr. 3 enthält zum Schutz der Nachtruhe (BT-Drucks 19/30517, S. 19) eine besondere Subsidiaritätsklausel. Danach darf zur Nachtzeit nach Nr. 3 nur durchsucht werden, wenn zusätzlich zu den bestimmten Tatsachen (vgl. vorstehend) „ohne die Durchsuchung zur Nachtzeit die Auswertung des elektronischen Speichermediums, insbesondere in unverschlüsselter Form, aussichtslos oder wesentlich erschwert wäre“. Durch diese restriktiv formulierte Voraussetzung soll der besonderen Schutzwürdigkeit der Nachtruhe Rechnung getragen werden. Diese ist durch Art. 13 Abs. 1 GG verfassungsrechtlich garantiert. Durchsuchungen zur Nachtzeit dürfen danach nur in Ausnahmefällen vorgenommen werden (dazu BVerfG, Beschl. v. 12.3.2019 – 2 BvR 675/14, NJW 2019, 1428). Die Klausel entspricht der Subsidiaritätsklausel bei der akustischen Wohnraumüberwachung in § 100c Abs. 1 Nr. 4 StPO (Burhoff, EV, Rn 2788) oder bei der Online-Durchsuchung in § 100b Abs. 1 Nr. 3 StPO (Burhoff, EV, Rn 2967). Wegen der vergleichbaren Eingriffsintensität einer Durchsuchung zur Nachtzeit wird man die dazu vorliegende Rechtsprechung und Literatur entsprechend anwenden können.
Diese strenge Subsidiaritätsklausel hat Auswirkungen auf die Anwendung der Ausnahmeregelung. Die Gesetzesbegründung (BT-Drucks 19/30517, S. 19) weist ausdrücklich darauf hin, dass die Durchsuchung zur Nachtzeit wegen dieser strengen verfassungsrechtlichen Vorgaben nicht von einer rein abstrakten Unterteilung der Delikte in solche, die typischerweise nachts oder typischerweise tagsüber begangen werden, abhängig gemacht werden darf. Vielmehr müssten jeweils die Umstände des Einzelfalls in den Blick genommen werden.
Hinweis
Es müssen also konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass
a) in den zu durchsuchenden Räumlichkeiten oder auf dem zu durchsuchenden befriedeten Besitztum während der Durchsuchung zur Nachtzeit auf ein elektronisches Speichermedium zugegriffen werden soll und
b) bei einer Durchsuchung zur Tagzeit die Auswertung, insbesondere in unverschlüsselter Form, aussichtslos oder wesentlich erschwert wäre.
Nur dann stellt sich ein Eingriff in den durch Art. 13 Abs. 1 GG garantierten besonderen Schutz der Nachtruhe als angemessen dar (BT-Drucks 19/30517, S. 19).
4. Durchsuchungsbeschluss
Im Durchsuchungsbeschluss müssen die Voraussetzungen für die Ausnahme nach § 104 Abs. 1 Nr. 3 StPO dargelegt werden. Das folgt aus dem Anspruch des Betroffenen auf rechtliches Gehör und dem Umstand, dass sonst die Frage der Zulässigkeit der Durchsuchung zur Nachtzeit nicht geprüft werden kann. Auch insoweit gelten die allgemeinen Anforderungen an die Begründung einer Durchsuchungsmaßnahme (dazu Burhoff, EV, Rn 1580 ff. m.w.N.). Der Anordnende darf sich also nicht mit allgemeinen Floskeln begnügen, sondern es muss auf die konkreten Umstände des Einzelfalls abgestellt werden (BT-Drucks 19/30517, S. 19).
5. Beweisverwertungsverbot
Fraglich ist das Vorliegen eines Beweisverwertungsverbotes, wenn eine Durchsuchung zur Nachtzeit unter Inanspruchnahme der Nr. 3 erfolgt, ohne dass die Voraussetzungen der Ausnahmeregelung vorgelegen haben. Bislang wird die Regelung des § 104 StPO von der h.M. zwar nicht nur als sog. Ordnungsvorschrift angesehen, ihre Verletzung sollte aber dennoch nicht zu einem BVV führen (Meyer-Goßner/Schmitt, §§ 106 Rn 1, 107 Rn 1 u. 5, 109 Rn 1, jeweils m.w.N.; s.a. die Nachw. bei Krekeler, NStZ 1993, 2268 Fn 93, der z.T. davon ausgeht, dass ein BVV besteht; s.a. Ransiek, StV 2002, 569).
Hinweis
Ich habe schon zu § 104 StPO a.F. entgegen der h.M. mit Krekeler (a.a.O.) die Auffassung vertreten, dass man zumindest dann ein BVV wird annehmen müssen, wenn die Voraussetzungen, unter denen eine Durchsuchung zur Nachtzeit zulässig ist, willkürlich angenommen worden sind (s.a. LR-Tsambikakis, § 104 Rn 17). Das gilt für die Neuregelung unter Hinweis auf die Ausführungen in der Gesetzesbegründung (BT-Drucks 19/30517, S. 19) erst recht. Dazu gelten dann die Ausführungen für die willkürliche Annahme von Gefahr im Verzug entsprechend (Burhoff, EV, Rn 1842 f.).
RA Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg