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Zutritt zur Hauptverhandlung mit negativem Corona-Test

Die Verweigerung des Zutritts zum Sitzungssaal für nicht negativ getestete Personen ist von der Ermächtigung des Vorsitzenden zur Ausübung der Sitzungspolizei gemäß § 176 Abs. 1 GVG gedeckt.

(Leitsatz des Verfassers)

OLG Celle, Beschl. v. 2.8.2021 – 2 Ws 230 u. 234/21

I. Sachverhalt

Gegen den Angeklagten ist bei der Jugendkammer des LG ein Verfahren wegen besonders schwerer räuberischer Erpressung anhängig. Die Vorsitzende der Jugendkammer hat für die am 12.8.2021 beginnende Hauptverhandlung eine Sicherheitsverfügung erlassen, wonach Verfahrensbeteiligte, Zeugen und Zuschauer nur mit negativem Coronatest in den Saal einzulassen sind und für den Nachweis ein tagesaktueller Schnelltest in einem Testzentrum oder der Teststation des LG erforderlich ist. Gegen diese Verfügung wenden sich die Verteidiger mit ihren im eigenen Namen erhobenen Beschwerden. Die Kammer hat eine Nichtabhilfeentscheidung getroffen und die Sache dem OLG zur Entscheidung vorgelegt. Die Beschwerden hatten keinen Erfolg.

II. Entscheidung

Das OLG hat die Beschwerden als zulässig angesehen, da der sitzungspolizeilichen Maßnahme eine über die Dauer der Hauptverhandlung oder sogar über die Rechtskraft des Urteils hinausgehende Wirkung zukomme. Denn würde den Verteidigern gemäß der angefochtenen Sicherungsverfügung der Zutritt zum Sitzungssaal verwehrt werden, müssten sie damit rechnen, dass infolge ihres Ausbleibens gemäß § 145 StPO die Hauptverhandlung ausgesetzt und ihnen die dadurch verursachten Kosten auferlegt würden (vgl. OLG Celle StRR 5/2021, 18).

In der Sache waren die Beschwerden nach Auffassung des OLG allerdings unbegründet. Die Verweigerung des Zutritts zum Sitzungssaal für nicht negativ getestete Personen sei von der Ermächtigung des Vorsitzenden zur Ausübung der Sitzungspolizei gemäß § 176 Abs. 1 GVG gedeckt und beruhe auf einer fehlerfreien Ausübung des – weitreichenden – Ermessens der Vorsitzenden. Die auf der Grundlage von § 176 Abs. 1 GVG, der einen weiten Ermessensspielraum eröffne, getroffene Sicherungsverfügung sei nicht zu beanstanden.

Es begegne keinen Bedenken, dass die Vorsitzende eine Testung der Verfahrensbeteiligten zumindest mit einem Antigentest für geeignet halte, um das Risiko einer Ansteckung mit dem Coronavirus SARS-Cov-2 während der Sitzung zu reduzieren. Dies entspreche der Einschätzung des Robert-Koch-Instituts, wonach Antigentests als ergänzendes Instrument der Pandemiebekämpfung dazu beitragen können, Infizierte auch ohne Krankheitssymptome zu erkennen und zu isolieren (Epidemiologisches Bulletin 17/2021, S. 14 ff.). Entgegen dem – nicht auf Belege gestützten – Beschwerdevorbringen sei auch nicht ersichtlich. dass ein Schnelltest schon medizinisch keinen Sinn machen würde, weil er bei vollständig geimpften Personen infolge einer geringeren Viruslast „in der Regel immer negativ ausfalle“. Das sei zumindest in der Vergangenheit vereinzelt öffentlich verbreitet worden (vgl. www.twitter.com/Karl_Lauterbach unter dem 4.5.2021). Das Robert-Koch-Institut gehe jedoch auch gegenwärtig davon aus, dass ein Antigentest bei einer geimpften Person positiv ausfallen könne, weil trotz Impfung eine Infektion mit dem Virus und eine Weiterübertragung möglich sind. Die Annahmen der Beschwerdeführer zu einer geringen Viruslast infizierter geimpfter Personen begegnen nach Auffassung des OLG zudem auch deshalb Zweifeln, weil die Viruslast bei Infektionen mit der mittlerweile vorherrschenden Delta-Variante des Virus aktuellen Erkenntnissen zufolge um ein Vielfaches höher sei als bei früheren Varianten.

Keiner Beanstandung unterliege auch die Annahme der Vorsitzenden, dass ihr keine milderen Maßnahmen zur Verfügung stehen, die das Ansteckungsrisiko ebenso wirksam wie eine Testung reduzieren könnten. Aus dem Nichtabhilfebeschluss ergebe sich, dass die Testung der Sitzungsteilnehmer ergänzend zu anderen Infektionsschutzmaßnahmen wie dem Tragen von Mund-Nasen-Schutz, regelmäßigem Lüften, Abstandhalten und dem Aufstellen von Plexiglasscheiben angewendet werden soll. Die in Betracht kommenden Maßnahmen seien demnach bereits ausgeschöpft, so dass zur weiteren Reduzierung des Ansteckungsrisikos nur noch die Testung der Sitzungsteilnehmer verbleibt.

Im Rahmen ihrer Ermessenausübung sei die Vorsitzende auch rechtsfehlerfrei davon ausgegangen. dass die Zutrittsbeschränkung verhältnismäßig im engeren Sinne, also angemessen sei. Der Abwägung liege die Erwägung zugrunde, dass die Durchführung von Antigentests einen allenfalls geringen Eingriff in die körperliche Unversehrtheit der Sitzungsteilnehmer bewirken würde, da sie weder gesundheitsgefährdend seien noch körperliche Schmerzen oder diesen gleichkommende nichtkörperliche Beeinträchtigungen hervorrufen. Den eher geringen Beeinträchtigungen der Sitzungsteilnehmer habe die Vorsitzende ermessensfehlerfrei die Gefahr einer Covid-19-Infektion gegenübergestellt und das Infektionsschutzinteresse für überwiegend erachtet. Dabei habe sie nicht verkannt, dass das Risiko einer Virusübertragung bei geimpften Personen stark vermindert sei, die weiteren Hygienemaßnahmen während der Sitzungen ebenfalls einen Schutz bieten und die Aussagekraft von Antigen-Schnelltests eingeschränkt ist. Rechtlich begegnet es keinen Bedenken, dass die Vorsitzende diesen Umständen bei ihrer Abwägung letztlich weniger Gewicht beigemessen hat als den risikoerhöhenden und für eine Testung sprechenden Umständen, insbesondere der Vielzahl an Sitzungsteilnehmern, der langen Dauer der Sitzungen, dem steigenden lnzidenzwert in Hannover, der Verbreitung der Delta-Variante des Virus und der noch vergleichsweise geringen Impfquote.

Es begegne ferner – so das OLG – keinen rechtlichen Bedenken, dass die Sicherungsverfügung von § 5a Abs. 2 der Niedersächsischen Corona-Verordnung und § 3 der Covid-19-Schutzmaßnahmen-Ausnahmenverordnung abweiche, die in ihrem Anwendungsbereich jeweils eine Gleichstellung von geimpften Personen mit getesteten Personen vorsehe. Denn die Sicherungsverfügung stütze sich nicht auf die Niedersächsische Corona-Verordnung oder das Infektionsschutzgesetz und unterfalle deshalb bereits nicht den entsprechenden Regelungen. Ein allgemeines Verbot, den Zutritt zu Gebäuden oder Veranstaltungen auch für geimpfte Personen vom Vorliegen eines negativen Testes abhängig zu machen, lasse sich diesen Vorschriften weder unmittelbar noch in erweiternder Auslegung entnehmend. Dagegen spreche insbesondere, dass den Vorschriften allgemeine Interessenabwägungen der Verordnungsgeber zugrunde liegen, die von der Risikoabwägung in konkreten Einzelfällen vielfach abweichen können. So hätten etwa auch private Diskothekenbetreiber in Hannover im Rahmen ihrer Hygienekonzepte zuletzt von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, über die Vorgaben der Niedersächsischen Corona-Verordnung hinaus auch von geimpften Personen vor einem Einlass den Nachweis eines negativen Tests zu verlangen. Für sitzungspolizeiliche Anordnungen bilden die allgemeinen Erwägungen der Verordnungsgeber ferner deshalb keinen Maßstab, weil das Infektionsschutzgesetz und die Corona-Verordnung für ihren Regelungsbereich auch die schützenswerten wirtschaftlichen Interessen von Einrichtungen und Veranstaltern an einem möglichst ungehinderten Besucher- und Kundenverkehr berücksichtigen und gegen den Infektionsschutz abwägen müssen. Im Rahmen der Sitzungspolizei seien solche ökonomischen Interessen hingegen nicht berührt. Die Sicherungsverfügung stütze sich deshalb zu Recht maßgeblich auf Gesichtspunkte des Infektionsschutzes und die Umstände der betroffenen Hauptverhandlung.

III. Bedeutung für die Praxis

Nach dem Beschluss des OLG Celle vom 15.4.2021 (3 Ws 91/21, StRR 5/2021, 18) der nächste „Corona-Beschluss“ aus Celle, der einen mit Fragen zurücklässt. Nach dem Beschluss vom 15.4.2021 überrascht dieser Beschluss aber nicht.

Das OLG hat seine Entscheidung zwar wortreich begründet und den Vorsitzenden in Pandemiezeiten quasi einen Freibrief ausgestellt, aber: Mit keinem Wort erwähnt das OLG die Frage nach der ggf. vorliegenden Verletzung des Grundsatzes der Öffentlichkeit (§ 169 GVG), die – zumindest teilweise – ausgeschlossen sein dürfte. Man darf Zweifel haben, ob das so richtig ist. Zweifel kann man sicherlich auch an der Lösung der vom OLG angesprochenen Fragen haben. Das OLG segnet eine Testpflicht für alle – also Verfahrensbeteiligte, Zeugen und Zuschauer – unabhängig von irgendwelchen Inzidenzen ab. An der Zulässigkeit kann man ebenfalls Zweifel haben. Denn warum wird die Testpflicht in anderen Bereichen von der Inzidenz abhängig gemacht? Und warum machen die Corona-Schutz-VO – auch die aus Niedersachsen – einen Unterschied zwischen Geimpften und Nichtgeimpften? Die Gleichstellung durch das OLG lässt sich m.E. nicht mit der aus § 176 Abs. 2 GVG folgenden Sitzungsgewalt des Vorsitzenden rechtfertigen. Die steht ja nun mal nicht über allem. In dem Zusammenhang führt auch der Hinweis auf die „privaten Diskothekenbetreiber im Raum Hannover“ nicht weiter. Man kann m.E. eine private Diskothek mit einer öffentlichen Hauptverhandlung in einem Strafverfahren nicht vergleichen. Vielmehr zeigen doch gerade die Regelungen in der Corona-Schutz-VO, dass vor allem auch das öffentliche Leben nicht vollständig eingeschränkt werden soll. Und: Hinsichtlich der Impfquoten scheint das OLG nicht auf dem neuesten Stand gewesen zu sein. Die waren höher, als das OLG offenbar meint.

Auf all diese Fragen bleibt das OLG eine Antwort schuldig. Die werden wir dann ggf. demnächst vom BGH erhalten, wenn er über die im Zweifel eingelegte Revision der Angeklagten mit der Rüge einer Verletzung des § 169 GVG entschieden hat.

RA Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg

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