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Zusätzliche Gebühr nach bestreitender Einlassung und Einstellung gem. § 154 Abs. 2 StPO

1. Die Gebühr Nr. 4141 VV RVG kann auch im Fall einer Einstellung nach § 154 StPO entstehen.

2. Rät der Verteidiger zu einer teilweise bestreitenden Einlassung und führt diese zur Einstellung des Verfahrens, hat der Verteidiger daran „mitgewirkt“. (Leitsätze des Verfassers)

AG Aschaffenburg, Beschl. v. 16.12.2020 – 390 AR 81/20

I. Sachverhalt

Die Rechtsanwältin war Pflichtverteidigerin. Gegen ihre Mandantin war ein umfangreiches Ermittlungsverfahren u.a. wegen des Vorwurfs des Betrugs anhängig. Die Beschuldigte befand sich in U-Haft. Die Pflichtverteidigerin erhielt Akteneinsicht und beantragte dann Durchführung einer mündlichen Haftprüfung. Im Haftprüfungstermin machte die Pflichtverteidigerin für ihre Mandantin Angaben zum Sachverhalt. Dabei wurden drei der ihr vorgeworfenen Taten bestritten. Auf Antrag der Staatsanwaltschaft wurde der Haftbefehl zunächst außer Vollzug gesetzt. Später wurde er aufgehoben. Mit Verfügung vom 26.6.2020 sah die Staatsanwaltschaft dann gemäß § 154 Abs. 1 StPO von einer Verfolgung der Beschuldigten ab. Grundlage der Entscheidung waren zwei bereits rechtskräftige Verurteilungen durch ein AG bzw. ein LG.

Mit ihrem Vergütungsfestsetzungsantrag hat die Pflichtverteidigerin u.a. auch die Festsetzung einer zusätzlichen Verfahrensgebühr Nr. 4141 VV RVG beantragt. Der Rechtspfleger und die Bezirksrevisorin sind davon ausgegangen, dass die Gebühr nicht entstanden sei, da keine anwaltliche Mitwirkung erfolgt sei. Die Gebühr ist nicht festgesetzt worden. Die dagegen gerichtete Erinnerung der Pflichtverteidigerin hatte Erfolg.

II. Entscheidung

Das AG weist nur kurz darauf hin, dass allgemein gelte, dass eine Sachbehandlung nach § 154 Abs. 1 StPO eine Verfahrenseinstellung i.S.d. Nr. 4141 VV RVG mit dem Ziel der Endgültigkeit der Einstellung darstelle (Gerold/Schmidt/Burhoff, 24. Aufl. 2019, RVG VV 4141 Rn 16).

Der Schwerpunkt der amtsgerichtlichen Ausführungen liegt bei der Frage der „Mitwirkung“ i.S.d. Nr. 4141 VV RVG. Denn für das Entstehen der Verfahrensgebühr Nr. 4141 VV RVG müsse – so das AG – eine anwaltliche Mitwirkung an der Einstellung des Verfahrens vorliegen. Für die Mitwirkung bei der Erledigung des Verfahrens genüge jede Tätigkeit des Verteidigers, die zur Förderung der Verfahrenseinstellung geeignet sei. Nach dem Ausschlusstatbestand des Nr. 4141 Abs. 2 VV RVG entstehe die Gebühr nur dann nicht, wenn eine auf die Förderung gerichtete Tätigkeit nicht ersichtlich sei. Mit dem Ausschlusstatbestand der Nr. 4141 Abs. 2 VV RVG sollen offensichtlich nur sachfremde Eingaben und sich in keiner erkennbaren Weise auf die Sache selbst beziehende Tätigkeiten des Rechtsanwalts ausgeschlossen werden.

Hier habe die Pflichtverteidigerin im Haftprüfungstermin für die damals noch Beschuldigte eine Erklärung abgegeben. Dabei sei nur ein kleiner Teil der Taten, die Gegenstand des Haftbefehls waren, eingeräumt worden. Der größere Teil sei bestritten worden. Eine solche Einlassung erfordere erfahrungsgemäß immer eine vorherige Absprache mit dem Mandanten und eine Auseinandersetzung mit der Verfahrensakte. Dies reiche aus, um den Gebührentatbestand des Nr. 4141 VV RVG zu erfüllen (so auch LG Trier StraFo 2007, 306). Denn welchen Umfang die anwaltliche Mitwirkung habe, sei grundsätzlich unerheblich. Dem Wortlaut der Regelung könne keine weitergehende Anforderung an die Quantität oder Qualität des anwaltlichen Mitwirkungsbeitrags entnommen werden. Für die Beurteilung komme es daher einzig darauf an, ob ein Beitrag des Verteidigers vorliege, der objektiv geeignet sei, das Verfahren in formeller und/oder materieller Hinsicht im Hinblick auf eine Verfahrensbeendigung außerhalb der Hauptverhandlung zu fördern (vgl. LG Verden StRR 12/2020, 5, Beschl. v. 29.10.2020 – 4 KLs 461 Js 23425/20). Gerade das Bestreiten von Taten könne erfahrungsgemäß die Staatsanwaltschaft zu der Einschätzung gelangen lassen, dass ein weiterer Ermittlungsaufwand nicht mehr verhältnismäßig sei, sodass letztlich eine Einstellung nach § 154 StPO eine sachgerechte Verfahrensbeendigung darstelle. Es erscheine auch vorliegend durchaus möglich, dass dies ein Beweggrund für die Einstellung des Verfahrens nach § 154 Abs. 1 StPO gewesen sei.

III. Bedeutung für die Praxis

Die Entscheidung ist in beiden vom AG angesprochenen Punkten zutreffend.

1. Auch im Fall der Einstellung nach § 154 StPO entsteht nach h.M die zusätzliche Verfahrensgebühr (OLG Stuttgart RVGreport 2010, 263 = AGS 2010, 292 = RVGprofessionell 2010, 119 = VRR 2010, 320 = StRR 2010, 440; LG Arnsberg StraFo 2017, 131 = AGS 2017, 216; LG Saarbrücken AGS 2015, 225; LG Verden, Beschl. v. 29.10.2020 – 4 KLs 461 Js 23425/20 (9/20); AG Koblenz RVGreport 2020, 262 = AGS 2020, 508 = RVGprofessionell 2020, 207; AG Mettmann RVGreport 2011, 228 = StRR 2011, 124 = AGkompakt 2011, 14). Denn auch bei der Einstellung nach § 154 StPO handelt es sich um eine endgültige Einstellung (dazu Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG, 6. Aufl., Nr. 4141 VV Rn 31; s. auch BGH StraFo 2012, 207 = NStZ-RR 2012, 159).

2. Auch die Frage der Mitwirkung der Pflichtverteidigerin hat das AG zutreffend entschieden (dazu eingehend Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG, Nr. 4141 VV Rn 8 ff. m.w.N. aus der Rechtsprechung). Insoweit kommt es grundsätzlich nicht auf die Qualität der Tätigkeit des Rechtsanwalts an. Grundsätzlich ist alles „Mitwirkung“ i.S.d. Nr. 4141 VV RVG, das geeignet ist, die Hauptverhandlung zu verhindern. Und dann ist eben auch eine teilweise bestreitende Einlassung des Beschuldigten, zu der der (Pflicht-)Verteidiger geraten hat (vgl. zum Rat, sich zu äußern AG Kronach RVGreport 20176, 107 = AGS 2017, 81 = zfs 2017, 230), eine Mitwirkung. Denn sie zwingt die Staatsanwaltschaft dazu, sich Gedanken zu machen, ob die vorliegenden Beweismittel ausreichen, um das Verfahren mit einem den Beschuldigten verurteilenden Urteil zu beenden, oder welche Möglichkeiten sonst gegeben sind, um das Verfahren zu beenden. Und da liegt ggf. eine Einstellung des Verfahrens auf der Hand, und zwar auch nach § 154 StPO. Es gilt die Argumentation zum „Rat zu schweigen“ bzw. zum „gezielten Schweigen“ (vgl. dazu Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG, Nr. 4141 VV Rn 16 m.w.N.). Auch in den Fällen muss sich die Ermittlungsbehörde darüber klar werden, ob weitere Ermittlungen erforderlich und erfolgversprechend sind oder wie sonst vorgegangen werden soll. Ist das Ergebnis dieser Überlegungen eine Einstellung des Verfahrens, hat der Verteidiger, der zur – bestreitenden – Einlassung oder zum Schweigen geraten hat, daran mitgewirkt und dafür die Nr. 4141 VV RVG verdient.

RA Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg

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