Beitrag

Unzulässige Kostenbeschwerde bei Rücknahme der Revision

Die Kostenbeschwerde gegen die Kostenentscheidung eines erstinstanzlichen OLG-Urteils ist nicht nur dann unzulässig, wenn der Beschwerdeführer gegen das Urteil keine Revision eingelegt hat, sondern insbesondere auch dann, wenn er sie zurückgenommen hat. (Leitsatz des Verfassers)

BGH, Beschl. v. 10.3.2021 – StB 32/20

I. Sachverhalt

Das OLG München hat den Verurteilten im sog. NSU-Verfahren der Beihilfe zu neun Fällen des Mordes schuldig gesprochen und deswegen auf eine Jugendstrafe von drei Jahren erkannt. Zugleich hat es ihm, zusammen mit weiteren Mitangeklagten, sämtliche Kosten des Verfahrens auferlegt, die wegen der Taten angefallen sind, derentwegen er als Gehilfe verurteilt worden ist, des Weiteren die notwendigen Auslagen der von diesen Taten betroffenen Nebenkläger. Von der nach Jugendstrafrecht vorgesehenen Möglichkeit, im Rahmen des tatgerichtlichen Ermessens von der Auferlegung der Kosten und Auslagen abzusehen, hat es keinen Gebrauch gemacht.

Der Verurteilte hatte gegen die Verurteilung Revision eingelegt. Diese hat er zurückgenommen, bevor sie dem BGH vorgelegen hat. Gegen die Kosten- und Auslagenentscheidung hat der Verteidiger zudem sofortige Beschwerde erhoben. Der 3. Strafsenat des BGH hat die Beschwerde für unzulässig erachtet.

II. Entscheidung

Die sofortige Beschwerde war nach Auffassung des BGH gem. § 304 Abs. 4 S. 2 Hs. 1 StPO nicht statthaft und damit unzulässig.

Zwar eröffnet § 464 Abs. 3 S. 1 Hs. 1 StPO grundsätzlich die sofortige Beschwerde gegen eine gerichtliche Entscheidung über die Kosten und die notwendigen Auslagen. Habe jedoch ein OLG die Entscheidung in erster Instanz getroffen, könne sie nicht isoliert angefochten werden. Dem stehe § 304 Abs. 4 S. 2 StPO entgegen; da der in dessen zweitem Halbsatz normierte Katalog die Kosten- oder Auslagenentscheidung nicht beinhaltet, finde nach seinem ersten Halbsatz die sofortige Beschwerde nicht statt. Eine Anfechtungsmöglichkeit sei gemäß § 464 Abs. 3 S. 3 StPO nur dann vorgesehen, wenn und solange der BGH mit der Revision des Beschwerdeführers befasst sei. In diesem Fall sei der BGH kraft ausdrücklicher gesetzlicher Anordnung aufgrund seiner Zuständigkeit für die Revisionsentscheidung ebenso zur Entscheidung über die damit eng und unmittelbar zusammenhängende Kosten- und Auslagenfolge berufen; eine originäre Kompetenz als Beschwerdegericht habe er dagegen nicht (s. BGHSt 26, 250, 252 ff.; 27, 96, 97).

Die Kostenbeschwerde sei – so der BGH – nicht nur dann unzulässig, wenn der Beschwerdeführer gegen das Urteil keine Revision eingelegt hat, sondern insbesondere auch dann, wenn er sie zurückgenommen habe. Dies gelte zumindest für den Fall, dass sie dem BGH noch nicht vorgelegt worden sei (s. BGH, Beschl. v. 5.8.1988 – 2 ARs 355/88). Ob über die Kostenbeschwerde in der Sache zu entscheiden ist, wenn die Rücknahme der Revision erst nach deren Vorlage erklärt worden ist (vgl. BGH a.a.O. unter Verweis auf BGH, Beschl. v. 14.8.1975 – 3 StR 239/75, wonach bei erstinstanzlichen landgerichtlichen Entscheidungen von einer fortbestehenden Annexkompetenz auszugehen sei; gegen eine solche Kompetenz BGH, Beschl. v. 3.3.2009 – 1 StR 61/09 und v.11.9.2018 – 4 StR 406/18, m.w.N.), könne hier dahinstehen. Ebenso wenig komme es darauf an, inwieweit andere Verfahrensbeteiligte das Urteil in der Hauptsache angefochten haben (vgl. LR/Hilger, StPO, 26. Aufl., § 464 Rn 67 m.w.N.).

Hinsichtlich der Kosten- und Auslagenentscheidung sei auch kein Raum für eine Analogie zu den in § 304 Abs. 4 S. 2 Hs. 2 StPO geregelten Ausnahmetatbeständen (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschl. v. 5.11.1999 – StB 1/99): Nur in den im dortigen Katalog aufgeführten typischerweise schwerwiegenden Fällen habe der Gesetzgeber wegen des Rechtsschutzinteresses des Betroffenen, des öffentlichen Interesses an einer Überprüfung im Einzelfall oder des allgemeinen Interesses an der Einheitlichkeit der Rechtsprechung die Zulässigkeit der Beschwerde für geboten angesehen. Die Vorschrift sei deshalb eine den Grundsatz der Unanfechtbarkeit oberlandesgerichtlicher Entscheidungen durchbrechende, die Anfechtungsmöglichkeit abschließend regelnde Ausnahmevorschrift, die restriktiv auszulegen ist. Mit denjenigen Fallgruppen, für die der BGH eine analoge Anwendung bislang im engsten Rahmen für möglich erachtet hat, weil sie besonders nachteilig in die Rechtssphäre des Betroffenen, namentlich das Grundrecht auf die Freiheit der Person (Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG), eingreifen (vgl. BGHSt 30, 168, 171: Strafaussetzung zur Bewährung bei nachträglicher Gesamtstrafenbildung; BGHSt 36, 192, 195: Anordnung der Erzwingungshaft [zu § 304 Abs. 5 StPO]; Beschl. v. 4.8.1995 – StB 46/95: mit längerdauernder Unterbringung verbundene Anordnung nach § 81a StPO), sei die Kosten- und Auslagenfolge nicht vergleichbar (s. BGH, Beschl. v. 5.11.1999 – StB 1/99, a.a.O.; ferner – zur Kostenauferlegung nach § 145 Abs. 4 StPO – BGH, Beschl. v. 5.9.2019 – StB 22/19). Für die Frage einer fallgruppenbezogenen Analogie sei dabei – entgegen dem Beschwerdevorbringen – eine generalisierende Betrachtung unabhängig von der Höhe der Zahlungsverpflichtung im Einzelfall geboten.

Die Ansicht des Verurteilten, es bestehe deshalb eine planwidrige Regelungslücke, weil die Regelung des § 74 JGG anders als die Kostenvorschriften der StPO dem erkennenden Gericht ein Ermessen einräumte, treffe nicht zu. Denn etwa § 467 Abs. 3 S. 2 und Abs. 4 sowie § 472 Abs. 1 S. 3 und Abs. 2 S. 1 StPO sehen ebenfalls eine gerichtliche Ermessensausübung vor. Für den Gesetzgeber des in § 304 Abs. 4 S. 2 Hs. 2 StPO normierten Katalogs sei dies ersichtlich nicht maßgebend.

Ohne Erfolg berufe sich der Verurteilte auf die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG und den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG). Weder gewährleiste Art. 19 Abs. 4 GG oder das Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) einen Instanzenzug, noch handele es sich bei § 304 Abs. 4 S. 2 StPO um eine systemwidrige gesetzliche Regelung. Diese Vorschrift füge sich nahtlos in das strafprozessuale Gefüge der Bestimmungen über die Anfechtbarkeit obergerichtlicher Entscheidungen ein; sie trägt einerseits dem Rang, der den OLG und ihren Entscheidungen zukomme, andererseits dem Bedürfnis nach einer Entlastung des BGH Rechnung (zum Ganzen BVerfGE 45, 363, 375). Dass die Vorschrift auch im Fall der Anwendung von Jugendstrafrecht gelte, führe nicht zu ihrer Systemwidrigkeit.

III. Bedeutung für die Praxis

1. Nach den dargelegten Maßstäben des BGH war die sofortige Beschwerde nicht statthaft. Der Verurteilte hatte die Revision zurückgenommen, noch bevor sie dem BGH vorgelegen hat. Insofern gilt für das sicherlich spektakuläre NSU-Verfahren nichts Besonderes.

2. Der BGH hatte im Übrigen auch noch erwogen, ob im Fall eines Grundrechtsverstoßes eine ausdehnende Interpretation des § 304 Abs. 4 S. 2 Hs. 2 StPO möglich wäre (vgl. – für den Fall einer Verletzung der Unschuldsvermutung – BGH NJW 2000, 1427, 1429; ferner BVerfG NJW 2015, 2175, 2176; BGH NJW 2020, 3331). Ein solcher Verstoß wäre hier aber nur in Betracht gekommen, wenn die Kosten- und Auslagenentscheidung des OLG München als objektiv willkürlich zu beurteilen wäre. Dann könnte der allgemeine Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) in seiner Ausprägung als Willkürverbot betroffen sein (vgl. BVerfG NJW 2011, 3217 Rn 9; Hömig/Wolff, GG, 12. Aufl., Art. 3 Rn 5, jeweils m.w.N.). Das hat der BGH aber hinsichtlich der Kosten- und Auslagenentscheidung im NSU-Urteil verneint. Auf der Grundlage des Urteils sei eine solche grob fehlerhafte Rechtsanwendung nicht gegeben. Es erweise sich jedenfalls nicht als rechtlich unvertretbar, dass das OLG im Rahmen seines Ermessens das – durch die Urteilsfeststellungen belegte – Gewicht der abgeurteilten Tat und ihrer Folgen mitberücksichtigt hat

RA Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg

Diesen Beitrag teilen

Facebook
Twitter
WhatsApp
LinkedIn
E-Mail

Unser KI-Spezial

Erfahren Sie hier mehr über Künstliche Intelligenz – u.a. moderne Chatbots und KI-basierte…