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StRR-Kompakt

Telefonüberwachung: Verwertbarkeit von Erkenntnissen

Ist die Telekommunikationsüberwachung rechtmäßig angeordnet, dann sind die darüber gewonnenen Erkenntnisse verwertbar, auch wenn sich im Zuge der Ermittlungen die gleiche prozessuale Tat nur noch als „Nichtkatalogtat“ nach § 100a Abs. 2 StPO darstellt und die ursprüngliche Anordnung nicht mehr hätte ergehen dürfen. Soweit es sich um die gleiche prozessuale Tat handelt, dürfen die durch die Überwachung gewonnenen Erkenntnisse auch hinsichtlich anderer Beteiligungsformen der zunächst angenommenen Katalogtat und hinsichtlich anderer Tatbeteiligter verwertet werden. Dies gilt auch dann, wenn die Angeklagte zum Zeitpunkt der Anordnung der Telekommunikationsüberwachung nicht zu dem Personenkreis gehörte, gegen den sich nach § 100a Abs. 3 StPO die Anordnung richtete. Bei dieser Fallkonstellation kommt § 477 Abs. 2 Satz 2 StPO nicht zum Tragen, weil es sich nicht um ein anderes Strafverfahren im Sinne dieser Vorschrift handelt.

KG, Beschl. v. 27.11.2019 – (3) 161 Ss 151/19 (96/19)

Kosten des Ermittlungsverfahrens: Kostentragungspflicht des Verurteilten

Zu den von § 464a StPO erfassten Kosten des Verfahrens zählen grundsätzlich auch die im Rahmen des Ermittlungsverfahrens bei Staatsanwaltschaft, Polizei, Finanz- und Verwaltungsbehörden angefallenen Kosten. Dazu gehören unter anderem auch Kosten, die durch die Überwachung der Telekommunikation entstanden sind. Zudem werden auch solche Auslagen erfasst, die im Rahmen von Ermittlungen in eine sich letztlich nicht bestätigende Verdachtsrichtung entstanden sind. Allerdings ergibt sich aus § 465 StPO, dass der Verurteilte eines Strafverfahrens die Verfahrenskosten nur insoweit zu tragen hat, als sie wegen der Tat, aufgrund derer er verurteilt worden ist, entstanden sind. Dabei entspricht der Tatbegriff des § 465 StPO demjenigen des § 264 StPO.

LG Cottbus, Beschl. v. 8.4.2020 – 22 Qs 203/19

Pflichtverteidigerbestellung: Betreuung

Zwar genügt die bloße Betreuerbestellung nicht, um allein deswegen eine Verteidigerbestellung auszusprechen. Gemäß § 140 Abs. 2 StPO liegt aber dann ein Fall der notwendigen Verteidigung vor, wenn der Angeklagte aufgrund seiner geistigen Fähigkeiten oder seines Gesundheitszustandes in seiner Verteidigungsfähigkeit eingeschränkt ist. Eine Pflichtverteidigerbestellung ist mithin schon dann notwendig, wenn an der Fähigkeit der Selbstverteidigung erhebliche Zweifel bestehen.

LG Koblenz, Beschl. v. 18.3.2020 – 12 Qs 15/20

Beschleunigungsgebot: Überhaftsachen; Corona

Das Beschleunigungsgebot in Haftsachen findet grundsätzlich auch dann Anwendung, wenn die Untersuchungshaft nicht vollzogen wird und lediglich Überhaft notiert ist. Allerdings erfährt das Beschleunigungsgebot in solchen Fällen wegen der geringeren Eingriffsintensität eine Abschwächung. Der Grad dieser Abschwächung richtet sich stets nach den Umständen des jeweiligen Einzelfalles. Entscheidend ist insoweit, in welchem Maße der Gefangene in der Strafhaft Beschränkungen nach § 119 StPO unterliegt und ob die Überhaftnotierung der ansonsten denkbaren Unterbringung im offenen Vollzug und/oder der Gewährung von Lockerungen entgegensteht. Der Verweis auf die angespannte Terminslage der Verteidiger eines Angeklagten in Untersuchungshaft kann allenfalls eine kurzfristige Verzögerung des Verfahrensfortgangs rechtfertigen. Denn das Recht eines Angeklagten, sich von einem Anwalt seines Vertrauens vertreten zu lassen, gilt nicht uneingeschränkt, sondern kann durch wichtige Gründe begrenzt sein. Ein solcher Grund kann in bestimmten Situationen auch das Beschleunigungsgebot in Haftsachen sein. Das Hinausschieben der Hauptverhandlung wegen Terminsschwierigkeiten der Verteidiger ist infolgedessen kein verfahrensimmanenter Umstand, der eine Verzögerung von mehreren Monaten rechtfertigen könnte. Vielmehr muss zwischen dem Recht eines Angeklagten, in der Hauptverhandlung von einem Verteidiger seines Vertrauens vertreten zu werden, und seinem Recht, dass die Untersuchungshaft nicht länger als unbedingt nötig andauert, sorgsam abgewogen werden. Dabei hat aufgrund der wertsetzenden Bedeutung des Grundrechts der Freiheit der Person (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG) das Recht des Angeklagten auf Aburteilung binnen angemessener Frist regelmäßig Vorrang. Die Aussetzung der Hauptverhandlung in einer (Über-)Haftsache „zum Schutz vor der Ausbreitung des Corona-Virus“ ist jedenfalls dann nicht gerechtfertigt, wenn sie ohne jegliche Begründung ergeht und der erneute Verhandlungsbeginn ungewiss ist. Der Schutz der Gesundheit der Verfahrensbeteiligten und Dritter kann gegenüber dem Recht des Angeklagten auf Aburteilung binnen angemessener Frist vielmehr nur dann überwiegen, wenn die Aussetzung der Hauptverhandlung tatsächlich erforderlich ist, weil ihre Fortführung auch unter Schutzvorkehrungen nicht verantwortbar wäre.

OLG Braunschweig, Beschl. v. 25.3.2020 – 1 Ws 47/20

Vorläufige Einstellung: Anreise eines betagten Angeklagten aus Spanien

In Ansehung der allgemein bekannten Auswirkungen der Covid-19-Pandemie ist derzeit in Fällen, in denen betagte Angeklagte aus dem Ausland zu einer Hauptverhandlung in Strafsachen nach Deutschland reisen müssten, zu prüfen, ob die Voraussetzungen für eine Verfahrenseinstellung nach § 205 StPO gegeben sind (hier bejaht für einen über 80 Jahre alten Spanier, der in Cadiz lebt).

AG Frankfurt/Oder, Beschl. v. 24.3.2020 – 412 Ds 1/16

Sperrfrist: Abkürzung

Eine Sperre nach § 69a StGB kann zehn Monate nach der Tat und etwa fünf Monate nach dem Urteil aufgrund einer durchgeführten psychologischen Maßnahme (38 Gruppenstunden und vier Einzelgespräche) aufgehoben werden, wenn hierdurch Grund zu der Annahme besteht, dass der Angeklagte zum Führen von Kraftfahrzeugen nicht mehr ungeeignet ist. Ob trotz hoher Tatzeitblutalkoholkonzentrationen eine sofortige Wiedererteilung der Fahrerlaubnis möglich ist, ist Sache der für das Wiedererteilungsverfahren zuständigen Verwaltungsbehörde.

AG Dortmund, Beschl. v. 16.4.2020 – 729 Cs-261 Js 1037/19-262/19

Sexueller Übergriff: schutzlose Lage

§ 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB a.F. setzt voraus, dass das Opfer aus Furcht vor Gewalteinwirkungen des Täters von –ihm grundsätzlich möglichem – Widerstand absieht, weil es diesen aufgrund seiner schutzlosen Lage für aussichtslos hält.

BGH, Beschl. v. 12.2.2020 – 1 StR 481/19

Strafschärfung: schnelle Rückfallgeschwindigkeit

Wird bei der Strafzumessung (§ 46 StGB) die hohe Rückfallgeschwindigkeit strafschärfend zum Nachteil des Angeklagten gewichtet, muss dabei in die Wertung einbezogen werden, dass der Angeklagte ggf. seit vielen Jahren betäubungsmittelabhängig ist.

BGH, Beschl. v. 4.3.2020 – 1 StR 4620

Unverwertbarkeit von Messergebnissen: Widerspruch

Soll die Unverwertbarkeit von Messergebnissen gerügt werden, bedarf es des (protokollierten) Widerspruchs bis zu dem in § 257 StPO bezeichneten Zeitpunkt. Der Widerspruch ist mit der Verfahrensrüge vorzutragen.

KG, Beschl. v. 22.1.2020 – 3 Ws (B) 18/20

Vergütungsvereinbarung: formularmäßige Regelungen; Mindestvergütung

Eine formularmäßige Vergütungsvereinbarung, die eine Mindestvergütung des Rechtsanwalts in Höhe des Dreifachen der gesetzlichen Vergütung vorsieht, ist jedenfalls im Rechtsverkehr mit Verbrauchern wegen unangemessener Benachteiligung des Mandanten unwirksam, wenn das Mandat die Kündigung des Arbeitsverhältnisses des Mandanten betrifft und die Vergütungsvereinbarung zusätzlich eine Erhöhung des Gegenstandswertes um die Abfindung vorsieht. Die formularmäßige Vereinbarung eines Zeithonorars, die den Rechtsanwalt berechtigt, für angefangene 15 Minuten jeweils ein Viertel des Stundensatzes zu berechnen, benachteiligt den Mandanten jedenfalls im Rechtsverkehr mit Verbrauchern entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen. Sieht eine Vergütungsvereinbarung ein Zeithonorar für Sekretariatstätigkeiten vor und eröffnet sie dem Rechtsanwalt die an keine Voraussetzungen gebundene Möglichkeit, statt des tatsächlichen Aufwandes pauschal 15 Minuten pro Stunde abgerechneter Anwaltstätigkeit abzurechnen, gilt insoweit die gesetzliche Vergütung als vereinbart.

BGH, Urt. v. 13.2.2020 – IX ZR 140/19

Terminsgebühr: geplatzter Termin

Der Begriff des Erscheinens in Vorbem. 4 Abs. 3 Satz 2 VV RVG ist teleologisch erweiternd dahin auszulegen, dass es grundsätzlich auch ausreicht, wenn der bereits auf dem Weg befindliche Rechtsanwalt zur Terminsteilnahme gewillt ist und von einem Aufsuchen des Gerichtsgebäudes lediglich deshalb absieht, weil er noch kurzfristig während der Anreise zum Gericht von der Terminsaufhebung erfährt.

LG Magdeburg, Beschl. v. 15.4.2020 – 21 Ks 5/19

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