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Verwertung von Grundvermögen (nicht selbst genutzte und vollständig fremdfinanzierte Eigentumswohnung)

§ 166 Abs. 1 S. 1 VwGO; § 115 Abs. 3 ZPO; § 90 Abs. 2 Nr. 8 SGB XII

Eine vorhandene, vermietete Eigentumswohnung, die vollständig fremdfinanziert ist, ist in einem Prozesskostenhilfeverfahren als einzusetzender verwertbarer Vermögensgegenstand nicht zu berücksichtigen, wenn zu erwarten ist, dass bei einer Verwertung dieser kein überschießender Erlös für den Kläger verbleiben würde.

VGH München, Beschl. v. 3.11.20226 C 22.2226
I.

Sachverhalt

Der Kläger hat für seine Klage gegen seine vorzeitige Entlassung aus dem Dienstverhältnis eines Soldaten auf Zeit nach § 55 Abs. 4 S. 1 SG (Soldatengesetz) Prozesskostenhilfe (PKH) beantragt. Das angerufene Verwaltungsgericht hat mit Beschl. v. 23.9.2022 die beantragte PKH mit der Begründung versagt, dass der Kläger über einzusetzendes verwertbares Grundvermögen in Form einer vermieteten Eigentumswohnung verfüge, die er zur Bestreitung der Prozesskosten in zumutbarer Weise einsetzen kann.

Darüber hinaus gibt es nach Ansicht des Gerichts auch Anlass, dass die Klage nach vorläufiger Bewertung inhaltlich keine Aussicht auf Erfolg haben werde.

Gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts hat der Kläger Beschwerde erhoben. Die Beschwerde gegen die Ablehnung der PKH ist nach Ansicht des VGH München nach § 146 Abs. 2 VwGO vorliegend nicht ausgeschlossen, da die Entscheidung nicht ausschließlich das Vorliegen der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Klägers verneint, sondern auch Hinweise zur Erfolgsaussicht beinhaltet.

Die Beschwerde ist nach Ansicht des VGH München daher zulässig und in der Sache auch begründet. Der Kläger hat Anspruch auf Bewilligung von ratenfreier Prozesskostenhilfe und der Beiordnung eines Rechtsanwalts.

1.Persönliche und wirtschaftliche Verhältnisse

Der Kläger verfügt vorliegend nur über ein so geringes Einkommen, dass er hieraus die Prozesskosten – auch nicht ratenweise – tragen kann.

Er verfügt nach Ansicht des VGH München auch nicht über einzusetzendes Vermögen. In Betracht kommt vorliegend allein die vom Kläger im Juni 2020 erworbene 59,63 m² große Eigentumswohnung, die vermietet ist. Grds. handelt es sich hierbei nicht um Schonvermögen i.S.v. § 90 Abs. 2 Nr. 8 SGB XII, da diese nicht vom Kläger selbst bewohnt wird. Vorliegend handelt es sich jedoch um einen nicht verwertbaren Vermögensgegenstand. Die Wohnung wurde für 143.000,00 EUR vollständig fremdfinanziert, die Restforderung beträgt noch 138.000,00 EUR. Den monatlichen Finanzierungskosten i.H.v. 316,73 EUR stehen monatliche Einnahmen durch die Miete i.H.v. 286,21 EUR gegenüber. Bei einer Veräußerung der Wohnung ist nicht zu erwarten, dass der Kläger einen Verkaufspreis erzielen könnte, der nach Abzug der mit dem Verkauf zusammenhängenden zusätzlichen Kosten die noch offene Restschuld übersteigt. Eine Beleihung des Grundvermögens scheidet hier aus, da es aus den genannten Gründen kein Vermögen i.S.d. § 115 Abs. 3 ZPO ist. Auch wäre die Aufnahme eines wohl durch Grundpfandrechte abzusicherndes Darlehen aufgrund der Vollfinanzierung offenkundig weder möglich noch dem Kläger zumutbar. Der Kläger dürfte aufgrund seiner persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse auch nicht in der Lage dazu sein, eine weitere Kreditaufnahme vorzunehmen.

2.Erfolgsaussicht

Nach Ansicht des VGH München hat die beabsichtigte Rechtsverfolgung auch hinreichende Aussicht auf Erfolg und erscheint nicht mutwillig, § 166 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 S. 1 ZPO. Die Rechtsverfolgung selbst soll nicht vom Hauptsacheverfahren in das Nebenverfahren der PKH vorverlagert werden. Schwierige, bislang ungeklärte Rechts- und Tatsachenfragen müssen daher auch für Unbemittelte einer prozessualen Klärung in einem Verfahren, in dem der Kläger auch anwaltlich dann vertreten ist, zugeführt werden. Die Erfolgsaussicht ist jedenfalls dann hinreichend, wenn der vom Kläger vertretene Rechtsstandpunkt zumindest vertretbar erscheint und in tatsächlicher Hinsicht auch die Möglichkeit einer Beweisführung besteht. Der hier angefochtene Ausgangsbescheid betreffend die vorzeitige Entlassung des Klägers aus dem Dienstverhältnis eines Soldaten auf Zeit stützt sich auf eine Gesamtschau der bislang als Soldat gezeigten Leistungen, Kenntnisse und Verhaltensweisen und bedarf daher hier der Prüfung in dem Hauptsacheverfahren.

II.

Schonvermögen – angemessenes Hausgrundstück, § 90 Abs. 2 Nr. 8 SGB XII

Gem. § 166 Abs. 1 S. 1 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 S. 1 1 Hs. ZPO erhält eine Partei – ungeachtet der weiteren unter III. teilweise erläuterten Voraussetzungen zur Gewährung von PKH wie der zu bejahenden hinreichenden Erfolgsaussicht des zugrundeliegenden Anspruchs, § 114 Abs. 1 S. 1 2 Hs. ZPO – PKH, wenn sie die Kosten der Prozessführung nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann.

Gem. § 166 Abs. 1 S. 1 VwGO i.V.m. § 115 Abs. 3 ZPO, § 90 SGB XII hat die bedürftige Partei neben ihrem Einkommen ihr gesamtes zumutbares Vermögen einzusetzen. Im vorliegenden Fall hat der Kläger lediglich geringe laufende Einkünfte, auf die in der Entscheidung nicht weiter eingegangen wird und zu einer ratenfreien PKH führt.

Wie beim Einkommen kommt auch grds. nur das Vermögen der bedürftigen Partei selbst in Betracht (Lissner/Dietrich/Schmidt, Beratungshilfe mit Prozess- und Verfahrenskostenhilfe, 4. Aufl., 2022, Rn 74). Eine gesetzliche Definition von Vermögen sieht § 115 ZPO nicht vor. Durch den Verweis in Abs. 3 S. 2 auf § 90 SGB XII sind die sozialrechtlichen Vorschriften entsprechend anzuwenden. Das Gericht ist hierbei jedoch nicht zwingend an die sozialrechtliche Auslegung der Begriffe gebunden (Lissner/Dietrich/Schmidt, a.a.O., Rn 74). Ein Zugriff auf das gesamte Vermögen wird jedoch nach dessen Verwertbarkeit und der Zumutbarkeit seines Einsatzes bewertet.

Gem. § 90 Abs. 2 Nr. 8 SGB XII soll der bedürftigen Partei die eigene Wohnung oder das selbst genutzte Haus erhalten bleiben (Lissner/Dietrich/Schmidt, a.a.O., Rn 82). Maßgebend ist hier der Schutzzweck der Norm, dass der bedürftigen Partei der Mittelpunkt ihres sozialen Lebens erhalten bleiben soll. Unter die Hausgrundstücke fallen auch Eigentumswohnungen. Vorliegend bewohnt der Kläger die hier in Frage kommende Eigentumswohnung nicht selbst, sondern hat diese vermietet. Daher fällt die Eigentumswohnung vorliegend nicht unter den Schutzzweck des § 90 Abs. 2 Nr. 8 SGB XII. Grds. ist die Eigentumswohnung daher als verwertbares Vermögen, dass nicht unter das Schonvermögen fällt, einzustufen und für die Finanzierung der Prozesskosten einzusetzen. Jedoch muss eine Verwertung oder Beleihung des Grundvermögens auch zeitnah möglich und zumutbar erscheinen (OLG Hamm FamRZ 2016, 928).

Eine Verwertung in Form eines Verkaufs einer vermieteten Eigentumswohnung mit einer Größe von ca. 60 m² erscheint aufgrund der derzeitigen Immobilienpreisentwicklung ohne Weiteres zeitnah möglich. Löst ein Verkauf jedoch lediglich die noch offenen Verbindlichkeiten und durch den Verkauf entstehenden Kosten ab, sodass letztlich kein Übererlös für die bedürftige Partei verbleibt, ist die Verwertung in Form eines Verkaufs unzumutbar. Besteht hier insoweit eine Unsicherheit, ob ein den Verkaufserlös und entstehenden Kosten übersteigender Erlös verbleibt, so ist eine Unverwertbarkeit der Immobilie anzunehmen (Lissner/Dietrich/Schmidt, a.a.O., Rn 86; OLG Brandenburg FamRZ 2007, 1340). Vorliegend besteht bei einem Kaufpreis i.H.v. 143.000,00 EUR noch eine Restschuld i.H.v. 138.000,00 EUR. Zudem wurde die Immobilie erst ca. 2 Jahre vor dem PKH-Begehren erworben. Die Kaufnebenkosten können in der Regel mit ca. 10 bis 15 % des Kaufpreises veranschlagt werden. Er erscheint daher hier durchaus möglich, dass vorliegend bei einem Verkauf ein Übererlös nicht erzielt werden kann. Eine Verwertung der Eigentumswohnung in Form eines Verkaufs ist daher unzumutbar.

Als weitere Verwertungsart könnte eine Beleihung der Eigentumswohnung in Frage kommen. Diese kann durchaus in Frage kommen, wenn die Belastung in Anbetracht des Wertes und der vorrangigen Belastungen möglich erscheint. Vorliegend wurde die Eigentumswohnung vollständig fremd finanziert. Eine Sicherung des notwendig zu gewährenden Darlehens zur Bestreitung der Prozesskosten in Form eines weiteren Grundpfandrechts erscheint daher als nicht möglich einzustufen. Ist die bedürftige Partei auch aufgrund ihrer aktuellen Einkommenssituation nicht in der Lage, weitere Kreditraten zahlen zu können, scheidet eine Beleihung auch aus diesen Gründen aus (MüKo ZPO/Wache, 6. Aufl., 2020, § 115 Rn 87 ZPO). Der Kläger verfügt vorliegend nur über so geringe Einkünfte, dass ihm ratenfreie PKH zu bewilligen war. Der Kläger kann damit die Zins- und Tilgungsbelastungen eines weiteren Kredits nicht aufbringen, sodass er hier auf eine weitere Beleihung nicht verwiesen werden kann.

III.

Erfolgsaussicht

Gem. § 114 Abs. 1 S. 1 ZPO ist Voraussetzung für die Gewährung von PKH, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung des Klägers hinreichende Aussicht auf Erfolg hat. Der anzusetzende Maßstab hierfür darf dabei nicht überspannt werden (BVerfG BVerfGE 81, 347 ff.). Das Gericht muss den Rechtsstandpunkt der PKH begehrenden Partei aufgrund der von ihr vorgebrachten Tatsachen und der vorgelegten Unterlagen für vertretbar halten und muss von der Möglichkeit der Beweisführung überzeugt sein (Zöller/Schultzky, ZPO, 34. Aufl., 2022, § 114 Rn 22; BGH NJW 1994, 1160 f.; Lissner/Dietrich/Schmidt, a.a.O., Rn 403a).

Dabei genügt es, dass eine Beweisaufnahme ernsthaft in Betracht kommt (Zöller/Schultzky, a.a.O., § 114 Rn 33). Die Prüfung der Erfolgsaussicht darf dabei nicht dazu dienen, die Rechtsverfolgung in das PKH-Prüfungsverfahren vorzuverlagern und dieses dann an die Stelle des Hauptsacheverfahrens treten zu lassen (BGH NJW 2020, 55 ff.). Im vorliegenden Fall lassen sich die Gesamtumstände in einer summarischen Prüfung, aufgrund derer die vorzeitige Entlassung des Klägers aus dem Dienstverhältnis beruhen, nicht hinreichend sicher im PKH-Prüfungsverfahren vorwegnehmen, sodass hier eine hinreichende Aussicht auf Erfolg zu bejahen ist.

IV.

Bedeutung für die Praxis

1.Verwertbarkeit von Grundvermögen

Der VGH München hat in seiner vorliegenden Entscheidung zu Recht betont, dass eine vorhandene, nicht selbst genutzte Eigentumswohnung der bedürftigen Partei, grds. nicht unter das Schonvermögen gem. § 166 Abs. 1 S. 1 VwGO i.V.m. § 115 Abs. 3 S. 2 ZPO, § 90 Abs. 2 Nr. 8 SGB XII fällt (Zöller/Schultzky, a.a.O., § 115 Rn 93 ZPO).

Nach der grundsätzlichen Feststellung, dass es sich im Rahmen der Prozesskostenhilfe um verwertbares Grundvermögen handelt, sind die Aspekte einer zeitnah möglichen und zumutbaren Verwertung sowie einer möglichen Beleihung zu prüfen. Es ist in diesem Zusammenhang die Frage zu stellen, welcher Verkaufserlös sich innerhalb welcher Zeit realisieren lässt und welche Forderungen und Kosten diesem gegenüber stehen (BeckOK ZPO/Reichling/Vorwerk/Wolf, 46. Ed., Stand: 1.9.2022, § 115 Rn 84.3). Übersteigt der möglich zu erzielende Verkaufspreis die offenstehenden Forderungen, die noch auf dem Grundvermögen lasten, und die aufgrund des Verkaufs entstehenden Kosten voraussichtlich nicht, so ist eine Verwertung des Grundvermögens wirtschaftlich unzumutbar.

Ist eine Verwertung des Grundvermögens nicht zumutbar, so ist der bedürftigen Partei grds. die Aufnahme eines Darlehens, das grundpfandrechtlich gesichert wird, zuzumuten (BGH FamRZ 2013, 1720). Dabei sind die gesamten persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der bedürftigen Partei zu betrachten. Eine Beleihung mit einer dinglichen Sicherung (z.B. in Form einer Grundschuld) zur Kreditaufnahme für die entstehenden Prozesskosten ist der bedürftigen Partei nicht zuzumuten, wenn das Grundvermögen bereits wertausschöpfend belastet ist (Zöller/Schultzky, a.a.O., § 115 Rn 93).

Weiter muss die Partei in der Lage sein, die dann anfallenden monatlichen Zins- und Kreditbelastungen aufgrund ihrer vorhandenen Einkommens- und Vermögensverhältnisse zu begleichen (Lissner/Dietrich/Schmidt, a.a.O., Rn 86b).

2.Erfolgsaussicht

Das PKH-Prüfungsverfahren dient nicht dazu, den nach rechtsstaatlichen Grundsätzen geschützten Rechtsschutz selbst zu gewähren, sondern will diesen für die bedürftige Partei ja in einem Hauptsacheverfahren erst zugänglich machen (BVerfG NJW 1992, 889). Daher sind entscheidungserhebliche offene Sachfragen ebenso wie schwierige, noch nicht geklärte Rechtsfragen nicht schon im PKH-Verfahren, sondern erst im Hauptsacheverfahren zu klären (OVG Hamburg, Beschl. v. 8.9.2022 – 6 So 35/).

https://www.juris.de/perma?d=jzs-AGS-2023-1-016-37

Dipl.-RPfl. Joachim Dietrich, Mandelbachtal

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