Beitrag

Beschwerde der Staatskasse nur durch Übermittlung als elektronisches Dokument

§§ 4 Abs. 3 und Abs. 6 S. 1, 4b JVEG; § 14b Abs. 1 S. 1 FamFG

Die Einlegung der Beschwerde nach § 4 Abs. 3 JVEG durch die Staatskasse in schriftlicher Papierform genügt seit dem 1.1.2022 nicht mehr den Formerfordernissen aus §§ 4 Abs. 6 S. 1, 4b JVEG i.V.m. § 14b Abs. 1 S. 1 FamFG. Wird die Beschwerde nicht zu Protokoll der Geschäftsstelle abgegeben, kann sie nur durch Übermittlung als elektronisches Dokument eingelegt werden.

LG Lübeck, Beschl. v. 28.9.20227 T 341/22
I.

Sachverhalt

Das AG Lübeck hat in einem einstweiligen Unterbringungsverfahren nach dem PsychKG einen Arzt hinzugezogen. Dieser rechnete seine Entschädigung nach M3 der Anlage 1 zu § 9 Abs. 1 S. 1 JVEG i.H.v. 120,00 EUR ab. Die durch den Bezirksrevisor vertretene Staatskasse hat die Festsetzung der Vergütung nur i.H.v. 45,00 EUR beantragt und sich hierauf auf Nr. 202 der Anlage 2 zu § 10 Abs. 1 S. 1 JVEG gestützt. Durch Beschl. v. 5.9.2022 hat das AG Lübeck die Vergütung des Arztes auf 120,00 EUR festgesetzt, ohne in dem Beschluss zu bestimmen, an wen die Vergütung auszuzahlen sei. Außerdem hat das AG Lübeck gegen seine Entscheidung die Beschwerde zugelassen.

Mit Schriftsatz vom 15.9.2022 hat die Staatskasse gegen diese Entscheidung schriftlich Beschwerde erhoben. Das AG Lübeck hat der Beschwerde nicht abgeholfen und sie dem LG Lübeck zur Entscheidung vorgelegt. Durch Hinweis im Beschl. v. 22.9.2022 hat die Beschwerdekammer des LG auf die Unzulässigkeit der Beschwerde hingewiesen. Die Staatskasse hat demgegenüber mitgeteilt, sie halte an ihrer Beschwerde fest.

Das LG Lübeck hat die Beschwerde der Staatskasse als unzulässig verworfen.

II.

Zulässigkeit der Beschwerde

1.Gesetzliche Regelung

Gem. § 4 Abs. 1 S. 1 JVEG setzt das Gericht unter den dort genannten Voraussetzungen die Vergütung (hier des hinzugezogenen Arztes) durch Beschluss fest. Gegen diesen Beschluss können der Berechtigte und die Staatskasse gem. § 4 Abs. 3 JVEG Beschwerde einlegen, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200,00 EUR übersteigt oder wenn sie das Gericht in der angefochtenen Entscheidung wegen der grundsätzlichen Bedeutung der zur Entscheidung stehenden Frage in dem Beschluss zulässt. Die letztgenannte Voraussetzung lag hier vor.

Die Staatskasse hatte hier gegen die amtsgerichtliche Entscheidung Beschwerde eingelegt.

Gem. § 4 Abs. 6 S. 1 JVEG können Anträge und Erklärungen ohne Mitwirkung eines Bevollmächtigten schriftlich eingereicht oder zu Protokoll der Geschäftsstelle abgegeben werden. Hs. 2 dieser Vorschrift verweist auf § 129a ZPO, der die Formalien für Anträge und Erklärungen zum Protokoll regelt.

2.Besonderheiten bei der elektronischen Akte

Gem. § 4b JVEG sind in Verfahren nach dem JVEG die verfahrensrechtlichen Vorschriften über die elektronische Akte und über das elektronische Dokument anzuwenden, die für das Verfahren gelten, in dem der Anspruchsberechtigte (hier der Arzt) herangezogen worden ist. Das Verfahren nach dem PsychKG bestimmt sich nach dem FamFG. Der somit einschlägige § 14b Abs. 1 S. 1 FamFG regelt, dass bei Gericht schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen durch einen Rechtsanwalt, durch einen Notar, durch eine Behörde oder durch eine juristische Person des öffentlichen Rechts als elektronisches Dokument zu übermitteln sind. Nur wenn dies aus technischen Gründen vorübergehend nicht möglich ist, bleibt gem. § 14b Abs. 1 S. 1 JVEG die Übermittlung nach den allgemeinen Vorschriften zulässig.

3.Anwendbarkeit auch auf Beschwerden der Staatskasse

Die vorstehend erörterte Verpflichtung, Anträge und Erklärungen dem Gericht als elektronisches Dokument zu übermitteln, gilt nach Auffassung des LG Lübeck auch für die Beschwerde der Staatskasse. Die Bezirksrevisorin sei nämlich Vertreterin der Staatskasse und damit Teil einer Behörde i.S.v. § 14 Abs. 1 S. 1 FamFG, was das LG aus § 79 der Landeshaushaltsordnung des Landes Schleswig-Holstein sowie der entsprechenden Verwaltungsvorschriften für Bezirksrevisoren bei den Landgerichten in Schleswig-Holstein gefolgert hat. Damit würden die Bezirksrevisoren der Verpflichtung zur elektronischen Übermittlung von Anträgen und Erklärungen unterliegen.

Bei der hier auf § 4 Abs. 6 S. 1 JVEG gestützten Beschwerde der Staatskasse handelt es sich nach den weiteren Ausführungen des LG Lübeck auch um einen Antrag bzw. eine Erklärung i.S.v. § 14b Abs. 1 S. 1 FamFG. Hieraus folgt nach Auffassung des LG, dass die Beschwerde des Bezirksrevisors nicht – wie es hier der Fall gewesen ist – schriftlich eingelegt werden durfte, sondern als elektronisches Dokument hätte übermittelt werden müssen. Trotz der Wortwahl in § 4 Abs. 6 S. 1 JVEG („können“) gebe das Gesetz die Formvorgaben verbindlich vor, nämlich die Schriftform oder die Erklärung zu Protokoll der Geschäftsstelle. Dabei lasse § 4 Abs. 6 S. 1 JVEG einem Beschwerdeführer die Wahl zwischen der Schriftform einerseits und der Erklärung zu Protokoll der Geschäftsstelle andererseits. Jedoch sei die Staatskasse nicht deshalb von der Einreichung eines elektronischen Dokuments befreit, weil § 6 Abs. 1 S. 1 JVEG auf eine Einlegung der Beschwerde zu Protokoll der Geschäftsstelle zulasse. Wähle die Staatskasse nämlich die Form der Beschwerdeeinlegung zu Protokoll der Geschäftsstelle nicht, so müsse sie die Beschwerde als elektronisches Dokument einreichen.

Zwar sieht nach den weiteren Ausführungen des LG Lübeck die zum 1.1.2022 in Kraft getretene Fassung des § 14 Abs. 1 S. 1 FamFG gegenüber der ursprünglichen Fassung die Einreichung eines elektronischen Dokuments nicht mehr für sämtliche Anträge und Erklärungen vor, sondern nur noch für schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen von Rechtsanwälten, Notaren und Behörden. Diese Regelung habe der Gesetzgeber deshalb getroffen, um die Pflicht zur elektronischen Übermittlung ausdrücklich auf schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen zu beschränken. Die in § 4 Abs. 6 S. 1 JVEG eingeräumte Wahl zwischen einer Beschwerdeeinlegung zu Protokoll der Geschäftsstelle und einer Beschwerdeeinlegung durch Einreichung einer Beschwerdeschrift habe jedoch keine allgemeine Befreiung des in § 14 Abs. 1 S. 1 FamFG genannten Personenkreises von der Pflicht zur Übermittlung eines elektronischen Dokuments zur Folge. Insoweit verweist das LG Lübeck auf die Entscheidung des OLG Frankfurt (FamRZ 2022, 802), das hinsichtlich der formalen Anforderungen einer Beschwerde eines Jugendamtes dieselbe Auffassung wie das LG Lübeck vertreten hat.

4.Kein Ausnahmefall

Nach den weiteren Ausführungen des LG Lübeck ist die Staatskasse von ihrer Verpflichtung, die Beschwerde in elektronischer Form einzureichen, gem. § 14b Abs. 1 S. 2 und 3 FamFG ausnahmsweise nur im Falle einer vorübergehenden technischen Störung befreit. Vorliegend hätten jedoch keine Anhaltspunkte dafür bestanden, dass der Staatskasse die elektronische Übermittlung aus technischen Gründen vorübergehend nicht möglich gewesen sei. Vielmehr verfüge die Staatskasse noch nicht über eine funktionierende technische Ausstattung und Netzwerkanbindung. Eine technische Unmöglichkeit kann nach Auffassung des LG Lübeck aber nur dann vorübergehend sein, wenn die technische Ausstattung und die Netzwerkanbindung bereits einmal funktionsfähig gewesen sei. Dies war hier offensichtlich nicht der Fall.

Das LG Lübeck hat gegen seine Entscheidung die weitere Beschwerde zugelassen.

III.

Bedeutung für die Praxis

1.Verfahrensweise der Staatskasse

Die Entscheidung des LG Lübeck zeigt die für die Staatskasse nachteiligen Folgen auf, wenn für sie die technischen Voraussetzungen für die Übermittlung von Anträgen oder Erklärungen als elektronisches Dokument noch gar nicht eingeführt worden sind. Folgt man dem LG Lübeck und auch dem OLG Frankfurt, a.a.O., kann die Staatskasse eine Beschwerde nicht mehr schriftlich, auch nicht per Telefax, Computerfax oder per Post einreichen. Hat die Verwaltung die technischen Voraussetzungen für die Übermittlung einer Beschwerdeschrift als elektronisches Dokument noch nicht eingerichtet, bleibt der Staatskasse lediglich übrig, Anträge und Erklärungen, worunter auch Beschwerden fallen, zu Protokoll der Geschäftsstelle zu geben. Dies konterkariert gerade die Erleichterungen, die die Einführung der elektronischen Akte mit sich bringen soll. Anstelle eines einfachen Schreibens muss der Bezirksrevisor künftig für das Einreichen von Anträgen und für die Einlegung von Beschwerden die Geschäftsstelle aufsuchen und sein Begehren zu Protokoll der Geschäftsstelle geben, um den Formerfordernissen zu genügen.

2.Verfahrensweise der Rechtsanwälte

Die vorgenannten Formerfordernisse gelten natürlich auch für Rechtsanwälte, die jedoch eher auf dem neuesten technischen Stand sind als Behörden und Gerichte. Die Rechtsanwälte werden aber auch in Ansehung der Entscheidungen des LG Lübeck und des OLG Frankfurt, a.a.O., künftig vermehr darauf achten, ob Anträge, Erklärungen und Rechtsbehelfe wie Erinnerungen oder Beschwerden seitens der Staatskasse, die zum Nachteil ihrer Mandanten eingereicht werden, tatsächlich den aktuellen Formerfordernissen (Erklärung zu Protokoll der Geschäftsstelle oder Übermittlung als elektronisches Dokument) genügen. Ist dies nicht der Fall, sollten sie die Unzulässigkeit der Anträge, Erklärungen oder Rechtsbehelfe der Staatskasse ausdrücklich rügen. Da viele Rechtsbehelfe unbefristet sind, kann die Staatskasse allerdings den Formmangel beheben, indem sie nachträglich ihre Erinnerung oder Beschwerde zu Protokoll der Geschäftsstelle gibt.

https://www.juris.de/perma?d=jzs-AGS-2023-1-019-41

VorsRiLG a.D. Heinz Hansens, Berlin

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