Beitrag

Beratungshilfe in Kriegszeiten – zu erwartende Folgen?

Dipl.-RPfl. Stefan Lissner, Konstanz

Bislang – so die überwiegende obergerichtliche Rspr. – kann Beratungshilfe nur erhalten, wer ein berechtigtes Anliegen hat. Es müssen die Voraussetzungen des BerHG vorliegen. Neben einem Bezug zum Inland und – nicht zwingend – einem Sitz in Deutschland dürfen vor allem keine anderen Hilfemöglichkeiten vorliegen. Im Bereich des Ausländerrechts sind solche vor allem im Hinblick auf die Unterstützungsleistungen des Ausländeramtes oder diverser Sozialverbände denkbar. Vorliegende Abhandlung will der Aktualität wegen das Thema beleuchten.

I.

Ausgangslage

Es herrscht Krieg in Europa und nach der Welle an flüchtenden Menschen anlässlich des Syrienkrieges trifft Europa nun eine weitere Flüchtlingswelle. Verbunden mit dieser Notlage einerseits, aber auch aufgrund der zu erwartenden finanziellen Rückschritte der allgemeinen Teuerung wegen wird das Gebiet Beratungshilfe wieder stärker in den Fokus der Beteiligten rücken. Nicht nur der flüchtenden Menschen wegen, sondern auch anlässlich des bevorstehenden Energienotstandes, verbunden mit immensen Mehrkosten, ist abzusehen, dass Menschen mit juristischen Sorgen eher in den Bezugsbereich der Beratungshilfe fallen werden. Folglich soll das Thema mit Fokus „Bedürftigkeit“ und vor allem „Zuständigkeit“ und „andere Hilfemöglichkeiten“ betrachtet werden.

II.

Bedürftigkeit

1.

Voraussetzungen

Beratungshilfe kann nur dann zugesprochen werden, wenn die rechtsuchende Partei bedürftig i.S.d. BerHG ist. I.S.d. BerHG meint dabei, dass die rechtsuchende Partei derart bedürftig sein muss, dass in einem vergleichbaren PKH/VKH-Verfahren eine Ratenzahlung ausscheiden würde. Die Partei darf also aufgrund ihrer persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse die Kosten der Rechtsverfolgung nicht aufbringen können. Insoweit erfolgt im BerHG eine Bezugnahme auf die Bestimmungen des § 114 Abs. 1 S. 1 1. HS ZPO. Die Ermittlung des einzusetzenden Einkommens, des zumutbar einzusetzenden Vermögens sowie die Frage, ob Raten zu zahlen wären, ergeben sich aus § 115 ZPO. Dieser legt fest, inwieweit die Partei ihr Einkommen und Vermögen einzusetzen hat. Es ist auf die Einkommens- und Vermögenslage zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung über die Beratungshilfe abzustellen. Die Reihenfolge der Prüfungen der Voraussetzungen ist nicht vorgeschrieben. Das Einkommen und das Vermögen stehen zueinander in keinem Rangverhältnis. Man kann daher mit der Prüfung, ob verwertbares Vermögen vorhanden ist, oder auch mit der Prüfung des Einkommens beginnen.

2.

Einsatz von Vermögen und Einkommen in Zeiten gestiegener Preise

Gem. § 115 Abs. 1 S. 1 ZPO ist das frei verfügbare Einkommen einzusetzen. Hierzu zählen alle Einkünfte in Geld oder Geldeswert, § 115 Abs. 1 S. 2 ZPO. Der Einkommensbegriff knüpft an denjenigen des Sozialhilferechts an (vgl. insoweit § 82 Abs. 1 S. 1 SGB XII), da die PKH/VKH eine Form der staatlich gewährten Sozialhilfe im Bereich der Rechtspflege ist. Gem. § 82 Abs. 1 S. 1 SGB XII sind dabei jedoch Leistungen nach dem SGB XII und Grundrenten nach dem BVG ausdrücklich ausgenommen. Unterhalts- oder steuerrechtliche Bestimmungen sind nicht heranzuziehen. Die zu § 82 SGB XII ergangene DVO105 ist in § 115 ZPO nicht genannt. Sie stellt lediglich eine wichtige Beurteilungshilfe zur Ermittlung des verfügbaren Einkommens dar. Gem. § 115 Abs. 1 S. 3 Nr. 1a ZPO sind von dem ermittelten Einkommen bestimmte Beträge abzuziehen. Dieser verweist auf die in § 82 Abs. 2 SGB XII bezeichneten Beträge. Ebenfalls zu berücksichtigen ist der sog. Erwerbstätigenbonus (Abzug gem. § 115 Abs. 1 S. 3 Nr. 1b ZPO) sowie die Freibeträge (Abzüge gem. § 115 Abs. 1 S. 3 Nr. 2a und 2b ZPO). Auf die jeweiligen Bekanntmachungen zu § 115 ZPO in aktuellster Variante wird verwiesen. Mehrbedarfe sowie Besonderheiten im Rahmen von Unterhaltsberechtigten sollen an dieser Stelle nicht erörtert werden. Abzuziehen sind ebenfalls die Kosten der (angemessenen) Unterkunft und Heizung (Abzüge gem. § 115 Abs. 1 S. 3 Nr. 3 ZPO), Mehrbedarfe sowie besondere Belastungen (Abzüge gem. § 115 Abs. 1 S. 3 Nr. 5 ZPO). Gerade hier wird im Winter 2022/2023 anzunehmen sein, dass aufgrund der gestiegenen Energiepreise, der Gasumlage und der sonstigen Teuerung ein nachhaltiger Anstieg an Bedürftigen i.S.d. BerHG einsetzen wird. Sieht man die Multiplikatoren der Teuerungen im Energiebereich, dürften die Kosten der Heizung bald nicht mehr nur als die „zweite Miete“ verstanden werden. Vielmehr wird anzunehmen sein, dass die gestiegenen Heizkosten einen Hauptbestandteil der Bedürftigkeitsprüfung ausmachen, und damit – da voll absetzbar – letztlich zu einer (u.U. vorübergehenden) Bedürftigkeit i.S.d. BerHG führen können.

Beispiel 1

Der rechtsuchende Bürger Max Mustermann verdient ausrechend Einkommen. Bisher musste er seinen Anwalt selbst bezahlen, da er für die Inanspruchnahme der Beratungshilfe zu „reich“ galt. Im Herbst 2022 benötigt er einen Anwalt. Da er aufgrund stark gestiegener Gaspreise höhere Abschlagszahlungen/höhere monatliche Kosten hat, kommt er nun „in den Genuss“ der Beratungshilfe.

In einem solchen Beispielsfall kann es also dazu führen, dass ein Kreis an verdienenden Bürgerinnen und Bürger einzig der gestiegenen Energiekosten wegen in den Kreis der Berechtigten Einzug erhält und ggfs. dort wieder herausfällt, sollten die Preise wieder fallen. Für die Beratungsperson bedeutet dies zusätzlichen Prüfungsaufwand. Gestiegene Energiepreise sollten und müssen in solchen „Grenzfällen“ der Bedürftigkeit daher neu kalkuliert und bedacht werden, immer mit dem Blick auf die Zukunft, denn nicht selten „entstehen“ die höheren Kosten bereits heute, wurden aber ggfs. wegen Nichtanpassung der Abschlagsraten noch nicht angepasst. Zu erwartende Jahreskosten der Heizung müssen daher perspektivisch in einen Antrag mit einberechnet werden.

3.

Einsatz der Energiepreispauschale?

Im Zusammenhang mit den Preisen für einen gestiegenen Energiebedarf stellt sich auch zweifelsfrei aktuell die Frage, ob die durch das Steuerentlastungsgesetz 2022 etablierte „Energiepreispauschale“ (EPP) Berücksichtigung in der Beratungshilfe findet. Die EPP soll nach dem Willen des Gesetzgebers allen einkommensteuerpflichtig Erwerbstätigen eine Entlastung bieten. In Form einer einmaligen Gutschrift i.H.v. 300,00 EUR sollen die aktuellen Härten im Bereich der Energiepreise gemildert werden. Der Anspruch entsteht am 1.9.2022 (vgl. § 114 EStG) und beziffert sich nach § 112 EStG mit einmalig 300,00 EUR für jeden Anspruchsberechtigten. Die EPP wird jedoch als steuerpflichtige Einnahme gewertet. Um in den Genuss dieser Leistung zu kommen, müssen abhängig beschäftigte Menschen zunächst einmal nichts unternehmen. § 117 EStG sieht vor, dass grds. inländische Arbeitgeber die Auszahlung der EPP veranlassen, wenn der Arbeitnehmer unbeschränkt steuerpflichtig ist und am 1.9.2022 in einem gegenwärtigen ersten Dienstverhältnis steht sowie in eine der Steuerklassen I–V eingereiht ist bzw. im Rahmen einer geringfügigen Beschäftigung nach § 40a Abs. 2 EStG im bestätigten ersten Dienstverhältnis pauschal besteuerten Arbeitslohn bezieht („Minijobber“). Selbstständige (ausschließlich Einkünfte i.S.v. § 13 EStG [Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft], § 15 EStG [Einkünfte aus Gewerbebetrieb], § 18 EStG [Einkünfte aus selbstständiger Arbeit]) erhalten die EPP über eine Minderung der Einkommensteuer-Vorauszahlungen zum Vorauszahlungsstichtag 10.9.2022 (§ 118 EStG). In Ausnahmefällen (ausschließlich Minijobber, keine Lohnsteuer-Anmeldungen usw.) erfolgt die Gewährung der EEP dann im Rahmen der Einkommensteuerveranlagung 2022. Die EPP gilt allgemein als pfändbar und unterliegt in keiner Weise (bislang) dem Pfändungsschutz. Eine Forderung ist grds. der Pfändung nur insoweit unterworfen, als sie übertragbar ist. Gem. § 851 ZPO sind Forderungen, die nicht übertragbar sind, nicht pfändbar. Unübertragbar ist eine Forderung i.d.R dann, wenn ein Gläubigerwechsel den Inhalt der Leistung ändern würde (§ 399 Abs. 1 BGB). Dabei muss sich die Zweckbindung nicht unmittelbar aus dem Gesetz ableiten, sondern kann sich auch aus dem Gesamtzusammenhang ergeben. Dies führt zur Unpfändbarkeit, wenn der mit der Leistung bezweckte Erfolg nicht erreicht werden kann. Hierfür spricht nach Gesetzeslage gegenwärtig nichts. Nachdem sie pfändbar ist, nachdem sie (s.o.) als einkommensteuerpflichtige Einnahme zählt, muss sie im Falle der Beratungshilfeantragstellung auch berücksichtigt werden. Eine Zweckbindung ist nicht anzunehmen, da anders als bei Corona-Hilfen eine zwingend vorgeschrieben Verwendung und eine Prüfung selbiger nicht geregelt wurden. Folglich sollten Beratungspersonen im Falle der Antragstellung diese „Gegenrechnung“ der EPP auf die ggfs. geltend gemachten höheren Heizungskosten auch beachten. Während die Kosten für die Heizung regelmäßig anfallen, handelt es sich bei der EPP um eine Pauschale. Folglich ist sie in dem Monat anzusetzen, indem sie verdient wird. Auch darauf sollte geachtet werden, wenn für den rechtsuchenden ein Beratungshilfeantrag gestellt wird.

Beispiel 2

Der Bürger Max Mustermann ist berufstätig. Grds. verdient er zwar, aber abzüglich der absetzbaren Freibeträge, des Erwerbstätigenbonus und der Mietkosten liegt er „unter“ der Grenze, bei der Beratungshilfe ausscheidet. Vergleichsweise müsste er PKH ohne Ratenzahlung erhalten. Im September 2022 plagt ihn ein Rechtsproblem. Er sucht nun einen Anwalt auf, der ihm hilft. Bei nachträglicher Antragstellung „verweigert“ das Gericht die Beratungshilfe mit der Begründung, dass im genannten Monat die EPP bezahlt wurde und dem Rechtsuchenden auch zur Verfügung stand.

Neben dem Einkommen hat der Rechtsuchende gem. § 115 Abs. 3 ZPO i.V.m. § 90 SGB XII zur Bestreitung anfallender Rechtsanwalts- bzw. Gerichtskosten auch sein gesamtes Vermögen einzusetzen. Vorhandenes Vermögen kann jedoch nur dann eingesetzt werden, soweit dieses durch Veräußerung, Belastung oder Beleihung oder auf andere Weise in flüssige Geldmittel umgesetzt werden kann. Hierbei ist gem. § 90 Abs. 1 SGB XII das gesamte (zumutbar) verwertbare Vermögen (soweit es den Schonbetrag übersteigt) einzusetzen. Final – und als bekannt vorausgesetzt – ergibt sich dann anhand dieser beiden Prüfungspunkte (Einkommen/Vermögen) unter Einsatz der entsprechenden PKH-Tabelle die Anordnung selbiger mit oder ohne Ratenzahlung bzw. die Ablehnung der PKH.

III.

Zuständigkeit und andere Fragen

Bedingt durch den Krieg in der Ukraine sind nicht nur schwere wirtschaftliche Folgen und damit verbunden ein Anstieg an Bedürftigen zu erwarten, auch die Zahl an Rechtsuchen wird sich steigern, indem zahlreiche Flüchtlinge in Deutschland aufgenommen wurden. Auch hier ist abzusehen, dass diese nicht mit allen Rechtsfragen zu Recht kommen werden. Häufig wird es am Verständnis des Systems, des Rechts, aber auch an praktischen Erwägungen wie Sprachbarrieren fehlen. Es ist abzusehen, dass sich hier eine ernst zu nehmende Problematik „zusammenbraut.“ Geflüchtete Menschen stehen häufig vor dem Nichts. Rechtliche Probleme werden sich an tatsächliche Probleme anreihen und so wird der Wunsch nach Beratungshilfe nicht ausbleiben. Leider hat es der Gesetzgeber versäumt, das BerHG insoweit zu ändern. Es gelten daher die allgemeinen Grundsätze der Beratungshilfe. „Hilfe“ erhalten geflüchtete Menschen daher auch nur für rechtliche Fragen. Sinn und Zweck von Beratungshilfe ist es nicht, dem Rechtsuchenden jedwede – und noch dazu zumutbare – Eigenarbeit zu ersparen oder gar eine eigene Rechtsabteilung zur Seite zu stellen. Denn generell soll die Beratungshilfe nicht die von anderen, meist über besondere Sachkunde verfügenden Einrichtungen kostenfrei geleistete Beratung ersetzen, sondern diese ergänzen. Rechtswahrnehmung bedeutet, dass nicht jeder allgemeine Rat von der Beratungshilfe abgedeckt sein soll, auch wenn das Rechtsgebiet grds. in den Bereich des BerHG fällt, sondern nur wenn es notwendig ist und es sich um hierbei um Probleme handelt, wo juristischer Rat unumgänglich ist. Dies ergibt sich eindeutig auch aus der Begründung der Beratungshilfereform. Auch wenn lediglich um Beratungshilfe nachgesucht wird, um eigene wirtschaftliche Vorteile zu erlangen, scheidet Beratungshilfe aus, wenn z.B. die vorgebrachten Argumente nur in allgemeinen Aspekten und einem Basiswissen, welches auch vom zu erwarten sind, bestehen. Reine Schreibhilfen, Lesehilfen, Verständigungshilfe, Verständnishilfen etc., also allgemeine Lebenshilfe, sollen vom BerHG nicht erfasst sein. Beratungshilfe dient auch nicht zur Klärung allgemeiner Rechtsfragen. Die Beratungshilfe ist auch nicht zur Erledigung von Privatkorrespondenz da, auch nicht für sprachliche Übersetzungen oder geistige Verständnisvermittlung. Beratung in wirtschaftlichen Fragen und solchen der privaten Lebensführung, der Technik oder der Gesundheit zählen nicht zur Beratungshilfe, wenn nicht Rechtsfragen im Vordergrund stehen. Wirtschafts- oder Lebensberatung, Hilfe im Leben, psychologische Ratschläge, insbesondere aber alle sozialen Dienste, bei denen nicht Rechte im Vordergrund stehen, sind ebenfalls nicht Gegenstand der Beratungshilfe. Gerade hier ist mit einer tatsächlichen Problematik zu rechnen. Häufig werden sprachliche Defizite, Verständnisproblematiken oder ähnliches Grund einer anwaltlichen Konsultation sein. Die Gerichte werden dann – nach dem Gesetz zu Recht – eine Beratungshilfe ablehnen. Allerdings sollte man hier solidarischer Weise nicht vergessen, wonach wir uns in einer Sonder- und Notsituation befinden. Häufig verbunden mit tatsächlichen Problemen werden auch Rechtsprobleme zu finden sein.

Für die örtliche Zuständigkeit ist der allgemeine Gerichtstand des Ratsuchenden maßgeblich. Dieser ergibt sich aus §§ 12 ff. ZPO. Gem. § 13 ZPO i.V.m. §§ 7–11 BGB kommt es auf den Wohnsitz des Rechtsuchenden an. Bei Wohnsitzlosen ist der Aufenthaltsort im Inland oder der letzte Wohnsitz gem. § 16 ZPO maßgeblich. Hat der Rechtsuchende im Inland keinen allgemeinen Gerichtsstand, ist gem. § 4 Abs. 1 S. 2 BerHG das AG zuständig, in dessen Bezirk ein Bedürfnis auftritt. Abweichend von der allgemeinen Zuständigkeit ergeben sich subsidiäre Gerichtstände. Diese sind ein längerer dauerhafter Aufenthalt, der ständige Arbeitsplatz, das örtliche AG für den in einer JVA einsitzenden, u.a. Eine Auflistung enthält die gängige Lit. Ausgehend davon wird man bei geflüchteten Menschen einen Gerichtsstand dort vermuten dürfen, wo sie interimsweise untergebracht sind.

IV.

Ausländerrecht – im Allgemeinen

1.

Allgemeines und Sprachbarrieren

Hier ist zu differenzieren, ob es sich bei den Rechtsfragen um das allgemeine Ausländerrecht, um inländisches oder ausländisches Recht handelt. Grds. gilt nach wie vor: Das Gebiet, für welches um Beratungshilfe nachgesucht wird, muss einen Bezug zum Inland aufweisen. Nur dann ist von Gesetzes wegen Beratungshilfe möglich. Es versteht sich von selbst, dass auch Ausländer, die sich in der BRD aufhalten, antragsberechtigt sind und einen Anspruch auf Beratungshilfe – bei Vorliegen der Bewilligungsvoraussetzungen – haben. Das BerHG ist nicht auf die deutsche Staatsbürgerschaft beschränkt, muss allerdings einen Bezug zum Inland aufweisen (§ 2 Abs. 3 BerHG). Beratungshilfe ohne Bezug zum Inland, also Beratung eines Ausländers über Rechte und Pflichten im Heimatland etwa, ist nicht beratungshilfefähig. Das Ausländerrecht umfasst heute ein weites Gebiet an Spezialmaterie, die lediglich noch ein geschulter und spezialisierter Fachanwalt vollumfänglich im Auge behalten kann. Nicht spezialisierte Rechtsanwälte werden zwar vereinzelt eine entsprechende Hilfe leisten können, das gesamte Gebiet der Materie wird ihnen aber indes nicht sofort präsent sein. Folglich ist der Wunsch nach fachanwaltlicher Aufklärung insbesondere angesichts des für den Bürger bedrohten Rechtsgutes nachvollziehbar. Beratungshilfe auf dem Gebiet des Ausländerrechts betrifft oft eine sehr bedürftige Klientel mit Migrationshintergrund, der das deutsche Recht, die deutschen Formalien und das gesamte Rechtswesen fremd sind. Hinzu kommen Verständigungs- und Sprachdefizite sowie ein gewisses Maß an Schwellenangst gegenüber staatlicher Hilfe, die sie – bspw. aus ihrem Herkunftsland – so nicht kennen. Niemand soll in der Bundesrepublik aber nach dem Willen des Gesetzgebers gehindert sein, seine berechtigten Interessen durchzusetzen. Zu beachten ist aber weiterhin das Subsidiaritätsprinzip des BerHG. Danach scheidet Beratungshilfe auch dann aus, wenn andere Hilfen gegeben sind.

2.

Andere Hilfemöglichkeiten

Das BerHG ist „subsidiär“ formuliert, es darf auch nicht zu einer Besserstellung einer Partei gegenüber selbstzahlenden Bürger kommen und zudem soll es nach dem Willen des BVerfG nicht zu beanstanden sein, „den Anspruch auf Beratungshilfe vom Vorliegen einschränkender Voraussetzungen abhängig zu machen.“ Insbesondere soll der Rechtsuchende zunächst auch auf zumutbare andere Möglichkeiten für eine fachkundige Hilfe bei der Rechtswahrnehmung verwiesen werden können. Nach § 1 Abs. 1 Nr. 2 BerHG dürfen keine anderweitigen Hilfsmöglichkeiten zur Verfügung stehen, welche dem Rechtsuchenden zuzumuten sind. In Betracht kämen hier vor allem Sozialverwaltungen, Ausländerbehörden, Kommunen, aber auch Sozialverbände und spezialisierte Vereine. Per se scheidet danach die Beratungshilfe bereits selbstredend aus, wenn eine solche Hilfe in zumutbarer Form vorliegt. Fraglich und für ein gewisses Konfliktpotential zwischen Bürger, Gericht und Rechtsanwalt dürfte daher vor allem die Thematik um die Zumutbarkeit sein. Solche zumutbaren anderen Hilfen können sich dabei vor allem durch die Ausländerbehörde ergeben.

Das BVerfG hat noch vor wenigen Monaten entscheiden, dass die Ablehnung von Beratungshilfe für ein sozialrechtliches Widerspruchsverfahren ggfs. gegen die Rechtswahrnehmungsgleichheit (Art. 3 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1, 3 GG) verstoßen kann. Ähnliche Fälle sind in der Vergangenheit ebenfalls so entscheiden worden. Im Jahr 2009 bspw. hat das BVerfG entschieden, dass bei der Gefahr von Voreingenommenheit, Zirkelschlüssen und Interessenkollision bei einer nicht hierarchisch getrennten Behörde dieser Verweis nicht gelten soll. Dies solle z.B. im Widerspruchsverfahren gelten. Es liegt nahe, eine Beratung durch die Ausgangsbehörde als zumutbare andere Hilfsmöglichkeit abzulehnen, wenn aus Sicht des Bürgers ein Interessenkonflikt der Behörde angenommen werden könne. Bei einer Verweisung auf Beratung durch die Behörde, gegen die argumentiert werden müsse, würde es sich um einen wiederholten Versuch handeln, die Behörde von einer entgegenstehenden Rechtsansicht des Antragstellers zu überzeugen. Es sei für den Bürger schwer vorstellbar, dass die Behörde ihn in dieser Situation so berate, dass sie ihre eigene Entscheidung angreife. Das BVerfG hat aber auch schon entscheiden, dass nicht stets im Sozialrecht Beratungshilfe in Betracht kommen muss. Kann sich der Rechtsuchende selbst helfen, liegen andere Hilfen ansonsten vor – wozu es auch die Selbsthilfe zählt – kann Beratungshilfe auch ausscheiden. Während also im Sozialrecht die Lage „umstritten“ ist und stets auf den Einzelfall abzustellen ist, „verharrt“ die Rspr. zum Thema Beratungshilfe für Ausländer in seinem „Dornröschenschlaf“. Neue Erkenntnisse liegen – trotz der früheren und der jetzigen Flüchtlingsproblematik – nicht vor. Nach § 25 VwVfG besteht bei der Ausländerbehörde eine grundsätzliche Aufklärungs- und Unterstützungspflicht der Behörde. Diese Unterstützungsleistung besteht auch in uneingeschränkter Form und beschränkt sich regelmäßig nicht nur auf die Beratung oder auf die Entgegennahme von zielgerichteten Anträgen, sondern bezieht sich auch auf das für den Antragsteller bestmögliche Recht. Nach wie vor sieht daher die h.A. eine Ausländerbehörde (im Allgemeinen bei Rechtsfragen) oder konkret im Rahmen der Flüchtlingsproblematik die entsprechenden Behörden als andere Hilfe an, zumal letzteres (s.o.) häufig mit tatsächlichen Problemen verbunden sein wird. Bisher gilt die Rspr. des BVerfG, welches der Ansicht ist, dass die Ausländerbehörde als andere Hilfe anzuerkennen sei. Ebenfalls hat es entschieden, dass bei einem Verweis an die Ausländerbehörde der Grundsatz des fairen Verfahrens, Art 20 Abs. 3 GG, und die Rechtsweggarantie, Art 19 Abs. 4 GG, sowie das Gebot der Rechtsgleichheit nach Art 3 Abs. 1 GG nicht berührt werden. Die Verweisung auf die Ausländerbehörde als andere Möglichkeit der Hilfe i.S.d. § 1 Abs. 1 Nr. 2 BerHG sei angesichts der allg. Beratungspflichten der Behörde in §§ 24, 25 VwVfG nicht unzumutbar. Nach gegenwärtiger herrschender Rechtslage und angesichts klarer Entscheidungen ist daher nicht anzunehmen, dass die Ausländerbehörde als andere Hilfsmöglichkeit wegen Unzumutbarkeit ausscheide, auch wenn für den Bereich der Behördenberatung im Falle des SGB II etwas anderes gelten mag. Andererseits ist auch nicht anzunehmen, dass die Ausländerbehörde stets und immer den Bedarf nach anwaltlicher Beratungshilfe verdrängt. Wie immer ist also auf den Einzelfall abzustellen. Ergeben sich aufgrund des Sachvortrags tatsächliche Interessenkollisionen oder ist die Verweisung aus sonstigen Gründen unzumutbar (Behörde ist nicht zu erreichen) mag eine Verweisung m.E. nachvollziehbarerweise tatsächlich ausscheiden.

Etliche Gerichte argumentieren indes auch, dass die Beratung der Ausländerbehörde keine adäquate, der anwaltlichen Unterstützungsleistung gleichstehende zumutbare Hilfe darstelle. Begründet wird dies zum einen oftmals mit einer gewissen „Gegnerschaft“ wenn gerade gegen diese Behörde argumentiert werden müsse. Zum anderen solle zwar richtigerweise eine Beratungs- und Unterstützungsfunktion der Behörde wie geschildert bestehen (s.o.), diese so zu leistende „Beratung“ allerdings keiner Rechtsberatung gleichkomme. § 25 VwVfG regele danach nur die Verpflichtung der Behörde, die Abgabe von Erklärungen und Stellung von Anträgen oder deren Berichtigung anzuregen, wenn Unkenntnis des Ratsuchenden oder Unvollständigkeiten bestehen, oder Auskunft über die im Verwaltungsverfahren allgemein bestehenden Rechte und Pflichten zu erteilen. Eine weitergehende „Beratung“ finde – wie die Praxis zeige – indes oftmals nicht statt. Bei der anwaltlichen Beratung indes finde eine solche „Beschränkung“ auf einen genau abgegrenzten Beratungsgegenstand nicht statt. Vielmehr müsse ein Rechtsanwalt von sich aus darüber hinaus auch Umstände und Sachverhalte hinterfragen, die dem Begehren zum Erfolg verhelfen können. Die Frage, ob die Ausländerbehörde als andere Hilfe betrachtet werden kann oder nicht, wird m.E. zudem auch davon abhängen, in welchem Verfahrensstadium der Ratsuchende sich befindet. Auch hier können vergleiche zur Entscheidung des BVerfG vom 11.5.2009 (s.o.) herangezogen werden. Es ist hier also zunächst zwischen dem Verfahrensstadium der erstmaligen Antragstellung oder der bloßen Nachfrage, dem des Anhörungsverfahrens und dem des Widerspruchsverfahrens zu differenzieren. Für die erstmalige Nachfrage oder Antragstellung bei der Behörde sowie im Anhörungsverfahren kommt Beratungshilfe aufgrund der Hilfestellungen durch die Behörde regelmäßig wie bspw. im Sozialrecht nun auch höchstrichterlich entschieden grds. nicht in Betracht. Über Verfahrensrelevante Auskünfte kann die Behörde – ihrer gesetzlichen Verpflichtung nachkommend – regelmäßig Auskunft geben. In dem Widerspruchsverfahren vorgelagerten Anhörungsverfahren kann es einem Rechtsuchenden, der mittellos ist, ebenfalls zugemutet werden, von der zuständigen Behörde beraten zu werden. Das Anhörungsverfahren ist nicht mit dem Widerspruchsverfahren vergleichbar. Von einer Gegnerschaft zwischen Behörde und Rechtsuchendem kann hier grds. noch nicht gesprochen werden. Erst im Widerspruchsverfahren wird man sich folglich der Problematik und einer Entscheidung, welcher Ansicht man folgt, stellen müssen. Neben dem Ausländeramt oder der zuständigen Behörden sind auch Heimleitungen eines Übergangwohnheims als andere Hilfe denkbar. Ob die Heimleitung eines Übergangswohnheimes als anderweitige Hilfe in Betracht kommt oder nicht, ist umstritten. Teilweise soll sie zumindest in Betracht zu ziehen sein. Teilweise wird sie nicht als anderweitige Hilfe betrachtet. In der Rspr. wurde sie als andere Hilfsmöglichkeit – je nach Konstellation – angesehen. Neben diesen Einrichtungen wären auch caritative Einrichtungen, Interessenverbände und Sozialverbände als Hilfemöglichkeiten denkbar.

V.

Zusammenfassung

Nicht nur der Krieg in der Ukraine, auch die wirtschaftlichen Folgen werden das BerH-Verfahren aufwerten und erwartungsgemäß für einen höheren Andrang sorgen. Rechtsuchende werden zahlreicher in den Genuss der Beratungshilfe kommen, sodass sie angesichts gestiegener Preise und vor allem Energiekosten in den Bereich der Bedürftigkeit i.S.d. BerHG rutschen. Die aktuellen Freibeträge sind der Situation geschuldet anzupassen. Die Beratungsperson sollte bei der Berechnung der Bedürftigkeit die höheren Ausgaben einerseits, Einnahmen wie die EPP andererseits im Auge behalten. Hinsichtlich eventueller Fragen auf dem Gebiet des Ausländerrechts haben sich (im Allgemeinen) keine Veränderungen im Rahmen der Rspr. ergeben. Auch im konkreten erfolgten etwa anlässlich der aktuellen Krise keine Veränderungen. Selbstverständlich können auch geflüchtete Menschen, die häufig nicht nur Rechtsfragen auf dem Gebiet des hier (nur) abgehandelten Ausländerrechts Fragen haben werden, sondern in allen Rechtsgebieten, Beratungshilfe erhalten. Einen subsidiären Gerichtstand wird man am Orte des Aufenthaltes vermuten dürfen. Allerding darf sich die Beratung ebenfalls nicht nur auf sprachliche Hilfe oder Verständigungsschwierigkeiten reduzieren, denn dies stelle nach dem Willen vieler Gerichte eher eine tatsächliche als eine rechtliche Hilfe dar. Übersetzungs-, Verständigungs- oder Sprachhilfe sollen daher nicht Gegenstand der rechtlichen Beratungshilfe sein. Auch reine Schreibhilfen oder Lesehilfen begründen keinen Anspruch. Zwischenzeitlich ist diese Frage auch höchstrichterlich geklärt und soll auch im Falle eines evtl. Analphabetentum gelten.

https://www.juris.de/perma?d=jzs-AGS-2022-9-003-392

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