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Die Ermittlung des Aufstockungsunterhalts zur Berücksichtigung fiktiven Einkommens

1. Die Höhe des Aufstockungsunterhalts nach § 1573 Abs. 2 BGB ermittelt sich aus dem Unterschiedsbetrag zwischen dem tatsächlich erzielten oder erzielbaren Einkommen des Ehegatten aus einer angemessenen Erwerbstätigkeit im Sinne des § 1574 Abs. 1 und 2 BGB mit den insoweit geringeren Einkünften und dem unterhaltsrechtlich relevanten Einkommen des Ehegatten mit den höheren Einkünften.

2. Soweit der unterhaltsbedürftige Ehegatte seiner Erwerbsobliegenheit nicht nachkommt, ist die Höhe des Aufstockungsunterhalts unter Berücksichtigung eines fiktiven Einkommens zu ermitteln.

OLG Brandenburg, Beschl. v. 11.8.2020 – 13 UF 192/19

I. Der Fall

Aus der in 06/2009 geschlossenen Ehe der Beteiligten ist ein in 12/2009 geborenes Kind hervorgegangen. Seit 04/2017 leben die Beteiligten voneinander getrennt. Das gemeinsame Kind hat bis Ende 2019 im Wechselmodell gelebt. Seit 01/2020 lebt es bei der Antragstellerin.

Der Antragsgegner arbeitet vollschichtig als Beamter bei der Feuerwehr, was ihm im Zeitraum von 03 2018 bis 02 2019 ein Gesamtnettoeinkommen von 35.079 EUR eingebracht hat, darin enthalten ist ein Zuschlag wegen Mehrarbeit in Höhe von brutto 618,98 EUR und eine Jubiläumszahlung in Höhe von brutto 350 EUR. Monatlich wendet er 245 EUR für die für ihn selbst und seine Tochter abgeschlossene Krankenversicherung, 10 EUR für eine Unfallversicherung der Tochter sowie Raten in Höhe von 317 EUR zur Rückzahlung eines am 1.2.2018 auf 20.000 EUR aufgestockten Darlehens auf.

Die Antragstellerin war bis zum 07/2009 als medizinisch-technische Assistentin mit einer Arbeitszeit von 40 Stunden wöchentlich im Institut für Pathologie angestellt. Nach Beschäftigungsverbot, Mutterschutz und Erziehungsurlaub im Hinblick auf die Geburt der gemeinsamen Tochter in 12/2009 hat sie diese Tätigkeit in 02/2011 in einem Arbeitszeitumfang von wöchentlich 30 Stunden wieder aufgenommen. Sie trägt vor, nur aufgrund ihres Erziehungsurlaubs habe sie nicht zur Laborleiterin mit einem Arbeitszeitvolumen von 40 Stunden aufsteigen zu können. Inzwischen sei eine Aufstockung der Arbeitszeit auf 40 Stunden nicht möglich, weil bei ihrem Arbeitgeber kein Bedarf an Mehrarbeit bestehe. Um vergleichbare Beschäftigungen an anderen Standorten habe sie sich bemüht. Von einem Wechsel habe sie im Hinblick auf die Nachteile höherer Fahrzeiten und/oder Gehaltseinbußen abgesehen. Aktuell erzielt sie ein bereinigtes monatliches Nettoeinkommen i.H.v. 1.481 EUR.

Die Antragstellerin begehrt Zahlung eines nachehelichen Unterhalts i.H.v. 461 EUR monatlich. Das Familiengericht hat den Antragsgegner zur Zahlung von Ehegattenunterhalt in Höhe von 103 EUR monatlich für die Dauer eines Jahres verpflichtet. Mit ihrer Beschwerde erstrebt die Antragstellerin einen höheren und unbefristeten nachehelichen Unterhalt. Mit der Beschwerde hält die Antragstellerin an ihrem ursprünglichen Begehren fest.

II. Die Entscheidung

Nach Auffassung des Senats ist die Beschwerde der Antragstellerin zulässig und teilweise begründet.

1. Die Antragstellerin mache Unterhaltsansprüche aus § 1570 Abs. 1 S. 2 und 3 BGB geltend. Das Vorliegen der Voraussetzungen hierfür habe sie nach Ansicht des Senats nicht darzulegen vermocht.

Der Senat ist der Auffassung, dass im nachehelichen Unterhaltsrecht ein Betreuungsunterhalt im Falle der Bedürftigkeit als Basisunterhalt ohne weitere Voraussetzungen nur für die ersten drei Lebensjahre des zu betreuenden Kindes gewährt werden müssen. Daran könne sich eine Verlängerung anschließen, solange und soweit dies der Billigkeit entspreche. Maßstab für eine Verlängerung seien in erster Linie kindbezogene Gründe (§ 1570 Abs. 1 S. 2, 3 BGB). Eine Verlängerung könne im Rahmen der Billigkeit aber auch aus Gründen geltend gemacht werden, die ihre Rechtfertigung allein in der Ehe haben (§ 1570 Abs. 3 BGB). Maßgebend sei das in der Ehe gewachsene Vertrauen in die vereinbarte und praktizierte Rollenverteilung. Dabei ist auch die Dauer der Ehe als Kriterium genannt. Zur Frage der Billigkeit einer Verlängerung des Anspruchs über das dritte Lebensjahr des Kindes hinaus, sei eine umfassende Abwägung der Umstände vorzunehmen. Dabei sei der Grundsatz der Eigenverantwortung des geschiedenen Ehegatten (§ 1569 S. 1 BGB) und die für beide Ehegatten geltende generelle Erwerbsobliegenheit (§ 1574 Abs. 1 BGB) zu berücksichtigen.

Die Antragstellerin mache kindbezogene Gründe geltend. Im Hinblick auf den Betreuungsbedarf des gemeinsamen 10-jährigen Kindes könne sie in einem Umfang von nicht mehr als 30 Stunden wöchentlich arbeiten. Die Hausaufgaben des Kindes müssten täglich nachmittags nachkontrolliert werden, in mehreren Fächern sei zusätzliches Üben erforderlich. Eine vollschichtige Beschäftigung würde diese Tätigkeiten in die notwendigen Erholungszeiten des Kindes verlagern. Allerdings habe die Antragstellerin nicht nachgewiesen, dass in der Person des Kindes Gründe vorlägen, die einen Unterhaltsanspruch nach Ablauf der Dreijahresfrist des § 1570 Abs. 1 S. 1 BGB rechtfertigen können. Sie habe nicht substantiiert dargelegt, dass das 10-jährige Mädchen nicht ebenso gut betreut und versorgt werden könnte, wenn die Antragstellerin wöchentlich 10 Stunden mehr arbeiten würde. Die Antragstellerin habe weder dargelegt, dass es außerfamiliäre Betreuungsmöglichkeiten, die Zeiten ihrer beruflichen Abwesenheit abdecken könnten, nicht gäbe, noch dass die Inanspruchnahme solcher Betreuungsmöglichkeiten oder Dritter für Fahrdienste zu Trainings- und Sportveranstaltungen unzumutbar oder mit dem Wohl des Kindes nicht in Einklang zu bringen wäre.

2. Die Tatbestandsvoraussetzungen für einen Anspruch auf Aufstockungsunterhalt, § 1573 Abs. 2 BGB, habe die Antragstellerin dargelegt.

Nach dieser Vorschrift könne der geschiedene Ehegatte, der im Zeitpunkt der Scheidung erwerbstätig ist, den Unterschiedsbetrag zwischen seinen tatsächlichen oder fiktiven Einkünften aus einer tatsächlich ausgeübten oder ihm möglichen angemessenen Erwerbstätigkeit und seinem vollen Unterhalt nach den ehelichen Lebensverhältnissen (§ 1578 BGB) verlangen, wenn seine eigenen Einkünfte zur Deckung seines vollen Bedarfs nicht ausreichen würden.

Der Anspruch setze voraus, dass der Unterhalt begehrende geschiedene Ehegatte eine angemessene Erwerbstätigkeit ausübt, deren Einkünfte aber nicht zu seinem vollen, nach den ehelichen Lebensverhältnissen zu bestimmenden Unterhaltsbedarf ausreichen. § 1573 Abs. 2 BGB gelte auch, wenn der geschiedene Ehegatte unter Verletzung der Erwerbsobliegenheit keiner oder nur einer Teilzeitbeschäftigung nachgehen und die ihm deshalb zuzurechnenden fiktiven Einkünfte nicht ausreichen würden, um seinen vollen eheangemessenen Unterhalt zu decken.

a) Bei einer teilschichtigen Erwerbstätigkeit – wie vorliegend – habe der Berechtigte sich grundsätzlich unter Einsatz aller zumutbaren und möglichen Mittel um eine angemessene vollschichtige Erwerbstätigkeit durch Ausweitung seiner Tätigkeit bei seinem bisherigen Arbeitgeber oder um eine vollschichtige Tätigkeit bei einem anderen Arbeitgeber zu bemühen. Auch die Ausübung von zwei Teilzeitbeschäftigungen könne grundsätzlich eine angemessene Erwerbstätigkeit im Sinne von § 1574 BGB darstellen. Erforderlich sei eine intensive und zielgerichtete Arbeitssuche, die erkennen lasse, dass sich der Arbeitssuchende ernstlich und nachhaltig um die Erlangung einer einträglichen Erwerbstätigkeit bemühe.

Diesen Anforderungen würden die Erwerbsbemühungen der Antragstellerin nicht gerecht. Dass medizinisch-technische Assistentinnen mit einer der Qualifikation und Berufserfahrung wie die Antragstellerin immer wieder von Arbeitgebern für Voll- und Teilzeitstellen gesucht würden, sei anhand einer einfachen Internetrecherche leicht zu erfahren, so dass der Senat vom Bestehen realistischer Erwerbschancen ausgehe. Folge dieser Verletzung der Erwerbsobliegenheit sei, dass der Antragstellerin ein fiktives Einkommen in Höhe eines realistischerweise erzielbaren Einkommens anzurechnen und dass sie in Höhe der erzielbaren Einkünfte nicht als bedürftig anzusehen sei.

b) Grundsätzlich obliege es gemäß § 1569 BGB jedem Ehegatten, nach Rechtskraft der Scheidung selbst für seinen Unterhalt zu sorgen. Nur wenn er dazu außerstande sei, habe er gegen den anderen Ehegatten einen Anspruch auf Unterhalt nach den §§ 1570 ff. BGB. Diese Normen würden die wirtschaftliche Eigenverantwortlichkeit der Ehegatten nach der Scheidung betonen und verdeutlichen, dass nach der Unterhaltsrechtsreform der Schwerpunkt des Unterhaltsrechts wieder auf die Funktion einer Hilfe bis zum Übergang in die wirtschaftliche Selbstständigkeit verlagert werde.

Danach müsse sich die Antragstellerin ein fiktives Einkommen aus vollschichtiger Tätigkeit als medizinisch-technische Assistentin zurechnen lassen.

[Ausführungen zur Höhe der erzielbaren Einkünfte bei vollschichtiger Erwerbstätigkeit]

c) Maßgebend für den Bedarf des Unterhaltsberechtigten seien die ehelichen Lebensverhältnisse (§ 1578 Abs. I BGB). Heranzuziehen seien damit diejenigen Umstände, die für den Lebenszuschnitt der Eheleute prägend waren, auch wenn sie sich nach der Scheidung verändert hätten, also insbesondere das aktuelle Einkommen, Vermögen und berücksichtigungswürdige Belastungen. Die ehelichen Lebensverhältnisse würden nur durch solche Einkünfte geprägt, die zur Deckung des laufenden Lebensbedarfs zur Verfügung stehen und dafür eingesetzt werden können.

[Ermittlung des bereinigten Nettoeinkommens des Antragstellers und des Zahlungsanspruchs der Antragstellerin]

3. Nach § 1578b Abs. 1 BGB sei der Unterhaltsanspruch des geschiedenen Ehegatten auf den angemessenen Lebensbedarf herabzusetzen oder zeitlich zu begrenzen, wenn eine an den ehelichen Lebensverhältnissen orientierte Bemessung des Unterhaltsanspruchs oder ein unbegrenzter Anspruch auch unter Wahrung der Belange eines dem Berechtigten zur Pflege oder Erziehung anvertrauten gemeinschaftlichen Kindes unbillig wäre. Die Kriterien für die Billigkeitsabwägung würden sich aus § 1578b Abs. 1 Satz 2 und 3 BGB ergeben. Danach sei insbesondere zu berücksichtigen, inwieweit durch die Ehe Nachteile im Hinblick auf die Möglichkeit eingetreten seien, für den eigenen Unterhalt zu sorgen, oder ob eine Herabsetzung des Unterhaltsanspruchs unter Berücksichtigung der Dauer der Ehe unbillig wäre. Ein ehebedingter Nachteil des Unterhaltsberechtigten sei nur dann gegeben, wenn er konkret aufgrund der Ehe berufliche Einschränkungen erlitten habe und daher durch eigene Erwerbstätigkeit nicht das Einkommen erzielen könne, das er ohne Ehe erzielen könnte. Ehebedingte Nachteile in diesem Sinne könnten sich nach § 1578b Abs. 1 Satz 3 BGB vor allem aus der Dauer der Pflege oder Erziehung eines gemeinschaftlichen Kindes sowie aus der von den Ehegatten praktizierten Rollenverteilung im Hinblick auf Gestaltung von Haushaltsführung und Erwerbstätigkeit während der Ehe oder der Ehedauer ergeben. Lägen ehebedingte Nachteile vor, stünde dieser Umstand einer Begrenzung oder Befristung von Unterhaltsansprüchen grundsätzlich entgegen.

Die Darlegungs- und Beweislast für Umstände, die zu einer Befristung oder Beschränkung des nachehelichen Unterhalts führen können, trage grundsätzlich der Unterhaltsverpflichtete, weil § 1578b BGB als Ausnahmetatbestand konzipiert sei. Habe der Unterhaltspflichtige allerdings Tatsachen vorgetragen, die – wie z.B. die Aufnahme einer vollzeitigen Erwerbstätigkeit in dem vom Unterhaltsberechtigten erlernten oder vor der Ehe ausgeübten Beruf oder die Möglichkeit dazu – einen Wegfall ehebedingter Nachteile und damit eine Begrenzung des nachehelichen Unterhalts nahe legten, obliege es dem Unterhaltsberechtigten, Umstände darzulegen und zu beweisen, die gegen eine Unterhaltsbegrenzung oder für eine längere „Schonfrist“ sprechen würden. Das sei allerdings nur dann der Fall, wenn die Einkünfte des Unterhaltsberechtigten aus seiner ausgeübten oder der ihm zumutbaren Erwerbstätigkeit wenigstens die Einkünfte aus einer ehebedingt aufgegebenen Erwerbstätigkeit erreichen würden. Nur dann treffe ihn die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass gleichwohl ehebedingte Nachteile vorlägen, etwa weil mit der Unterbrechung der Erwerbstätigkeit während der Ehezeit Einbußen im beruflichen Fortkommen verbunden gewesen sein. Bleibe das jetzt erzielte oder erzielbare Einkommen jedoch hinter dem Einkommen aus der früher ausgeübten Tätigkeit zurück, weil eine Wiederaufnahme der früheren Erwerbstätigkeit nach längerer Unterbrechung nicht mehr möglich sei, bleibe es insoweit bei einem ehebedingten Nachteil, den der Unterhaltsschuldner widerlegen müsse.

Gemessen an diesen Grundsätzen ließen sich den Darlegungen der Antragstellerin keine ehebedingten Nachteile entnehmen. Der Antragsgegner habe vorgetragen, dass die Antragstellerin wieder in ihrem erlernten Beruf zu einer üblichen Vergütung beschäftigt sei und noch mit einem höheren Arbeitskraftanteil beschäftigt sein könnte. Dass die Antragstellerin ohne die familienbedingte Erwerbseinschränkung eine leitende Position erreicht hätte, habe er bestritten.

Die Antragstellerin habe dem im Rahmen ihrer sekundären Darlegungslast nichts von Substanz entgegengehalten. Dass mit der ca. anderthalb Jahre währenden Unterbrechung ihrer Erwerbstätigkeit während der Ehezeit Einbußen in ihrem beruflichen Fortkommen verbunden gewesen sein, habe sie nicht substantiiert vorgetragen. Der Unterhaltsberechtigte, der sich auf ehebedingte Nachteile berufe, müsse substantiiert den Vortrag des fehlenden ehebedingten Nachteils bestreiten und konkret darlegen, dass und welchen ehebedingten Nachteil er erlitten habe. Dazu gehöre regelmäßig der Vortrag der hypothetischen beruflichen Entwicklung ohne die Ehe mit der praktizierten Rollenverteilung. Ausgangspunkt und Maßstab der Prüfung sei regelmäßig die berufliche Ausbildung bzw. die erlernten beruflichen Fähigkeiten im Zeitpunkt der Eheschließung. Mangels abweichenden Vortrags des Berechtigten sei ein Normalverlauf des Berufslebens ohne besondere berufliche Entwicklungen zugrunde zu legen. Arbeite der Berechtigte wieder in seinem erlernten Beruf zur üblichen Bezahlung, wolle er aber einen hypothetischen beruflichen Aufstieg geltend machen, habe er konkret die Umstände darzulegen, aus denen sich die verpassten Aufstiegsmöglichkeiten ergeben sollen. Dabei habe er insbesondere seine Fähigkeiten, besonderen Talente und Neigungen, auch seine Bereitschaft zum Erwerb von Zusatzqualifikationen bzw. Fortbildungsbereitschaft darzulegen, seine berufliche Entwicklung vor der Ehe, die Aufschluss über seine Leistungsbereitschaft und gegebenenfalls frühe Erfolge geben könnten, die er ohne die Ehe bei durchgehender Beschäftigung erworben hätte. Er müsse darlegen, welche Karriereschritte dadurch wahrscheinlich gewesen wären, sowie die Umstände, derentwegen solche berufliche Weiterentwicklung in der Ehe nicht möglich gewesen sein. Führe der Vortrag dazu, dass die behauptete Entwicklung nur als möglich anzusehen ist, habe der Berechtigte seine Darlegungslast nicht erfüllt.

Nach Auffassung des Senats habe die Antragstellerin mehr als die bloße Möglichkeit des Aufstiegs in eine leitende Position nicht dargelegt. Die Antragstellerin berufe sich auf einen Aufstieg in „eine leitende Position“, die ihr „ein deutlich höheres Einkommen“ ermöglicht hätte, was sich zumindest „aus anderen vergleichbaren Laufbahnen ableiten“ lasse. Vor der Geburt ihres Kindes sei sie als medizinisch-technische Assistentin mit einer Arbeitszeit von 40 Stunden wöchentlich angestellt gewesen. Seit Ende der Erziehungszeit arbeite sie wöchentlich 30 Stunden. Sie habe vorgetragen, dass sie im Zuge der während ihres Erziehungsurlaubs vollzogenen Umstrukturierung ihres Labors „vermutlich in diese Position“ der stellvertretenden Laborleiterin eingerückt wäre. Ohne Erziehungsurlaub wäre sie als langjährig erfahrene Mitarbeiterin mit Zusatzqualifikation in der Histologie und Histopathologie zum Zuge gekommen. Mit diesem Aufstieg wären sowohl die Ausweitung ihrer Arbeitszeit auf 40 Stunden pro Woche als auch eine Gehaltsverbesserung verbunden gewesen. So aber sei eine andere Mitarbeiterin für diese Position eingestellt worden.

Die bei der Befristung und Herabsetzung des Unterhalts anzustellende Billigkeitsabwägung beschränke sich allerdings nicht auf den Ausgleich ehebedingter Nachteile, sondern habe darüber hinaus die vom Gesetz geforderte nacheheliche Solidarität zu berücksichtigen. Dies gelte auch für den Aufstockungsunterhalt nach § 1573 Abs. 2 BGB. Bei der Bestimmung des Maßes der im Einzelfall gebotenen nachehelichen Solidarität seien vor allem die in § 1578b BGB aufgeführten Gesichtspunkte zu berücksichtigen. Im vorliegenden Fall sei zugunsten der Antragstellerin die Ehedauer bis zur Zustellung des Scheidungsantrages von nahezu neun Jahren zu berücksichtigen, in der die Antragstellerin während der 14-monatigen Elternzeit das gemeinsame Kind betreut hat. Zu Gunsten des Antragsgegners sei zu berücksichtigen, dass durch die Rollenverteilung in der Ehe keine erhebliche wirtschaftliche Verflechtung zwischen den Ehegatten eingetreten seien. Die Antragstellerin sei vielmehr nachehelich in der Lage, an ihren vorehelichen Lebensstandard anzuknüpfen. Bei dieser Sachlage gebiete die nacheheliche Solidarität lediglich eine zeitlich begrenzte Sicherstellung eines an den ehelichen Lebensverhältnissen bemessenen Unterhalts. Es erscheine nach Abwägung aller Umstände des Einzelfalles daher billig, den Unterhaltsanspruch der Antragstellerin bis Ende Mai 2021 zu begrenzen, da das Band der nachehelichen Solidarität mit zunehmender Distanz zur Ehe eine immer weniger tragfähige Grundlage für den Unterhaltsanspruch biete.

III. Der Praxistipp

Fiktive Einkünfte bzw. deren einkommenserhöhende Anrechnung sowohl auf Seiten des Unterhaltsschuldners als auch des Unterhaltsgläubigers sind regelmäßig Gegenstand sowohl von Unterhaltsverfahren als auch dieses Infobriefes (vergleiche Infobrief 03/2021).

Die vorliegende Entscheidung setzt sich im Einzelnen mit der Erwerbsobliegenheit, deren Voraussetzungen und der konkreten Ermittlung der fiktiven Einkünfte, sofern der Unterhaltsgläubiger seiner Erwerbsobliegenheit nicht nachkommt, auseinander. Im Zuge dessen beschäftigte sich das Oberlandesgericht Brandenburg im Einzelnen und sehr konkret mit der Herabsetzung und/oder zeitlichen Begrenzung des Unterhaltsanspruchs des geschiedenen Ehegatten auf den angemessenen Lebensbedarf gemäß § 1578b Abs. 1 BGB in Form der detailreichen Billigkeitsabwägung.

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