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Die Bemessung des Betreuungsunterhalts nach dem Tod eines Elternteils, Berücksichtigung des gesamten Wohnwerts und unterhaltsrechtliche Bewertung von Zuschüssen für die dienstliche Nutzung eines vom Arbeitnehmer selbst anzuschaffenden Pkw

1. Schuldet ein Elternteil nach dem Tod des anderen Elternteils seinem fremduntergebrachten minderjährigen Kind neben dem Barunterhalt auch Betreuungsunterhalt, so ist der Betreuungsunterhalt grundsätzlich pauschal in Höhe des Barunterhalts zu bemessen. Für einen davon abweichenden Betreuungsbedarf trägt derjenige die Darlegungs- und Beweislast, der sich darauf beruft. Das gilt grundsätzlich auch dann, wenn der Unterhaltspflichtige aus der höchsten Einkommensgruppe und der dritten Altersstufe (12 bis 17 Jahre) Unterhalt schuldet.

2. Steht eine vom Unterhaltspflichtigen bewohnte Immobilie in seinem Alleineigentum, ist ihm im Rahmen der Bemessung des Unterhalts für ein minderjähriges Kind ungeachtet etwaiger Unterhaltsansprüche Dritter grundsätzlich der gesamte Wohnwert zuzurechnen.

3. Für die unterhaltsrechtliche Bewertung eines vom Arbeitgeber gewährten Zuschusses für die dienstliche Nutzung eines vom Arbeitnehmer selbst anzuschaffenden Pkw (sog. „Car Allowance“) ist zu klären, ob der grundsätzlich unterhaltsrechtlich zu berücksichtigende Zuschuss für den dienstlichen Gebrauch des Pkw aufgebraucht wird. Von den konkret bzw. pauschal bemessenen Kosten sind nur diejenigen anteilig abzusetzen, die durch die dienstliche Nutzung veranlasst sind.

BGH, Beschl. v. 21.10.2020 – XII ZB 201/19

I. Der Fall

Die Beteiligten streiten um Kindesunterhalt für die Zeit vom 05/2015 bis zum 11/2018.

Die am 8.11.2000 geborene Antragstellerin entstammt der Ehe des Antragsgegners mit der Kindesmutter, die in 04/2012 starb. Nach der erneuten Eheschließung des Antragsgegners in 05/2013 wechselte die Antragstellerin in 12/2013 in den Haushalt ihres Onkels mütterlicherseits.

Der Antragsgegner ist 12/2016 an einem Prostatakarzinom erkrankt; er hat deshalb den Status eines Schwerbehinderten mit dem Grad der Behinderung von 50. Gemäß ärztlichem Attest vom 26.9.2017 war er bis Ende 2017 nicht arbeitsfähig. Dennoch ist der Antragsgegner, der im Außendienst tätig ist, während des gesamten Kalenderjahres 2017 seiner Berufstätigkeit nachgegangen. Als Einkommensbestandteil erhält er seit 05/2015 eine sogenannte „Car Allowance“ in Höhe von monatlich 1.000 EUR. Er hat einen Pkw geleast, den er für seine berufsbedingten Fahrten zu den Kunden nutzt. In den Kalenderjahren 2015 bis 2017 erzielte der Antragsgegner Jahreseinkünfte von mehr als 80.000 EUR und erhielt gemeinsam mit seiner Ehefrau erhebliche Steuererstattungen. Bis 11/2018 bezog er für die Antragstellerin das Kindergeld und die Halbwaisenrente. Der Antragsgegner und seine neue Ehefrau leben seit 11/2017 getrennt. Er bewohnt ein in seinem Alleineigentum stehendes Einfamilienhaus, über dessen Mietwert zwischen den Beteiligten Streit besteht.

Die Antragstellerin beansprucht von dem Antragsgegner ab 01/2015 den doppelten Barunterhalt nach der höchsten Einkommensgruppe der Düsseldorfer Tabelle. Mit Jugendamtsurkunden vom 19.4.2016 und 30.4.2017 hat sich der Antragsgegner verpflichtet, der Antragstellerin bis zur Volljährigkeit einen monatlichen Unterhalt in Höhe von 539 EUR zu leisten. Seit 05/2015 zahlt er an die Antragstellerin Unterhalt in unterschiedlicher Höhe.

Das Amtsgericht hat den Antragsgegner im für das Rechtsbeschwerdeverfahren noch maßgeblichen Zeitraum der Minderjährigkeit der Antragstellerin verpflichtet, in Abänderung der Jugendamtsurkunden rückständigen Unterhalt von 05/2015 bis einschließlich 07/2018 in Höhe von insgesamt 27.611,60 EUR sowie ab 08/2018 einen monatlichen Unterhaltsbetrag von 1.496 EUR zu zahlen. Auf die Beschwerde des Antragsgegners hat das Oberlandesgericht ihn verpflichtet, für die Zeit vom 05/2015 bis 11/2018 einen Unterhaltsrückstand von 10.891,12 EUR zu zahlen. Zudem hat es die Antragstellerin verpflichtet, an den Antragsgegner einen Betrag von 1.792,70 EUR nebst Zinsen wegen zu viel geleisteten Unterhalts zu zahlen. Hiergegen wenden sich die Beteiligten mit ihren – bezogen auf den Minderjährigenunterhalt – zugelassenen Rechtsbeschwerden.

II. Die Entscheidung

Nach Auffassung des Senats habe die Rechtsbeschwerde der Antragstellerin hat Erfolg. Die Rechtsbeschwerde des Antragsgegners sei hingegen unbegründet. Diesbezüglich führt der Senat folgendes aus:

I. 1. Die Antragstellerin wende zutreffend ein, dass das Oberlandesgericht beim Kindesunterhalt den Betreuungsanteil nicht mit dem nur hälftigen Barunterhalt habe in Ansatz bringen dürfen.

a) Nach § 1606 Abs. 3 Satz 2 BGB erfülle der Elternteil eines minderjährigen unverheirateten Kindes, bei dem dieses liebe, seine Unterhaltsverpflichtung in der Regel durch dessen Pflege und Erziehung. Die Vorschrift stelle klar, dass diese Betreuungsleistungen und die Barleistungen des anderen Elternteils grundsätzlich gleichwertig sein. Damit werde das Gesetz nicht nur der gerade für das Unterhaltsrecht unabweisbaren Notwendigkeit gerecht, die Bemessung der anteilig zu erbringenden Leistungen zu erleichtern. Es trage auch der Tatsache Rechnung, dass eine auf den Einzelfall abstellende rechnerische Bewertung des Betreuungsaufwands unzulänglich bliebe. Insbesondere bestünden Bedenken, den Geldwert der Betreuung, ähnlich wie im Schadensersatzrecht beim Ausfall von Leistungen des haushaltsführenden und betreuenden Elternteils, durch den Ansatz der Aufwendungen, die für die Besorgung vergleichbarer Dienste durch Hilfskräfte erforderlich sein, oder durch ähnliche Schätzungen zu ermitteln. Denn gerade im Unterhaltsrecht sei eine Pauschalierung dringender erforderlich als im Schadensersatzrecht, weil es sich hier um ein Massenphänomen handele und deswegen schon aus Gründen der Praktikabilität erleichterte Berechnungsregeln für die gerichtliche Praxis notwendig sein. Die aus § 1606 Abs. 3 Satz 2 BGB abgeleitete Regel der Gleichwertigkeit von Bar- und Betreuungsunterhalt gelte dabei für jedes Kindesalter bis hin zum Erreichen der Volljährigkeit. Nach §§ 1601, 1610 BGB hafte zwar regelmäßig auch der andere Elternteil für den Unterhalt des Kindes, was nach § 1606 Abs. 3 BGB wegen der anteiligen Haftung bzw. der Übernahme der Betreuung des Kindes zu einer Entlastung des barunterhaltspflichtigen Elternteils führe. Sei der andere Elternteil aber – wie hier – verstorben, bleibe es grundsätzlich bei der alleinigen Haftung des überlebenden Elternteils für den Bar- und den Betreuungsunterhalt.

Zwar seien auch in Fällen einer Fremdunterbringung Ausnahmen von der Gleichwertigkeit des Barunterhalts und des Betreuungsunterhalts denkbar, etwa, wenn ein besonders hoher Betreuungsbedarf bestehe oder wenn der Betreuungsbedarf im Einzelfall durch die Höhe der Betreuungskosten konkret feststehen. Dafür trage aber derjenige Elternteil die Darlegungs- und Beweislast, der sich auf einen solchen Ausnahmefall berufe.

Entgegen der Auffassung des Oberlandesgerichts sei das unterhaltsberechtigte und fremduntergebrachte Kind bei guten bis sehr guten Einkommensverhältnissen auch nicht bessergestellt, als wenn beide Elternteile unterhaltspflichtig wären. Zu Recht weise die Rechtsbeschwerde der Antragstellerin darauf hin, dass in diesem Falle beide Elternteile ebenfalls anteilig haften müssten, und zwar für den Bar- und den Betreuungsunterhalt.

Soweit die Rechtsbeschwerde des Antragsgegners Einwände, der Betreuungsunterhalt sei im Falle des Versterbens eines Elternteils, jedenfalls soweit es über den Bezug von Halbwaisenrente und Kindergeld hinausgehe, nicht zu monetarisieren, könne ihr nicht gefolgt werden. Ihre Auffassung, mit dem Tod des betreuenden Elternteils müsse der Anspruch auf Betreuung notwendig erlöschen, sei rechtsfehlerhaft. Zwar ordne § 1615 Abs. 1 BGB an, dass der Unterhaltsanspruch mit dem Tode des Verpflichteten erlösche. Das bedeute aber nur, dass die Unterhaltsverpflichtung nicht auf dessen Erben übergehen. Es ändere nichts daran, dass der andere Elternteil gemäß §§ 1601 ff. BGB seinem minderjährigen Kind nunmehr allein zum Betreuungs- und Barunterhalt verpflichtet sei. Zudem stelle die Betreuung durch den Onkel – wie die Betreuung durch die Großeltern – eine freiwillige Leistung Dritter dar und frei den Elternteil grundsätzlich nicht von seiner Unterhaltsverpflichtung.

b) Der Senat ist der Auffassung, dass diesen Maßstäben die Entscheidung des Oberlandesgerichts nicht gerecht werde.

Insbesondere überzeuge nicht, dass es in der dritten Altersstufe und der obersten Einkommensgruppe der Düsseldorfer Tabelle an der Gleichwertigkeit von Betreuungsleistung und Barleistung fehle. Zwar möge die Frage, ob der Wert der Betreuung mit dem Alter des Kindes und dem Einkommen des Elternteils steige, im Einzelfall nicht unberechtigt sein. Maßgeblich sei aber, dass gerade im Unterhaltsrecht eine Pauschalierung aus Gründen der Praktikabilität dringend erforderlich sei. Deshalb habe der Senat unter Hinweis auf § 1606 Abs. 3 Satz 2 BGB für den Regelfall bereits entschieden, dass die Gleichwertigkeit von Bar- und Betreuungsunterhalt für jedes Kindesalter bis hin zum Erreichen der Volljährigkeit gelte.

2) Der vom Oberlandesgericht auf Seiten des Antragsgegners in Ansatz gebrachte Wohnvorteil von nur dem hälftigen Mietwert für die Zeit, in der seine neue Ehefrau mit in dem Haus gewohnt habe, halte einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

Der Unterhaltsbedarf richte sich beim Verwandtenunterhalt gemäß § 1610 Abs. 1 BGB nach der Lebensstellung des Bedürftigen (angemessener Unterhalt). Das minderjährige Kind leite seine Lebensstellung von seinen Eltern ab. Die für die Höhe des Unterhalts maßgebende Lebensstellung der Eltern werde in der Praxis vorzugsweise nach dem verfügbaren Einkommen bestimmt, woran sich auch die Düsseldorfer Tabelle orientiere. Habe das Kind nur noch einen Elternteil, leite sich dessen Lebensstellung folgerichtig nur noch von den Einkünften dieses Elternteils ab. Die Leistungsfähigkeit eines Unterhaltspflichtigen werde nach ständiger Rechtsprechung des Senats nicht nur durch seine Erwerbseinkünfte, sondern in gleicher Weise durch Vermögenserträge und sonstige wirtschaftliche Nutzungen bestimmt, die er aus seinem Vermögen siehe. Dazu könnten auch die Gebrauchsvorteile eines Eigenheims zählen, denn durch das Bewohnen eines eigenen Hauses oder einer Eigentumswohnung im Falle die Notwendigkeit der Mietzahlung, die in der Regel einen Teil des allgemeinen Lebensbedarfs ausmachen.

Gehe es um die Bemessung des Unterhalts für ein minderjähriges Kind, sei die Höhe des Wohnwerts grundsätzlich mit der bei einer Fremdvermietung erzielbaren objektiven Marktmiete zu bemessen. Dies beruhe auf der sich aus § 1603 Abs. 2 Satz 1 BGB ergebenden besonderen Verantwortung der Eltern für den Unterhalt ihrer minderjährigen Kinder. Die Eltern treffe deshalb eine besondere Verpflichtung zum Einsatz der eigenen Arbeitskraft und zur Ertrag bringenden Nutzung von Vermögenswerten. Wenn in dieser Hinsicht mögliche und zumutbare Anstrengungen unterlassen würden, könnten deswegen nach ständiger Rechtsprechung des Senats auch insoweit nicht nur die tatsächlichen, sondern ebenfalls fiktiv erzielbare Einkünfte berücksichtigt werden.

Stehe eine vom Unterhaltspflichtigen bewohnte Immobilie in seinem Alleineigentum, sei ihm unbeschadet etwaiger Unterhaltsansprüche Dritter grundsätzlich der gesamte Wohnwert zuzurechnen. Das gelte auch dann, wenn die neue Ehefrau des Unterhaltspflichtigen mit in dem Eigenheim lebe. Zum einen sei ihr Unterhaltsanspruch gegenüber dem hier in Rede stehenden Unterhaltsanspruch des minderjährigen Kindes gemäß § 1609 BGB nachrangig. Zum anderen ändere die Wohnungsüberlassung an die Ehefrau nichts daran, dass der Unterhaltspflichtige als Alleineigentümer das alleinige Nutzungsrecht an der Immobilie habe und grundsätzlich zur Verwertung des Eigenheims verpflichtet und in der Lage sei. Dem Umstand, dass er damit seiner (Familien-)Unterhaltsverpflichtung nachkomme, werde nicht zuletzt dadurch Rechnung getragen, dass dies bei der Einordnung in der jeweiligen Einkommensgruppe der Düsseldorfer Tabelle berücksichtigt werde (vgl. Senatsurteil BGHZ 178, 79 = FamRZ 2008, 2189 Rn 17 ff.).

3. Auch die einkommensrechtliche Beurteilung des Zuschusses für einen Dienstwagen sei nicht frei von Rechtsfehlern.

a) Die Frage, wie die so genannte „Car Allowance“, also ein vom Arbeitgeber gewährter Zuschuss für die dienstliche Nutzung eines vom Arbeitnehmer selbst anzuschaffenden Pkw, unterhaltsrechtlich zu beurteilen sei, sei – soweit ersichtlich – bislang in der unterhaltsrechtlichen Rechtsprechung und Literatur noch nicht beantwortet.

Bei einem vom Arbeitgeber zur Verfügung gestellten Dienstwagen gehe es allein um die Bewertung, welcher Sachwert dem Unterhaltspflichtigen durch die Möglichkeit der privaten Nutzung zufließen, ohne dafür die entsprechenden Kosten aufbringen zu müssen. Vorliegend sei zu klären, ob der grundsätzlich unterhaltsrechtlich zu berücksichtigende Zuschuss von monatlich 1.000 EUR für den dienstlichen Gebrauch des Pkw aufgebraucht werde. Deswegen seien von den konkret bzw. pauschal bemessenen Kosten nur diejenigen anteilig abzusetzen, die durch die dienstliche Nutzung veranlasst sein.

Die Bemessung der dienstlich veranlassten Aufwendungen nach § 287 ZPO sei in erster Linie Sache des Tatrichters. Sie ist rechtsbeschwerderechtlich nur daraufhin überprüfbar, ob der Tatrichter erhebliches Vorbringen der Beteiligten unberücksichtigt gelassen, Rechtsgrundsätze der Bemessung verkannt, wesentliche Bemessungsfaktoren außer Betracht gelassen oder seiner Schätzung unrichtige Maßstäbe zugrunde gelegt habe.

b) Dem werde nach Auffassung des Senats die angefochtene Entscheidung nicht in jeder Hinsicht gerecht. Dass das Oberlandesgericht von den Einkünften des Antragsgegners monatlich die Kosten für das Auto in Form der Leasingrate, der Kraftfahrzeugversicherung und -steuer sowie einer Kilometerpauschale abgezogen habe, sei im Ansatz von Rechts wegen nicht zu beanstanden, auch wenn eine pauschale Berücksichtigung im Umfang der dienstlich veranlassten Fahrleistung möglich gewesen wäre. Dabei bewege es sich auch unter Beachtung der Angriffe der Rechtsbeschwerde der Antragstellerin noch im tatrichterlichen Ermessen, wenn das Oberlandesgericht hinsichtlich der berufsbedingten Fahrtkosten zusätzlich eine geringere Kilometer-Pauschale von 0,20 EUR in Ansatz gebracht habe. Allerdings habe es nicht erwogen – was die Rechtsbeschwerde der Antragstellerin zu Recht einwendet -, dass der Antragsgegner das Fahrzeug auch privat nutzen könne. Deshalb habe es die Beträge für die Kraftfahrzeugversicherung, die -steuer und die Leasingrate nicht ohne weitere Prüfung des Umfangs der privaten Nutzung vollständig vom Einkommen abziehen dürfen.

4. Auch begegnete die durch das Oberlandesgericht für das Jahr 2017 erfolgte Bemessung des Einkommens des Antragsgegners im Hinblick auf seine Krebserkrankung mit zwei Dritteln seiner bereinigten Einkünfte rechtlichen Bedenken.

a) Allerdings könne das aus einer überobligatorischen Tätigkeit erzielte Einkommen des Unterhaltspflichtigen nach der Rechtsprechung auch beim Kindesunterhalt teilweise anrechnungsfrei bleiben.

Überobligatorisch sei eine Tätigkeit dann, wenn für sie keine oder nur eine eingeschränkte Erwerbsobliegenheit besteht und deshalb derjenige, der sie ausübt, unterhaltsrechtlich nicht daran gehindert sei, sie jederzeit zu beenden oder zu reduzieren. Es entspreche der Rechtsprechung des Senats, dass auch beim Verwandtenunterhalt (§ 1601 BGB) das Einkommen des Unterhaltspflichtigen nur eingeschränkt zu berücksichtigen sei, wenn es auf einer überobligatorischen Tätigkeit beruhe und eine vollständige Heranziehung des Einkommens zu Unterhaltszwecken gegen Treu und Glauben nach § 242 BGB verstieße.

Es sei ferner in Rechtsprechung und Literatur anerkannt, dass die Tätigkeit eines Unterhaltspflichtigen auch dann als ganz oder teilweise überobligatorisch bewertet werden könne, wenn die Ausübung der Erwerbstätigkeit mit an sich unzumutbaren gesundheitlichen Belastungen verbunden sei. Wer sich gegenüber seiner Erwerbsobliegenheit auf eine krankheitsbedingte Einschränkung seiner Erwerbsfähigkeit berufen wolle, müsse grundsätzlich Art und Umfang der behaupteten gesundheitlichen Beeinträchtigungen oder Leiden angeben und habe ferner darzulegen, inwieweit die behaupteten gesundheitlichen Störungen sich auf die Erwerbsfähigkeit auswirkten.

b) Diesen Anforderungen genüge die vom Oberlandesgericht gegebene Begründung nicht. Es habe sich darauf beschränkt, festzustellen, dass der Antragsgegner seit Dezember 2016 an Krebs erkrankt und laut einem ärztlichen Attest bis Ende 2017 nicht arbeitsfähig gewesen sei. Das Oberlandesgericht ist von der Prämisse ausgegangen, dass der Antragsgegner den Krankheitsverlauf und die durchgeführten Therapiemaßnahmen nicht näher dargelegt habe. Entsprechende Feststellungen wären aber nach den dargestellten Maßgaben erforderlich gewesen, zumal der Antragsgegner nach den getroffenen Feststellungen gerade im Jahr 2017 überdurchschnittlich gut verdient habe.

5. Die Ausführungen des Oberlandesgerichts zur Berücksichtigung des Splittingvorteils bei der Bemessung des Kindesunterhalts stünden zwar in Einklang mit der Senatsrechtsprechung. Die hierzu getroffenen Feststellungen rechtfertigten eine entsprechende Einkommensbemessung indessen nicht.

a) Zutreffend sei die Auffassung des Oberlandesgerichts, dass ein Verbot der Teilhabe am steuerlichen Splittingvorteil beim Kindesunterhalt nicht bestehe. Vielmehr gelte insoweit der allgemeine Grundsatz, dass alle Einkommensbestandteile und somit auch der Splittingvorteil für den Kindesunterhalt herangezogen werden könnten, und zwar sowohl bei der Ermittlung des Bedarfs nach § 1610 BGB als auch bei der Leistungsfähigkeit nach § 1603 BGB. Der aus der Ehe resultierende Splittingvorteil sei beim Kindesunterhalt immer dann uneingeschränkt einkommenserhöhend zu berücksichtigen, wenn er auf dem alleinigen Einkommen des Unterhaltspflichtigen beruhe. Nur dann, wenn der Ehegatte des Unterhaltspflichtigen – wie hier – eigene steuerpflichtige Einkünfte beziehen, sei der Splittingvorteil auf den Unterhaltspflichtigen und seinen Ehegatten zu verteilen, allerdings nicht nach einem Halbteilungsmaßstab, sondern nach dem Maßstab einer fiktiven Einzelveranlagung beider Ehegatten.

b) Dem sei das Oberlandesgericht nur im Ansatz gerecht geworden. Allerdings habe es sich dabei mit den nur „lückenhaft“ vorgelegten Unterlagen begnügt, anstatt die konkrete Steuerlast zu ermitteln. Weil die angefochtene Entscheidung auch in anderen Punkten – wie etwa beim Wohnvorteil – konkrete Feststellungen vermissen lasse, sei eine verbindliche Unterhaltsberechnung nicht möglich.

II. Die Rechtsbeschwerde des Antragsgegners sei nach Auffassung des Senats hingegen unbegründet.

1. Zu Recht sei das Oberlandesgericht davon ausgegangen, dass die Halbwaisenrente und das Kindergeld auf den Unterhaltsbedarf der Antragstellerin in vollem Umfang anzurechnen seien. Der Anspruch auf Verwandtenunterhalt setze nach § 1602 Abs. 1 BGB die Unterhaltsbedürftigkeit des Berechtigten voraus. Dieser Grundsatz sei für minderjährige unverheiratete Kinder durch § 1602 Abs. 2 BGB dahin eingeschränkt, dass sie den Stamm ihres Vermögens nicht anzugreifen brauchten. Eigenes Einkommen des Kindes mindere jedoch dessen Unterhaltsbedürftigkeit und damit auch seinen Unterhaltsanspruch. Das gelte grundsätzlich für Einkommen jeder Art, einschließlich der nicht subsidiären Sozialleistungen. Entsprechend sei auch die der Antragstellerin zustehende Halbwaisenrente in vollem Umfang auf ihren gesamten Unterhaltsbedarf anzurechnen.

Daneben sei auf den vollen Unterhaltsbedarf der Antragstellerin auch ihr gesamtes Kindergeld anzurechnen. Denn das Kindergeld werde als öffentliche Sozialleistung gewährt, um den Eltern die Unterhaltslast gegenüber ihren Kindern zu erleichtern. Sei nach dem Tode eines Elternteils der andere in vollem Umfang unterhaltspflichtig, diene das Kindergeld folglich allein seiner Entlastung, so dass es dann grundsätzlich in vollem Umfang auf den geschuldeten gesamten Unterhaltsbedarf anzurechnen sei.

2. [Ausführungen zur behaupteten Weiterleitung des Kindergeldes]

III. Der Praxistipp

Ausgangspunkt der Entscheidung des BGH ist die Differenzierung zwischen Bar- und Betreuungsunterhalt gemäß § 1606 Abs. 3 S. 2 BGB bis zum Eintritt der Volljährigkeit des unterhaltsberechtigten minderjährigen Kindes, welche nach gefestigter Rechtsprechung des BGH aus grundsätzlich gleichwertig anzusehen sind.

Von diesem Grundsatz gibt es zum einen die Ausnahme des Wechselmodell sowie den vorliegenden Fall, nämlich das Versterben eines Elternteils und der damit einhergehenden Fremdunterbringung des unterhaltsberechtigten minderjährigen Kindes. Im letztgenannten Fall sind die Einkünfte des – noch lebenden – Elternteils zur Ermittlung des Unterhaltsbedarfs heranzuziehen. Allerdings bestimmt sich der Bedarf des Kindes anhand des doppelten Tabellenbetrags, von dem jedoch bedarfsdeckend das volle Kindergeld sowie die Halbwaisenrente des Kindes in Abzug zu bringen ist.

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