Einführung
Nachdem im ersten Teil dieser Beitragsreihe über die Einsetzung, Besetzung und Vorgehensweise der Reformkommission sowie über ihre Überlegungen zum Einsatz von „digitalen Werkzeugen für den Zivilprozess“ berichtet wurde, werden im vorliegenden zweiten Teil die Vorschläge zur Schaffung von „Rahmenbedingungen für eine effektive Ziviljustiz“ und zur „Effektivierung des Erkenntnisverfahrens“ untersucht.
Rahmenbedingungen für eine effektive Ziviljustiz
Keine weitere obligatorische vorgerichtliche Streitschlichtung/Nullte Instanz
Die Reformkommission befürwortet weder einen Ausbau der obligatorischen Schlichtung nach § 15a EGZPO noch die Schaffung einer sog. „Nullten Instanz“, in der beidseitiger Vortrag erfolgt und sodann entweder maschinell unterstützt oder durch einen Mediator bzw. eine nicht-richterliche Hilfsperson Vergleichsverhandlungen geführt werden, die zu einem vollstreckbaren Vergleich oder einer vorläufig vollstreckbaren Entscheidung führen.
Förderung der Spezialisierung der Richterschaft
Die Reformkommission befürwortet, auch als Konsequenz auf einen Trend in der Anwaltschaft zu einer immer stärkeren Spezialisierung, eine weitergehende Spezialisierung der Ziviljustiz. Sie regt an, die Sachgebietskataloge gemäß § 72a Abs. 1 und § 119a Abs. 1 GVG maßvoll zu erweitern. Des Weiteren sollen die Spezialzuständigkeiten möglichst weitgehend den originär der Kammer zugewiesenen Streitigkeiten nach § 348 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 ZPO angeglichen werden. Auf die Notwendigkeit begleitender personalwirtschaftlicher und organisatorischer Maßnahmen, um Richterinnen und Richter zu einer persönlichen Spezialisierung zu motivieren, wird ausdrücklich hingewiesen.
Stärkung des Kammerprinzips
Ebenso empfiehlt die Reformkommission die Stärkung des Kammerprinzips. Zwar sieht der aktuelle § 348 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 ZPO in den dort genannten Spezialfällen die originäre Kammerzuständigkeit vor, jedoch erfolgt in der Praxis in großem Umfang eine Übertragung auf den Einzelrichter. In Katalogsachen im Sinne des § 348 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 ZPO soll unabhängig davon, ob eine Spezialkammern eingerichtet wurde, stets die gesamte Kammer originär zuständig sein. Ebenso wenn sich aus dem Streitwert ergibt, dass sich der Rechtsstreit in seiner wirtschaftlichen Bedeutung deutlich aus der Mehrzahl Fälle heraushebt. Als Schwelle wird ein Streitwert von 100.000 EUR vorgeschlagen.
In diesen Fällen der originären Kammerzuständigkeit soll die Übertragung des Rechtsstreits auf den obligatorischen Einzelrichter bei beiderseitigem Widerspruch der Parteien ausgeschlossen sein. Ist bereits eine Übertragung auf den Einzelrichter erfolgt, führt ein übereinstimmender Antrag zu einer verpflichtenden Rückübernahme durch die gesamte Kammer. Wurde ein in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht komplexes Verfahren trotz originärer Kammerzuständigkeit auf den Einzelrichter übertragen, soll der Rechtsstreit auch auf einseitigen Parteiantrag auf die Kammer rückübertragen werden müssen. Die Reformkommission spricht sich für die Aufstellung von klaren und infolgedessen nicht besonders streitanfälligen Kriterien für einen solchen Rückübertragungsanspruch aus, z.B. wenn das Verfahren bereits zwei Jahre anhängig und ein Verfahrensende nicht innerhalb der nächsten sechs Monate absehbar ist oder wenn ein Wechsel des Einzelrichters erfolgt. Eine Rückübertragung auf die Kammer soll allerdings nur erfolgen, sofern hierdurch eine Verfahrensbeschleunigung zu erwarten ist. Dies wäre beispielsweise nicht der Fall, wenn die Wiederholung einer umfassenden Beweisaufnahme notwendig würde.
Reform der Kammern für Handelssachen
Die Zuständigkeiten der Kammern für Handelssachen sollen reformiert werden. Der Zuständigkeitskatalog (§ 95 GVG) soll überprüft werden. Des Weiteren soll geprüft werden, ob Rechtsstreitigkeiten, für die eine Spezialkammerzuständigkeit besteht, künftig dort und nicht vor der Kammer für Handelssachen geführt werden. Die Besetzung der Kammern für Handelssachen soll passgenauer gestaltet werden, indem Handelsrichterinnen und -richter mit passender Expertise hinzugezogen werden können und ggf. die Zahl der Berufsrichterinnen und Berufsrichter im Sinne einer großen Besetzung erhöht werden kann.
Veröffentlichungspflicht gerichtlicher Entscheidungen
Eine Veröffentlichungspflicht gerichtlicher Entscheidungen soll gesetzlich normiert werden. Ziele sind die Stärkung der Transparenz, die Steigerung des Vertrauens in den Rechtsstaat, die Ermöglichung der Rechtsfortbildung, die Wahrung der Rechtseinheit, die Ermöglichung eines Trainings von Legal-Tech und KI-gestützten Anwendungen durch Justiz, Anwaltschaft und Wissenschaft sowie der quantitativen Rechtstatsachenforschung. Die Veröffentlichungspflicht soll sich grundsätzlich auf alle mit Gründen versehenen gerichtlichen Entscheidungen und Beschlüsse erstrecken. Perspektivisch sei auch die Veröffentlichung nichtverfahrensbeendender, begründeter Entscheidungen und Beschlüsse zum Training von KI denkbar. In Betracht käme eine stufenweise Umsetzung, beispielsweise nach Instanzen. Eine umfassende Veröffentlichungspflicht ist erst nach Entwicklung zuverlässiger Anwendungen zur automatisierten Anonymisierung oder Pseudonymisierung von Gerichtsentscheidungen umsetzbar. Eine Konsequenz der umfassenden Entscheidungsveröffentlichung ist, dass sie eine Profilbildung von Richterinnen und Richtern ermöglicht. Somit ist zu prüfen, ob die Schaffung einer Norm, die ein Richterprofiling untersagt, angezeigt ist.
Effektivierung des Erkenntnisverfahrens
Reform der Struktur des Erkenntnisverfahrens
Erstinstanzliches Verfahren vor dem Landgericht
Das Erkenntnisverfahren soll modernisiert werden. Wird im ersten Rechtszug vor dem Landgericht verhandelt, soll neben einem mündlichen Verfahren auch ein schriftliches Verfahren in Betracht kommen. Der Grundsatz der Mündlichkeit soll jedoch als prägendes Element des Zivilprozesses erhalten bleiben. Auf „sinnentleerte“ mündliche Verhandlungen, in denen nur auf die Anträge in den Schriftsätzen Bezug genommen wird, soll daher künftig verzichtet und das Verfahren stattdessen schriftlich geführt werden. Die Wahl der Verfahrensart stellt eine freie, nicht nachprüfbare Ermessensentscheidung der oder des Vorsitzenden dar, die nach Eingang der Klageerwiderung ergeht. Die Wahl der Verfahrensart kann geändert werden.
Durchführung des mündlichen Verfahrens
Ein mündliches Verfahren ist durchzuführen, wenn eine Güteverhandlung durchgeführt werden soll, im Sitzungstermin mittels Beweisaufnahme oder im Wege einer Parteianhörung Tatsachen aufgeklärt oder Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung i.S.d. § 543 Abs. 2 Nr. 1 ZPO erörtert werden sollen. Zudem ist auf Antrag einer Partei in der Klage bzw. der Klageerwiderung eine mündliche Verhandlung durchzuführen, wobei diese voraussetzt, dass die Partei selbst bzw. vertreten durch einen gesetzlichen oder umfassend bevollmächtigten Vertreter bei Gericht in Person erscheinen möchte. Zweckwidrigen Anträgen könnte durch eine Reform des Kosten- und Gebührenrechts begegnet werden.
Erweiterung des zivilprozessualen Instrumentenkoffers
Der Erlass eines Versäumnisurteils gegen einen Beklagten, der sich nicht verteidigt, bleibt weiterhin möglich. Das schriftliche Verfahren soll in Anlehnung an § 128 Abs. 2 S. 2 ZPO ausgestaltet werden.
Die bisherigen Instrumente zur Verfahrensförderung sollen erweitert werden. Insbesondere für komplexe Verfahren, aber auch für andere Fälle, in denen eine für Parteien und Gericht verbindliche Planung der verschiedenen Verfahrensschritte sinnvoll erscheint, wird die Möglichkeit zur Durchführung eines „Organisationstermins“, einer möglichst per Videokonferenz durchzuführenden Besprechung mit den Parteien, in der ein für die Parteien, deren Prozessbevollmächtigte und das Gericht verbindlicher Zeitplan mit Fristen und Terminen, von dem nur aus wichtigem Grund abgewichen werden darf, festgelegt wird, für sinnvoll erachtet (siehe III. 2. a). Zudem soll eine weitere Sonderform der gerichtlichen Hinweispflicht, der sog. verfahrensleitende Hinweis, eingeführt werden, durch den sichergestellt werden soll, dass sich der Parteivortrag auf die entscheidungserheblichen tatsächlichen Umstände konzentriert und diese vollständig vorgetragen werden (siehe III. 2. b).
Das Gericht soll durch Gesetz dazu angehalten werden, künftig bereits in einem frühen Stadium den Prozess zu fördern und eine aktivere Richterrolle einzunehmen. Je nach Verfahren sollen entweder nach Eingang der Klageerwiderung oder nach Eingang der Replik bzw. dem fruchtlosen Ablauf der Replikfrist binnen 6 Wochen verfahrensfördernde Maßnahmen getroffen werden. Diese Frist darf aus einem wichtigen Grund, z.B. Verlegung des geplanten Termins aus erheblichen Gründen (§ 227 ZPO), schwebende Vergleichsverhandlungen, Überlastung des Gerichts, Urlaub oder sonstige Verhinderungen eines Mitglieds des Gerichts oder der Prozessbevollmächtigten sowie Schwierigkeiten in der Sache überschritten werden. Verfahrensfördernde Maßnahmen sind: ein umfassend vorbereiteter Haupttermin, wobei die Ladung, wenn sie innerhalb der Frist erfolgt, ausreichend ist, wenn sie mit einem verfahrensleitenden Hinweis kombiniert wird, die Durchführung eines Organisationstermins in Kombination mit einem verfahrensleitenden Hinweis, ggf. in Kombination mit weiteren Hinweisen, einem schriftlichen Vergleichsvorschlag, Strukturierungsanordnungen für das Verfahren oder den Parteivortrag oder einem vorterminlichen Beweisbeschluss oder das Hinwirken auf eine gütliche Streitbeilegung, z.B. durch Verweisung an einen Güterichter (§ 278 Abs. 5 ZPO) oder den Vorschlag einer außergerichtlichen Mediation (§ 278a ZPO).
Darüber hinaus ist weiterhin, in Anlehnung an den künftig nicht mehr vorgesehenen frühen ersten Termin nach § 275 ZPO, ein sog. „schneller Termin“ möglich, der der Vorbereitung eines späteren Haupttermins oder einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren dient. Er ist beispielsweise angezeigt, wenn durch Anhörung der Parteien Unklarheiten im Sachvortrag aufgeklärt oder Hinweise mit den Parteien besprochen werden sollen. Es dürfte vielfach sinnvoll sein, ihn mit einer Güteverhandlung zu kombinieren. Er soll mit dem Eingang der Klageerwiderung anberaumt werden und innerhalb der Frist von sechs Wochen nach Eingang der Replik stattfinden. Führt der Termin nicht zu einer Beendigung des Verfahrens sind die weiteren notwendigen verfahrensfördernden Maßnahmen im Termin oder unmittelbar im Anschluss an diesen vorzunehmen.
Amtsgerichtliches Verfahren
Im amtsgerichtlichen Verfahren bleibt die Möglichkeit, einen frühen ersten Termin anzuberaumen (§ 275 ZPO) sowie in Bagatellverfahren das Verfahren nach billigem Ermessen zu gestalten (§ 495a ZPO), bestehen.
Rechtsmittelinstanzen
Auch in der Rechtsmittelinstanz soll künftig die Wahl des Vorsitzenden zwischen einem mündlichen und schriftlichen Verfahren bestehen. Abweichend zur ersten Instanz soll ein Recht der Partei auf Erscheinen vor Gericht nur bestehen, wenn nicht bereits zuvor im Instanzenzug eine mündliche Verhandlung stattgefunden hat.
Auch das Berufungsgericht soll frühe verfahrensfördernde Maßnahmen binnen sechs Wochen nach Eingang der Berufungserwiderung bzw. des Ablaufs der Berufungserwiderungsfrist vornehmen. In den aktuell unter § 522 Abs. 2 ZPO fallenden Verfahren dürfte sich ein schriftlicher Hinweis mit einer anschließenden Entscheidung im schriftlichen Verfahren anbieten.
Obligatorische frühe Verfahrensförderung
Organisationstermin
Der Organisationstermin beruht auf dem in der Schiedsgerichtsbarkeit erfolgreich eingesetzten Konzept der „case management conference“. Er dient der Erstellung eines Verfahrensplans, in dem die Fristen für die Einreichung von Schriftsätzen und Beibringung von Beweismitteln festgelegt und Termine zur mündlichen Verhandlung und zur Beweisaufnahme bestimmt werden. Die Möglichkeit der Bestimmung von nach geltender Rechtslage durch das Gericht zu bestimmenden Schriftsatzfristen und Terminen kann beim Gericht verbleiben, das im Organisationstermin vorgebrachten Vortrag der Parteien, der auch aktuell für eine Fristverlängerung bzw. eine Terminsverlegung relevant wäre, berücksichtigt. Weitere Regelungen, z.B. eine Einigung über die Zahl der Schriftsatzrunden, bedürfen zwingend einer Einigung der Parteien. Es können auch Hinweise erteilt oder Anordnungen zur Verfahrensstrukturierung und Abschichtung erlassen werden. Der Organisationstermin soll möglichst schlank ausgestaltet werden. Er wird in der Regel durch den Vorsitzenden geleitet, der dies auf ein Mitglied des Spruchkörpers delegieren kann. Im Regelfall soll er als Videokonferenz, ggf. auch telefonisch stattfinden. Die Ergebnisse des Organisationstermins werden schriftlich festgehalten und bekannt gegeben. Der Verfahrensplan bindet im Falle eines Richterwechsels grundsätzlich auch den Nachfolger. Entstehen im Nachhinein Gründe, aus denen sich der Verfahrensplan nicht einhalten lässt, ist dieser anzupassen. Beruht der Verfahrensplan auf einer Einigung der Parteien und nicht auf einer gerichtlichen Anordnung, soll eine Nichteinhaltung zur Präklusion führen, unabhängig davon, ob sie zu einer Verzögerung des Verfahrens führt. Der Organisationstermin ist nicht obligatorisch, sondern ein Teil des Instrumentenkoffers verfahrensfördernder Maßnahmen.
Ausweitung der allgemeinen Hinweispflichten und verbindliche Anordnungen zur Verfahrensstrukturierung und Abschichtung des Prozessstoffs
Ausweitung der allgemeinen Hinweispflichten
Die allgemeinen Hinweispflichten nach § 139 ZPO sollen ausgeweitet werden. Zu einer Änderung der Präklusionsvorschriften der §§ 282 Abs. 2, 296 Abs. 2 ZPO hat die Reformkommission über die Anregung, eine Vermutung für die nach § 296 Abs. 2 ZPO erforderliche grobe Nachlässigkeit zu schaffen, keine Empfehlung abgegeben.
Verbindliche Anordnungen zur Verfahrensstrukturierung und Abschichtung des Prozessstoffs (verfahrensleitender Hinweis)
Das Gericht soll so früh wie möglich prozessleitende Anordnungen zur Verfahrensstrukturierung und Abschichtung des Prozessstoffs erlassen, die verbindlich ausgestaltet werden sollen. Im Abschlussbericht wird zwar festgestellt, dass es Maßnahmen zur Durchsetzung der verfahrensstrukturierenden und abschichtenden Anordnungen bedarf, jedoch kein Vorschlag dazu gemacht, wie diese auszugestalten sind. Eine frühe Strukturierung soll durch einen obligatorischen Organisationstermins oder verfahrensleitenden Hinweis binnen sechs Wochen nach Klageerwiderung erreicht werden.
Weitere Abschichtungsmaßnahmen wurden diskutiert und abgelehnt.
Verbindliche formelle Strukturierung des Parteivortrags
Gesetzliche Vorgaben zum maximalen Umfang des Parteivorbringens, z.B. durch Festlegung einer Seiten- oder Zeichenanzahl, die nur in Ausnahmefällen überschritten werden darf, erachtetet die Reformkommission für praktisch kaum umsetzbar.
Ebenfalls abgelehnt wird ein sog. strukturierter Parteivortrag durch abstrakte gesetzliche Strukturvorgaben, z.B. eine chronologische Ordnung.
Sinnvoll könnte die Trennung von Tatsachen- und Rechtsvortrag im Parteivorbringen sein. Da dies Naturalparteien überfordern und Abgrenzungsschwierigkeiten bestehen könnten, gibt die Reformkommission jedoch keine entsprechende Empfehlung ab.
Dem Gericht ermöglicht werden die formelle Strukturierung des Parteivortrags verbindlich vorzugeben. Vorgaben sollen einzelfallbezogen durch das Gericht erfolgen. Als zielführend werden Umfangsbegrenzungen nur in Ausnahmefällen und ansonsten Maßnahmen, die die Parteien – in Fällen, in denen dies angezeigt ist – zu einem auf den Einzelfall konzentrierten Vortrag anhalten, angesehen. Dem Gericht soll es möglich sein, möglichst frühzeitig durch aktives Verfahrensmanagement, „mit Augenmaß“ – ohne die anwaltliche Unabhängigkeit zu beschränken – Vorgaben zum Aufbau und zur Gliederung des Sachvortrags zu machen. Denkbar ist eine Strukturierung nach Tatsachenkomplexen, Anspruchsgrundlagen oder Beweisthemen. Als Sanktion von entgegen der Strukturierungsanordnung erfolgendem Vortrag bietet sich dessen Unbeachtlichkeit an.
Belebung der mündlichen Verhandlung
Die mündliche Verhandlung soll nur in Fällen durchgeführt werden, in denen von ihr ein Mehrwert zu erwarten ist. Findet eine mündliche Verhandlung statt, soll sie grundsätzlich eine Einführung in den Sach- und Streitstand durch das Gericht und eine nachfolgende Erörterung umfassen, so dass eine transparente Darstellung der Positionen des Gerichts und der Parteien gewährleistet ist.
Die Parteien sollen bereits in der Klage bzw. Klageerwiderung erklären, ob sie eine mündliche Verhandlung vor Ort oder als Videoverhandlung durchführen möchten.
Begrenzung der Einführung neuer prozessualer Ansprüche
Dem Gericht soll die Möglichkeit eröffnet werden, die Einführung neuer prozessualer Ansprüche mittels Fristsetzung zeitlich zu begrenzen.
Beweisrecht
Privilegierung von Nachrichten mit Accounts mit hinreichender Authentifizierung / DE-Mail
Da der Betrieb von De-Mail durch die meisten Telekommunikationsanbieter und mit Wirkung zum 31.8.2024 auch durch die Bundesregierung eingestellt wurde, soll die Privilegierung des § 371a Abs. 2 ZPO gestrichen werden. Stattdessen soll eine Privilegierung von Nachrichten, die von einem Account mit einer hinreichenden Authentifizierung versandt wurden, geschaffen werden.
Videoaufzeichnung von Zeugenaussagen bzw. Sachverständigen
Zusätzlich zu der schriftlichen Vernehmung gemäß § 377 Abs. 3 ZPO soll in geeigneten Fällen die Videoaufnahme des Zeugen oder Sachverständigen in Betracht kommen.
VR-Technologie/digitale Zwillinge
Die Nutzbarmachung von VR-Technologie bzw. digitalen Zwillingen im Rahmen der Beweisaufnahme soll durch eine ausdrückliche Klarstellung im Gesetz und eine hinreichende technische Ausstattung der Gerichte ermöglicht werden.
Dauerhafte Aufbewahrung der Bild-/Ton-Aufzeichnung relevanter Beweisaufnahmen
Wenn eine Verwertung der Zeugenaussage in Parallelverfahren oder wenn mit ihrer Verschriftlichung im Sitzungsprotokoll ein erheblicher Beweiswertverlust in Betracht kommen soll künftig eine Ton- und/oder Videoaufzeichnung angefertigt und als Teil des Protokolls dauerhaft in der E-Akte aufbewahrt werden.
Anpassung des Beweissicherungsverfahrens
Es soll ein schnelles gerichtlichen Beweissicherungsverfahren geschaffen werden, um einen Beweismittelverlust bei digitalen Beweisen zu vermeiden.
Vorlage digitaler Beweismittel
Es sollen Maßnahmen zur digitalen Vorlage von digitalen Beweismitteln, z.B. durch Schaffung einer Beweismittelcloud, ergriffen werden. Die Vorlage von physischen Datenträgern soll auf ein Minimum, z.B., wenn diese Teil der Beweisführung sind, beschränkt werden.
Nutzung digitaler Informationsquellen
Das Gericht kann offenkundige Tatsachen – ggf. nach eigener Recherche – und Hinweis nach § 139 Abs. 1 ZPO in den Prozess einführen. Dieses Initiativrecht des Gerichts kann durch eigenständige Zugriffsrechte auf verfügbare Datenquellen gestärkt werden. Hierdurch können Synergieeffekte erzielt, möglicherweise der Umfang von Beweisaufnahmen reduziert und das Verfahren effektiver gestaltet werden. Durch rechtzeitige richterliche Hinweise müssen den Parteien mindestens folgende Informationen zur Verfügung gestellt werden: (i) die Quelle und wie diese auch für die Parteien erreichbar ist (z.B. durch Angabe von URLs), (ii) Parameter der Informationsbeschaffung (z.B. Abfragedaten, Sucheingaben), und (iii) Ergebnis der Auskunft. Das Ergebnis muss für die Parteien reproduzierbar sein.
Verfahrensübergreifende Klärung von Tatsachenfragen
In Massenverfahren müssen aktuell dieselben Zeugen zu identischen Beweisthemen in vielen Parallelverfahren vernommen werden. Die Reformkommission empfiehlt eine Erweiterung der Verwendbarkeit von Zeugenaussagen in Parallelverfahren. Voraussetzung für eine unmittelbare Beweisaufnahme durch erneute Vernehmung soll sein, dass die beantragende Partei weitergehende Fragen formuliert bzw. begründet, weshalb nunmehr von einer ergiebigen Aussage auszugehen ist. Andernfalls kann die erneute Zeugenvernehmung abgelehnt und stattdessen auf den Urkunden- oder Augenscheinsbeweis der vorherigen Aussage zurückgegriffen werden, wobei das Beweismittel den Parteien zugänglich sein muss. Wie unter III. 7. d) ausgeführt, sollen Ton- und/oder Videoaufzeichnungen zum Zweck ihrer Verwertung in Parallelverfahren dauerhaft gespeichert werden können.
Die Schaffung einer Musterbeweisaufnahme für Massenverfahren wird durch die Reformkommission nicht befürwortet.
Stärkung der mündlichen Erläuterung von Sachverständigengutachten
Im Falle von Einwendungen der Parteien gegen ein schriftliches Sachverständigengutachten oder von Ergänzungsfragen soll die mündliche Anhörung in § 411 Abs. 3 ZPO zum Regelfall ausgestaltet werden.
Keine Erweiterung der Vorlagepflichten
Eine Ausweitung der Vorlagepflicht des § 142 ZPO soll nicht erfolgen. Sie würde einen Systembruch mit dem deutschen Recht bedeuten, mit dem Beibringungsgrundsatz kollidieren und eine gesteigerte Gefahr des Ausforschungsbeweises schaffen.
Die Reformkommission lehnt auch ab, dass der Beweisantritt von Zeugenbeweisen künftig unter Beibringung von schriftlichen Kurzaussagen erfolgen soll.
Ausblick
Hiermit schließt Teil 2 der Beitragsreihe zu den Arbeiten der Reformkommission „Zivilprozess der Zukunft. Teil 3 erscheint in der nächsten Broschüre und befasst sich mit den Vorschlägen zur „Vereinfachung des Verfahrensrechts“, zum „Ausbau des Verfahrensangebots“ und zum „Modernisierungsbedarf außerhalb von ZPO und GVG“.




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