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LAG Nürnberg: Ordentliche verhaltensbedingte Kündigung wegen beharrlicher Verweigerung der Testpflicht – „3G-Regelung“

Die beharrliche Weigerung des Arbeitnehmers, seine arbeitsvertraglichen Pflichten zu erfüllen, solange der Arbeitgeber auf der Einhaltung der „3G-Regelung“ zum Zutritt zum Betrieb besteht, kann die ordentliche, verhaltensbedingte Kündigung des Arbeitsverhältnisses rechtfertigen.

LAG Nürnberg, Urt. v. 12.9.20237 Sa 8/23

I. Der Fall

Streitgegenstand

Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer ordentlichen verhaltensbedingten Kündigung.

die Parteien

Die Beklagte produziert Bäckereimaschinen. Der Kläger wurde seit dem 15.1.2010 bei der Beklagten als Bäckerei-Maschinenvorführer im Bereich Vertrieb/Industrie beschäftigt. Seine Tätigkeit beinhaltete maßgeblich die Projektierung von Backmaschinen. Im Zusammenhang damit sollten die Maschinen sowohl im Technologiecenter der Beklagten als auch bei Kunden vor Ort vorgeführt bzw. in Betrieb genommen werden.

3G-Regel am Arbeitsplatz

Während der Covid19-Pandemie musste die Beklagte die bundes- bzw. landesweit geltenden Beschränkungen, die im Zusammenhang mit der Pandemiebekämpfung getroffen wurden, einhalten und im Betrieb umsetzen. Mit einer Mitarbeiterinformation vom 10.11.2021 und 16.11.2021 teilte die Beklagte der Belegschaft mit, dass seit dem 9.11.2021 bayernweit die 3G-Regel am Arbeitsplatz gelte, bat die Mitarbeiter, einen entsprechenden 3G-Nachweis täglich mit sich zu führen und kündigte entsprechende stichprobenartige Kontrollen an. Der Betrieb müsse umgehend verlassen werden, wenn bei einer Kontrolle kein gültiger 3G-Nachweis vorgelegt werden könne.

Kommunikation mit dem Kläger

Die Parteien stritten im Nachgang hierzu sowohl per E-Mail als auch telefonisch darüber, ob der Kläger verpflichtet sei, vor Betreten des Betriebs einen 3G-Nachweis zu führen. Die Beklagte teilte dem Kläger mit E-Mail vom 7.12.2021 dazu abschließend mit:

„Es bleibt dabei, wir erwarten Sie am kommenden Montag auf unserem Firmengelände. Dass Sie die Voraussetzung für das Betreten des Geländes erfüllen, ist selbstredend. Die Möglichkeit des mobilen Arbeitens sehe ich nicht.“

Kläger erscheint nicht zur Arbeit

Der Kläger suchte ab dem 13.12.2021 bis Ende Dezember 2021 den Betrieb der Beklagten nicht auf. Die Beklagte erteilte für den Dezember die Gehaltsabrechnung und zahlte den sich ergebenden Nettobetrag an den Kläger aus. Sie vergütete nicht alle Tage. Unbezahlt blieben insofern Montag, der 13.12. bis Mittwoch, der 15.12., Freitag, der 24.12. und Montag, der 27.12.2021.

weitere Korrespondenz

Mit E-Mail vom 3.1.2022 teilte der Kläger der Beklagten mit, dass er zur „vertragsgerechten Arbeitsleistung Willens und in der Lage sei“. Er teilte ferner mit, dass ihm „wegen unberechtigt einbehaltener und dadurch ausstehender Gehaltszahlungen für Dezember 2021“ „Kundeneinsätze vor Ort bis auf Weiteres verwehrt“ blieben. In der Folgezeit blieb der Kläger dem Betrieb weiterhin fern und nahm auch keine Kundeneinsätze wahr.

3G-Regel aufgehoben

Am 16.3.2022 wurde seitens der Beklagten mitgeteilt, dass ab dem 21.3.2022 bei der Arbeit im Betrieb kein „3G-Nachweis“ mehr erforderlich sei. Der Kläger teilte der Beklagten daraufhin mit anwaltlichem Schreiben vom 18.3.2022 mit, dass im Betrieb der Beklagten zu keinem Zeitpunkt ein „3G-Nachweis“ vorgeschrieben gewesen wäre, die Beklagte sich seit Monaten mit der Gehaltszahlung im Annahmeverzug befände und der Kläger deshalb ab dem 21.3.2022 von seinem Zurückbehaltungsrecht Gebrauch mache.

Abmahnung und Kündigung

Auf diese Mitteilung hin wurde der Kläger abgemahnt, da er auch am 21.3.2022 nicht zur Arbeit erschien. Trotz der ausgesprochenen Abmahnung erschien der Kläger auch in der Folgezeit nicht zur Arbeit. Mit Schreiben, welches kein Datum enthielt, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis nach Anhörung des Betriebsrates ordentlich unter Einhaltung der vertraglichen Kündigungsfrist zum 30.9.2022, hilfsweise zum nächstzulässigen Termin. Die Kündigung wurde dem Kläger am 30.4.2022 zugestellt.

Klageerhebung

Am 23.5.2022 erhob der Kläger sodann beim ArbG Würzburg Kündigungsschutzklage. Er war der Ansicht, dass die 3G-Regelung im Betrieb unwirksam gewesen sei. Einseitige Änderungen der arbeitsvertraglichen Pflichten durch den Arbeitgeber können nur im Rahmen des § 106 GewO bewirkt werden. Dafür bedürfe es einer Weisung des Arbeitgebers, die rechtmäßig und damit auch billigem Ermessen entsprechen müsse. Eine solche, rechtmäßige Weisung (insb. in Hinblick auf die tägliche Testung) sei dem Kläger seiner Ansicht nach nicht erteilt worden. Seine arbeitsvertraglichen Verpflichtungen seien daher im November 2021 und danach unverändert geblieben. Er habe auch nicht unentschuldigt am Arbeitsplatz gefehlt. Er habe nur den Betrieb nicht mehr betreten und im Home-Office gearbeitet und die erbrachten Arbeitszeiten für die Berechnung der Annahmeverzugsvergütung gemeldet.

Verfahrensgang

Das ArbG Würzburg hat die Klage abgewiesen (ArbG Würzburg, Urt. v. 19.9.2022 – 10 Ca 549/22).

II. Die Entscheidung

Berufung unbegründet

Die zulässige Berufung des Klägers ist unbegründet. Die Kündigung ist aus verhaltensbedingten Gründen sozial gerechtfertigt, § 1 Abs. 2 KSchG.

Arbeitsverweigerung

Zur Überzeugung des LAG Nürnberg hat der Kläger sich beharrlich geweigert, seine vertraglich geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen. Sofern der Kläger seine Arbeitsleistung in der Annahme verweigert, er handele rechtmäßig, so hat er dieses Risiko selbst zu tragen, sofern sich seine Rechtsauffassung als unzutreffend erweist.

Kläger war verpflichtet, seine Arbeit aufzunehmen

Aufgrund der Mitarbeiterinformation vom 16.3.2022 und der Mitteilung, dass eine 3G-Testpflicht entfalle, war dem Kläger – der sich zuvor weigerte einen Covid-Test vorzunehmen und damit dem Betrieb der Beklagten fernblieb – bewusst, dass er nunmehr ohne die von ihm zuvor geforderte Testung zur Arbeit erscheinen könne. Trotz Abmahnung erschien der Kläger indes nicht und nahm seine Arbeit auch nicht auf. Die Beklagte hatte ihn auch ausdrücklich darauf hingewiesen, dass der Kläger dieses Fehlverhalten zukünftig unterlassen und seine Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis ordnungsgemäß erfüllen solle. Jedenfalls wurde der Kläger zur Arbeitsaufnahme spätestens bis zum Donnerstag, den 24.3.2022 mit weiterem Schreiben vom 21.3.2022 aufgefordert.

Zurückbehaltung der Arbeitsleistung war unberechtigt

Die Arbeitsverweigerung war nicht in Ausübung eines Zurückbehaltungsrechtes gerechtfertigt. Ein entsprechender Gehaltsrückstand lag nicht vor. Da die Beklagte den Kläger rechtmäßig bereits mit E-Mail vom 7.12.2021 aufforderte am 13.12.2021 in den Betrieb zu kommen und vorgab, dass eine Tätigkeit im mobilen Wege nicht möglich sei, wurde der Kläger konkret zur Arbeit angewiesen. Dieser Weisung kam der Kläger indes nicht nach. Es ist zur Überzeugung des LAG auch nicht ersichtlich, dass der Kläger berechtigt gewesen wäre, am Montag, den 13.12.2021 nicht zum Betrieb zu kommen. Denn gemäß den § 28b Abs. 1 S. 1 IfSG in der Fassung vom 10.12.2021 mussten Arbeitnehmer bei Betreten der Arbeitsstätte einen Testnachweis mit sich führen. Die entsprechenden weiteren Pflichten waren in § 28b IfSG konkret definiert. An diese Pflichten hatte sich die Beklagte gehalten, da andernfalls gemäß § 73 Abs. 1a Nr. 11d IfSG ein Bußgeld gedroht hätte. Diesbezüglich habe die Beklagte keine Prüfungs- und Verwerfungskompetenz besessen.

Tätigkeit im Mobile Office wurde abgelehnt

Da der Kläger trotz rechtmäßigem Hinweis der Beklagten am 13.12.2021 nicht im Betrieb erschien, geriet die Beklagte nicht in Annahmeverzug. Dieser erfordert nach § 294 BGB, dass der Arbeitnehmer die Arbeitsleistung so anbietet, wie sie zu bewirken ist. Die Leistung ist so zu bewirken, wie der Arbeitgeber sie im Rahmen seines Direktionsrechtes nach § 106 GewO näher bestimmt. Dies hatte die Beklagte mit E-Mail vom 7.12.2021 dahingehend konkretisiert, dass der Kläger am 13.12.2021 im Betrieb zu erscheinen habe. Eine Arbeitsleistung von zu Hause aus hatte die Beklagte ausdrücklich abgelehnt.

Ort der Arbeitsleistung wurde von Beklagten konkretisiert

Der Kläger hatte keinen arbeitsvertraglichen Anspruch darauf, nur beim Kunden oder aus dem Home-Office heraus zu arbeiten. Da der Arbeitsort vertraglich nicht geregelt war, ergab er sich aus den vom Kläger betreuten Projekten (vor Ort beim Kunden, im Betrieb oder zu Hause) nach näherer Vorgabe der Beklagten. Den Ort der Arbeit konnte mithin die Beklagte jederzeit im Rahmen des billigen Ermessens gemäß § 106 GewO konkretisieren, was sie auch letztlich tat.

Kläger befand sich in einem vermeidbaren Rechtsirrtum

Nach Auffassung des Berufungsgerichts befand sich der Kläger in einem vermeidbaren Rechtsirrtum, dessen Risiko er trage, weil er davon ausging, dass die Beklagte die gesetzlichen Regelungen missverstanden habe und damit jegliche Tätigkeit in einer Betriebsstätte ohne Einhaltung der 3G-Regeln unmöglich sei, weswegen er nicht habe zur Arbeit erscheinen müssen. Zum einen habe das Erstgericht zutreffend – entgegen der Ansicht des Klägers – angenommen, dass sich § 28b IfSG nicht nur auf den „unmittelbaren“ und „direkten“ Körperkontakt beschränkt. Denn von physischen Kontakten ist grundsätzlich auszugehen, wenn bei der Tätigkeit ein Zusammentreffen mit anderen Personen nicht ausgeschlossen werden kann, auch wenn es zu keinem direkten Körperkontakt kommt.

III. Der Praxistipp

Arbeitsverweigerungen abmahnen

Sobald ein Arbeitnehmer der Arbeit fernbleibt und auch nach Aufforderung die Tätigkeit nicht aufnimmt, ist es empfehlenswert, zeitnah eine oder bei Wiederholung mehrere Abmahnungen auszusprechen und den Arbeitnehmer auf seine arbeitsvertraglichen Pflichten hinzuweisen. Gleichwohl sollte eine beharrliche Arbeitsverweigerung nicht lange geduldet werden. Sofern der Arbeitnehmer sich in einem Rechtsirrtum hinsichtlich der Rechtmäßigkeit seiner Arbeitsverweigerung befindet, so geht dies zu seinen Lasten.

Arbeitsort konkretisieren

Vor dem Hintergrund der vorstehenden Entscheidung sollte seitens des Arbeitgebers eine unmissverständliche auf einen konkreten Einzelfall bezogene Arbeitsanweisung unter Angabe von Zeit, Ort und Inhalt der auszuführenden Tätigkeit erfolgen. Hierdurch kann im Streitfall dargelegt werden, dass eine Arbeitsanweisung hinreichend konkret gem. § 106 GewO gegenüber dem Arbeitnehmer erfolgte und diese gleichwohl nicht befolgt wurde.

Bella Silberstein, Rechtsanwältin, Düsseldorf, silberstein@michelspmks.de

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