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BAG: Zu den Voraussetzungen des Einwands des Rechtsmissbrauches nach § 242 BGB bei einer Klage auf Entschädigungszahlung nach § 15 Abs. 2 AGG

Ein Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 AGG scheidet aus, wenn der Bewerber sich nicht beworben hat, um die ausgeschriebene Stelle zu erhalten, sondern die Bewerbung darauf abzielte, den Bewerberstatus nach § 6 Abs. 1 S. 2 AGG zu erlangen, nur um sodann Ansprüche auf Schadenersatz und/oder Entschädigung geltend machen zu können. Ein solches Verhalten ist nach § 242 BGB als rechtsmissbräuchlich einzuordnen.

[Redaktionelle Leitsätze]

BAG, Urt. v. 19.1.20238 AZR 437/21

I. Der Fall

Streitgegenstand: Anspruch auf Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG

Die Parteien streiten über die Fragen, ob dem Kläger ein Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 AGG wegen der Nichtberücksichtigung der Bewerbung des Klägers zusteht.

vorangegangenes Arbeitsverhältnis

Die Beklagte ist ein öffentlicher Arbeitgeber. Der Kläger war bei der Beklagten seit 2018 beschäftigt. Da das Arbeitsverhältnis jedoch von zahlreichen Unstimmigkeiten und Streitpunkten geprägt war, sprach die Beklagte gegenüber dem Kläger eine Kündigung aus. Der Kläger erhob hiergegen Kündigungsschutzklage. Im Rahmen dieses Kündigungsschutzprozesses trägt der Kläger u.a. vor, er sei während seiner Tätigkeit bei der Beklagten wiederholt diskriminiert worden. Die Diskriminierungen seien dabei insbesondere durch den Personalleiter der Beklagten erfolgt. Darüber hinaus habe er durch eine Arbeitskollegin erfahren, dass der Personalleiter in der Vergangenheit eine schwere Straftat begangen habe. Dies habe den Kläger gesundheitlich sehr stark belastet und er sei deshalb wiederholt arbeitsunfähig gewesen. Die Belastung hätte solche Ausmaße angenommen, dass er Angst um Leib und Leben gehabt habe und ihn Gedanken über mögliche Übergriffe des Personalleiters belastet hätten. Das Kündigungsschutzverfahren endete Anfang 2019 durch einen Prozessvergleich.

erneute Bewerbung bei der Beklagten

Während des laufenden Kündigungsschutzverfahrens, im Dezember 2018, bewarb sich der Kläger erneut (vorsorglich) bei der Beklagten auf eine von der Beklagten ausgeschriebene Stelle „Teamassistenz“. Dabei wies der Kläger auf seine Schwerbehinderung hin. Die Beklagte unterbreite dem Kläger daraufhin verschiedene Terminvorschläge für Vorstellungsgespräche. Der Kläger lehnte diese Termine jedoch aus unterschiedlichen Gründen (gesundheitlichen Gründen oder aufgrund einer Verhinderung) ab und bat um neue Termine. Am 7.2.2019 teilte die zuständige Personalsachbearbeiterin dem Kläger sodann mit, dass seine Bewerbung leider nicht berücksichtigt werden konnte, da man sich für einen anderen Bewerber entschieden habe.

Verfahrensgang

Der Kläger erhob daraufhin vor dem ArbG Bamberg Klage und beantragte die Beklagte zu verurteilen, an ihn eine Entschädigungszahlung nach § 15 Abs. 2 AGG i.H.v. 9.052,68 EUR zu zahlen. Das ArbG Bamberg wies die Klage ab (Urt. v. 5.8.2020 – 2 Ca 101/19). Der Kläger erhob daraufhin Berufung. Das LAG Nürnberg wies die Berufung des Klägers jedoch zurück (Urt. v. 20.5.2021 – 5 Sa 417/20).

II. Die Entscheidung

Revision erfolglos

Auch das BAG verneinte einen Entschädigungsanspruch des Klägers nach § 15 Abs. 2 AGG, sodass der Kläger auch mit seiner Revision vor dem BAG keinen Erfolg hat.

Anspruch scheitert an § 242 BGB

Das BAG stützt seine Entscheidung auf den Einwand des Rechtsmissbrauches nach § 242 BGB. Hierzu führte das Gericht aus, dass ein Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 AGG ausscheiden kann, wenn der Bewerber sich nicht beworben hat, um die ausgeschriebene Stelle zu erhalten, sondern die Bewerbung darauf abzielte, den Bewerberstatus nach § 6 Abs. 1 S. 2 AGG zu erlangen, nur um sodann Ansprüche auf Schadenersatz und/oder Entschädigung geltend machen zu können. Ein solches Verhalten sei nach § 242 BGB als rechtsmissbräuchlich einzuordnen. Denn nach § 242 BGB ist eine durch ein unredliches Verhalten erworbene Rechtsposition nicht schutzwürdig. Dabei ist jedoch zu beachten, dass nicht bereits jedes pflichtwidrige Verhalten zu einem rechtsmissbräuchlichen Verhalten führt. Erforderlich sei ein treuwidriges Verhalten.

Arbeitgeber trägt die Darlegungs- und Beweislast

Will der Arbeitgeber gegenüber einem Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 AGG den Einwand des Rechtsmissbrauches geltend machen, so ist er für das Vorliegen dieser Voraussetzung darlegungs- und beweisbelastet. Der Arbeitgeber muss daher Indizien vortragen und im Bestreitensfall beweisen, die den Einwand begründen.

Verhalten im Kündigungsschutzprozess begründet Treuwidrigkeit

Für die Begründung des treuwidrigen Verhaltens stellt das BAG auf das Verhalten des Klägers während des vorangegangenen Kündigungsschutzprozesses ab. Denn wenn der Kläger, wie vorgetragen, während des Arbeitsverhältnisses zu der Beklagten „Angst um Leib und Leben“ verspürte und aufgrund dieser Angstzustände kausal arbeitsunfähig erkrankte, könne nicht davon ausgegangen werden, dass ihm unter Inkaufnahme einer weiteren Schädigung seiner Gesundheit ernsthaft daran gelegen war, in das von ihm als offensichtlich belastend empfundene Arbeitsumfeld bei der Beklagten zurückzukehren, sodass das Verhalten des Klägers nur so aufgefasst werden kann, dass seine Bewerbung allein darauf abzielte den Bewerberstatus nach § 6 Abs. 1 S. 2. AGG zu erlangen, um sodann Ansprüche auf Schadenersatz geltend zu machen.

III. Der Praxistipp

berücksichtigungsfähige Umstände

Zur Begründung des treuwidrigen Verhaltens können nur solche Umstände bis zur Absage durch den Arbeitgeber berücksichtigt werden. Vorliegend begründet das BAG die Treuwidrigkeit des Bewerbers, indem es den Vortrag des Klägers aus dem vorangegangenen Kündigungsschutzverfahren verwertet.

Anforderungen an Rechtsmissbrauch sind hoch

Auch bestätigte das BAG, dass die an den Rechtsmissbrauchseinwand zu stellenden Anforderungen hoch sind. Der Arbeitgeber muss im Einzelfall besondere Umstände vortragen und ggf. beweisen, die ausnahmsweise den Schluss auf ein rechtsmissbräuchliches Verhalten rechtfertigen.

Hinweise zur Entbehrlichkeit der Einladung nach § 165 S. 4. SGB IX?

Weiterhin geht das BAG in der vorliegenden Entscheidung auch in Teilen auf die Reichweite von § 165 S. 4 SGB IX ein. Grundsätzlich ist der öffentlich-rechtliche Arbeitgeber nach § 165 S. 3 SGB IX verpflichtet, einen sich bewerbenden Schwerbehinderten einzuladen. Nach dem ausdrücklichen Wortlaut des § 165 S. 4 SGB IX ist eine Einladung nur dann entbehrlich, wenn die fachliche Eignung des Bewerbers offensichtlich fehlt. Dabei gilt nach ständiger Rechtsprechung des BAG, dass der Verstoß gegen Vorschriften, die Förderpflichten zugunsten schwerbehinderter Menschen enthalten – u.a. damit auch ein Verstoß gegen die Einladungspflicht nach § 165 S. 4 SGB IX – regelmäßig die Vermutung einer Benachteiligung wegen der Behinderung begründen. In seiner Entscheidung hat das BAG ausdrücklich offengelassen, ob der Arbeitgeber von der Einladungspflicht befreit ist, wenn die bewerbende Person zwar nicht offensichtlich fachlich ungeeignet ist, ihr jedoch die persönliche Eignung dahingehend fehlt, da sie nicht über charakterliche Eigenschaft verfügt, die für die zu besetzende Stelle von Bedeutung sind. Das BAG deutet jedoch an, dass eine Befreiung des öffentlichen Arbeitgebers von der Einladungspflicht wegen fehlender persönlicher Eignung nur dann in Betracht kommen kann, wenn sich die Einladung als bloße Förmelei erweisen würde. Dies würde voraussetzen, dass die Besetzung der Stelle mit dem Bewerben offensichtlich aus Rechtsgründen ausscheide. Ein solches Einstellungshindernis könne dann vorliegen, wenn dem Arbeitgeber die Beschäftigung des Bewerbers wegen einschlägiger Vorstrafen gesetzlich untersagt ist (vgl. § 72a SGB VIII oder § 25 JArbSchG). Es bleibt abzuwarten, ob sich das BAG hierzu in Zukunft äußern wird.

Sophie Esser , Rechtsanwältin, Köln, esser@michelspmks.de

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