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BAG: Keine Fiktion eines unbefristeten Arbeitsverhältnisses durch Urlaubsgewährung nach Befristungsende

Wird ein befristetes Arbeitsverhältnis nach Auslauf der Befristung nur einseitig durch den Arbeitgeber in der Art weitergeführt, dass nach Ablauf des befristeten Arbeitsverhältnisses dem Arbeitnehmer noch Urlaub gewährt wird oder dem Arbeitnehmer von einer nicht zum Abschluss eines Arbeitsvertrages ermächtigten Person, ein Zwischenzeugnis erteilt oder ihm Auskunft über die steuerliche Behandlung eines Firmenwagens gegeben wird, so führt dies nicht dazu, dass das Arbeitsverhältnis nach § 15 Abs. 5 TzBfG aF auf unbestimmte Zeit verlängert wird.

[Redaktionelle Leitsätze]

BAG, Urt. v. 9.2.20237 AZR 266/22

I. Der Fall

Streitgegenstand: Entfristungsklage

Die Parteien streiten über die Frage, ob das befristete Arbeitsverhältnis des Klägers aufgrund des Tatbestandes des § 15 Abs. 5 TzBfG aF nach Befristungsende als auf unbestimmte Zeit verlängert gilt.

Vereinbarung befristeter Arbeitsverträge

Der Kläger war Beamter der Deutschen Bundespost. Seit der Privatisierung der Deutschen Bundespost war der Kläger aufgrund unterschiedlicher befristeter Arbeitsverträge für die Beklagte, einem Postnachfolgeunternehmen, tätig. Als Beamter war er seitdem beurlaubt. Der Kläger und die Beklagte vereinbarten einen befristeten Arbeitsvertrag für die Zeit vom 1.8.2019 bis zum 30.4.2020. Dieser Arbeitsvertrag wurde zweimal, zuletzt bis zum 30.9.2020 verlängert.

Gewährung von Erholungsurlaub

Dem Kläger wurde über ein Personalportal am 9.9.2020 Erholungsurlaub für die Zeit nach Befristungsende, nämlich vom 1. bis zum 3.10.2020, vom 5. bis zum 9.10.2020, vom 12. bis zum 16.10.2020, vom 19. bis zum 23.10.2020 und vom 26. bis zum 31.10.2020 gewährt.

Mitteilung zur Versteuerung des geldwerten Vorteils des Firmenwagens

Zudem teilte am 30.9.2020 ein Mitarbeiter der Beklagten, aus dem Bereich Personal/Service, dem Kläger per E-Mail Informationen zur Versteuerung des geldwerten Vorteils des Firmenwagens des Klägers bei Tätigkeiten aus dem Homeoffice mit.

Erteilung Zwischenzeugnis

Weiterhin erhielt der Kläger ebenfalls am 30.9.2020 von der Abteilungsleiterin des Personals der Beklagten ein Zwischenzeugnis für seine Tätigkeit vom 1.8.2019 bis zum 30.9.2020.

Verfahrensgang

Das Arbeitsgericht hat auf die vom Kläger erhobene Entfristungsklage zunächst festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis nicht gem. § 15 Abs. 5 TzBfG a.F. über den 30.9.2020 dadurch fortgesetzt wird, dass die Beklagte dem Kläger für den Monat Oktober Urlaub gewährt hat. (ArbG Hamburg, Urt. v. 11.5.2021 – 9 Ca 521/20). Dem hat sich das Landesarbeitsgericht angeschlossen (LAG Hamburg, Urt. v. 30.6.2022 – 3 Sa 19/21). Mit seiner Revision verfolgt der Kläger seinen Antrag auf Feststellung, dass das Arbeitsverhältnis nunmehr unbefristet sei, weiter.

II. Die Entscheidung

Revision blieb unerfolgreich

Die Revision des Klägers hatte keinen Erfolg.

keine Erfüllung der Voraussetzungen des § 15 Abs. 5 TzBfG aF

Auch das Bundesarbeitsgericht geht davon aus, dass die Voraussetzungen des § 15 Abs. 5 TzBfG aF im vorliegenden Fall nicht erfüllt sind. Zu diesem Ergebnis kommt das Bundesarbeitsgericht durch eine lehrbuchartige Auslegung des § 15 Abs. 5 TzBfG aF. Nach § 15 Abs. 5 TzBfG aF und § 15 Abs. 6 TzBfG gilt ein Arbeitsverhältnis auf unbestimmte Zeit verlängert, wenn es nach Ablauf der Zeit, für die es eingegangen ist, mit Wissen des Arbeitgebers fortgesetzt wird und der Arbeitgeber nicht unverzüglich widerspricht. Arbeitgeber i.S.d. Norm meine dabei nicht jeden Vorgesetzen, sondern den Arbeitgeber selbst, d.h. den zum Abschluss von Arbeitsverträgen berechtigten Vertreter.

bloßes einseitiges Handeln des Arbeitgebers reicht nicht aus

Laut Bundesarbeitsgericht regele die Vorschrift die stillschweigende Verlängerung von Arbeitsverhältnissen unabhängig vom Willen der Parteien durch schlüssiges Verhalten der Arbeitsvertragsparteien. Hinsichtlich der Anforderung eben dieses schlüssigen Verhaltens genüge jedoch nicht jedes Handeln der Arbeitsvertragsparteien. So reiche die einseitige Erfüllung von Leistungspflichten durch den Arbeitgeber ohne aber die Gegenleistung von Arbeitnehmern tatsächlich in Anspruch zu nehmen nicht aus, um von einer „Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses mit Wissen des Arbeitgebers“ im Sinne der Norm zu sprechen. Unter ein solches einseitiges Handeln des Arbeitgebers falle u.a. die Gewährung von Erholungsurlaub für die Zeit nach Befristungsende.

historische Auslegung

Zu diesem Ergebnis kommt das Bundesarbeitsgericht zunächst durch eine historische Auslegung der Norm. Vor Inkrafttreten des TzBfG war die Fortsetzung des befristeten Arbeitsverhältnisses vom Anwendungsbereich des § 625 BGB erfasst. Nach ständiger Rechtsprechung war dabei der Tatbestand von § 625 BGB nicht erfüllt, wenn der Arbeitnehmer nach Befristungsende Urlaub erhält.

Wortlaut spricht für das Erfordernis einer Handlung des Arbeitnehmers

Auch setze der ausdrückliche Wortlaut des § 15 Abs. 5 TzBfG aF eine „Fortsetzung mit Wissen des Arbeitgebers“ voraus. Von einer „Fortsetzung mit Wissen des Arbeitgebers“ könne jedoch nur gesprochen werden, wenn die Fortsetzungshandlung von einer anderen Person als durch den Arbeitgeber selbst ausgeübt werden würde. Denn von seinem eigenen Handeln habe der Arbeitgeber denklogisch immer eigene Kenntnis.

Gesetzesbegründung spricht von „Weiterarbeit“

Ein solches Normverständnis ginge gleichermaßen aus der Gesetzesbegründung des § 15 Abs. 5 TzBfG aF hervor, wonach die Rechtsfolge des § 15 Abs. 5 TzBfG aF, bei einer „Weiterarbeit nach Auslaufen eines kalendermäßig befristeten Arbeitsvertrages“ eintrete. Da auch die Gesetzesbegründung von einer „Weiterarbeit“ spreche, habe auch sie eine Konstellation, in welcher die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitnehmer erfolgt, vor Augen gehabt.

Sinn und Zweck gebietet einschränkende Auslegung

Zum gleichen Ergebnis käme man auch bei einer Betrachtung des Sinn und Zweckes der Norm. Sinn und Zweck des § 15 Abs. 5 TzBfG aF geböte es nicht, auch eine einseitige Erfüllung von Leistungspflichten durch den Arbeitgeber als Fortsetzungshandlung im Sinne der Norm anzusehen. Die Regelung unterstelle nicht allen möglichen Verhaltensweisen einen Erklärungswert, sondern beruht auf der Erwägung, dass gerade die Fortsetzung der Arbeitsleistung durch den Arbeitnehmer Ausdruck des Parteiwillens auf Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses ist.

Urlaubsgewährung stellt keine Arbeitsleistung des Arbeitnehmers dar

Auf Grund dieses Auslegungsergebnisses läge bei der Gewährung von Urlaub im Zeitraum nach Befristungsablauf kein schlüssiges Verhalten vor, welches die Rechtsfolge des § 15 Abs. 5 TzBfG aF auslösen würde. Die Urlaubsgewährung stelle keine Erbringung der Arbeitsleistung durch den Arbeitnehmer dar. Zudem sei die Entscheidung über die Gewährung des Urlaubes bereits vor Befristungsablauf erfolgt. Eine arbeitsvertragliche Verpflichtung sich zu erholen – wie vom Kläger vorgetragen –, die zu einer Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses im Sinne der Norm führen würde, gäbe es nicht und sei auch nicht mit der Erbringung von Arbeitsleistung i.S.v. § 15 Abs. 5 TzBfG aF gleichzusetzen.

Arbeitgeber ist nicht jeder Vorgesetzte

Schließlich sei auch nicht ersichtlich, dass die Ausstellung des Zwischenzeugnisses und die Information zur Versteuerung des geldwerten Vorteils des Firmenwagens des Klägers bei Homeoffice von einer zum Abschluss von Arbeitsverträgen befugten Person herrührten. Dies sei aber erforderlich.

III. Der Praxistipp

Übertragbarkeit auf § 15 Abs. 6 TzBfG nF

Da § 15 Abs. 5 TzBfG aF wortgleich mit dem nunmehr geltenden § 15 Abs. 6 TzBfG ist, dürften die Grundsätze des Urteils auch auf die jetzige geltende Rechtslage übertragbar sein.

Handlungsempfehlung

Somit gibt die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichtes den Arbeitgebern nunmehr eine deutliche Handlungsanleitung und bringt Klarheit, in welchen Fällen die für Arbeitgeber ungünstige Rechtsfolge des § 15 Abs. 5 TzBfG aF und § 15 Abs. 6 TzBfG eintritt und in welchen nicht. Dabei reichen einseitige Handlungen des Arbeitgebers nicht aus. Notwendig ist hiernach eine Erbringung der Arbeitsleistung durch den Arbeitnehmer. Erfreulich ist, dass das Bundesarbeitsgericht nicht nur auf den zu entscheidenden Fall, die Gewährung von Urlaub nach Befristungsende, eingegangen ist, sondern inzidenter klargestellt hat, dass auch einseitige Leistungspflichten des Arbeitgebers, wie die Gewährung von Freizeitausgleich für geleistete Mehrarbeit oder die Leistung von Entgeltfortzahlung über das vereinbarte Vertragsende hinaus gleich zu behandeln sind und demnach nicht die Rechtsfolge des § 15 Abs. 5 TzBfG aF (§ 15 Abs. 6 TzBfG nF) auslösen würden.

jegliche Vermeidung von Fortsetzungshandlungen ist ratsam

Auch hat das Bundesarbeitsgericht nochmals festgelegt, dass Arbeitgeber i.S.d. Norm nicht jeder Vorgesetzte, sondern nur derjenige ist, der auch zum Abschluss von Arbeitsverträgen befugt ist. All dies sind hilfreiche Handreichungen für die Handhabung in der betrieblichen Praxis. Gleichwohl sollten Arbeitgeber darauf achten, dass Arbeitnehmer nach dem Ablauf der kalendermäßigen Befristung nicht weiter beschäftigt werden und jede Fortsetzungshandlung tunlichst unterbinden.

Sophie Esser, Rechtsanwältin, Köln, esser@michelspmks.de

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