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BAG: Anspruch auf Mindesturlaub und Verjährung

Der Anspruch des Arbeitnehmers auf den gesetzlichen Mindesturlaub unterliegt gemäß § 194 Abs. 1 BGB der Verjährung.

Bei der gebotenen unionsrechtskonformen Auslegung der § 199 Abs. 1 BGB, § 1 BUrlG, § 3 Abs. 1 BUrlG, § 7 Abs. 1, 3 BUrlG beginnt die Verjährung allerdings nicht zwangsläufig mit dem Schluss des Jahres, in dem der Urlaubsanspruch entstanden ist und der Arbeitnehmer über die in § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB beschriebene Kenntnis verfügt. Zusätzlich ist erforderlich, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer in die Lage versetzt hat, seinen Urlaubsanspruch tatsächlich wahrzunehmen. Die Vorgaben des Unionsrechts, die der EuGH in seiner Entscheidung vom 22.9.2022 (C-120/21) präzisiert hat, bedingen einen „anderen Verjährungsbeginn“ im Sinne des § 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB.

[Amtliche Leitsätze]

BAG, Urt. v. 20.12.20229 AZR 266/20

I. Der Fall

Anzahl der Urlaubstage

Die Klägerin war bei dem beklagten Arbeitgeber in der Zeit vom 1.11.1996 bis einschließlich 31.7.2017 als Steuerfachangestellte und Buchhalterin beschäftigt. Bereits im Jahr 2012 bescheinigte der Beklagte der Klägerin, dass dieser mit Stichtag zum 31.12.2011 aus dem zum damaligen Zeitpunkt bestehenden Beschäftigungsverhältnis noch 76 Arbeitstage Urlaub zustünden.

Urlaubsabgeltung

Nach der Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses machte die Klägerin die Abgeltung der nach ihrer Auffassung noch bestehenden restlichen Urlaubstage im Umfang von nunmehr insgesamt 101 Arbeitstagen geltend. Bezüglich der Urlaubsansprüche, die nach dem Jahr 2011 entstanden seien, legte sie dar, in welchem Umfang ihr in den jeweiligen Jahren Urlaub gewährt worden wäre. Der Beklagte machte u.a. geltend, dass der Klägerin nach dem Jahr 2011 mehr Urlaubstage gewährt worden wären, die Klageforderung im Übrigen verjährt sei.

Verfahrensgang

Das Arbeitsgericht Solingen (Urt. v. 19.2.2019 – 3 Ca 155/18) wies die Klage, bis auf einen geringfügigen Teilbetrag, ab. Auf die hiergegen von der Klägerin eingereichten Berufung hin änderte das Landesarbeitsgericht Düsseldorf (Urt. v. 21.2.2020 – 10 Sa 180/19) die Entscheidung ab und gab der Klage im Wesentlichen statt. Die hiergegen eingereichte Revision des Beklagten wies das Bundesarbeitsgericht mit der gegenständlichen Entscheidung ab.

II. Die Entscheidung

keine Verjährung

Kernpunkt der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichtes ist dessen Umsetzung der vorangegangenen Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes vom 22.9.2022. Wie durch den EuGH vorgegeben, hält das BAG in seiner Entscheidung fest, dass der Urlaubsabgeltungsanspruch eines Arbeitnehmers nur dann verjähren könne, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer durch einen entsprechenden Hinweis auf den Urlaubsanspruch und die Möglichkeit dessen Gewährung hingewiesen hat. Erfüllt der Arbeitgeber die ihn insoweit treffenden Mitwirkungsobliegenheiten nicht, ist nicht nur der Verfall des Urlaubsanspruchs, sondern auch die Verjährung des Urlaubsabgeltungsanspruchs ausgeschlossen.

„anderer Verjährungsbeginn“

Zur Begründung führt das Bundesarbeitsgericht aus, dass der Urlaubsanspruch grundsätzlich den gesetzlichen Verjährungsfristen unterfalle. Voraussetzung für die Verjährung sei neben dem Entstehen des Anspruchs jedoch, dass die Verjährung zu laufen begonnen habe. Die Erfüllung der Mitwirkungsobliegenheit des Arbeitgebers, also der aktive Hinweis auf den Bestand restlicher Urlaubsansprüche, sei, wie auch bereits für den Verfall der Urlaubsansprüche gemäß § 7 BUrlG entschieden, Voraussetzung für den Beginn des Laufs der Verjährungsfristen. Insoweit handele es sich um einen „anderen Verjährungsbeginn“ i.S.v. § 199 Abs. 1 BGB.

keine abweichende vertragliche Regelung

Sofern, wie in dem von dem Bundesarbeitsgericht zu entscheidenden Sachverhalt, in dem Arbeitsvertrag keine von der gesetzlichen Regelung abweichenden Bestimmungen bezüglich der Obliegenheiten des Arbeitgebers zur Information und Gewährung des arbeitsvertraglichen Mehrurlaubs enthalten seien, gelte für die Verjährung dieser Ansprüche nichts Anderes.

III. Der Praxistipp

Umsetzung der EuGH-Entscheidung

Nach der vorangegangenen Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes ist die Umsetzung dessen Urteils durch das Bundesarbeitsgericht nicht überraschend. Ähnlich wie bereits zuvor bezüglich des Verfalls der Urlaubsansprüche entschieden, wird die Verpflichtung des Arbeitgebers, Arbeitnehmer auf vorhandene (Rest-)Urlaubsansprüche hinzuweisen, bestätigt. Sofern bislang noch nicht praktiziert, gibt die Entscheidung neuerlich Anlass, Arbeitgebern dringend anzuraten, rechtzeitig vor Ablauf eines Jahres Arbeitnehmer auf bestehende Urlaubsansprüche und die Konsequenzen, wenn diese nicht eingefordert werden, hinzuweisen.

arbeitsvertragliche Regelung

Im Grundsatz ebenso wenig überraschend ist die Feststellung des BAG, dass die aufgestellten Grundsätze auch für den arbeitsvertraglich vereinbarten Mehrurlaub gelten, wenn der Vertrag hierzu keine anderweitigen, vom Gesetz abweichende, Regelungen enthält. Aufhorchen lässt insoweit allerdings die Formulierung des Gerichtes. Wörtlich weist der Senat darauf hin, dass es einer abweichenden Regelung im Arbeitsvertrag zu der Initiativlast des Arbeitgebers und/oder dessen Mitwirkungsobliegenheiten bedürfe, um eine anderweitige Behandlung dieser Ansprüche zu rechtfertigen. Diese Formulierung des Gerichtes wörtlich genommen würde bedeuten, dass es nicht nur eines generell unterschiedlichen Urlaubsregimes für eine unterschiedliche Behandlung der gesetzlichen und der arbeitsvertraglich vereinbarten Urlaubsansprüche bedarf. Vielmehr müsste darin ausdrücklich eine Regelung, welche der Arbeitsvertragsparteien bezüglich der vertraglichen Urlaubsansprüche aktiv werden muss, enthalten sein. Es bleibt abzuwarten, ob sich ein solches Verständnis der Entscheidung des BAG durchsetzt.

Markus Pillok, Fachanwalt für Arbeitsrecht, Köln, pillok@michelspmks.de

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