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BAG: Hypotax-Verfahren bei vorübergehender Auslandsentsendung

Eine arbeitsvertragliche Vereinbarung, wonach eine fiktiv ermittelte Lohnsteuer vom Arbeitgeber einbehalten werden darf, wenn ein tarifgebundener Arbeitnehmer vorübergehend ins Ausland entsandt wurde, kann gem. § 4 Abs. 3 TVG unwirksam sein, wenn die Vereinbarung zu Ungunsten des Arbeitnehmers vom (Entgelt)Tarifvertrag abweicht und der Tarifvertrag keine die Abweichung zulassende Öffnungsklausel enthält.

[Redaktioneller Leitsatz]

BAG, Urt. v. 7.9.20225 AZR 502/21

I. Der Fall

Parteien des Rechtsstreits

Der Kläger ist bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängern, seit dem 1.1.2003 als Ausrüstungselektriker beschäftigt. Die Vergütung erfolgt tarifgebunden – die Beklagte ist Mitglied des Arbeitgeberverbandes Nordmetall; der Kläger ist Mitglied der IG Metall – nach Maßgabe des Manteltarifvertrages für die Metall- und Elektroindustrie in Hamburg und Umgebung bzw. der für den Kläger einschlägigen ERA-Entgeltgruppe EG 08/H des Entgelttarifvertrages für die Metall- und Elektroindustrie in Hamburg und Umgebung.

vorübergehende Auslandsentsendung

Im Zeitraum vom 1.1.2016 bis zum – einvernehmlich verlängert – 31.7.2019 wurde der Kläger zu einer mit der Beklagten konzernverbundenen Gesellschaft, der A.O.S am Standort der Beklagten in Toulouse auf der Grundlage des Entsendungsvertrages vom 5.11.2015 entsandt, wo er als „Electrician“ eingesetzt wurde.

Vergütung während Auslandsentsendung

Der dem Entsendungsvertrag beigefügte „Anhang zum Entsendungsvertrag“ enthielt neben denen mit der Entsendung einhergehenden – netto zu zahlenden Zulagen (Mobilitätszulage, Kaufkraftausgleich, Mietzuschuss, Einrichtungs- und Umzugskostenpauschale, Transportkosten für Pkws, ggfs. Schulkosten für begleitende Kinder, Kosten und Urlaub für Heimreisen), allgemeine Grundsätze von entsendungsbedingten Zahlungen sowie die Grundsätze des Steuerausgleichs. Insbesondere enthielt der Entsendungsvertrag eine Berechnung der sich daraus ergebenden Zahlungen sowie des vereinbarten Hypotax-Abzugs. Unter der Ziff. 7 „Steuern und Sozialversicherung“ lautet es hier wörtlich wie folgt:

„Zur Erfüllung der Steuerpflicht des Arbeitnehmers/der Arbeitnehmerin im Gastland wird für die Dauer der Entsendung das „Tax Equalization“ genannte Prinzip eines Steuerausgleiches (KBV über Auslandsentsendungen Anhang B zu den Entsendungsbedingungen) angewandt. Hierzu wird über den Weg einer hypothetischen Besteuerung das deutsche Steuerniveau beibehalten. Die tatsächlichen Steuern im Gastland trägt das Unternehmen.

Der/die Arbeitnehmer/in wird durch das Unternehmen über dieses Prinzip und die tatsächliche Anwendung im Gastland informiert und über die jeweilige Rolle des Unternehmens, des Arbeitnehmers/der Arbeitnehmerin und des Steuerberaters aufgeklärt. Die für den/die Arbeitnehmer/in anzuwendenden Berechnungen sind diese/dieser in der Anlage zu diesem Vertrag mitzuteilen. Mit der Unterzeichnung dieses Entsendungsvertrages erklärt sich der/die Arbeitnehmer/in mit der Anwendung des Steuerausgleichsprinzips einverstanden.“

Konzernbetriebsvereinbarung Tax Equalisation

Nähere Einzelheiten sind in einer Konzernbetriebsvereinbarung geregelt, nach der das Ziel dieser Hypotax-Regelung die Gleichbehandlung und die finanzielle Berechenbarkeit der ins Ausland entsandten Mitarbeiter sein soll. Durch das „Prinzip des Steuerausgleiches („Tax Equalisation“) soll sichergestellt werden, dass Arbeitnehmer im Fall eines vorübergehenden Auslandseinsatzes keine Nachteile aufgrund eines Wechsels der Besteuerungsgrundsätze haben; die Lohnsteuerlast solle nicht mehr und auch nicht weniger sein als diejenige, die bei einer Besteuerung im Heimatland anfallen würde.

Streitgegenstand: Vergütung nach Hypotax-Abzug

Die Parteien streiten nun über die Vergütung, nachdem die Beklagte entsprechend der getroffenen Vereinbarung für die Zeit der Auslandsentsendung des Klägers nach Frankreich, während der dieser ausschließlich dort, nicht aber in Deutschland steuerpflichtig war, hypothetisch für ihn in Deutschland anfallende Steuern in einem sogenannten Hypotax-Verfahren von seinem Entgelt einbehalten hat. Die konkreten Abzüge im Rahmen der Hypotax-Vereinbarung für die Jahre 2017 bis 2019 entsprechen den mit der Klage geltend gemachten Beträgen und sind zwischen den Parteien unstreitig.

Kläger: Hypotax-Abzug zu Unrecht erfolgt

Nach Auffassung des Klägers erfolgte dieser Hypotax-Abzug zu Unrecht, da die zugrundeliegenden vertraglichen Klauseln gemäß § 307 BGB unwirksam seien; die gesetzlichen Regelungen der §§ 611, 611a BGB sähen keine Möglichkeit vor, dass der Arbeitgeber von der vereinbarten Vergütung über gesetzlich gestattete Abzüge hinaus weitere Beträge nicht zahle, sondern behalte. Das deutsche Unternehmen sei daher nicht berechtigt, die Differenz zwischen französischer und deutscher Steuer zu behalten. Auch die dies im Detail regelnde Konzernbetriebsvereinbarung sei unwirksam. Schlussendlich sei die im Entsendungsvertrag getroffene Regelung gem. § 4 Abs. 4 Satz 1 TVG unwirksam. Die Vereinbarung der hypothetischen Besteuerung führe dazu, dass die Beklagte einen Teil des tariflichen Entgeltes nicht an den Kläger auszahle und auch nicht an öffentlich-rechtliche Stellen abführe, sondern einbehalte; der tarifliche Vergütungsanspruch reduziere sich daher.

Beklagte: Hypotax-Abzug wirksam

Die Beklagte hingegen ist der Auffassung, das Hypotax-Verfahren sei ausweislich der Vielzahl der Sonderleistungen aufgrund des Entsendungsvertrages und der zugrundeliegenden Konzernbetriebsvereinbarung in ein in sich geschlossenes System oder „Gesamtpaket“ an Entsendungsbedingungen eingebettet, das im Ergebnis für die Beklagte als kostenintensiv und für den Kläger als vorteilhaft bezeichnet werden könne. Eine isolierte Betrachtung des Hypotax-Verfahrens werde der geschaffenen Einheit an Entsendungsbedingungen nicht gerecht. Nach diesen somit wirksamen Regelungen sei die geschuldete vereinbarte Vergütung gezahlt worden.

Verfahrensgang

Während das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen hat (ArbG Hamburg, Urt. v. 7.12.2020 – 8 Ca 45/18), hat das Landesarbeitsgericht die hiergegen eingelegte Berufung als überwiegend begründet angesehen und der Klage weitgehend – ein Teil der Ansprüche war verfallen –. stattgegeben (LAG Hamburg, Urt. v. 29.9.2021 – 7 Sa 8/21). Die hiergegen von der Beklagten eingelegte Revision hat das BAG zurückgewiesen.

II. Die Entscheidung

Entgelttarifvertrag sieht Bruttolohnvergütung vor

Nach Auffassung des 5. Senats stehen dem Kläger die geltend gemachten Nachzahlungen nach den kraft beiderseitiger Tarifgebundenheit normativ geltenden Regelungen des eine Bruttovergütung vorsehenden Entgelttarifvertrages zu.

Hypotax-Abzug daher unzulässig

Durch die vorgenommenen Abzüge habe die Beklagte den Anspruch auf die tarifliche Bruttovergütung in Höhe der eingeklagten Nachzahlungsbeträge weder durch die erfolgte Nettoauszahlung, die Abführung von Beiträgen und der in Frankreich angefallenen Lohnsteuer noch durch die aus Anlass der Entsendung gewährten weiteren Leistungen erfüllt (§ 362 Abs. 1 BGB). Der Einbehalt der hypothetisch in Deutschland abzuführenden Steuern führe – so lautet es in den Entscheidungsgründen – nicht zur Erfüllung des Bruttoentgeltanspruchs, weil die Beklagte diese Steuern nicht an das Finanzamt abgeführt hat und eine entsprechende Steuerschuld auch nicht bestand.

keine Erfüllungswirkung durch erfolgte Zahlungen

Erfüllungswirkung könne nur durch Zahlung der französischen Steuer bzw. durch die vereinbarten Erstattungen bei der jährlichen Nachberechnung der hypothetischen Steuer eintreten. Diese Beträge mache der Kläger aber nicht (mehr) geltend. Soweit die Summe der ausgezahlten Nettobeträge, der genannten Erstattungsleistungen sowie der tatsächlich abgeführten Sozialversicherungsbeiträge und der in Frankreich für den Kläger entrichteten Lohnsteuer nicht das Bruttoentgelt erreicht, könne der Kläger von der Beklagten daher weitere Zahlungen verlangen. Die Beklagte habe den tariflichen Bruttolohnanspruch auch nicht durch die Zahlung der im Entsendungsvertrag vereinbarten Leistungen und Zulagen für die Tätigkeit im Ausland erfüllt, da es sich hierbei um selbstständige Ansprüche, die nicht in innerem Zusammenhang mit dem für die „bloße“ Arbeitsleistung geschuldeten Tariflohn standen, handele.

auch kein wirksamer Verzicht

Schließlich habe der Kläger mit seiner Zustimmung zu den Regelungen des Entsendungsvertrags auch nicht wirksam auf die Zahlung des tariflichen Bruttogehalts verzichtet; ein Verzicht scheitere schon an der fehlenden Billigung des Vertrags durch die Tarifvertragsparteien, § 4 Abs. 4 Satz 1 TVG.

III. Der Praxistipp

Hypotax-Abzug unwirksam

Zu Recht hat der 5. Senat der Praxis, wonach auch bei tariflicher Entgeltbindung ein Hypotax-Abzug vorgenommen werden kann, einen Riegel vorgeschoben, sofern die dem Arbeitnehmer letztlich gezahlte Vergütung unterhalb der geschuldeten Bruttovergütung liegt. Ungeachtet dessen sind derartige Regelungen, die in global agierenden Konzernen weit verbreitet und auch üblich sind, im Übrigen weiterhin zulässig. Regelungen zu einer „tax equalization“ verstoßen nur dann gegen zwingendes Recht des § 4 Abs. 3 TVG und sind damit unwirksam, wenn die Vereinbarung zu Ungunsten des Arbeitnehmers vom (Entgelt)Tarifvertrag abweicht und der Tarifvertrag keine die Abweichung zulassende Öffnungsklausel enthält. Offen gelassen wurde demgegenüber, ob ein Hypotax-Abzug insoweit zulässig wäre, als die tatsächlichen Steuern den Betrag der Hypotax übersteigen (bei Entsendungen in Hochsteuerländer).

Rechtswahl- u. Gerichtsstandsvereinbarung

Erfreulich ist – dies nur am Rande und zum Abschluss – auch, dass der Senat die in der Entsendungsvereinbarung getroffen Rechtswahl- und Gerichtsstandsvereinbarung zugunsten des deutschen Rechts und der deutschen Gerichtsbarkeit für wirksam erachtet hat. Ob und inwieweit ein Hyptotax-Abzug bei der zulässigen Wahl eines anderen Rechts als des hier gewählten deutschen Rechts standhält, würde sich nach der jeweils gewählten Rechtsordnung zu richten haben.

Dr. Gunther Mävers, Maître en Droit, Fachanwalt für Arbeitsrecht, Köln, maevers@michelspmks.de

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