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Arbeitszeiterfassung: Keine Rückkehr zur Stechuhr – Das Bundesarbeitsgericht setzt Leitplanken

Unternehmen mit betrieblichen Aktivitäten in Deutschland sind dazu verpflichtet, die Arbeitszeiten ihrer Mitarbeiter mittels eines objektiven, zugänglichen und verlässlichen Systems zu erfassen. Dies hat der Europäische Gerichtshof bereits in einer Entscheidung aus Mai 2019 gefordert und den deutschen Gesetzgeber aufgefordert, tätig zu werden. Dies ist bislang nicht geschehen, so dass das Bundesarbeitsgericht das Heft des Handelns in die Hand genommen hat.

I.

Die derzeitige gesetzliche Ausgangslage

Derzeit sind Arbeitgeber gesetzlich nur dazu verpflichtet, die Arbeitszeit zu erfassen, die über 8 Stunden hinausgeht. In einigen Branchen (z.B. der Fleischwirtschaft) oder für bestimmte Beschäftigte (z.B. geringfügig Beschäftigte) gibt es weitergehende Verpflichtungen zur Erfassung der Arbeitszeit. Eine bestimmte Form zur Erfassung dieser Zeiten ist (mit Ausnahme in der Fleischwirtschaft) nicht vorgesehen. Der Europäische Gerichtshof hatte im Jahr 2019 entschieden, dass die Mitgliedstaaten verpflichtet sind, eine gesetzliche Regelung zu schaffen, wonach die Unternehmen durch ein objektives, zugängliches und verlässliches System die geleistete tägliche Arbeitszeit ihrer Arbeitnehmer messen müssen (Urt. v. 14.5.2019 – C-55/18). Der deutsche Gesetzgeber hat diese Verpflichtung bislang nicht umgesetzt, so dass das Bundesarbeitsgericht den Gesetzgeber nun mit einer aktuellen Entscheidung überholt hat.

II.

Wie kam der Fall zum Bundesarbeitsgericht und was hat dieses entschieden?

Das Bundesarbeitsgericht musste sich nun mit der Frage befassen, ob ein Betriebsrat von einem Arbeitgeber die Einrichtung einer elektronischen Arbeitszeiterfassung verlangen kann (BAG, Beschl. v. 13.9.2022 – 1 ABR 22/21). Hintergrund war, dass ein Betriebsrat einen Arbeitgeber verpflichten wollte, über sein Initiativrecht aus § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG eine elektronische Zeiterfassung einzurichten. Ein solches Initiativrecht wurde bezogen auf die Einrichtung einer elektronischen Arbeitszeiterfassung bislang vom BAG abgelehnt (Beschl. v. 28.11.1989 – 1 ABR 97/88). Begründet hat das BAG dies damit, dass das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats allein der Abwehr von Persönlichkeitsrechtsverletzungen diene. Der Arbeitgeber könne daher selbst darüber entscheiden, „ob“ er eine solche technische Einrichtung einführe, der Betriebsrat könne allein über das „Wie“ der Ausgestaltung mitbestimmen.

Das BAG hatte sich im September dieses Jahres nun erneut mit dieser Frage zu befassen. Es entschied zunächst zugunsten des Arbeitgebers, nämlich das kein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats zur Einführung einer elektronischen Zeiterfassung bestehe. Dies begründet das BAG etwas überraschend damit, dass Arbeitgeber bereits jetzt nach § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG dazu verpflichtet sind, Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit der Arbeitnehmer zu erfassen, für die der Gesetzgeber nicht auf der Grundlage von Art. 17 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/EG eine von den Vorgaben in Art. 3, 5 und 6 Buchst. b dieser Richtlinie abweichende Regelung getroffen hat. Demzufolge stehe dem Betriebsrat kein über einen Einigungsstellenspruch durchsetzbares Initiativrecht zur Einführung eines elektronischen Systems zu, mit dem die tägliche Arbeitszeit solcher Arbeitnehmer erfasst werden soll.

III.

Was bedeutet dies nun für Arbeitgeber in Deutschland?

Das BAG setzt die Entscheidung des EuGH um und erteilt einen deutlichen Rüffel an den deutschen Gesetzgeber. Dieser hätte die Entscheidung des EuGH umsetzen müssen, was nicht erfolgt sei. Dennoch seien deutsche Unternehmen aber bereits jetzt grundsätzlich dazu verpflichtet, die Dauer der täglichen Arbeitszeit mit deren Beginn und Ende sowie der Überstunden zu erfassen. Dies gilt für alle Unternehmen und zwar unabhängig davon, wie groß sie sind und ob bei ihnen ein Betriebsrat gebildet wurde.

1. Welche Arbeitszeiten sind zu erfassen?

Das Bundesarbeitsgericht fordert Arbeitgeber auf, die tägliche Dauer ihrer Arbeitszeit mit dem Beginn und Ende einschließlich der Überstunden zu erfassen.

Da wären wir auch schon beim Kern des Problems: Was ist Arbeitszeit? Bei Tätigkeiten mit messbaren Arbeiten wie bspw. in der Produktion ist dies noch relativ einfach zu bestimmen. Die Arbeitszeit beginnt dann, wenn der Arbeitnehmer seine Tätigkeit fremdbestimmt für den Arbeitgeber aufnimmt. Wie sieht es aber mit Arbeitszeit bei Wissensträgern aus, bei denen sich typischerweise Freizeit und Arbeit miteinander vermischen? Liegt auch zu erfassende Arbeitszeit bereits dann vor, wenn der Arbeitnehmer morgens unter der Dusche an seine Tätigkeit denkt und bereits seinen Tagesablauf strukturiert und vorbereitet? Muss er dies bereits als Arbeitszeit erfassen, dann eine Pause eintragen, wenn er frühstückt, die Zeitung liest und sich auf den Weg ins Büro macht? Die Kernfrage, was eigentlich erfassungspflichtige Arbeitszeit ist, ist weiterhin offen. Versucht man eine grobe Abgrenzung, liegt eine aufzeichnungspflichtige Arbeitszeit vor, wenn der Arbeitnehmer seine Lebenszeit zugunsten des Arbeitgebers fremdbestimmt aufwendet, keine Arbeitszeit hingegen dann, wenn diese Zeit nur eigenen Bedürfnissen dient (z.B. die Mittagspause). Grauflächen werden nicht zu vermeiden sein (z.B. der Smalltalk in der Küche mit Kollegen über private und dienstliche Themen), können aber durch betriebliche Regeln auskonturiert werden, z.B. durch Festlegung eines Arbeitszeitrahmens sowie eines Zeitpunkts, ab dem die Arbeitszeit als fremdbestimmt zu erfassen ist. Ich empfehle bei der Dokumentation von Unterbrechungen der Arbeitszeit mit Ausnahme der gesetzlichen Pausenzeiten nicht zu kleinteilig zu werden. Alles andere führt zu einem nicht vertretbaren Organisationsaufwand und wird auch nicht die Akzeptanz der Mitarbeiter erreichen.

Das Bundesarbeitsgericht fordert darüber hinaus, dass auch Überstunden zu erfassen sind. Dies stellt ein Auslegungs- und ein Umsetzungsproblem dar. Denn der EuGH hat „lediglich“ gefordert, dass die tägliche Arbeitszeit gemessen werden muss. Auf die explizite Erfassung von „Überstunden“ hat der EuGH nicht abgestellt. Es stellt sich daher die Frage, was unter „Überstunden“ im Sinne der Rechtsprechung des BAG zu verstehen ist. „Überstunden“ sind nach dem Verständnis des deutschen Arbeitsrechts diejenigen Stunden, die über die individualvertraglich geschuldete Arbeitszeit hinausgehen (Arbeitszeit im vergütungsrechtlichen Sinne). Deren Behandlung (Ausgleich oder Abgeltung) richten sich nach den arbeitsvertraglichen, betrieblichen und tarifvertraglichen Bestimmungen. „Mehrarbeit“ ist hingegen die Arbeitszeit, die über die Arbeitszeit nach dem ArbZG (also 8 Stunden/Tag) hinausgeht, § 16 Abs. 2 ArbZG (Arbeitszeit im Sinne des Arbeitsschutzes). Diese Differenzierung findet sich bspw. in § 8 der Offshore-ArbZV. Wenn man also den Begriff der „Überstunde“ im individualvertraglichen Sinne zugrunde legt, wären auch die Überschreitungen der täglich geschuldeten Arbeitszeit zu erfassen und eben nicht erst die Überschreitung der werktäglichen Höchstarbeitszeit von 8 Stunden. Dies ist ein ganz erheblicher Unterschied. Denn in der Praxis werden in Unternehmen Überstunden mittlerweile auf längere Ausgleichszeiträume bezogen und nicht auf eine Tagesbetrachtung – bei der Jahresarbeitszeit also bspw. auf ein Jahr. Es stellt sich daher die Frage, was dies für die Erfassung der Arbeitszeit bedeutet, wenn sich die Definition der Überstunden auf die Jahresarbeitszeit bezieht. Dann wären zwangsläufig Arbeitszeitkonten zu errichten, was weder das BAG noch der EuGH fordern. Zudem kann die Erfassung von Überstunden auch Auswirkungen auf die Vergütung haben. Die prozessuale Durchsetzung von Überstundenansprüchen ist – wie das BAG bereits ausgeführt hat – in der Praxis für Arbeitnehmer mit hohen Hürden verbunden, woran sich auch nichts durch die Rechtsprechung des EuGH geändert hat (BAG, Urt. v. 4.5.2022 – 5 AZR 359/21). Anders ist dies dann, wenn diese Zeiten durch den Arbeitgeber anerkannt sind – zum Beispiel durch eine dokumentierte Arbeitszeiterfassung (BAG, Urt. v. 26.6.2019 – 5 AZR 452/18).

Das Bundesarbeitsgericht liest die Pflicht zur Erfassung der Arbeitszeit in die Generalklausel des ArbSchG (§ 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG) und die daraus resultierende Organisationspflicht des Arbeitgebers zum Arbeits- und Gesundheitsschutz. In diesem Rahmen räumt das Bundesarbeitsgericht dem Arbeitgeber einen Ermessensspielraum bei der Ausgestaltung des Systems zur Erfassung der Arbeitszeit ein. Arbeitgeber müssen daher anhand einer Gefährdungsbeurteilung prüfen, welche Gefährdungen für den Gesundheitsschutz ihrer Arbeitnehmer bestehen. Anhand dieses Ergebnisses sind die erforderlichen Maßnahmen zur Erfassung der Arbeitszeit zu treffen, die sich nach der Entscheidung des BAG auch an der Größe des Betriebs sowie der Tätigkeit der Arbeitnehmer orientieren kann. In diesem Zusammenhang sollten Arbeitgeber auch ihre Arbeitszeitmodelle sowie die anwendbaren Regelungen zum Umgang mit Überstunden überprüfen und aktualisieren.

2. Wie ist die Arbeitszeit zu erfassen

Es muss sich nach der Rechtsprechung des EuGH um ein objektives, verlässliches und zugängliches System zur Arbeitszeiterfassung handeln. Das Bundesarbeitsgericht hat diese Vorgaben des EuGH ein wenig konkretisiert und klargestellt, dass keine bestimmte Form der Erfassung der Arbeitszeit erforderlich ist, insbesondere keine elektronische Zeiterfassung. Die Erfassung der Arbeitszeit kann – je nach ausgeübter Tätigkeit und den daraus resultierenden Gefährdungen – auch in anderer Weise erfolgen, z.B. händisch mit Stift und Papier. Das Bundesarbeitsgericht lässt den Unternehmen damit weitestgehend freie Hand. Es hat aber auch klargestellt, dass „rein wirtschaftliche Überlegungen“ des Arbeitgebers nicht ausreichend für die Auswahl des Arbeitszeiterfassungssystems sind. Die Arbeitszeiterfassung darf sich ferner nicht darauf beschränken, Beginn und Ende der Arbeitszeit sowie der Überstunden lediglich zu „erheben“. Die bloße Speicherung manuell eingegebener Daten genügt also nicht. Die Daten der Arbeitszeiterfassung müssen durch den Arbeitgeber erfasst und aufgezeichnet werden. Es reicht daher nicht aus, wenn Arbeitgeber den Mitarbeitern ein Arbeitszeiterfassungssystem zur freiwilligen Nutzung zur Verfügung stellen. Das Bundesarbeitsgericht argumentiert mit dem Arbeits- und Gesundheitsschutz, so dass sich ein einfacher Vergleich anstellen lässt: Wenn eine Verpflichtung der Mitarbeiter besteht, in der Produktionshalle persönliche Schutzausrüstung (PSA) zu tragen, genügt es nicht, wenn der Arbeitgeber diese PSA am Eingangsbereich zur Verfügung stellt. Er muss im Betrieb auch kontrollieren, ob die Mitarbeiter diese PSA anlegen und sie ggf. dazu auffordern, sie zu nutzen. Übertragen auf die Arbeitszeiterfassung bedeutet dies, dass der Arbeitgeber bspw. nicht lediglich Stift und Papier (oder auch ein elektronisches Zeiterfassungssystem) zur Verfügung stellen dürfen. Sie müssen die Mitarbeiter anweisen, dieses System auch zu nutzen, diese Nutzung durch geeignete Maßnahmen kontrollieren und die erfasste Arbeitszeit dann auch aufzubewahren. Entsprechend § 16 Abs. 2 S. 2 ArbZG dürfte eine Aufbewahrung für die Dauer von mindestens 2 Jahren erforderlich aber auch ausreichend sein.

Für Arbeitgeber stellt sich darüber hinaus die Frage, ob sie die Erfassung der Arbeitszeit auf die Arbeitnehmer zur eigenverantwortlichen Wahrnehmung übertragen können. Die Antwort auf diese wichtige Frage lautet nach den nunmehr vorliegenden Entscheidungsgründen des BAG „Ja“. Allerdings sind Arbeitgeber dann auch dazu verpflichtet, zu überwachen, ob ihre Arbeitnehmer ihre Zeiten auch tatsächlich selbst erfassen. Sie können durch eine Delegation der Arbeitszeiterfassung ihre eigenen Pflichten nicht vollständig „abstreifen“. Hierbei ist wie folgt zu differenzieren:

Bei einer analogen Arbeitszeiterfassung kann dies bspw. dergestalt erfolgen, dass sich Arbeitgeber die von den Mitarbeitern selbst vorgenommene Zeiterfassungsbögen regelmäßig vorlegen lassen. Das BAG hat hingegen offengelassen, wann diese Kontrolle durch Arbeitgeber erfolgen muss. Unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des EuGH muss es sich um ein „verlässliches“ Zeiterfassungssystem handeln. Eine lediglich monatliche Vorlage dieser Zeiterfassungsbögen wird daher nicht ausreichend sein. Denn Sinn und Zweck der Arbeitszeiterfassung ist es, Arbeitnehmer vor Belastungen durch Verstöße gegen das ArbZG zu schützen. Zur Erreichung dieses Schutzzwecks ist es daher erforderlich, dass die Kontrolle „zeitnah“ nach der Ableistung der täglichen Arbeitszeit erfolgt.

Etwas anders sieht es aus, wenn es bereits eine elektronische Zeiterfassung gibt. Die Erfassung ist dann regelmäßig über ein sog. „self-service“ möglich und auch zur Erreichung des Zwecks des Gesundheitsschutzes der Mitarbeiter geeignet. Die Mitarbeiter müssen dann aber durch den Arbeitgeber angewiesen werden, dieses elektronische System unmittelbar nach der geleisteten Tätigkeit zu nutzen.

Das BAG hat entschieden, dass Arbeitgeber einen Spielraum bei der Umsetzung der Arbeitszeiterfassung haben. Es muss sich daher nicht um „ein gleiches Zeiterfassungssystem“ für alle Mitarbeiter handeln. Dieses kann vielmehr auch die Besonderheiten einzelner Tätigkeiten berücksichtigen. Zu solchen Tätigkeiten gehören insbesondere ortsungebundene Tätigkeiten wie bspw. im Home-Office oder Mobile Arbeit oder auch die Tätigkeit von Außendienstmitarbeitern. Für diese Tätigkeiten können Arbeitgeber passgenaue betriebliche Regeln schaffen, die einerseits den mit der Zeiterfassung intendierten Gesundheitsschutz berücksichtigen, andererseits aber auch die Interessen der Mitarbeiter und des Arbeitgebers, einfach handhabbare Lösungen zu schaffen. In Betracht kommen daher z.B. Self-Service Lösungen mittels einer elektronischen app-basierten Zeiterfassung, händische Aufzeichnungen, die dem Arbeitgeber zur Verfügung zu stellen sind oder auch eine Mitteilung über Beginn und Ende der Arbeitszeit per E-Mail (was einer elektronischen Zeiterfassung sehr nahekommt). Die Kontrollpflichten des Arbeitgebers zur Arbeitszeitaufzeichnung werden sich in solchen remote-Arbeitsverhältnissen aber erhöhen, um einerseits Missbrauch vorzubeugen, andererseits der eigenen Überwachungspflicht ordnungsgemäß nachzukommen. Zudem reicht es nicht aus, wenn Arbeitgeber lediglich die Dauer der geleisteten Arbeitszeit nicht aber Beginn und Ende erfassen.

Das BAG hat offen gelassen, ob die Pflicht zur Erfassung der Arbeitszeit auch für „echt“ Leitende Angestellte i.S.d. § 5 Abs. 3 BetrVG gilt. Es hat zwar ausgeführt, dass es grundsätzlich denkbar ist, dass bestimmte Personengruppen von der Verpflichtung der Erfassung der Arbeitszeit ausgenommen werden. Dies sieht das Europäische Recht (Arbeitszeitrichtlinie), auf die das deutsche ArbZG zurückgeht, ausdrücklich vor. Das BAG leitet die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung aber gerade nicht aus dem Arbeitszeitgesetz, sondern aus dem Arbeitsschutzgesetz her. Dessen Anwendungsbereich ist weiter als der des ArbZG und erfasst alle Arbeitnehmer (egal ob Leitende Angestellte oder nicht). In dem durch das BAG entschiedenen Fall kam es auf diese Frage aber nicht an, da es allein um die Frage der Reichweite der Mitbestimmung des Betriebsrats ging. Diese gilt aber nur für Arbeitnehmer, die nicht „echt“ Leitende Angestellte sind. Selbst wenn man mit gut vertretbaren Gründen die Leitenden Angestellten i.S.d. § 5 Abs. 3 BetrVG von der Arbeitszeiterfassung ausnimmt, sind diese nicht „schutzlos“ gestellt. Aus der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers (§ 618 BGB) darf dieser auch diese Mitarbeitergruppe nicht grenzenlos tätig werden lassen. Die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers gebietet es daher, durch geeignete Maßnahmen darauf achten, dass auch diese Personengruppe nicht überfordert wird. Die Beantwortung dieser Frage hängt davon ab, was man unter „Vertrauensarbeitszeit“ versteht. Versteht man diese in dem Sinne einer flexiblen durch die Mitarbeiter selbst gestalteten Lage der Arbeitszeit, wird dies auch zukünftig wie bisher möglich sein. Versteht man Vertrauensarbeitszeit im Sinne einer „sich wirtschaftlich selbst optimierenden Überstundenausbezahlungsvermeidungsstrategie“ ohne Kontrollpflichten zur Einhaltung von Beginn und Ende der Arbeitszeit, ist sie tot. Denn bereits nach der bisherigen Rechtsprechung des BAG (Urt. v. 26.6.2019 – 5 AZR 452/18) können auch bei Vertrauensarbeitszeitmodellen Ansprüche der Mitarbeiter auf Vergütung der von ihnen geleisteten Überstunden entstehen. Mit einer verpflichten Arbeitszeiterfassung werden diese geleisteten Stunden nun transparent und sind – je nach arbeitsvertraglicher Ausgestaltung – dann auch zu vergüten oder in Freizeit auszugleichen.

3. Beteiligung des Betriebsrats

Der Betriebsrat hat (derzeit noch) ein Mitbestimmungsrecht bei der Ausgestaltung der Arbeitszeiterfassung – er kann eben nur keine elektronische Arbeitszeiterfassung einfordern. Das Verfahren vor dem BAG hatte der Arbeitgeber daher gewonnen, weil das BAG kein Initiativrecht des Betriebsrats aus § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG anerkannt hat. Zugleich hat er dieses Verfahren aber faktisch verloren, weil der Betriebsrat bei der Ausgestaltung der Arbeitszeiterfassung und möglicherweise bereits bei der vorgelagerten Gefährdungsbeurteilung nach § 5 ArbSchG ein (umfassendes) Mitbestimmungsrecht aus § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG hat. Das BAG ist in den Entscheidungsgründen hart mit dem Gesetzgeber ins Gericht gegangen und hat diesem auf den „vorweihnachtlichen Wunschzettel“ geschrieben, dass er die Arbeitszeiterfassung nun endlich gesetzlich regeln soll. Dies wird (möglicherweise) dann auch irgendwann geschehen. Wenn dies erfolgt, gibt es eine gesetzliche Regelung zur Arbeitszeiterfassung, so dass dann wiederum das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats im Umfang der gesetzlichen Regelung gesperrt ist. Ob ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats verbleibt, wird dann von der gesetzlichen Ausgestaltung davon abhängen, ob der Arbeitgeber noch einen Ausgestaltungsspielraum hat. Falls sich Arbeitgeber dafür entscheiden, eine elektronische Zeiterfassung einzuführen, würde diese dann wiederum dem Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG unterliegen. Neben den mitbestimmungsrechtlichen Vorgaben sind bei jeglicher Form der Zeiterfassung dann auch die datenschutzrechtlichen Aspekte zu beachten.

III.

Sanktionen

Verstöße gegen die Verpflichtung zur Erfassung der Arbeitszeit sind im ArbZG derzeit gesetzlich nur sanktioniert, soweit Arbeitgeber ihrer Pflicht zur Erfassung der über 8 Stunden hinausgehenden Arbeitszeit nicht nachkommen. Ein solcher Verstoß kann in jedem Einzelfall mit einem Bußgeld von bis zu 1.600,– EUR geahndet werden. Zukünftig könnten die Arbeitsschutzbehörden bei Verstößen gegen die weitergehenden Verpflichtungen zur Erfassung der Arbeitszeit Anordnungen treffen, den durch das BAG entwickelten Aufzeichnungspflichten nachzukommen. Weigern sich Arbeitgeber, können deutlich höhere Bußgelder folgen.

Dr. Sebastian Maiß, Fachanwalt für Arbeitsrecht, Düsseldorf, maiss@michelspmks.de

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