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LAG Köln: Arbeitnehmereigenschaft eines Praxisvertreters

 

Ein Arzt, der ohne eigenes unternehmerisches Risiko gegen Zahlung einer Festvergütung und mit der Verpflichtung, vorgegebene Arbeitszeiten einzuhalten, die Krankheitsvertretung eines niedergelassenen Arztes übernimmt, ist Arbeitnehmer.

 

LAG Köln, Beschl. v. 6.5.2022 – 9 Ta 18/22

I. Der Fall

Der Kläger ist Facharzt für Haut- und Geschlechtskrankheiten. Er sollte auf Grundlage eines Praxisvertretungsvertrages im Zeitraum vom 12.4.2021 bis 30.6.2021 die Beklagte, eine niedergelassene Hautärztin mit Vertragsarztsitz in Köln, wegen einer Erkrankung vertreten. Der Praxisvertretungsvertrag sah vor, dass der Kläger einen Stundensatz von 100,- EUR und eine Prämie in Höhe von 50 % der erzielten IGEL-Umsätze erhalten solle. Die „Arbeitszeiten“ einschl. der Pausenzeiten waren vertraglich fest vereinbart. Nach dem Praxisvertretungsvertrag sollte die Tätigkeit „freiberuflich“ erfolgen und der Kläger selbst Steuern und Sozialbeiträge abführen.

Die Beklagte kündigte den Praxisvertretungsvertrag außerordentlich und fristlos und erteilte dem Kläger ein Hausverbot. Hiergegen erhobt der Kläger Kündigungsschutz- und Leistungsklage vor dem Arbeitsgericht. Er ist der Auffassung, der Praxisvertretungsvertrag habe ein Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien begründet. Er sei in den Praxisbetrieb vollständig eingebunden gewesen. Patiententermine seien ohne sein Zutun vom Praxispersonal vereinbart worden. Die Beklagte trägt vor, der Kläger habe sich wie der „neue Chef“ geriert, Möbel umgeräumt und die Praxiszeiten eigenmächtig geändert. Weisungen an den Kläger habe sie schon krankheitsbedingt nicht erteilen können.

Auf Rüge der Beklagten erklärte das Arbeitsgericht den Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen für eröffnet (ArbG Köln, Beschluss v. 3.12.2021 – 19 Ca 3335/21). Die hiergegen gem. § 17a Abs. 4 S. 3 GVG eingelegte sofortige Beschwerde der Beklagten blieb erfolglos.

II. Die Entscheidung

Das LAG Köln ging, ebenso wie die Vorinstanz davon aus, dass der Kläger Arbeitnehmer der Beklagten war. Der Kläger habe sich gemäß § 611a Abs. 1 BGB zur Leistung weisungsgebundener, fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet. Aufgrund einer Gesamtbetrachtung aller Umstände sei er als Arbeitnehmer zu betrachten. Auf die Bezeichnung im Vertrag komme es hingegen nicht an.

Das (Vertrags-)arztrecht enthalte keine Aussagen zu der Frage des arbeits- und sozialversicherungsrechtlichen Status eines Vertretungsarztes. Die Zulassungsverordnung für Vertragsärzte sehe insofern nur vor, dass der Praxisvertreter approbierter Arzt sein müsse.

Auch eine feste Verkehrsanschauung hinsichtlich des Status von Vertretungsärzten sei nicht festzustellen.

Nach der gebotenen Gesamtbetrachtung sei von einem Arbeitsverhältnis auszugehen. Gemäß den vertraglichen Vereinbarungen war der Kläger nicht berechtigt, seine Arbeitszeit frei einzuteilen. Nach den vertraglichen Festlegungen sei die Arbeitszeit einschließlich der Lage und der Dauer der Pausen vielmehr vorgegeben gewesen. Von Bedeutung sei zudem, dass der Kläger aufgrund der vertraglich festgelegten Arbeitszeiten faktisch nicht in der Lage war, in beachtlichem Umfang für weitere Auftraggeber tätig zu sein und dementsprechend werbend am Markt aufzutreten. Dass der Kläger im Wesentlichen keinen Einzelweisungen der Beklagten unterlag, liege an der Eigenart der ärztlichen Praxisvertretung und spreche nicht gegen das Vorliegen eines Arbeitsverhältnisses. Insbesondere bei hochqualifizierten Tätigkeiten oder Spezialisten könne das Weisungsrecht sehr stark eingeschränkt sein, ohne dass hierdurch ein Arbeitsverhältnis ausgeschlossen werde.

Von Bedeutung sei zudem, dass der Kläger über keine eigenen Betriebsmittel verfügte. Entscheidend sei schließlich, dass der Kläger kein nennenswertes unternehmerisches Risiko trage, was für Selbstständige typisch sei. Der Kläger habe eine feste Vergütung von der Beklagten erhalten. Die Beteiligung an den IGEL-Leistungen falle dem gegenüber nicht ins Gewicht.

III. Der Praxistipp

Zum arbeits- und sozialrechtlichen Status von sogenannten Honorarärzten sind in den letzten Jahren zahlreiche Entscheidungen der Arbeits- und Sozialgerichte ergangen, die jedoch sich zumeist auf Tätigkeiten im Krankenhaus bezogen. Bezüglich derartiger Honorararzteinsätze zeigt sich in der Rechtsprechung der Arbeitsgerichte eine Tendenz zugunsten der Annahme einer selbstständigen Tätigkeit, sofern der Honorararzt bestimmenden Einfluss auf die Dienstplanung hat (vgl. LAG Düsseldorf, Urt. v. 6.2.2018 – 3 Sa 632/17; LAG Hessen, Urt. v. 30.11.2015 – 16 Sa 583/15; LAG Hamm, Urt. v. 7.2.2011 – 2 Ta 505/10). Im Gegensatz dazu sind in sozialversicherungsrechtlicher Hinsicht Honorarärzte regelmäßig als abhängig Beschäftigte anzusehen. Die Sozialgerichte stellen maßgeblich auf die Eingliederung in den Betrieb des Krankenhauses ab. Bei hochqualifizierten Tätigkeiten komme es weniger auf die Weisungsgebundenheit, sondern auf die „funktionsgerecht dienende Teilhabe am Arbeitsprozess an“ (BSG, Urt. v. 4.6.2019 – B 12 R 11/18 R).

Das LAG Köln ist vorliegend von fehlender Zeitsouveränität ausgegangen. Dies ist zweifelhaft, da die Arbeitszeiten vertraglich festgelegt waren und daher nicht einseitig von der Beklagten vorgegeben werden konnten. Zwar können auch durch die vom Arbeitgeber geschaffene Organisationsstruktur tatsächliche Zwänge auf den Arbeitnehmer einwirken, so dass trotz fehlender Weisungen von einer fremdbestimmten Tätigkeit auszugehen ist (BAG, Urt. v. 1.12.2020 – 9 AZR 102/20). Dies hätte jedoch einer eingehenderen Begründung bedurft, zumal der Kläger sich nicht auf unbestimmte Zeit, sondern nur für einen Zeitraum von rund 11 Wochen zeitlich gebunden hat.

Auch die Ausführungen des LAG Köln zur Eingliederung des Klägers in den Betrieb der Beklagten sind nicht überzeugend. Das LAG bezieht sich zu Unrecht auf die Rechtsprechung des BSG. Zum einen darf das von der sozialgerichtlichen Rechtsprechung herangezogene Kriterium der „funktionsgerecht dienenden Teilhabe am Arbeitsprozess“, welches den Status als abhängig Beschäftigter begründen kann, nicht undifferenziert zur Feststellung der Arbeitnehmereigenschaft herangezogen werden. Zum anderen läge vorliegend nach der Rechtsprechung des BSG eine abhängige Beschäftigung voraussichtlich nicht vor. Das BSG lehnt eine Eingliederung eines Praxisvertreters in den fremden Arztbetrieb nämlich dann ab, wenn der Arztvertreter für die Dauer seiner Tätigkeit die Stelle des Praxisinhabers einnimmt und zeitweilig selbst dessen Arbeitgeberfunktionen erfüllt (BSG, Urt. v. 19.10.2021 – B 12 R 1/21 R).

Für die Praxis ist Folgendes zu berücksichtigen: Soweit es nicht um ganz kurzfristige Praxisvertretungen von nur wenigen Tagen, etwa bei einer akuten Erkrankung des Praxisinhabers, geht, sollten die Vertragsparteien vorsorglich davon ausgehen, dass zwischen ihnen ein Arbeitsverhältnis begründet wird. Die Formalien eines befristeten Arbeitsvertrags sollten daher eingehalten werden. Materiell rechtlich dürfte eine Befristung zulässig sein, sei es als sachgrundlose Befristung oder als Befristung zur Vertretung. Um trotz des BSG-Urteils vom 19.10.2021 noch bestehende sozialversicherungsrechtliche Risiken zu minimieren, empfiehlt es sich, vorsorglich eine Befreiung des Praxisvertreters gem. § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB VI von der Rentenversicherungspflicht zu beantragen. Versicherungspflicht in der Kranken- und Pflegeversicherung dürfte wegen Übersteigens der Pflichtversicherungsgrenze ohnehin nicht bestehen. Es bleibt dann nur die Arbeitslosen- und gesetzliche Unfallversicherungspflicht, die mit überschaubaren Kosten verbunden sind.

Ulrich Kortmann, Fachanwalt für Arbeitsrecht, Köln

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