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BAG: Pflicht des Arbeitgebers zur Tragung der Kosten einer Betriebsratsschulung auch bei Seminarbeig

1. Ein Arbeitgeber muss die Kosten für die Erstschulung eines Betriebsratsmitglieds auch dann tragen, wenn der Veranstalter seinen Teilnehmern für die Wahrnehmung ihrer Aufgaben Arbeitsgesetze, einen betriebsverfassungsrechtlichen Kommentar, ein Tablet und Ähnliches zur Verfügung stellt.

2. Solange der Seminarpreis pauschal berechnet wird und keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Preis für die Schulung durch die Zugaben unangemessen hoch ist, ist der Arbeitgeber verpflichtet, das Betriebsratsmitglied von den Kosten freizustellen.

[Redaktionelle Leitsätze]

BAG, Beschl. v. 17.11.2021 – 7 ABR 27/20

I. Der Fall

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Arbeitgeberin verpflichtet ist, den Betriebsrat von Schulungskosten freizustellen und dem verfahrensbeteiligten Betriebsratsmitglied die anlässlich der Schulungsteilnahme entstandenen Reisekosten zu erstatten.

Unter dem 10.12.2018 hatte der Betriebsrat beschlossen, dass das verfahrensbeteiligte Betriebsratsmitglied an einem externen Grundlagenseminar „Betriebsverfassungsrecht Teil I“ in der Zeit vom 4.2.2019. bis zum 7.2.2019 teilnehmen sollte. Die Kosten hierfür beliefen sich auf eine Seminargebühr in Höhe eines Betrages von 699,- EUR sowie eine Tagespauschale für Tagesgäste ohne Übernachtung inkl. Mittagessen in Höhe eines Betrages von 58,82 EUR jeweils zzgl. Mehrwertsteuer. Gegenstand des Angebots des Seminarveranstalters war die Überlassung eines sog. „Starter-Sets“ an die Teilnehmer, bestehend aus einem „Tablet für die Betriebsratsarbeit“, einem Handkommentar Fitting zum BetrVG mit Wahlordnung, einer DTV-Ausgabe der Arbeitsgesetze, einem USB-Stick, einem Laserpointer, einem Taschenrechner und einer „praktischen Tasche“. Auch konnte jeder Teilnehmer eine „kostenfreie anwaltliche Erstberatung durch einen erfahrenen Rechtsanwalt“ in Anspruch nehmen.

Die Arbeitgeberin lehnte die Kostenübernahme für die Teilnahme des verfahrensbeteiligten Betriebsratsmitgliedes an der Schulungsveranstaltung mit Schreiben vom 17.1.2019 unter Berufung auf eine „unzulässige Berechnung von Arbeitsmittelkosten in den Seminarkosten (Tablet)“ ab und verwies darauf, es handele sich „bei dem Startkit um Akquise-Geschenke, die weit über den Rahmen einer kleinen Anerkennung hinausgehen“.

Der Beteiligte zu 3. nahm gleichwohl an der Schulung teil, übernachtete allerdings nicht im Veranstaltungshotel, sondern fuhr an den Seminartagen täglich mit dem Pkw von seinem Wohnort zum Veranstaltungsort, wofür er insgesamt eine Fahrstrecke von 558 Kilometern zurücklegte, wodurch Fahrtkosten in Höhe von 167,40 EUR (bei einem Kilometeransatz von 0,30 EUR) entstanden.

Der Seminarveranstalter stellte dem Betriebsrat mit Schreiben vom 24.5.2020 die Seminargebühr in Höhe eines Betrages von 699,- EUR zzgl. Mehrwertsteuer in Höhe eines Betrages von132,81 EUR, mithin insgesamt 831,81 EUR in Rechnung. Mit einer weiteren Rechnung vom 24.5.2020 rechnete der Veranstalter gegenüber dem Betriebsrat zudem drei Tagespauschalen in Höhe eines Betrages von jeweils 58,62 EUR sowie drei Parkgebühren in Höhe eines Betrages von jeweils 6,72 EUR zzgl. Mehrwertsteuer, insgesamt also 233,98 EUR, ab. Der Betriebsrat hat mit dem streitgegenständlichen Beschlussverfahren von der Arbeitgeberin die Freistellung von den Seminargebühren, von der Tagespauschale sowie von den Parkgebühren und die Erstattung der entstandenen Fahrtkosten an den verfahrensbeteiligten Betriebsrat verlangt.

Das Arbeitsgericht hat den Anträgen stattgegeben (ArbG Darmstadt, Beschl. v. 3.9.2019 – 10 BV 6/19); das Landesarbeitsgericht die hiergegen gerichtete Beschwerde der Arbeitgeberin zurückgewiesen (LAG Hessen, Beschl. v. 10.8.2020 – 16 TaBV 177/19). Mit der Rechtsbeschwerde begehrte die Arbeitgeberin nunmehr weiterhin die Abweisung der Anträge, während der der Betriebsrat und das betroffene Betriebsratsmitglied an den Anträgen festhielten und beantragten, die Rechtsbeschwerde zurückzuweisen.

II. Die Entscheidung

Mit Beschl. v. 17.11.2021 hat der Siebte Senat die Rechtsbeschwerde der Arbeitgeberin als unbegründet zurückgewiesen und festgestellt, dass die Vorinstanzen den Anträgen des Betriebsrats zu Recht stattgegeben hätten.

Die Arbeitgeberin habe zunächst den Betriebsrat nach § 40 Abs. 1, § 37 Abs. 6 Satz 1 BetrVG von der Verpflichtung zur Zahlung der Seminargebühr in Höhe eines Betrages von 699,- EUR zzgl. Mehrwertsteuer in Höhe eines Betrages von 132,81 EUR freizustellen, die durch die Schulungsteilnahme des verfahrensbeteiligten Betriebsratsmitglieds entstanden sind. Unter Berücksichtigung dessen, dass dem erstmals im Jahr 2018 als Vollmitglied in den Betriebsrat gewählten verfahrensbeteiligten Betriebsrat bei der Schulung Grundlagenkenntnisse im Betriebsverfassungsrecht vermittelt worden seien, handele sich um eine nach § 37 Abs. 6 BetrVG erforderliche Schulungsveranstaltung, bei der die Schulungsbedürftigkeit daher nicht weiter dargelegt zu werden brauche.

Der in diesem Zusammenhang erhobene Einwand, der Wert der den Seminarteilnehmern überlassenen kostenlosen „Werbebeigaben“ sei zu dem der inhaltlichen Kenntnisvermittlung ins Verhältnis zu setzen, verfange nicht. Die Arbeitgeberin vermenge hierbei in unzulässiger Weise Fragen einer etwaigen durch die Seminarbeigaben entstehenden Kostenbelastung mit denen der auf die Kenntnisvermittlung bezogenen Erforderlichkeit. Der Betriebsrat habe auch nicht deshalb von der Entsendung des verfahrensbeteiligten Betriebsrats zum Seminar absehen müssen, weil der Schulungsveranstalter den Teilnehmern das „Starter-Set“ überließ und die Möglichkeit einer anwaltlichen Erstberatung einräumte. Dem Betriebsrat stehe es im Rahmen seines Beurteilungsspielraums frei, einen Anbieter mit einem derartigen Angebot zu wählen, zumal nicht feststehe, ob der Betriebsrat oder sein an der Schulung teilnehmendes Mitglied die Seminarbeigaben überhaupt in Anspruch nehmen wollten. Schließlich seien die Kosten auch so hinreichend pauschaliert aufgeschlüsselt, dass die Arbeitgeberin die erbrachten Leistungen des Veranstalters nachvollziehen und auf ihre Erstattungsfähigkeit prüfen konnte.

Ferner habe die Arbeitgeberin dem verfahrensbeteiligten Betriebsrat die angefallenen Reisekosten in Höhe eines Betrages von 167,40 EUR durch Zahlung auf dessen Privatkonto zu erstatten. Neben den eigentlichen Seminargebühren habe der Arbeitgeber anlässlich einer nach § 37 Abs. 6 BetrVG erforderlichen Schulungsveranstaltung auch die notwendigen Reise-, Übernachtungs- und Verpflegungskosten des Betriebsratsmitglieds zu tragen (BAG, Urt. v. 24.10.2018 – 7 ABR 23/179).

Schließlich habe die Arbeitgeberin auch die geltend gemachte Tagespauschale in Höhe eines Betrages von 233,98 EUR zu erstatten. Der Rechnung des Schulungsveranstalters könne unter Berücksichtigung der Preisauskunft vom 10.12.2018 entnommen werden, dass es sich bei der Tagespauschale um die Kosten der Verpflegung (inklusive Mittagessen, aber ohne Abendessen) an den absolvierten Schulungstagen – im Rahmen seiner Anwesenheit vor Ort – handelt.

III. Der Praxistipp

Auch wenn die Entscheidung mit Blick auf die ständige Rechtsprechung nicht überrascht, verbleibt doch ein „fader Beigeschmack“. Mir persönlich geht die Verpflichtung zur Übernahme von Kosten für ein Seminar inklusive der Beigabe eines Tablets im Wert von regelmäßig mehreren Hunderten EUR (neben zahlreichen weiteren Beigaben) sowie insbesondere der Möglichkeit zur Inanspruchnahme einer anwaltlichen Erstberatung entschieden zu weit. Ob der Betriebsrat Anspruch auf diese Gegenstände und Leistungen hat, sollte jeweils konkret und anlassbezogen geprüft und von ihm nachgewiesen werden, statt dies mittelbar über die Teilnahme an einem Seminar zur Schulung zuzusprechen. Erforderlich zur ordnungsgemäßen Teilnahme an der Schulung sind diese Kosten jedenfalls sicherlich nicht.

Interessant ist der beiläufige Hinweis, wonach ein Betriebsratsmitglied ggf. aufgrund unternehmensinterner Vorgaben gehindert sein kann, die Seminarbeigaben in Anspruch zu nehmen. Hierzu lautet es in den Entscheidungsgründen wörtlich wie folgt: „Soweit andere Rechtsvorschriften oder Compliance-Regeln bzw. -Richtlinien im Unternehmen die Annahme der Beigaben untersagen, hätte sich das Betriebsratsmitglied ohnehin an diese zu halten und ggf. schon aus diesem Grund von der Annahme der Seminarbeigaben abzusehen.“ Letztlich wandelt somit auch das Betriebsratsmitglied auf einem sehr schmalen Grat, wenn sich durch derartige interne Vorgaben Beschränkungen ergeben. Dem Arbeitgeber wiederum öffnet sich hier Gestaltungspielraum. Fraglich bleibt indes, ob und inwieweit – und wenn ja in welchem Umfang – derartige Beschränkungen mit Blick auf die Betriebsratsarbeit überhaupt gerechtfertigt werden können.

Dr. Gunther Mävers, Fachanwalt für Arbeitsrecht, Köln, maevers@michelspmks.de

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