Wird ein Kündigungsschreiben per Einwurf-Einschreiben übersendet und legt der Absender den Einlieferungsbeleg und die Reproduktion des Einlieferungsbelegs mit der Unterschrift des Zustellers vor, spricht der Beweis des ersten Anscheins für den Zugang des Schreibens beim Empfänger.
[Amtlicher Leitsatz]
I. Der Fall
Kündigung per Einwurf-Einschreiben
Die Beklagte kündigte dem Kläger mit Schreiben vom 26.10.2020 ordentlich zum 30.1.2021. Die Beklagte versandte die Kündigung am 28.10.2020 als Einwurf-Einschreiben. An diesem Tag gab sie das Kündigungsschreiben zur Post. Der Kläger, der in einer Hochhausanlage wohnte, behauptete, die Kündigung nicht erhalten zu haben. Er begehrte die Feststellung, dass das Arbeitsverhältnis ungekündigt fortbestehe. Die Beklagte legte im erstinstanzlichen Verfahren zum Nachweis des Zugangs einen Einlieferungsbeleg sowie die Reproduktion des vom Zusteller unterschriebenen Auslieferungsbeleges vor.
Verfahrensgang
Das Arbeitsgericht hat der Kündigungsschutzklage stattgegeben (ArbG Lübeck, Urt. v. 1.10.2020 – 1 Ca 572/20) und festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis ungekündigt fortbesteht. Die Beklagte habe den Zugang des Kündigungsschreibens nicht beweisen können. Der Auslieferungsbeleg eines Einwurf-Einschreibens begründe keinen Beweis des ersten Anscheins für den Zugang des Schreibens.
II. Die Entscheidung
Beweis des ersten Anscheins
Das Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein hob das erstinstanzliche Urteil auf die von der Beklagten eingelegte Berufung teilweise auf und wies den Feststellungsantrag ab. In den Entscheidungsgründen führt die erste Kammer des Landesarbeitsgerichtes Schleswig-Holstein dezidiert aus, dass die Voraussetzungen des Beweises des ersten Anscheines gegeben seien. Der feststehende tatsächliche Geschehensablauf führe mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu einem Einwurf der Sendung in den richtigen Briefkasten. Dafür böten die organisatorischen Anweisungen, die die Deutsche Post AG für die Zustellung eines Einwurf-Einschreibens getroffen habe, eine hinreichend sichere Grundlage. Beim Einwurf-Einschreiben erfolge die Ablieferung durch Einwurf der Sendung in den Briefkasten oder das Postfach des Empfängers. Unmittelbar vor dem Einwurf ziehe der Postangestellte das sogenannte „Peel-Off-Label“ (Abziehetikett, das zur Identifizierung der Sendung dient), von dieser ab und klebe es auf den so vorbereiteten auf die eingeworfene Sendung bezogenen Auslieferungsbeleg. Auf diesem Weg bestätigt der Postangestellte nach dem Einwurf mit seiner Unterschrift und der Datumsangabe die Zustellung. Im Ergebnis werde deshalb die Zustellung des Einwurf-Einschreibens von dem Postzusteller aus der routinemäßigen Zustellung ausgenommen. Es genüge für den zugrunde zulegenden Erfahrungssatz, dass eine Zustellung ordnungsgemäß erfolge, wenn eine berufsmäßig mit der Zustellung beauftragte Person mit der zuzustellenden Sendung vor dem Briefkasten stehe.
Zulassung der Revision
Das Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein ließ im Hinblick auf die anderweitig ergangene Rechtsprechung die Revision zu.
III. Der Praxistipp
divergierende Rechtsprechung
Trotz der sorgfältig begründeten Entscheidung des Landesarbeitsgerichtes Schleswig-Holstein empfiehlt es sich derzeit noch, Kündigungen per Boten zuzustellen. So haben etwa das Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz in seinen Entscheidungen vom 23.9.2013 – 5 Sa 18/13 – und vom 17.9.2019 – 8 Sa 57/19 –, das Arbeitsgericht Düsseldorf in seinen Entscheidungen vom 6.4.2017 – 10 Ca 1762/16 – und vom 22.2.2019 – 14 Ca 465/19 – sowie das LAG Hamm vom 5.8.2019 – 3 Sa 1677/19 – gegenteilig entschieden. Der BGH indes hält die Voraussetzungen des Beweises des ersten Anscheines für gegeben, Urt. v. 27.9.2016 – II ZR 299/15.
Zustellung per Bote weiterhin empfehlenswert
Es bleibt zu hoffen, dass aufgrund der zugelassenen Revision die Frage nun endgültig vom Bundesarbeitsgericht geklärt wird. Bis zur endgültigen Klärung empfiehlt sich aus Gründen der Rechtssicherheit allerdings die Zustellung durch persönliche Übergabe mit Empfangsquittung oder aber per Bote.
Dr. Marcus Michels, Fachanwalt für Arbeitsrecht, Köln, michels@michelspmks.de