Neue anhängige Rechtsfragen
– BAG 8 AZR 370/20 / 371/20 /372/20 –
Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG wegen Nichtzahlung von Überstundenzuschlägen
Die Parteien streiten in der Revision u.a. über einen Anspruch der Klägerin auf Zahlung einer Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG.
Der beklagte Verein ist ein bundesweit tätiger ambulanter Dialyseanbieter. In seinem Betrieb in B. werden 36 Arbeitnehmer beschäftigt. Davon sind 27 Frauen und neun Männer. Von den beschäftigten Frauen arbeiten 20 in Teilzeit und drei in Vollzeit, vier Frauen befinden sich in Elternzeit. Die Klägerin ist für den Beklagten in B. als Pflegekraft in Teilzeit mit einer Arbeitszeit von 40 % der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit einer Vollzeitkraft beschäftigt. Sie wird in der Regel an zwei Arbeitstagen pro Woche vollschichtig tätig.
Nach § 10 Ziffer 7 S. 1 eines arbeitsvertraglich in Bezug genommenen Manteltarifvertrags (MTV) sind Überstunden auf Anordnung geleistete Arbeitsstunden, die über die im Rahmen der regelmäßigen Arbeitszeit eines vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmers hinausgehend dienstplanmäßig bzw. betriebsüblich geleistet werden. Zuschlagspflichtig mit einem Zuschlag i.H.v. 30 % sind nach § 10 Ziffer 7 S. 2 MTV Überstunden, die über die kalendermonatliche Arbeitszeit eines vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmers hinaus geleistet werden und im jeweiligen Kalendermonat der Arbeitsleistung nicht durch Freizeitgewährung ausgeglichen werden können.
Für die Klägerin wird ein Arbeitszeitkonto geführt. Im Monat März 2018 belief sich das Arbeitszeitguthaben der Klägerin auf 129 Stunden und 24 Minuten. Hierbei handelt es sich um die von ihr geleisteten Überstunden. Überstundenzuschläge wurden von dem Beklagten weder in Form einer Zeitgutschrift noch als Geldzahlung abgegolten.
Die Klägerin hat mit ihrer Klage u.a. die Abgeltung der Überstundenzuschläge als Zeitgutschrift i.H.v. 30 % der geleisteten Überstunden (38 Stunden und 49 Minuten) sowie die Zahlung einer Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG in Höhe eines Vierteljahresverdienstes (4.485,06 EUR) wegen der unterbliebenen Zahlung von Überstundenzuschlägen begehrt. Sie hat die Auffassung vertreten, der Beklagte habe sie als Teilzeitbeschäftigte wegen des Geschlechts benachteiligt.
Das ArbG hat die Klage insoweit abgewiesen. Das LAG hat der Klägerin die begehrte Zeitgutschrift zugesprochen und ihre Berufung im Hinblick auf den Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 AGG zurückgewiesen. Der Anspruch auf Zeitgutschrift folge aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 4 TzBfG. Danach habe der Beklagte Schadensersatz zu leisten; er habe § 10 Ziffer 7 MTV nicht nur auf Vollzeitbeschäftigte anwenden dürfen, sondern die Vorschrift auf Teilzeitbeschäftigte entsprechend anwenden müssen. Ein Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 AGG bestehe hingegen nicht. Der Beklagte habe die Klägerin zwar wegen ihres Geschlechts bei der Entgeltzahlung benachteiligt, eine Entschädigungszahlung sei im konkreten Fall jedoch unangemessen.
Gegen Letzteres wendet sich die Klägerin mit ihrer Revision. Der Beklagte begehrt im Wege der Anschlussrevision die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.
Vorinstanz: Hessisches Landesarbeitsgericht, Urt. v. 19.12.2019 – 5 Sa 436/19
Termin der Entscheidung: 28.10.2021, 11:00 Uhr
Zuständig: Achter Senat
– BAG 6 AZR 94/19 –
Insolvenzrechtliche Einordnung eines Urlaubsabgeltungsanspruchs
Die Parteien streiten noch über den insolvenzrechtlichen Rang eines Urlaubsabgeltungsanspruchs des Klägers.
Am 1.11.2017 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin eröffnet und die Beklagte zur Insolvenzverwalterin bestellt. Zuvor war die Beklagte mit Beschluss vom 6.9.2017 zur starken vorläufigen Insolvenzverwalterin bestellt worden. Der Kläger arbeitete bis zum 29.9.2017 und kündigte an diesem Tag das Arbeitsverhältnis fristlos. Zu diesem Zeitpunkt standen ihm aus dem Urlaubsjahr 2017 noch 20 Tage Resturlaub zu.
Der Kläger hat – soweit für die Revision von Belang – die Abgeltung seines Resturlaubs i.H.v. 3.391,30 EUR nebst Zinsen begehrt. Dabei hat er sich auf § 55 Abs. 2 S. 2 InsO gestützt. Die Urlaubsabgeltung sei als Masseforderung zu beanspruchen, da die Beklagte nach ihrem Einsatz als starke Insolvenzverwalterin seine Arbeitsleistung entgegengenommen habe und sein Anspruch auf Urlaubsabgeltung nach ihrem Einsatz als starke vorläufige Insolvenzverwalterin fällig geworden sei.
Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen.
Mit Teilurteil vom 10.9.2020 (6 AZR 94/19 (A)) hat der Sechste Senat die Verhandlung ausgesetzt. Seiner Ansicht nach ist die Urlaubsabgeltung eine (Neu-)Masseverbindlichkeit, wenn der Arbeitnehmer vom (starken vorläufigen) Insolvenzverwalter bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses zur Arbeitsleistung herangezogen worden ist. Der Sechste Senat hat des Weiteren die Auffassung vertreten, dass der Abgeltungsanspruch in voller Höhe als Masseverbindlichkeit zu begleichen sei; eine quotale Berichtigung dieser Verbindlichkeit widerspreche der Systematik der Insolvenzordnung. An einer entsprechenden Entscheidung hat er sich jedoch durch das Urteil des Neunten Senats vom 21.11.2006 (9 AZR 97/06 –BAGE 120, 232) gehindert gesehen. Dort hatte dieser angenommen, dass im Anwendungsbereich des § 209 Abs. 2 Nr. 3 InsO nur der „anteilige“ Geldwert des Urlaubs eine Neumasseverbindlichkeit darstelle, der auf die Dauer der Arbeitsleistung entfällt, die nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit tatsächlich entgegengenommen wird. Der Sechste Senat hat daher gemäß § 45 Abs. 3 S. 1 ArbGG beim Neunten Senat angefragt, ob dieser an seiner Rechtsprechung festhalte.
Mit Beschluss vom 16.2.2021 (9 AS 1/21) hat der Neunte Senat dies verneint.
Vorinstanz: LAG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 10.10.2018 – 23 Sa 505/18
Termin der Entscheidung: 25.11.2019, 9:15 Uhr
Zuständig: Sechster Senat