Beitrag

B. KI in der niedersächsischen Justiz

Gesine Irskens, Referatsteilleiterin im Niedersächsischen Justizministerium, Hannover
I.

Einleitung

Die Landesjustizverwaltungen haben die Bedeutung des Themas KI erkannt. Mit Mitteln aus der Digitalisierungsinitiative arbeiten die Bundesländer und der Bund unter der Federführung Baden-Württembergs derzeit an der Erstellung einer KI-Strategie der Justiz, um die positiven Effekte, die KI auf einen einfachen, modernen und transparenten Zugang zum Recht, eine effektive Strafverfolgung und einen modernen und effizienten Justizvollzug haben kann, zu nutzen. Im Zentrum der Überlegungen stehen hierbei Tools, die das vorhandene Personal entlasten, nicht aber ersetzen. Auch die aktuelle Regierung in Niedersachsen hat sich in ihrem Koalitionsvertrag zu dem Einsatz moderner Instrumente wie KI bekannt, gleichzeitig aber formuliert, dass die abschließende Entscheidungsfindung immer den handelnden Menschen vorbehalten bleibt.

Ziel der KI-Strategie der Justiz ist es im Wesentlichen, ein einheitlich abgestimmtes Vorgehen von Bund und Ländern bei Einkauf, Entwicklung und Einsatz von KI-Anwendungen sicherzustellen. Diese strategischen Festlegungen vorzunehmen wird dadurch erleichtert, dass bereits einige Bundesländer KI-Anwendungen für die Justiz entwickelt und in Betrieb genommen haben. Die ersten Entwicklungen zeigen einerseits bestehende Regelungsbedarfe und andererseits Best Practices auf, die neben anderen Überlegungen eine Richtschnur für die Handlungsfelder der KI-Strategie bilden. Einen ersten Eindruck der zahlreichen Legal Tech- und auch KI-Tools vermittelt die Übersichtskarte der Berliner Gruppe, die allerdings noch nicht alle Projekte erfasst. Ein Teil der in Niedersachsen initiierten Projekte soll im folgenden Beitrag vorgestellt werden.

II.

Erkenntnismittelassistent EMIL

1.

Ausgangslage

Der KI-gestützte Erkenntnismittelassistent EMIL kommt derzeit in Asylverfahren zum Einsatz. Asylverfahren sind in den vergangenen Jahren in den Fokus mehrerer Beschlüsse des Bundeskanzlers und der Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder gerückt. Hintergrund ist, dass bundesweit die Anzahl und Dauer von Asylverfahren an den Gerichten ein Problem darstellen. Asylverfahren machen die Masse der Verfahren an den Verwaltungsgerichten aus. In Niedersachsen waren dies im Jahr 2022 rund 47 % des Bestandes und 43 % der Eingänge. Beide Zahlen lagen in der Vergangenheit zum Teil bedeutend höher. Die durchschnittliche Verfahrensdauer der verwaltungsgerichtlichen Asylverfahren betrug zur Jahreshälfte 2022 bundesweit 26,6 Monate. Angestrebt wird seitens der Bundesregierung, das Asyl- und das anschließende Gerichtsverfahren jeweils in drei Monaten abzuschließen und hierbei neben der besseren personellen Ausstattung der Verwaltungsgerichte die Entlastungswirkung durch konsequente Digitalisierung zu nutzen. Hier setzt EMIL als intelligenter Rechercheassistent für Erkenntnismittel zu Herkunftsländern an.

2.

Unterstützung bei der Aufbereitung der Erkenntnismittel

Ein bedeutender Aufwand bei der Bearbeitung von Asylverfahren geht mit der Aufbereitung der Erkenntnismittel einher. Erkenntnismittel im Sinne von Art. 8 Abs. 2 der Richtlinie 2011/95/EU (Anerkennungsrichtlinie) sind „genaue und aktuelle Informationen aus relevanten Quellen“, darunter etwa Berichte des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge oder des Europäischen Unterstützungsbüros für Asylfragen. Diese Informationen dienen dazu, die Darstellungen der Klägerinnen und Kläger zu überprüfen, insbesondere hinsichtlich der Frage, ob eine begründete Furcht vor Verfolgung oder eine sonstige Gefahr im Herkunftsland vorliegt. In der Praxis greifen die Verwaltungsgerichte auf eine Vielzahl von Quellen zurück und integrieren diese über sogenannte Erkenntnismittellisten in die Verfahren. So umfasst beispielsweise die Erkenntnismittelliste des Verwaltungsgerichts Braunschweig allein zu den Verhältnissen im Irak rund 52 DIN-A4-Seiten. Eine tagesaktuelle Auswertung all dieser oftmals fremdsprachigen Texte ist vor diesem Hintergrund kaum oder gar nicht vollständig möglich.

EMIL unterstützt die Gerichte bei der tagesaktuellen Auswertung des umfangreichen Erkenntnismaterials. Hierzu werden verschiedene Techniken genutzt, um in einem ersten Schritt eine Liste aller Erkenntnismittel zu erstellen, die einen Bezug zu der Fragestellung aufweisen. In einem zweiten Schritt hilft ein sogenanntes Large Language Model (LLM) dabei, in den – meist umfangreichen – Berichten schnell die relevanten Textpassagen zu der Fragestellung zu finden. Aus den relevanten Textpassagen erstellt das LLM einen Bericht der tagesaktuellen Situation unter Bezugnahme auf die relevanten Quellen, der auch als Entwurf für die Darstellung in der späteren verwaltungsgerichtlichen Entscheidung genutzt werden kann.

Zu jeder Aussage von EMIL wird dabei eine Quelle genannt und verlinkt, die direkt übersetzt oder zusammengefasst werden kann. Die relevante Textpassage in der genutzten Quelle wird als Auszug angezeigt. Die Anforderungen einer uneingeschränkten Nachvollziehbarkeit der Suchergebnisse und einer leichten Überprüfbarkeit der Ergebnisse waren von Anbeginn für die Richterinnen und Richter zentral.

3.

Entwicklungsstand und Ausblick

Im Projekt EMIL wurden im Juni 2024 die Arbeiten aufgenommen und bis heute zahlreiche Verbesserungen des Tools umgesetzt. Nach anfänglichen Herausforderungen, die insbesondere aus der umfangreichen Datenmasse resultierten, melden die Richterinnen und Richtern, die mit dem Tool arbeiten, inzwischen zurück, dass sie die Bereitstellung als Unterstützung und Hilfe empfinden. Mit einer konkreten Auswertung der Nutzungserfahrungen und Arbeitserleichterung wird nun in Kürze begonnen. Herauszustellen ist hierbei, dass die Bundesländer Baden-Württemberg und Berlin seit Juni 2024 mit Personal das Projektteam unterstützen. Darüber hinaus haben zahlreiche weitere Bundesländer und Behörden, wie Bayern, Bremen, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt, Thüringen, Rheinland-Pfalz und Sachsen, sowie das Bundesverwaltungsgericht und das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF), Testpersonen benannt, die bereits auf das Tool zugreifen können und das Projekt in den kommenden Wochen durch ein strukturiertes Nutzungsfeedback unterstützen werden. Nach Abschluss der Tests soll dann der bundesweite Rollout des Tools geplant werden. Parallel dazu werden die Ausgaben des Recherchetools mit sogenannten „Goldstandards“ verbessert, die Richterinnen und Richter exemplarisch zu bestimmten Herkunftsländern formuliert haben und an denen die Qualität der Ausgabe von EMIL gemessen wird. Zudem wird mit der Einbindung weiterer Datenpools begonnen, um den Recherchebot auch für andere Rechtsgebiete nutzen zu können.

III.

Leitsatzerstellungs- und Anonymisierungstool LeA

1.

Ausgangslage

Die Veröffentlichung von Gerichtsurteilen ist eine zentrale und unverzichtbare Aufgabe eines Rechtsstaats. Sie fördert die Transparenz der Justiz, indem sie der Öffentlichkeit Einblicke in rechtliche Prozesse ermöglicht und die Gründe für gerichtliche Entscheidungen nachvollziehbar macht. Darüber hinaus regt sie den Diskurs über Rechtsfragen an und stärkt die demokratischen Prinzipien. Zudem trägt die Veröffentlichung zur Rechtssicherheit bei, indem sie Konsistenz und Vorhersehbarkeit von Gerichtsentscheidungen gewährleistet.

Neben diesen rechtsstaatlichen Effekten besteht ein großes staatliches Interesse an der Verfügbarkeit eines breiten Datenbestandes, der die Entwicklung moderner Anwendungen unterstützt. In der Praxis zeigt sich, dass Anwaltskanzleien zunehmend auf Tools zurückgreifen, die maschinelles Lernen nutzen, um Prozesse wie die Analyse und Erstellung von Schriftsätzen zu automatisieren. Gerichte, insbesondere in Massenverfahren, stehen vor der Herausforderung, immer größere und komplexere Fallmengen zu bewältigen. Um den Rechtsstaat funktionsfähig zu halten, müssen auch die Gerichte in der Lage sein, unterstützende Technologien zu nutzen. Hierfür sind in einigen Fällen auch große, strukturierte Datenmengen erforderlich, die für das Training solcher Technologien zur Verfügung stehen.

Im Jahr 2022 haben Amtsgerichte allein 716.538 Verfahren abgeschlossen, was das Potenzial eines enormen Datenschatzes verdeutlicht. Dennoch werden weniger als 1 % der amtsgerichtlichen und etwa 2 % der niedersächsischen Entscheidungen veröffentlicht und entsprechend neutralisiert. Die Gründe hierfür sind vielfältig. So ist es möglich, dass Richterinnen und Richter sowie Rechtspflegerinnen und Rechtspfleger ihre Entscheidungen als nicht veröffentlichungswürdig einschätzen. Zwar betont das Bundesverwaltungsgericht, dass die Veröffentlichung von Gerichtsentscheidungen eine verfassungsunmittelbare Aufgabe der Justiz und somit aller Gerichte sei. Demnach sind sämtliche Entscheidungen zu veröffentlichen, an denen ein öffentliches Interesse besteht oder bestehen könnte. Jedoch fehlt es an klaren Leitlinien, die eine einheitliche Bewertung ermöglichen. Ebenfalls ein Hindernis stellt der erhebliche Aufwand dar, der mit der Veröffentlichung verbunden ist. Derzeit ist diese Aufgabe meist mühsame Handarbeit, die von den Serviceeinheiten oder den Richterinnen und Richtern selbst übernommen werden muss. Nach der Anonymisierung werden zusätzlich Metadaten händisch erfasst, die Entscheidungen verschlagwortet und Leitsätze durch die Gerichte erstellt.

Infolgedessen besteht ein dringender Bedarf an Tools, die den gesamten Prozess der Veröffentlichung und Anonymisierung – oder genauer der Neutralisierung von personenbezogenen Daten – automatisiert unterstützen. Solche Technologien könnten den Veröffentlichungsprozess erheblich beschleunigen, die Ressourcen der Justiz effizienter nutzen und so dazu beitragen, dass der Rechtsstaat den Herausforderungen der modernen Zeit gerecht wird.

2.

Unterstützung bei der Anonymisierung von Gerichtsentscheidungen

Im Rahmen eines Proof of Concept hat Niedersachsen selbst neuronale Netze zur Anonymisierung von Gerichtsentscheidungen nachtrainiert und ein Tool entwickelt, das die Erstellung von Leitsätzen, die Verschlagwortung und Metadatenerfassung unterstützt. Das Tool hat den Namen LeA erhalten. Neben der Nutzung von kleinen Modellen für die Anonymisierung setzt diese Technologie auf ein LLM, das zuvor anonymisierte Entscheidungen weiterverarbeitet. Dieses Tool wurde dann im Rahmen einer breit angelegten Testung mit Tools verglichen, in die bereits ein erheblicher Trainingsaufwand investiert wurde. Bei den Tests zeigte sich schnell: Es ist ohne größeren Aufwand möglich, ein Tool zu entwickeln, das personenbezogene Daten erkennt und klassifiziert, um anschließend die erkannten Daten durch z.B. Abkürzungen zu ersetzen. Die getesteten Tools wiesen hier alle sehr hohe Trefferquoten auf (sog. True-Positive-Rate). Die Herausforderung lag jedoch bei der False-Positive-per-100-Words-Rate. Die Kennzahl „False-Positive-per-100-Words“ ist eine bedeutende Metrik, die angibt, wie viele Entitäten pro 100 Wörter fälschlicherweise als personenbezogene Daten erkannt und anonymisiert werden. Obwohl ein höherer Wert dieser Kennzahl weniger riskant erscheint als eine niedrige „True-Positive-Rate“ – da es grundsätzlich besser ist, ein Wort zu viel als eines zu wenig zu anonymisieren – kann eine übermäßig hohe „False-Positive-per-100-Words“-Rate dennoch weitreichende negative Auswirkungen haben. Zum einen kann eine hohe Anzahl falsch positiver Anonymisierungen dazu führen, dass der Inhalt eines Urteils verfälscht wird, wenn unnötig anonymisierte Entitäten die Klarheit und inhaltliche Aussagekraft der Entscheidung beeinträchtigen. Wesentliche Informationen könnten so verloren gehen, was die Verständlichkeit und Transparenz des Urteils mindert.

Zudem erhöht eine hohe „False-Positive-per-100-Words“-Rate den manuellen Arbeitsaufwand erheblich, da die fehlerhaften Anonymisierungen überprüft und korrigiert werden müssen. Dies erfordert zusätzlichen Zeit- und Ressourcenaufwand für die sorgfältige manuelle Nachbearbeitung, was die Effizienz des Anonymisierungsprozesses erheblich beeinträchtigen kann.

3.

Entwicklungsstand und Ausblick

Die Tests der Funktionalitäten von LeA zur Erstellung von Leitsätzen und der Verschlagwortung verliefen positiv, weshalb sich die Projektgruppe für die Aufnahme dieser Funktionalitäten in ein Anonymisierungstool ausgesprochen hat. Das Projekt hatte im Rahmen der Testungen auch die Gelegenheit, das aus dem Forschungsprojekt der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg im Auftrag des Bayerischen Staatsministeriums der Justiz hervorgegangene Anonymisierungstool zu testen, das eine äußerst geringe False-Positive-Rate aufwies. Niedersachsen hat sich deshalb für die Nachnutzung des bayerischen Anonymisierungstools entschieden.

Derzeit erprobt und evaluiert der 20. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle die Arbeitsabläufe der Veröffentlichung von Gerichtsentscheidungen unter Zuhilfenahme des bayerischen Tools. Dieses Tool soll nun im Rahmen des Projekts ALeKs (Anonymisierungs- und Leitsatzerstellungs-Kit zur smarten Veröffentlichung von Gerichtsentscheidungen), für das die Länder Bayern und Niedersachsen gemeinsam die Verantwortung übernommen haben, mit Mitteln der Digitalisierungsinitiative des Bundes um die Funktionalitäten von LeA (Leitsatzerstellung, Metadatenextraktion und Verschlagwortung) ergänzt und für den Flächenrollout ertüchtigt werden. Damit wäre ein erster Grundstein für eine höhere Veröffentlichungsquote gelegt.

IV.

Massenverfahrensassistenz mithilfe von KI ­‑ MAKI

1.

Ausgangslage

MAKI (Massenverfahrensassistenz mithilfe von KI) ist ein Forschungsprojekt und Reallabor, das im Auftrag des Niedersächsischen Justizministeriums ins Leben gerufen wurde. Das Projekt beruht auf einem Konzeptpapier von zwanzig Zivilrichterinnen und -richtern und verfolgt das Ziel, Justizpraktikerinnen und -praktikern bei der Bewältigung von Massenverfahren sowie bei anderen, bisher händisch ausgeführten, sich wiederholenden Tätigkeiten zu entlasten.

Die Notwendigkeit für ein solches Projekt ergibt sich aus der drastischen Zunahme von Massenverfahren, die die Zivilgerichte stark belasten. Allein im Zusammenhang mit dem Dieselskandal 2018 gingen rund 10.000, im „Rekordjahr“ 2019 etwa 40.000, im Jahr 2020 weitere 30.000 und im Jahr 2021 nochmals etwa 37.500 Zivilklagen gegen Autohersteller ein. Am Landgericht Stuttgart wurden im Jahr 2021 etwa 8.700 Diesel-Verfahren registriert. Hinzu kommen Massenverfahren in anderen Bereichen, wie etwa am Landgericht Frankfurt am Main, wo Anfang 2022 an einem einzigen Tag 100 Klagen von Wirecard-Anlegern eingingen. Für über 20.000 solcher Verfahren gab es zu dieser Zeit bereits Rechtsschutzzusagen von Versicherern.

Diese stetig wachsende Flut an Massenverfahren hinterlässt deutliche Spuren in der Justiz. Die Richterinnen und Richter berichteten von einem kaum zu bewältigenden Arbeitstempo, permanenten Überstunden und Wochenendarbeit, die für viele längst zur Normalität geworden sind. Die Verfahren laufen ununterbrochen, ohne dass es Verschnaufpausen oder Entlastung, selbst in den Sommermonaten, gibt. Urlaub bedeutet lediglich, dass die Arbeit sich anhäuft und die Erholung rasch durch aufgestaute Aktenberge wieder zunichte gemacht wird.

Vor diesem Hintergrund wurde MAKI entwickelt, um die Gerichte durch den Einsatz künstlicher Intelligenz zu entlasten. Die Projektidee zielt darauf ab, insbesondere in Massenverfahren, die häufig durch sehr umfangreichen und komplexen Prozessstoff geprägt sind, automatisierte Unterstützung bereitzustellen. Viele dieser Verfahren weisen wortidentischen oder nur geringfügig variierten Vortrag auf, der durch KI effizienter bearbeitet werden kann.

2.

Unterstützung bei der Bearbeitung von Massenverfahren

Die MAKI-Software setzt auf einen generischen Ansatz: Sie ist nicht auf ein bestimmtes Massenverfahren beschränkt, sondern kann in sämtlichen Bereichen und für alle wiederkehrenden Fallgestaltungen verwendet werden – unabhängig von Dienststellen, Rechtsgebieten oder Rechtswegen, und sogar ressortübergreifend. Das erlaubt unmittelbar auf neue Massenverfahren zu reagieren, ohne zunächst langwierig Anpassungen an der Software vornehmen zu müssen.

Zur Unterstützung der Fallbearbeitung wurden verschiedene Funktionalitäten entwickelt.

Die zentrale Funktion von MAKI ist die Extraktion entscheidungsrelevanter Daten aus umfangreichen Aktenbeständen. Diese Funktion hilft, die zeitaufwendige Suche nach Schlüsselinformationen in Schriftsätzen zu automatisieren, was besonders in klassischen Massenverfahren, wie Diesel- und Fluggastrechtefällen, von Bedeutung ist. Beispielsweise können relevante Daten wie Kfz-Typ, Kilometerstand oder Flugnummer effizient extrahiert werden. MAKI ist inhaltlich flexibel und kann durch spezifisches Training auf unterschiedliche Fallgestaltungen angepasst werden. Die extrahierten Informationen können in Entscheidungsvorlagen automatisiert weiterverarbeitet werden.

Darüber hinaus ermöglicht die Analyse der Verfahren diese nach individuell auswählbaren Kriterien zu sortieren und gleichgelagerte Fälle unmittelbar bei Eingang einer bestimmten Fallgruppe zuzuordnen. Das erleichtert das gezielte Abarbeiten und gemeinsame Terminieren gleichgelagerter Fälle.

Richterinnen und Richter können dem System zudem durch eine einmalige Annotation beibringen, weshalb sie eine bestimmte Entscheidung getroffen haben. In ähnlichen Fällen bietet das System dann die in dem Vorverfahren getroffene Entscheidung als Muster an, das herangezogen und mit den Daten des zu entscheidenden Falls individualisiert werden kann.

Von hoher Relevanz ist auch die Möglichkeit, vermeintlich gleichgelagerte Fälle mit einem Vergleichstool zu analysieren, um sicherzustellen, alle neuen Argumente und Anträge vollständig erfasst und bei der Entscheidung berücksichtigt zu haben.

In das System MAKI wurden darüber hinaus LLM integriert, die es ermöglichen, den Akteninhalt aufzubereiten, z.B. als Zusammenfassung oder in Form einer Relationstabelle. Das System wird ausschließlich für assistive Tätigkeiten verwendet und nicht für Wertungen, die dem erkennenden Spruchkörper vorbehalten sind.

3.

Sachstand und Ausblick

MAKI wird an dem Amtsgericht Hannover, an den Landgerichten Osnabrück und Hildesheim und an dem Oberlandesgericht Braunschweig getestet. Seit dem Jahr 2024 wird das Projekt zudem mit Mitteln der Digitalisierungsinitiative unterstützt und nun nach dem „Einer-für-Alle“-Prinzip weiterentwickelt, damit andere Bundesländer und der Bund MAKI nachnutzen können.

Wissenschaftlich begleitet wird MAKI von der Georg-August-Universität Göttingen, die sich eingehend mit den regulatorischen sowie den verfahrens- und verfassungsrechtlichen Fragen des KI-Einsatzes im Gerichtswesen beschäftigt und darauf aufbauend Handlungsempfehlungen entwickelt. Erste Forschungsergebnisse wurden im Oktober 2024 vorgestellt. Der vollständige Abschlussbericht, der auch veröffentlicht wird, ist für Ende 2025 angekündigt.

V.

Tatbestandsassistent für Asylgerichtsverfahren – TabeA

1.

Ausgangslage

In Asylverfahren befinden sich viele der für die Entscheidung relevanten Informationen in den Akten des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF), die nach § 117 Abs. 3 Satz 1 VwGO im Tatbestand ihrem wesentlichen Inhalt nach gedrängt darzustellen sind. Das Bundesamt verwendet für die Verwaltungsakten bereits das XJustiz-Format, d.h. die dem strukturierten Datensatz zugrundeliegenden PDF-Dateien sind entweder bereits maschinenlesbar und durchsuchbar oder sie können mittels OCR entsprechend aufbereitet werden. Gleichwohl bindet das händische Heraussuchen der relevanten Informationen aus den umfangreichen BAMF-Akten Zeit und stellt sich – mangels strukturierter Aufbereitung der Akten – als mühsam dar. Diesen Prozess soll TabeA effizienter gestalten.

2.

Unterstützung in Asylgerichtsverfahren

TabeA erleichtert eine schnellere Aktendurchdringung, indem die in allen Verfahren benötigten Daten wie z.B. Staatsangehörigkeit, Asylantragstellung, Einreisezeitpunkt und -modalitäten oder das Geburtsdatum standardisiert aufbereitet werden. Daneben kann TabeA eine Übersicht der Ausreisegründe bzw. der vorgetragenen Verfolgungshandlungen erstellen. Es steht zudem eine allgemeine Funktion zur Verfügung, die das Anhörungsprotokoll des BAMF, das der zu überprüfenden Verwaltungsentscheidung zugrunde liegt, zusammenfasst und auf Grundlage der Informationen aus der Akte Formulierungsvorschläge für den Tatbestand unterbreitet. In technischer Hinsicht wird für TabeA die Extraktionsfunktion von MAKI genutzt und erweitert. Nach der Extraktion der relevanten Informationen, die durch den Richter oder die Richterin zunächst zu überprüfen sind, erstellt ein LLM anschließend aus den Informationen einen ersten Tatbestandsentwurf, der von dem erkennenden Spruchkörper zu prüfen und ggf. anzupassen ist.

3.

Sachstand und Ausblick

Im Rahmen der prototypischen Umsetzung werden bereits gute Ergebnisse erzielt. Sinnvoll ist es aber, um Nacharbeiten auf ein Minimum zu reduzieren, ein Sprachmodell für die Arbeit mit Asylgerichtsakten zu verfeinern. Nunmehr geht in den nächsten Wochen der Prototyp in die Testung mit Echtakten. Eine Erprobung findet an den Verwaltungsgerichten Braunschweig, Hannover und Göttingen statt. Die Entwicklung von TabeA wird ebenfalls mit Mitteln aus der Digitalisierungsinitiative gefördert.

VI.

Fazit

Die Unterstützungsbedarfe in der Justiz und den einzelnen Gerichtsbarkeiten sind vielfältig und sehr unterschiedlich. Alle Projekte eint jedoch unabhängig von der Gerichtsbarkeit, dass LLM eine wertvolle Unterstützung bei der Aktendurchdringung und der Recherche darstellen. Es ist zu erwarten, dass hier in den nächsten Monaten noch weitere Entlastungspotentiale gehoben werden können.

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