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Mittelbare Diskriminierung am Arbeitsplatz

Eine (mittelbare) Diskriminierung am Arbeitsplatz kann auch dann vorliegen, wenn ein Arbeitnehmer in seinem privaten Umfeld eine Person pflegen muss und der Arbeitgeber auf diese Situation nicht ausreichend eingeht. Dies hat soeben der Europäische Gerichtshof entschieden (Urt. v. 11.9.2025 – C-38/24). In einem solchen Fall könnte eine Verletzung der EU-Richtlinie 2000/78/EG v. 27.11.2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf vorliegen.

Der Entscheidung des EuGH liegt die Klage einer Mutter aus Italien zugrunde. Sie ersuchte ihren Arbeitgeber mehrmals, sie an einem Arbeitsplatz mit festen Arbeitszeiten einzusetzen. Dies begründete sie damit, dass sie sich um ihren schwerbehinderten, vollinvaliden Sohn kümmern müsse. Der Arbeitgeber gewährte ihr zwar vorläufig bestimmte Anpassungen, lehnte es jedoch ab, diese auf Dauer zu gewähren. Die Frau klagte sich durch alle Instanzen, bis die Rechtssache schließlich dem italienischen Kassationsgerichtshof vorgelegt wurde. Dieser rief den EuGH um Vorabentscheidung an, da er nicht sicher war, ob nach den EU-Antidiskriminierungsregelungen überhaupt ein Fall von (mittelbarer) Diskriminierung vorliegt, wenn der betroffene Arbeitnehmer – ohne selbst behindert zu sein – Nachteile dadurch erleidet, dass er sich um ein schwerbehindertes minderjähriges Kind kümmern muss.

Der EuGH bejahte die Frage im Wesentlichen und machte nur eine punktuelle Einschränkung beim Schutz der Arbeitnehmer. Er verwies auf ein bereits älteres Urteil (v. 17.7.2008 – C-303/06, „Coleman“), in dem er entschieden hatte, dass die EU-Antidiskriminierungsrichtlinie das Ziel verfolgt, jegliche Form der Diskriminierung wegen einer Behinderung in Beschäftigung und Beruf zu bekämpfen. In dem seinerzeit entschiedenen Fall ging es um eine Anwaltssekretärin, die ebenfalls ein behindertes Kind hatte. Die Frau klagte vor einem britischen Gericht wegen Diskriminierung und gab zur Begründung an, aufgrund der Pflege ihres Kindes Opfer einer sozialwidrigen Kündigung durch ihren Arbeitgeber geworden zu sein. Bereits für diesen Fall stellte der EuGH fest, dass die Anwendung der Richtlinie nicht auf Personen beschränkt ist, die selbst behindert sind.

Der EuGH verweist zudem auf das Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen aus dem Jahr 2006, das auch die EU unterzeichnet hat. Dieses sieht vor, dass zur Wahrung der Rechte von behinderten Menschen, insb. Kindern, das allgemeine Diskriminierungsverbot auch die mittelbare „Mitdiskriminierung“ wegen einer Behinderung erfasst. Damit würden, so das Gericht, auch die Eltern behinderter Kinder in Beschäftigung und Beruf gleichbehandelt und dürften nicht aufgrund der Lage ihrer Kinder benachteiligt werden.

In der Konsequenz müssen Arbeitgeber daher, so der EuGH, „angemessene Vorkehrungen“ treffen, damit Arbeitnehmer ihren behinderten Kindern die erforderliche Unterstützung zukommen lassen können. Eine Einschränkung machte der Gerichtshof allerdings: Der Arbeitgeber darf durch die Schutzmaßnahme(n) für betroffene Arbeitnehmer am Ende nicht unverhältnismäßig belastet werden. Als Kriterien dafür nannten die Richter u.a. den finanziellen Aufwand für den Arbeitgeber, die Größe des Unternehmens sowie die Möglichkeit der Versetzung des betroffenen Arbeitnehmers an eine andere Stelle und die Verfügbarkeit öffentlicher Unterstützungsmittel. In dem Ausgangsfall wird also jetzt die italienische Justiz zu prüfen haben, ob die dauerhafte Anpassung der Arbeitszeit der Frau ihrem Arbeitgeber organisatorisch und finanziell zumutbar ist.

[Quelle: EuGH]

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