Die Gerichte eines Mitgliedstaates der EU, denen ein Europäischer Haftbefehl aus einem anderen Mitgliedstaat vorliegt, dürfen die Vollstreckung nur unter bestimmten engen Voraussetzungen ablehnen. Dazu gehört nicht, dass die gesuchte Person im Vollstreckungsstaat ihren regelmäßigen Wohnsitz hat; auch dass der dem Haftbefehl zugrunde liegende Tatvorwurf im Vollstreckungsstaat verjährt ist, berechtigt nicht zur Ablehnung der Vollstreckung. Dies hat kürzlich der EuGH entschieden (Urt. v. 10.4.2025 – C-481/23).
Der Fall wurde den Luxemburger Richtern aus Spanien vorgelegt. Dort hatte der Nationale Gerichtshof gegen einen derzeit in Rumänien wohnenden spanischen Staatsangehörigen wegen Mehrwertsteuerbetrugs mehrere Freiheitsstrafen und hohe Geldstrafen verhängt. Nachdem der Angeklagte angekündigt hatte, dass er gegen seine Verurteilung vor dem spanischen Obersten Gerichtshof vorgehen werde, wurde ihm die Ausreise untersagt. Trotz dieses Verbots reiste der Angeklagte nach Rumänien aus. Daraufhin stellte der spanische Nationale Gerichtshof einen Europäischen Haftbefehl aus, mit dem die Festnahme des Angeklagten sowie Untersuchungshaft angeordnet wurden. Das in Rumänien zuständige Gericht lehnte die Vollstreckung des Haftbefehls allerdings ab. Es führte aus, dass der Angeklagte, der einen ununterbrochenen und rechtmäßigen Aufenthalt im rumänischen Hoheitsgebiet nachgewiesen habe, nicht den spanischen Justizbehörden übergeben werden wolle. Außerdem sei die Strafverfolgung nach rumänischem Recht verjährt.
Diese vom rumänischen Gericht angeführten Gründe ließ der EuGH nicht gelten. Er verwies auf die einschlägige EU-Bestimmung (Rahmenbeschluss 2000/584/JI v. 13.6.2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten in der durch den Rahmenbeschluss 2009/29/JI des Rates v. 26.2.2009 geänderten Fassung), wonach die Justizbehörden des Vollstreckungsmitgliedstaats die Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls nur dann ablehnen dürfen, wenn dieser zur Vollstreckung einer Freiheitsstrafe oder einer freiheitsentziehenden Maßregel der Sicherung ausgestellt worden ist; hierfür ist es jedoch erforderlich, dass die gesuchte Person ihren Wohnsitz im Vollstreckungsmitgliedstaat hat und dieser Staat sich verpflichtet, die Strafe oder die Maßregel der Sicherung nach seinem eigenen, innerstaatlichen Recht zu vollstrecken. Im hier vorliegenden Fall sei der Haftbefehl aber nicht zu diesem Zweck ausgestellt worden, sondern um sicherzustellen, dass der Angeklagte bei der Fortsetzung des in Spanien noch anhängigen Strafverfahrens anwesend sein werde.
Gegenüber dem Einwand der Verjährung der Strafverfolgung nach rumänischem Recht wies der EuGH darauf hin, dass sich Gerichte auf diesen Ablehnungsgrund nur berufen können, wenn hinsichtlich der in Rede stehenden Tatvorwürfe überhaupt eine Gerichtsbarkeit des Vollstreckungsmitgliedstaats besteht. Im vorliegenden Fall waren aber alle vorgeworfenen Handlungen der Anklage zufolge in Spanien begangen worden und nicht in Rumänien; rumänisches Strafrecht und damit auch dessen Vorschriften zur Verjährung sind nach Auffassung des EuGH daher gar nicht anwendbar.
[Quelle: EuGH]