Dass Richter in Zivilsachen gerne Vergleiche vorschlagen, um sich das Schreiben des Urteils zu ersparen, ist für einen forensisch tätigen Rechtsanwalt nichts Neues. Besonders in komplizierten Verfahren kann ein Vergleich durchaus die bessere Wahl für alle Seiten sein, etwa um das Verfahren abzukürzen und den Mandanten lange und teure Beweisaufnahmen zu ersparen. Unangenehm kann es aber werden, wenn eine Partei mit dem Vergleichsvorschlag des Gerichts nicht ganz glücklich ist, das Gericht aber trotzdem um jeden Preis auf einen Vergleichsschluss drängt. Ein solcher Fall ist jetzt bis zum Bundesverfassungsgericht gelangt. Das stellte fest: Unangemessener Druck auf die Parteien, einen Vergleich zu schließen, kann eine Richterablehnung rechtfertigen. Die Verfassungsrichter übten zudem harsche Kritik an ihren Münchener Richterkollegen, die ein entsprechendes Ablehnungsgesuch einer Partei in einem Zivilrechtsstreit „abgebügelt“ hatten; die daraufhin eingelegte Verfassungsbeschwerde der Partei erklärten sie für „offensichtlich begründet“ (BVerfG, Beschl. v. 3.3.2025 – 1 BvR 750/23 u. 1 BvR 763/23).
Der Fall: In einer umfangreichen Baurechtssache vor dem LG München hatte die Kammervorsitzende mehrfach einen Vergleichsvorschlag unterbreitet, mit dem die Klägerin allerdings nicht einverstanden war. Letztere hegte zudem den Verdacht, dass die Vorsitzende der Gegenseite verkappte Hinweise gab und diese auch ansonsten bevorzugt behandelte. Nachdem die Kammervorsitzende im Anschluss an eine mündliche Verhandlung ihren Vergleichsvorschlag wiederholt hatte und darauf hinwies, dass sie derzeit mit 474 Verfahren, davon 50 selbstständigen Beweisverfahren, völlig überlastet sei, ihre Kammer zudem statt mit 3,0 Richtern nur mit 1,75 Richtern zuzüglich eines 0,75-Proberichters besetzt sei und deshalb innerhalb der nächsten sechs Monate nicht in der Lage wäre, „einen umfangreichen Beweisbeschluss über ein Altverfahren aus dem Jahr 2015 mit 3 Aktenbänden nebst Anlagen“ zu verfassen, lehnte die Klägerin die Richterin sowie einen Beisitzer wegen der Besorgnis der Befangenheit ab. Die beiden von ihr eingelegten Ablehnungsgesuche hatten aber weder vor dem LG noch vor dem später damit befassten OLG München Erfolg. Die Richter am OLG führten zur Begründung ihrer Entscheidung u.a. aus, sie könnten in dem Verhalten der Kammervorsitzenden kein Drängen auf Abschluss des vorgeschlagenen Vergleichs erkennen. Auch in der von der Klägerin kritisierten Verhandlungsführung der Richterin und in dem Verhalten des Beisitzers sah das OLG keinen Ablehnungsgrund, wobei es sich in seiner Entscheidung im Wesentlichen der Sichtweise der Kammervorsitzenden in deren dienstlichen Stellungnahmen zum Ablehnungsgesuch anschloss.
Die Klägerin trat daraufhin den Gang nach Karlsruhe an und bekam Recht. Die Verfassungsbeschwerden seien begründet, befand der 1. Senat; es lägen offensichtlich Verstöße gegen die grundgesetzlich garantierten Rechte auf den gesetzlichen Richter sowie auf rechtliches Gehör (Art. 101, 103 GG) vor. Dabei kritisierten die Verfassungsrichter im Wesentlichen, dass sich die Ablehnungsentscheidungen des OLG mit den eigentlichen entscheidenden Fragen gar nicht auseinandergesetzt hätten, sondern weitgehend nur „Leerformeln“ enthalten würden. So sei der Umstand des durch die Kammer am LG aufgebauten Vergleichsdrucks lediglich kurz im Tatbestand der Ablehnungsentscheidung erwähnt worden, in der Begründung fehle jegliche Auseinandersetzung damit. Unangemessener Druck auf Parteien, einen Vergleich zu schließen, sei aber durchaus relevant für die Beurteilung einer möglichen Befangenheit i.S.d. § 42 Abs. 2 ZPO, er könne eine Richterablehnung rechtfertigen. Das „auffallende Insistieren des Landgerichts auf einem Vergleichsschluss“ hätte dem OLG deshalb auf jeden Fall Anlass geben müssen, sich damit näher zu befassen, so die Karlsruher Richter. Gerügt wurde von ihnen auch die Auseinandersetzung des OLG mit der von der Klägerin behaupteten parteiischen Verhandlungsführung der Kammervorsitzenden; diesbezüglich enthalte dessen Entscheidung lediglich „pauschale und inhaltsleere“ Begründungen, die auf die konkret beanstandeten Aspekte nicht näher eingegangen seien.
Die Sache wurde deshalb zur erneuten Entscheidung an das OLG München zurückverwiesen.
[Quelle: BVerfG]