Die Bearbeitungs- bzw. Wartezeiten bei den Nachlassgerichten in Deutschland haben sich in den letzten Jahren dramatisch verlängert. Die Eröffnung eines Testaments und die Erteilung eines Erbscheins dauern mittlerweile oft viele Monate. Dies kann für die Erben neben der psychischen Belastung auch gravierende wirtschaftliche Folgen haben: „Eingefrorene“ Konten, fehlende Verfügungsbefugnis über Vermögenswerte und fehlende Handlungsfähigkeit bei Immobilien, unerfüllbare gesetzliche Pflichten sowie ein gefährlicher Stillstand bei wichtigen Entscheidungen in Unternehmen sind nur einige der nachteiligen Folgen für die Betroffenen. Dies hat der Deutsche Anwaltverein zum Anlass genommen, anlässlich des diesjährigen Erbrechtstages im März eine Umfrage unter Rechtsanwälten, Notaren, Anwaltsnotaren, Richtern und Rechtspflegern zur Situation an den Nachlassgerichten durchzuführen. Teilgenommen haben insgesamt 539 Anwält:innen, Notar:innen und Justizangehörige. Ihr Fazit: Der derzeitige Zustand ist „nicht weiter hinnehmbar“.
Kritisiert wurde von den Umfrageteilnehmern vor allem, dass sich die Dauer der Abläufe bei den Nachlassgerichten im Vergleich zur Vergangenheit enorm verlängert hat. Dies gilt auch für eigentlich einfache Vorgänge: So soll beispielsweise die Eröffnung der Testamente in beinahe der Hälfte der Fälle mittlerweile zwei Monate oder länger dauern, selbst wenn eine notarielle Verfügung im Zeitpunkt eines Erbfalls bei einem Nachlassgericht hinterlegt war. Noch länger sind den Antworten der Teilnehmer zufolge die Wartezeiten, wenn es kein notarielles Testament gibt und nach der Testamentseröffnung noch ein Erbschein beantragt werden muss. So hat laut Umfrageergebnis die Erteilung eines Erbscheins „selbst in unstreitigen Fällen“ in 40 % der Verfahren länger als sechs Monate gedauert. Dies hat nicht selten gravierende Konsequenzen für die Erben, denn ohne Nachweis ihrer Erbberechtigung fehlen ihnen notwendige Handlungs- und Verfügungsbefugnisse. So wurde etwa darauf hingewiesen, dass etwaige Kaufinteressenten, z.B. bei Immobilien, selten einen längeren Schwebezustand hinnehmen wollen und häufig abspringen. Als (vermutete) Ursachen für die übermäßig langen Verfahren gaben die Umfrageteilnehmer meist eine unzureichende Personalausstattung und veraltete Arbeitsabläufe an den Nachlassgerichten an.
So verwundert es nicht, dass sowohl die befragten Anwältinnen und Anwälte als auch die Mitarbeiter aus der Justiz mehrheitlich ihrer Unzufriedenheit mit der Arbeit der Nachlassgerichte Ausdruck gaben. Eine Verbesserung in nächster Zukunft sehen die meisten nicht, im Gegenteil: Durch die anstehende Pensionierungswelle bei den „Babyboomern“ dürfte sich die Personallage bei den Gerichten in den kommenden Jahren nochmals verschärfen. Die Forderung nach deutlich mehr Personal in den Nachlassgerichten, die von zahlreichen Befragten erhoben wurde, dürfte daher wohl unerfüllt bleiben. Eine Möglichkeit zur Entlastung sehen viele Umfrageteilnehmer daher vor allem in einer schnellen Digitalisierung der Justiz, auch vom Einsatz der künstlichen Intelligenz versprechen sich einige eine Beschleunigung der Verfahren.
Dies dürfte aber wohl noch dauern. Bis dahin helfen vielleicht eher kleine Schritte: Etliche der Teilnehmer machten ganz pragmatische Praxisvorschläge, die sich durchaus schnell umsetzen lassen könnten. So wurde etwa vorgeschlagen, dass die Erblasser in ihrem letzten Willen auch vollständige Angaben zu den gesetzlichen und testamentarischen Erben machen sollten, damit die Nachlassgerichte später keine umfangreichen Ermittlungsarbeiten mehr leisten müssen. Auch die Erben – so ein weiterer Vorschlag – könnten zur Entlastung der Rechtspfleger beitragen, indem sie dem Erbscheinsantrag direkt die Zustimmungserklärung aller sonstigen Beteiligten beifügen. Nicht wenige Umfrageteilnehmer schlugen zudem einen einfachen, wenngleich drastischen Schritt des Gesetzgebers vor: Das strikte Verbot privatschriftlicher Testamente.
Das 57-seitige Umfrageergebnis kann unter https://www.erbrecht-dav.de/wp-content/uploads/2025/03/AG_ErbR_Anonyme-Umfrage-zur-Situation-der-Nachlassgerichte_Auswertung-1.pdf abgerufen werden.
[Quelle: DAV]