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Juristinnen bemängeln Versäumnisse im Koalitionsvertrag

Der Deutsche Juristinnenbund (djb) hat den Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung (s. dazu auch ZAP 2025, 419) in mehreren Punkten scharf kritisiert. Trotz grundsätzlicher Zustimmung zu vielen der dort angekündigten Vorhaben haben die Juristinnen in dem Papier „schwerwiegende Leerstellen“ und entsprechenden „dringenden und raschen Handlungsbedarf“ aus gleichstellungspolitischer Sicht ausgemacht. Nur wenn die neue Regierung an den beschriebenen Stellen nachbessere, würde sie der von ihr im Koalitionsvertrag herausgestellten „Verantwortung für Deutschland“ wirklich gerecht. Nachstehend werden einige der wichtigsten Kritikpunkte des Deutschen Juristinnenbundes zusammenfassend skizziert.

  • Familienrecht

    Die angekündigten Maßnahmen im Familienrecht begrüßt der djb zwar; die neue Bundesregierung müsse jedoch auch die in den letzten Legislaturperioden bereits vorangebrachten und dringend notwendigen Reformen aufgreifen und umsetzen. Dies betreffe etwa die Überarbeitung des Abstammungsrechts, die Beendigung der Diskriminierung von Zwei-Mütter-Familien und den Unterhaltsanspruch nicht verheirateter Mütter. An der Gewaltschutzstrategie der neuen Bundesregierung kritisieren die Juristinnen dessen unverbindliche Ausformulierung, die konkrete Maßnahmenvorschläge vermissen lasse. Insbesondere fehle ein klares Bekenntnis zur vollständigen Umsetzung der Istanbul-Konvention und der EU-Gewaltschutzrichtlinie.

  • Arbeitsrecht

    Auf dem Gebiet des Arbeitsrechts kritisieren die Juristinnen u.a. die unzureichende Umsetzung der Europäischen Entgelttransparenzrichtlinie. Die neue Koalition plane, bis 2030 Entgeltgleichheit zu erreichen; allerdings sei die Bundesrepublik europarechtlich verpflichtet, die Richtlinie bereits bis spätestens Mitte 2026 in geltendes nationales Recht umzusetzen. Diese Frist könne mit dem derzeit geplanten Vorgehen nicht eingehalten werden. Kritisch sieht der djb auch die Pläne der Koalition zur Flexibilität in der Beschäftigung. Grundsätzlich seien diese zwar zu begrüßen, weil speziell Frauen durch starre Arbeitszeitstrukturen und unzureichende Arbeitszeitmodelle in prekäre Lagen gedrängt würden, betont der Verein. Die im Koalitionsvertrag benannten Instrumente, wie die Einführung einer wöchentlichen Höchstarbeitszeit oder steuerliche Begünstigungen für Überstunden, ermöglichten aber lediglich eine einseitige Flexibilisierung für Arbeitgeber zulasten insb. der weiblichen Beschäftigten, so sein Fazit. Auch im öffentlichen Dienst werde es nicht genügen, das geplante „Führen in Teilzeit“ zu fördern, so wichtig dieses Vorhaben für Menschen mit Kinder- und Pflegeaufgaben auch sei. Denn Teilzeitarbeit verschaffe nur auf hohen Karrierestufen ein auskömmliches Einkommen und sei entsprechend nur selten Grundlage für eine auskömmliche Rente oder Pension.

  • Steuer- und Sozialrecht

    Auch in der Steuer- und Sozialpolitik vermissen die Juristinnen im Koalitionsvertrag eine konsequent geschlechtergerechte Strategie, die über punktuelle Maßnahmen hinausgeht. So bemängelt der djb insb. das weitere Festhalten am Ehegattensplitting, das geschlechterungerecht wirke und zu Erwerbshürden für Frauen führe. Im Sozialrecht fordert der Verein systemübergreifende, konsequent auf Geschlechtergerechtigkeit ausgerichtete Reformen: Sozialleistungen müssten – nicht nur für Alleinerziehende – künftig besser aufeinander abgestimmt, leicht zugänglich und durch Beratung begleitet sein. Die von der Koalition geplante Elterngeldreform könne hier nur ein erster Schritt sein.

  • Strafrecht

    Die im Koalitionsvertrag vorgesehene Verbesserung des strafrechtlichen Schutzes von Frauen vor Gewalt sieht der djb als nicht zielführend an. Die Reform des Mordparagrafen, der gefährlichen Körperverletzung und des Raubes würden an den Bedarfen der von geschlechtsspezifischer, insb. sexualisierter Gewalt betroffenen Personen vorbeigehen, kritisiert der Verein. Die neue Koalition plane zwar – was zu begrüßen sei – die Schließung der Schutzlücken im Bereich der bildbasierten sexualisierten Gewalt; die oft beschriebenen Schutzlücken und Änderungsbedarfe im Bereich des Sexualstrafrechts würden jedoch weitestgehend unberücksichtigt bleiben. Ferner bemängelt der djb, dass weder die reproduktive Selbstbestimmung von schwangeren Personen anerkannt wird noch eine Entkriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs vorgesehen ist.

  • Asyl- und Migrationsrecht

    Scharf kritisiert werden vom djb die Vereinbarungen im Koalitionsvertrag zur Asyl- und Migrationspolitik. So sei insb. die Aussetzung des Familiennachzugs für subsidiär Schutzbedürftige aus humanitären, rechtlichen, praktischen und fiskalischen Gründen abzulehnen, so die Juristinnen. Denn mehr als 70 % der Nachziehenden seien Ehefrauen bzw. Lebenspartnerinnen und Kinder; hier sei neben den humanitären Aspekten auch die Rechtsprechung des EGMR hinsichtlich des Familiennachzuges zu beachten. Zudem lehnt der Verein die einseitige Beschneidung von Rechtsschutzmöglichkeiten von Betroffenen zum Zwecke der Vereinfachung und Beschleunigung von Asylverfahren ab. Das gelte auch für die Umstellung auf den Beibringungsgrundsatz im Asylverfahrensrecht. Es bestünden erhebliche Zweifel daran, ob eine solche Regelung mit europäischen Vorgaben, insb. dem Gebot effektiven Rechtsschutzes, vereinbar wäre. Gerade Frauen seien aufgrund ihrer mangelnden sozialen Teilhabe in manchen Herkunftsländern nicht in der Lage, den erheblichen Dokumentationspflichten und der erforderlichen Sachverhaltsaufklärung nachzukommen, die momentan wesentlich vom Verwaltungsgericht erbracht würden. Der djb fordert zudem die Einführung einer autonomen Aufenthaltsposition für nachziehende Ehepartner – zumeist Frauen –, um das Machtgefälle und Missbrauchspotenzial der gegenwärtigen Rechtslage einzudämmen und den Schutz vor häuslicher Gewalt zu stärken.

Die neue Regierung müsse Gleichstellung als Querschnittsaufgabe ernst nehmen, erklärte Ursula Matthiessen-Kreuder, Präsidentin des djb, zusammenfassend ihre Kritik am Koalitionsvertrag. Denn Gleichstellung sei nicht nur eine Frage der sozialen Gerechtigkeit, sondern auch eine fundamentale Voraussetzung für eine demokratische und inklusive Gesellschaft.

[Quelle: djb]

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