Beitrag

Aufruf zu einer Staatsreform

Erst kürzlich hatte der Nationale Normenkontrollrat ein Gutachten präsentiert, das den Zustand der Verwaltung in Deutschland in keinem guten Licht erscheinen lässt. Eine wachsende Regulierungsdichte, fehlendes Personal, mangelnde Digitalisierung sowie zusätzliche Herausforderungen aus den aktuellen Krisen hätten die öffentliche Hand an ihre Belastungs- und Leistungsgrenze gebracht, so das Fazit der Fachleute (vgl. näher dazu ZAP 2025, 221). Nun haben auch zahlreiche Politiker und Verwaltungsfachleute aus Bund, Ländern und Gemeinden sowie Vertreter aus der Wirtschaft und der Wissenschaft den Versuch unternommen, eine umfangreiche Staats- und Verwaltungsreform anzustoßen. In ihrem Anfang März veröffentlichten Aufruf betonen die Initiatoren, die der gemeinnützigen Organisation ProjectTogether angehören, dass ohne eine mutige Umgestaltung wichtige Zukunftsaufgaben nicht zu meistern seien.

Der Aufruf, zu dessen Erstunterzeichnern auch die ehemaligen Bundesminister Thomas de Maizière, Peer Steinbrück und Sabine Leutheusser-Schnarrenberger sowie der Staatsrechtler und langjährige Präsident des Bundesverfassungsgerichts Andreas Voßkuhle zählen, verweist – wie bereits der Normenkontrollrat – darauf, dass der Staat derzeit vielfach unter Druck stehe: Er gelte als langsam, schwerfällig, unflexibel, wenig initiativ und teilweise überfordert. Dies gefährde nicht nur die Lösung drängender Zukunftsfragen – es untergrabe das Vertrauen in die Demokratie selbst. Damit Demokratie aber wirke, müsse auch der Staat wirken. Die Frage sei nicht, ob mehr oder weniger Staat benötigt werde, sondern wie er so gestaltet werden könne, dass er die Herausforderungen unserer Zeit bestehe.

Mit Blick auf „andere Länder“ – damit wird unausgesprochen nicht zuletzt auf die derzeitigen Entwicklungen in den USA angespielt – führt der Aufruf weiter aus, könne man beobachten, dass bei einem Weiter-so das Risiko bestehe, dass letztlich „Demokratiefeinde“ den Staat übernähmen. Der Status quo sei deshalb keine Option für Deutschland. Ohne eine Reform seien zentrale Zukunftsaufgaben – ob eine neue Industriepolitik, ein effektiver Klimaschutz, eine schnelle Digitalisierung, eine zeitgemäße Bildung oder ein wirkungsvolles Sozialsystem – nicht lösbar. Dies könne, so der hoffnungsvolle Ausblick der Initiatoren, aber auch gelingen, denn es gebe bereits auf allen Ebenen des Staates und in den verschiedensten Bereichen der Verwaltung Menschen, die begonnen hätten, am Staat von morgen zu arbeiten. Zudem gebe es eine hohe Übereinstimmung zwischen allen demokratischen Parteien und einen ungewöhnlichen Konsens nahezu aller Fachexperten in der Sache.

Wie der Aufruf bekräftigt, muss das Reformprojekt ein zentrales Anliegen der nächsten Bundesregierung werden, und zwar mit „höchster Priorität im Koalitionsvertrag“. Es dürfe jetzt nicht zwischen Ressortzuständigkeiten „versanden“, sondern brauche eine klare politische Steuerung, getrieben vom künftigen Bundeskanzler, mahnen die Initiatoren. Ihrem Appell können sich interessierte Bürger unter der Webadresse https://reform-staat.org/zukunftsstaat anschließen.

In dieselbe Richtung zielt eine weitere Initiative, die Mitte März an die Öffentlichkeit getreten ist. Zu den Gründern der „Initiative für einen handlungsfähigen Staat“ zählen die Medienmanagerin und Aufsichtsrätin Julia Jäkel sowie mehrere der eingangs erwähnten Erstunterzeichner des Aufrufs für einen Zukunftsstaat. Getragen wird die Bewegung von einer Reihe gemeinnütziger Stiftungen wie der Hertie-Stiftung und der Mercator-Stiftung. Die Schirmherrschaft für das Projekt hat Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier übernommen. Ziel auch dieses Vorstoßes ist es, Staat und Verwaltung durch eine umfassende Erneuerung zu stärken.

Damit eine solche umfassende Reform gelingen könne, bedürfe es „einiger sehr grundlegender Umbauten im Maschinenraum des Staates“, hieß es seitens der Initiatoren. Expertinnen und Experten seien – unterstützt von Persönlichkeiten aus Politik, Wissenschaft und Zivilgesellschaft – derzeit dabei, gemeinsam konkrete Ansätze zu erarbeiten, wie staatliche Strukturen in Deutschland zukunftsfähig gestaltet werden können. In sieben thematischen Arbeitsgruppen – darunter Digitalisierung, Bildung und Wettbewerbsfähigkeit – würden derzeit praxisorientierte Reformvorschläge entwickelt. Bis zum Herbst 2025 soll ein detaillierter Bericht vorliegen, der die drängendsten Herausforderungen benennt und innovative Lösungswege aufzeigt.

Im Vorgriff darauf hat die Initiative der Öffentlichkeit bereits Mitte März einen Zwischenbericht vorgestellt. In dem 87-seitigen Papier werden 30 Empfehlungen formuliert, die konkrete Wege aufzeigen sollen, um Staat und Verwaltung effizienter, digitaler und bürgernäher zu gestalten. Vornan steht dabei die Digitalisierung des Staates. So schlagen die Verfasser des Berichts u.a. die Einrichtung eines neuen Ministeriums für Digitales und Verwaltung vor, das als „Treiber und Umsetzer der Digitalisierung und einer umfassenden Staatsmodernisierung“ fungiere. Dieses Ministerium soll mit umfassenden Kompetenzen für die gesamte digitale Infrastruktur ausgestattet sein und ein eigenes zentrales Digitalbudget bekommen. Ein weiterer Schwerpunkt des Berichts ist die Neuordnung der Verwaltung; die Initiatoren empfehlen, hier auch die föderale Aufgabenverteilung zwischen Bund, Ländern und Gemeinden auf den Prüfstand zu stellen. Insgesamt kann man die Empfehlungen aus dem Zwischenbericht (abzurufen z.B. unter: https://www.ghst.de/initiative-fuer-einen-handlungsfaehigen-staat) unter den folgenden Punkten zusammenfassen:

  • Gesetzgebungsverfahren: Diese sollen gründlicher, integrativer, transparenter und vollzugsorientierter werden. Wer im Gesetzgebungsverfahren schludere, der zahle im Verwaltungsalltag einen hohen Preis, hieß es dazu anlässlich der Präsentation des Zwischenberichts.

  • Föderalismus: Die Aufgabenverteilung zwischen Bund, Ländern und Kommunen müsse klarer werden. Sie sei inzwischen derart verworren geregelt, dass kaum noch jemand den Überblick habe, wird im Bericht kritisiert. Das müsse sich ändern.

  • Digitaler Staat: In Europa und auch global hinke Deutschland bei der Digitalisierung des Staates weit hinterher. Der volkswirtschaftliche Schaden sei enorm, der Frust der Bürger ebenso. Damit sich dies ändere, bedürfe es künftig einer zentralen Steuerung.

  • Sicherheit: Die internationale Sicherheitslage habe sich durch Russlands Angriff auf die Ukraine dramatisch verändert, eine Rückkehr zu globaler Stabilität sei unwahrscheinlich. Erstmals seit Jahren sei Deutschland wieder militärisch bedroht. Deshalb müsse das Land jetzt sicherheitspolitisch weit mehr leisten als bisher.

  • Migration: Das Themenfeld Migration sei äußerst komplex. Mehrere Aspekte hätten die Bevölkerung stark beunruhigt und die politische Debatte zugespitzt, wie etwa die geringe Zahl von Abschiebungen und der mangelnde Datenaustausch zwischen den Behörden. Hier bedürfe es vor allem der Bündelung von Zuständigkeiten und der Verbesserung des Datenaustauschs.

  • Wettbewerbsfähigkeit: Die wirtschaftliche Dynamik in Deutschland sei im globalen Wettbewerb seit Jahren ungenügend, stellen die Verfasser fest. Sie schlagen die Erleichterung von Investitionen und eine stärkere Rolle des Staates bei Steuerung, Koordinierung und Förderung vor.

  • Datenschutz: Ein überzogener Datenschutz sei inzwischen für viele zum Ärgernis geworden, so der Bericht; so werde etwa die Datenschutzgrundverordnung der EU (DS-GVO) in Deutschland strenger angewendet als in anderen EU-Staaten. Hier müssten die Regeln angemessen gelockert und die Verantwortlichkeiten gestrafft werden.

  • Klima: Klimaschutz sei inzwischen eine zentrale Schicksalsaufgabe für die internationale Gemeinschaft und für jeden einzelnen Staat. Hierzulande wirkten viele Maßnahmen aber fragmentiert und nicht harmonisiert. Deshalb bedürfe es jetzt klarer Rahmenbedingungen.

  • Soziales: Der Zwischenbericht verweist zu dem Thema insb. auf die Beitragslast aus den Sozialversicherungen, die für die Beschäftigten und die Unternehmen in den kommenden Jahren noch weiter zunehmen dürfte, und dies vor dem Hintergrund stagnierenden Wachstums und abnehmender Erwerbsbevölkerung. Zudem sei der Sozialstaat überaus komplex organisiert, die Verwaltungen seien mit dem Gesetzesvollzug überlastet. Deshalb komme man um eine Strukturreform nicht herum.

  • Bildung: Das deutsche Bildungssystem schneide im internationalen Vergleich unterdurchschnittlich ab, stellen die Verfasser fest. In Basisfächern wie Deutsch und Mathematik erfüllten viele Schülerinnen und Schüler nicht einmal zuverlässig die Mindeststandards. Bildung sei aber einer der Schlüsselfaktoren für die Produktivität der deutschen Wirtschaft im internationalen Wettbewerb. Vorgeschlagen wird deshalb die Gründung eines Nationalen Bildungsrats, der Empfehlungen zu zentralen Fragen unseres Bildungssystems entwickeln soll.

Die Autoren des Zwischenberichts schließen ihre Ausführungen damit, dass ihnen bewusst sei, dass die Umsetzung ihrer Empfehlungen eine besondere, große und parteiübergreifende Anstrengung erfordern wird. Dahinter stehe aber auch ein Konzept, das eine „große Kraft“ entfalten könne.

[Quellen: Re:Form/Hertie-Stiftung]

Diesen Beitrag teilen

Facebook
Twitter
WhatsApp
LinkedIn
E-Mail

Unser KI-Spezial

Erfahren Sie hier mehr über Künstliche Intelligenz – u.a. moderne Chatbots und KI-basierte…