Erst im März vergangenen Jahres hatte der Nationale Normenkontrollrat ein ausführliches Gutachten vorgelegt, das das System der Sozialleistungen in Deutschland in keinem guten Licht erscheinen lässt (s. näher dazu ZAP 2024, 461 f.). Nun hat sich das Expertengremium mit den Verwaltungsstrukturen in Bund und Ländern befasst – auch hier sieht es erheblichen Verbesserungsbedarf.
Der Nationale Normenkontrollrat (NKR) ist eine unabhängige Einrichtung, die die Bundesregierung beraten soll; organisatorisch ist sie beim Bundesjustizministerium angesiedelt. Anfang Februar hat das Beratergremium ein neues Gutachten mit dem Titel „Bündelung im Föderalstaat – Zeitgemäße Aufgabenorganisation für eine leistungsfähige und resiliente Verwaltung“ vorgelegt, das sich mit dem Zustand der Exekutive in Deutschland befasst. Bereits die drei ersten Sätze des 148-seitigen Berichts lassen erahnen, was die Experten im Folgenden mit Beispielen und Analysen noch weiter untermauern; sie lauten: „Deutschlands Verwaltung ächzt. Eine wachsende Regulierungsdichte, fehlendes Personal, mangelnde Digitalisierung und zusätzliche Herausforderungen aus multiplen Krisen bringen die öffentliche Hand an ihre Belastungs- und Leistungsgrenze. Vielerorts ist diese bereits überschritten.“
In der folgenden Analyse gelangen die Fachleute zu der Feststellung, dass das „Aufgabengeflecht des Staates“ über Jahrzehnte immer mehr angewachsen und dabei vor dem Hintergrund des dezentral organisierten Föderalstaats zunehmend zersplitterter geworden ist. Aufgaben seien mittlerweile nicht immer dort angesiedelt, wo sie am besten erledigt werden könnten. Dies wirke sich nachteilig auf die Serviceorientierung, Effizienz und Resilienz der Leistungserbringung aus. Nur selten gelinge es, die Nachteile der Fragmentierung durch Koordination auszugleichen. Außerdem würden die Anforderungen an die Verwaltung permanent steigen, während es auf den Vollzugsebenen an Personal und Haushaltsmitteln fehle. Diese Entwicklungen führten zu „steigender institutioneller Überlastung“ und hätten zur Folge, dass die Leistungsfähigkeit der deutschen Verwaltung zunehmend gefährdet sei. Die spürbar negativen Folgen für die Wirtschaft und die Bürger ließen das Zutrauen der Bevölkerung in einen handlungsfähigen Staat immer mehr schwinden.
Als Ausweg aus diesem Negativtrend sehen die Fachleute allein den Mut zu umfangreichen Reformen, vor allem bei der föderalen Aufgabenverteilung: „Um die Leistungsfähigkeit und die OutputLegitimation des Staates nachhaltig zu stärken, braucht es einen weitreichenden Reformansatz für die Neugestaltung der öffentlichen Aufgabenwahrnehmung. Die Analyse der aktuellen Defizite zeigt, dass ein solcher Ansatz vor allem an der Fragmentierung der deutschen Verwaltungsstrukturen ansetzen müsste“, heißt es in dem Gutachten. Hierzu empfehlen die Experten vor allem eine Bündelung der Zuständigkeiten. Bei jeder staatlichen Aufgabe müsse zuerst die Frage gestellt und beantwortet werden, welche Aufgaben von welcher Behörde auf welcher Ebene am besten erledigt werden können. Am Beispiel von drei Verwaltungsdienstleistungen – der Erteilung einer Fahrerlaubnis, der Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse und der Einkommensprüfung (letztere ist Bestandteil von mehr als 200 Verwaltungsleistungen in Deutschland) – spielen die Experten durch, wie einzelne Prozessschritte in Zukunft stärker zusammengefasst werden könnten. Essenziell für jede Verbesserung sei dabei eine durchgängige Digitalisierung von Verwaltungsprozessen. Hierzu bedürfe es aber neuer Ansätze zur Digitalisierung im föderalen Raum, da die bisherigen Digitalisierungsanstrengungen der verschiedenen Verwaltungsträger zu zahlreichen inkompatiblen Insellösungen geführt hätten.
Ihre Reformvorschläge zielten keineswegs auf eine Aushöhlung des Föderalsystems in Deutschland, betonen die Experten in ihrem Gutachten. Auch sei aus ihrer Sicht eine grundlegende Neuverteilung der Zuständigkeiten zwischen Bund und Ländern nicht unbedingt nötig. Gleichwohl kündigen sie an, dass ein Folgegutachten des NKR auch die „verfassungsrechtliche Dimension“ der von ihnen vorgeschlagenen Maßnahmen näher untersuchen werde.
[Quelle: NKR]