Bundesjustizminister Marco Buschmann arbeitet schon seit einiger Zeit daran, das Delikt des sog. Schwarzfahrens zu reformieren. Im Rahmen des Projekts, das Strafrecht zu „durchforsten“ prüft sein Ministerium, welche Straftatbestände „nicht mehr in die Zeit passen“. Auch auf der Agenda der Justizministerkonferenz stand das Thema bereits mehrfach. Seit vergangenem Jahr gibt es nun einen konkreten Reformvorschlag, wonach das Fahren ohne gültigen Fahrschein in Zukunft nicht mehr als Straftat, sondern nur noch als Ordnungswidrigkeit behandelt werden soll. Doch das Vorhaben stockt, ein konkretes Gesetzgebungsverfahren ist noch nicht in Gang gekommen (vgl. zur Sachverständigenanhörung ZAP 2023, 638). Das haben zahlreiche Wissenschaftler verschiedener Fachrichtungen, insbesondere aus den Bereichen Kriminologie, Strafrechtswissenschaft sowie Mobilitäts- und Stadtforschung, jetzt zum Anlass genommen, dem Minister einen offenen Brief zu schreiben.
Darin fordern die Hochschullehrer, Schwarzfahren künftig weder als Straftat zu behandeln noch als Ordnungswidrigkeit zu ahnden. Ihren Vorstoß begründen sie damit, dass das Fahren ohne Fahrschein nur einen geringen Unrechtsgehalt habe und überwiegend arme Menschen betreffe. Der Schaden pro Fahrt ohne gültiges Ticket sei marginal. Zugleich bekämen die Verkehrsunternehmen durch das erhöhte Beförderungsentgelt in Höhe von i.d.R. 60 € einen zivilrechtlichen Anspruch gegen die Täter, der die Höhe des Schadens in aller Regel bei weitem übersteige. Betroffen seien überproportional armutsbetroffene Menschen und solche in prekären Lebenslagen. Für sie hätten die Strafen – insbesondere aufgrund der hohen Zahl der verhängten Ersatzfreiheitsstrafen – oft schwerwiegende und unverhältnismäßige Konsequenzen, wie beispielsweise Wohnungsverlust.
Im Grunde handele es sich bei der Beförderungserschleichung um eine Bagatellstraftat, deren Ahndung eine hohe personelle und finanzielle Belastung des Staates mit sich bringe. Berechnungen zeigten, dass die Strafverfolgung nach § 265a StGB den Staat jährlich mindestens 114 Mio. € koste; diese Ressourcen fehlten an anderen Stellen. Auch die Bevölkerung befürworte mehrheitlich die Entkriminalisierung, wie Umfragen immer wieder zeigten.
In ihrem offenen Brief fordern die Wissenschaftler aus den vorgenannten Gründen, die Beförderungserschleichung vollständig zu entkriminalisieren und warnen davor, das Delikt künftig zumindest noch – wie vom BMJ vorgeschlagen – als Ordnungswidrigkeit zu behandeln. Dagegen sprechen aus ihrer Sicht folgende Gründe:
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Es bestehe die Gefahr, dass Menschen, die sich eine Fahrkarte und folgend auch das Bußgeld nicht leisten könnten, über die Erzwingungshaft inhaftiert würden. Diese könne bis zu sechs Wochen (für einen Bußgeldbescheid) bzw. drei Monate (für mehrere Bußgeldbescheide) angeordnet werden. Die Erzwingungshaft betreffe wieder insbesondere mittellose Menschen, darunter viele, die ohnehin psychisch und physisch hochgradig belastet seien.
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Einsparungen für den Staat seien nicht zu erwarten. Auch eine Ahndung als OWi wäre mit Verwaltungsaufwand und Kosten verbunden. Möglicherweise müsste eine neue Behörde geschaffen werden, womit lediglich die zuständige Stelle ausgetauscht würde.
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Im Grunde sei es gar nicht Aufgabe des Staates, private Forderungen einzutreiben. Im Wesentlichen handele es sich beim Schwarzfahren um einen zivilrechtlichen Konflikt, nicht um eine strafrechtliche Angelegenheit. Der Zivilrechtsweg sei ein effektives und ausreichendes Mittel, auf den auch sonst Gläubigerinnen und Gläubiger verwiesen würden.
Abschließend baten die Wissenschaftler den Bundesjustizminister um eine zeitnahe Reformierung des § 265a StGB unter Berücksichtigung ihrer Hinweise. Die Lösung der Schwarzfahrerproblematik könne nicht im Strafrecht gesucht werden, sondern eher in einer Senkung der Fahrpreise oder der Ausgabe von Sozialtickets für bedürftige Menschen. Nur so könne das derzeitige Unrecht, dem insbesondere Menschen in prekären sozialen und ökonomischen Lebenslagen ausgesetzt seien, beendet werden. Abgerufen werden kann der offene Brief der Wissenschaftler unter der Adresse https://kriminologie.uni-koeln.de/sites/kriminologie/UzK_2015/bilder/aktuelles/OffenerBrief265a_formatiert_unterschrieben_6.8.2024.pdf.
[Quelle: Univ. Köln]