Beitrag

Expertenkritik an geplanter Bürokratieentlastung

Die Bundesregierung hat in diesem Jahr den Entwurf eines „Vierten Gesetzes zur Entlastung der Bürgerinnen und Bürger, der Wirtschaft sowie der Verwaltung von Bürokratie“ auf den Weg gebracht (vgl. BT-Drucks 20/11306). Anders als der Titel vielleicht vermuten lässt, ist das Vorhaben kein weiterer Versuch, eine Reihe eher nebensächlicher Formvorschriften abzubauen, sondern dürfte in fast alle wichtigen Lebens- und Tätigkeitsbereiche der Bürgerinnen und Bürger und der Wirtschaft eingreifen, vom Familien- und Mietrecht über das Arbeits- und das Steuerrecht bis hin zum Handels- und Unternehmensrecht. Unter anderem ist vorgesehen, Formerfordernisse im Zivil- und Arbeitsrecht abzusenken, das Verfahren bei Unterhaltsvorschussleistungen zu straffen, Aufbewahrungspflichten für Buchungsbelege im Handels- und Steuerrecht zu verkürzen sowie für Inländer die Hotelmeldepflicht abzuschaffen. Insgesamt sollen Bürgerinnen und Bürger und Wirtschaft damit um rund 1 Mrd. € Bürokratiekosten entlastet werden.

Im Mai fanden zu dem Vorhaben gleich zwei Sachverständigenanhörungen im Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages statt; eine befasste sich mit den Auswirkungen auf Bürger, Justiz und Verwaltung, die andere fokussierte sich auf die Folgen für die Wirtschaft. In beiden Anhörungen wurde deutlich, dass die eingeladenen Experten höchst unterschiedliche Erwartungen an die Auswirkungen des neuen Gesetzes haben. Während einige anmahnten, die geplanten Entlastungen jetzt möglichst rasch umzusetzen, zeigten sich andere enttäuscht und erwarten kaum Vorteile; die Mehrheit der Sachverständigen hielt zudem Änderungen am Gesetzentwurf für notwendig.

Insbesondere die Experten aus der Wirtschaft waren der Meinung, dass der Entwurf nicht weit genug gehe. Die Bürokratie in Deutschland sei mit Schuld daran, dass das Land inzwischen international beim Wachstum „Schlusslicht“ sei; deshalb müsse es deutlich mehr Entlastung geben. Die Vertreter mehrerer Branchen, darunter des Handwerks und der Energie- und Wasserwirtschaft, verwiesen darauf, dass für ihre Unternehmen „kaum nennenswerte Erleichterungen“ zu erwarten seien. Einzelne Punkte des Vorhabens waren unter den Experten aus der Wirtschaft zudem umstritten, etwa die Reduzierung der Aufbewahrungsfristen für Buchungsbelege im Handels- und Steuerrecht von zehn auf acht Jahre. Während einige dies als „große Entlastung“ bezeichneten, warnten andere vor einer Verkürzung der Aufbewahrungspflichten; damit werde die Beweisführung in Steuerfahndungsfällen „drastisch erschwert“, kritisierte einer der Sachverständigen.

Mit den mietrechtlichen Aspekten des Gesetzentwurfs befasste sich ein Professor von der Universität Bielefeld. Während aus seiner Sicht gegen eine digitale Belegeinsicht im Rahmen des Betriebskostenrechts und gegen die Formerleichterung beim Widerspruch gegen die Kündigung nichts einzuwenden sei, sei die Einführung der Textform im Gewerberaummietrecht problematisch; die Auswirkungen von Schriftformverstößen bei Gewerberaummietverträgen hätten enorme wirtschaftliche Bedeutung. Sein Kollege von der Uni Passau lobte hingegen die geplanten Erleichterungen im Arbeitsvertragsrecht; der vom Nachweisgesetz geforderte schriftliche Nachweis der wesentlichen Vertragsbedingungen im Arbeitsvertrag sei für Unternehmen aufwendig und erscheine nicht mehr zeitgemäß. Die jetzt geplanten Formerleichterungen seien zu begrüßen und würden den Arbeitnehmerschutz nicht wesentlich mindern. Anderer Auffassung war eine Gewerkschaftsexpertin, die davor warnte, dass die zunehmende Digitalisierung im Arbeitsrecht zu weniger Transparenz und Rechtssicherheit für Arbeitnehmer führen könnte. Sie plädierte für den Erhalt der Schriftform bei allen das Arbeitsverhältnis betreffenden Dokumenten; es dürfe keine „Digitalisierungsdiskriminierung“ geben, betonte sie.

Von zwei Expertinnen abgelehnt wurden die geplanten Änderungen im Unterhaltsvorschussgesetz. Sie bemängelten u.a. das geplante vorläufige Einstellen der Unterhaltsleistung ohne vorherigen Bescheid. Dadurch entfalle der Vertrauensschutz für die Betroffenen, d.h., auch wenn für den alleinerziehenden Elternteil nicht erkennbar sei, dass durch geänderte äußere Umstände, wie etwa die Änderung des Umgangsmodells, der Anspruch auf Unterhaltsleistung entfalle, werde gleichwohl die Zahlung mit sofortiger Wirkung eingestellt. Dies führe durch den unvorhersehbaren Wegfall der Leistung zu einer Gefährdung des Lebensunterhalts des Kindes.

Kritik an den datenschutzrechtlichen Auswirkungen des Gesetzes äußerte der Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit, Ulrich Kelber. Er bemängelte, dass seine Bedenken bezüglich der Änderung des Passgesetzes und zur Änderung des Luftverkehrsgesetzes nicht aufgegriffen worden sind. Dass nunmehr erstmalig auch nichtöffentliche Stellen, wie z.B. Fluggesellschaften und Flughafenpersonal, Zugriff auf die im Chip eines Reisepasses gespeicherten Daten, etwa das biometrische Lichtbild, erhalten sollen, begegnet aus seiner Sicht grundsätzlichen Bedenken. Er befürchtet zudem, dass dies „Begehrlichkeiten“ auch bei anderen nichtöffentlichen Stellen wecken werde.

[Quelle: Bundestag]

Diesen Beitrag teilen

Facebook
Twitter
WhatsApp
LinkedIn
E-Mail

Unser KI-Spezial

Erfahren Sie hier mehr über Künstliche Intelligenz – u.a. moderne Chatbots und KI-basierte…