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Anwaltsmagazin

Beschlüsse der Frühjahrs-Justizministerkonferenz

Anfang Juni fanden sich in Hannover erneut die Länderjustizminister und -ministerinnen zu ihrer mittlerweile 95. Konferenz zusammen. Auf der Tagesordnung der Ressortchefs standen diesmal – neben vielen Themen aus dem Zivil-, Straf- und Verfahrensrecht – auch die Resilienz des Rechtsstaats und der Einsatz von KI in der Justiz. Von den insgesamt rund 50 Beschlüssen der Länderminister werden nachfolgend die aus Anwaltssicht interessantesten kurz zusammengefasst wiedergegeben.

I. Justiz

  • Stärkung des BVerfG

Ein Schwerpunkt der Tagung war die Resilienz des Rechtsstaats, über den die Landesjustizminister und -ministerinnen auch anlässlich des 75. Jubiläums des Grundgesetzes diskutierten. Die derzeitigen Bestrebungen, das Bundesverfassungsgericht besser vor etwaigen demokratiefeindlichen Eingriffen zu schützen (s. dazu auch ZAP 2024, 244) wurden begrüßt. Hierzu hatte das Bundesjustizministerium kürzlich einen Gesetzentwurf vorgelegt, der vorsieht, die bislang einfachgesetzlichen Regelungen über das BVerfG im Grundgesetz zu verankern. Darüber hinausgehend forderten die Länderminister in Hannover, eine Zweidrittelmehrheit für die Wahl der Verfassungsrichter und einen Ausgleichsmechanismus für den Fall etwaiger Wahlblockaden vorzusehen. Zudem regten sie eine Klärung der Frage an, ob Änderungen des BVerfGG die Zustimmung des Bundesrates erfordern sollten.

  • Beschleunigung von Asylprozessen

Bereits seit Jahren fordern die Länderjustizminister eine Beschleunigung der Verwaltungsprozesse, speziell in Asylverfahren. Auch diesmal stand das Thema wieder auf der Agenda; die Ressortchefs erkannten die Reformen der letzten Jahre an, mahnten aber weitere „organisatorische und personelle Maßnahmen“ an. Inzwischen hat das Bundesjustizministerium reagiert und Mitte Juni ein Eckpunktepapier zu Änderungen in der VwGO mit dem Schwerpunkt auf Asylprozesse vorgelegt (s. dazu unten S. 604).

  • Einsatz von KI in der Justiz

Nach Auffassung der Länderjustizminister bietet der Einsatz von Künstlicher Intelligenz in der Justiz große Potenziale. KI-Anwendungen könnten etwa für unterstützende Tätigkeiten, z.B. bei der Strukturierung von Sachverhalten, der Bewältigung von Massenverfahren oder der Anonymisierung von Urteilen, eingesetzt werden. Angesichts immer knapper werdender Ressourcen in der Justiz, vor allem beim Nachwuchs, und immer komplexer werdender Verfahren könnte so die Justiz nach Einschätzung der Ressortchefs „zukunftsfest“ aufgestellt werden. Dafür gilt es allerdings auch noch viele – auch rechtliche – Hindernisse aus dem Weg zu räumen. Ein Problem sehen die Minister im Urheberrecht: Für juristische KI-Projekte ist es oftmals erforderlich, große Mengen etwa auch an anwaltlichen Schriftsätzen, die potenziell urheberrechtlich geschützt sind, im Wege des Text- und Data-Mining auszuwerten, wofür man sie oft mit Forschungs- und Entwicklungsstellen, vor allem Universitäten, teilen muss. Ob auf aktueller rechtlicher Grundlage ein derartiges Vorgehen zulässig ist, ohne die Zustimmung der Autoren einzuholen, halten die Minister für fraglich. Sie wünschen sich deshalb eine ausdrückliche Zulassung im Urheberrecht und baten den Bundesjustizminister um die Prüfung einer entsprechenden Änderung im UrhG.

II. Zivilrecht/Wirtschaftsrecht

  • Kodifizierung des Unternehmenskaufs

Schon länger fordern die Länderjustizminister und -ministerinnen die Schaffung eines speziellen Unternehmenskaufrechts, da ihrer Meinung nach die derzeitigen kaufrechtlichen Regelungen der Übertragung eines gesamten Unternehmens nicht gerecht werden. Sie hatten dazu auch eine Arbeitsgruppe eingesetzt, die im Februar des Jahres ihren Abschlussbericht vorgelegt hat. Darin kommen die Experten zu dem Ergebnis, dass tatsächlich hinreichender Grund besteht, bestimmte gesetzliche Vorschriften mit Bedeutung für den Unternehmenskauf anzupassen bzw. diese punktuell zu ergänzen. Auf dieser Grundlage bat die Justizministerkonferenz den Bundesjustizminister, eine entsprechende Gesetzesänderung in Angriff zu nehmen.

  • Reform des Bauträgervertragsrechts

Über 50 % des Wohnungsneubaus werden derzeit über Bauträger abgewickelt. Das Bauträgergeschäft stellt damit einen der wichtigsten Faktoren bei der dringend benötigten Schaffung neuen Wohnraums dar. Vor dem Hintergrund dieser Bedeutung halten die Länderjustizminister das derzeitige Bauträgerrecht für unzureichend; es sei in den §§ 650u, 650v BGB nur rudimentär geregelt. Schutzlücken bestünden insbesondere im Hinblick auf die Absicherung der Besteller im Fall der Insolvenz des Bauträgers sowie der Abnahme der Gemeinschaftsflächen und damit eng verbunden dem Ablauf der Verjährung. Diese Lücken müssen nach Auffassung der Minister geschlossen werden, um so das Bauträgervertragsrecht rechtssicherer zu machen und dadurch weitere Investitionen durch die Bauträger zu fördern. Der Bundesjustizminister wurde gebeten, einen entsprechenden Regelungsvorschlag auszuarbeiten.

  • Reformbedarf im Insolvenzverfahren

Unredlich erlangte Restschuldbefreiungen stellen nach Auffassung der Länderjustizminister ein Problem bei der Insolvenz natürlicher Personen dar. Nach derzeit geltendem Recht würden auch Insolvenzschuldnerinnen und -schuldner eine frühzeitige Restschuldbefreiung erlangen können, die sich erkanntermaßen unredlich verhalten haben, stellten die Minister fest. Sie halten es deshalb für erforderlich, für solche Fälle den Schutz der Insolvenzgläubigerinnen und -gläubiger zu verbessern und baten den Bundesjustizminister, einen entsprechenden Regelungsvorschlag zu erarbeiten.

III. Familienrecht/Erbrecht

  • Abschaffung der „Schlüsselgewalt“

Die Justizministerinnen und Justizminister haben sich auch mit der sog. „Schlüsselgewalt“ gem. § 1357 BGB befasst. Sie sind der Auffassung, dass die automatische Mitverpflichtung des anderen Ehegatten bei Geschäften zur Deckung des Lebensbedarfs der Familie nicht mehr zeitgemäß ist. Verheiratete Paare profitierten kaum von dieser Regelung und auch der Geschäftspartner müsse nicht mehr automatisch geschützt werden; verlange er ausnahmsweise einen zweiten Schuldner, werde in der Praxis in aller Regel der Ehegatte ausdrücklich mitverpflichtet. Ein darüber hinausgehender Gläubigerschutz kraft Gesetzes sei deshalb nicht mehr erforderlich und auch verfassungsrechtlich bedenklich. Die Justizministerinnen und Justizminister halten zudem für problematisch, dass verheiratete Paare die Wirkungen dieser Norm wegen der Abschaffung des Güterrechtsregisters zum 1. 1. 2023 faktisch nicht mehr beschränken oder ausschließen können. Der Bundesjustizminister wurde deshalb gebeten, eine Abschaffung des § 1357 BGB zu prüfen.

  • Honorierung von Pflegeleistungen im Erbrecht

Um der sozial- und gesellschaftspolitischen Bedeutung der häuslichen Pflege gerecht zu werden, sprechen sich die Justizministerinnen und Justizminister der Länder dafür aus, die zivilrechtlichen Rahmenbedingungen für eine finanzielle Anerkennung geleisteter Pflege zu verbessern. Die bisherige gesetzliche Ausgleichspflicht unter Abkömmlingen in § 2057a Abs. 1 S. 2 BGB ist ihrer Auffassung nach ungenügend. Pflegeleistungen von Ehegatten, nichtehelichen Lebensgefährten und Schwiegerkindern würden darin nicht erfasst und auch vertragliche oder testamentarische Regelungen seien keine ausreichende Lösung. Denn häufig würden pflegende Angehörige aus emotionalen Gründen davor zurückschrecken, das Thema anzusprechen; hinzu kämen rechtliche Probleme, etwa Zweifel an der Geschäfts- oder Testierfähigkeit. Aus diesen Gründen halten die Justizministerinnen und -minister ein klares gesetzliches Modell zur finanziellen Anerkennung häuslicher Pflegeleistungen für erforderlich und baten den Bundesjustizminister um Ausarbeitung einer entsprechenden erbrechtlichen Regelung.

IV. Strafrecht/OWi

  • Cyberkriminalität und -mobbing

Gleich mehrere Tagesordnungspunkte widmete die Justizministerkonferenz den zunehmenden Straftaten im Cyberraum, vor allem der Beleidigung, der Hetze und der Hasskriminalität. Die Ressortchefs sind der Meinung, dass alle diese Delikte derzeit nur unzureichend geregelt sind und der Schutz der Opfer verbessert werden muss. Insbesondere für die Tatbestände der Beleidigung (§ 185 StGB), der üblen Nachrede (§ 186 StGB) und der Verleumdung (§ 187 StGB) fordern sie einen erweiterten Strafrahmen bzw. eine erhöhte Mindeststrafe für den Fall, dass die Tat einen rassistischen, fremdenfeindlichen, antisemitischen oder sonstigen menschenverachtenden Inhalt hat oder von derartigen Beweggründen getragen ist. Auch beim sog. Cybermobbing würden derzeit nicht alle Fallgestaltungen strafrechtlich erfasst; die Minister setzen sich deshalb für einen umfassenden strafrechtlichen Schutz gegen fortgesetzte systematische Beeinträchtigungen der individuellen Lebensgestaltung und der psychischen Integrität ein. Darüber hinaus ist es ihrer Auffassung nach geboten, strafschärfende Regelungen für solche Fälle zu erwägen, in denen die Täter die Tat im Auftrag oder mit Billigung eines fremden Staates begehen. Im Blick hatten sie dabei das Handeln autokratisch regierter Staaten, die in Deutschland lebende Oppositionelle durch regimetreue Anhänger verfolgen und belästigen lassen.

  • Cybertrading

Betrügerische Anlageplattformen im Internet (sog. Cybertrading), durch die Privatanleger hohe Verluste erleiden, waren ein weiteres Thema im Zusammenhang mit der Internetkriminalität. Dieser Bereich sei der organisierten (internationalen) Kriminalität zuzuordnen, die Täter seien mittlerweile psychologisch geschult und würden die betrügerischen Plattformen immer schneller wechseln; daher seien die entsprechenden Ermittlungsverfahren meist äußerst komplex und – auch wegen der Auslandsbezüge – schwierig. Die Minister halten aus diesem Grund eine Bündelung von Informationen aus verschiedenen Ermittlungsverfahren und einen Informationsaustausch unter den Strafverfolgungsbehörden für unerlässlich. Sie sprachen sich auf der Konferenz für die Einrichtung einer beim Bundeskriminalamt angesiedelten zentralen Informationsplattform aus, auf der alle Informationen gebündelt werden könnten; auf diese Weise könnten die Ermittlungsansätze ausgeschöpft sowie Zusammenhänge zwischen verschiedenen Betrugsplattformen und Tatkomplexen frühzeitig erkannt und aufgedeckt werden.

  • Vermögensabschöpfung/Einziehung

Verbesserungen wünschen sich die Ressortchefs auch bei der Einziehung von Taterträgen und der Abschöpfung unrechtmäßig erlangten Vermögens sowohl bei Straftaten als auch bei Ordnungswidrigkeiten. Unter anderem regten sie einen automatisierten Abruf von Kontoinformationen bei der BaFin auch im Rahmen der Ahndung von Ordnungswidrigkeiten an; zudem sollten ihrer Auffassung nach auch die Einziehungsentscheidungen aufgrund des OWiG ins Gewerbezentralregister eingetragen werden.

[Quelle: JuMiKo]

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