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Selbstbestimmungsgesetz stößt auf geteiltes Sachverständigenecho

Während einer Anhörung im Familienausschuss des Bundestags haben die eingeladenen Sachverständigen den Gesetzentwurf der Bundesregierung über die Selbstbestimmung in Bezug auf den Geschlechtseintrag und zur Änderung weiterer Vorschriften (vgl. zu dem Vorhaben auch ZAP 2022, 707) teils begrüßt, teils aber auch kritisiert. Allerdings forderten auch die Befürworter mehrheitlich Nachbesserungen.

So bezeichnete die Vertreterin des Deutschen Instituts für Menschenrechte das Vorhaben zwar als „verfassungsrechtlich elementares Vorhaben“. Positiv sei insb., dass Minderjährige ihren Geschlechtseintrag ändern lassen können, was der Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen entspreche. Allerdings empfahl sie auch, die Altersgrenze und die Zustimmung der Sorgeberechtigten zu überdenken, weil dies die subjektiven Kinderrechte einschränke. Die Regelung, dass im Konfliktfall das Familiengericht die Zustimmung der Eltern ersetzt, birgt aus ihrer Sicht die Gefahr, dass auf ein Gutachten zurückgegriffen wird. Eine Fremdbegutachtung sei jedoch zu vermeiden. Auch kritisierte die Expertin die Weiterleitung von Daten an andere Behörden, was der Datenschutzgrundverordnung widerspreche.

Auch der Sachverständige vom Bundesverband Trans begrüßte den Gesetzentwurf, bemängelte aber zugleich, dass er hinter seinen Erwartungen zurückbleibe. Er regte an, auf Anmelde- und Sperrfristen für die Erklärung zu verzichten und die Änderung des Geschlechtseintrags für alle über 14-Jährigen zu ermöglichen, auch für solche, für die ein gesetzlicher Betreuer bestellt worden sei.

Ebenso begrüßte die Direktorin des Instituts für Deutsches und Internationales Familienrecht der Universität Münster die Möglichkeit, den eigenen Geschlechtseintrag privatautonom bestimmen zu können. Sie kritisierte aber, dass Transfrauen derzeit nicht die zweite Elternstelle eines Kindes einnehmen könnten, das sie als „Bio-Mann“ vor der Transition selbst gezeugt hätten.

Nicht weit genug geht die geplante Regelung einer Professorin für Europarecht aus Flensburg. Sie kritisierte, dass das Regelungsanliegen stark „verwässert“ worden sei. So fehle die Einsicht, dass das Recht auf Geschlechtsbestimmung ein Menschenrecht sei. Sie empfahl, die Regelung zu streichen, wonach nur solche Ausländer den Geschlechtseintrag und den Vornamen ändern lassen können, die ein unbefristetes Aufenthaltsrecht oder eine vergleichbare Aufenthaltserlaubnis haben, sich rechtmäßig im Inland aufhalten oder eine Blaue Karte EU besitzen.

Bei anderen Experten überwog hingegen eindeutig die Kritik am Entwurf; einige bezweifelten sogar einen Reformbedarf. So monierte ein Sachverständiger fehlende Schutzvorkehrungen gegen Missbrauch. Wenn Geschlechtseintrag und Vornamen ohne Exploration der Handlungsgründe geändert werden könnten, könne Missbrauch nicht ausgeschlossen werden, vulnerable Gruppen hätten u.U. keinen Schutz. Er empfahl eine verpflichtende Beratung, die eine Schutzfunktion hätte und für vulnerable Personen eine Hilfe sein könnte.

Eine Rechtsprofessorin von der Universität Konstanz war sogar der Auffassung, dass zwingender Reformbedarf nicht bestehe. Sie sprach ungelöste Folgeprobleme an, etwa unter welchen Voraussetzungen ein privater Saunabetreiber oder ein Frauenhaus einer Person den Zugang verwehren darf. Für trans- und intergeschlechtliche Personen verschlechtere sich die rechtliche Situation gegenüber der jetzigen Rechtslage teilweise. Nachbesserungsbedarf sah sie auch beim Schutz Minderjähriger, für die stärkere Schutzvorkehrungen getroffen werden sollten als für volljährige Personen.

Ein Professor von der Internationalen Psychoanalytischen Universität Berlin hielt 14-Jährige für hoffnungslos überfordert, eine Entscheidung über den Geschlechtseintrag zu treffen. Kinder versöhnten sich oft wieder mit dem ursprünglichen Geschlecht, der Ausgang der Entwicklung sei ungewiss. Das Bundesverfassungsgericht habe festgestellt, dass Persönlichkeitsrechte einer fachlichen Begutachtung nicht entgegenstünden.

Eine geladene Fachärztin für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie bewertete das Risikopotenzial des Gesetzes im Ergebnis höher als den Gewinn. Das Kindeswohl könne auf der Strecke bleiben. Auch sie war der Meinung, dass Minderjährige meist nicht in der Lage seien, Bedeutung, Tragweite und Folgen einer solchen Entscheidung einschätzen zu können. Der Gruppendruck mache auch den „Rückweg“ schwierig.

[Quelle: Bundestag]

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