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Empfehlungen des 61. Deutschen Verkehrsgerichtstags

Nur rd. fünf Monate nach dem letzten – wegen Corona auf den August 2022 verschobenen – 60. Deutschen Verkehrsgerichtstag kamen die Verkehrsrechtsexperten Ende Januar 2023 erneut zusammen, um über aktuelle Verkehrsrechtsfragen zu diskutieren und Empfehlungen an den Gesetzgeber auszusprechen. Auf der Tagesordnung der Fachleute aus Verbänden, Behörden, Justiz und Wissenschaft standen diesmal u.a. eine Promillegrenze für E-Scooter-Fahrer, eine ärztliche Verpflichtung zur Meldung fahrungeeigneter Personen und Haftungsfragen beim Einsatz von KI im Straßenverkehr. Die wichtigsten ihrer Empfehlungen an den Gesetzgeber sind nachfolgend kurz zusammengefasst.

  • Alkohol-Grenzwert für Fahrer von Elektrokleinstfahrzeugen

    Die Experten des zuständigen Arbeitskreises sprachen sich dagegen aus, die derzeitigen Alkohol-Grenzwerte für z.B. E-Scooter-Fahrer von 0,5-Promille (Ordnungswidrigkeit) und 1,1-Promille (Straftat) zu verändern. Sie empfahlen sogar dem Gesetzgeber, § 69 Abs. 2 StGB dahingehend zu ändern, dass die Regelvermutung für eine Entziehung der Fahrerlaubnis bei einer Trunkenheitsfahrt (§ 316 StGB) mit einem fahrerlaubnisfreien Elektrokleinstfahrzeug nicht greift; sie halten hier die Verhängung eines Fahrverbots (§ 44 StGB) grds. für ausreichend. Es bleibe Aufgabe der Fahrerlaubnisbehörde, die Fahreignung nach Maßgabe des geltenden Rechts in diesen Fällen zu prüfen. Die Experten waren auch der Auffassung, dass die Anforderungen an die Fahreignung für fahrerlaubnisfreie Fahrzeuge und die möglichen Maßnahmen der Fahrerlaubnisbehörde bei Ungeeignetheit derzeit nicht hinreichend klar geregelt sind. Ebenso wie schon das BVerwG in einer Entscheidung aus 2020 forderten sie den Gesetzgeber auf, hier für Klarheit zu sorgen.

  • Ärztliche Meldepflicht hinsichtlich fahrungeeigneter Personen

    Der zuständige Arbeitskreis lehnte eine ärztliche Meldepflicht hinsichtlich fahrungeeigneter Personen ab. Ärztinnen und Ärzte seien verantwortungsvoll eingebunden in die Beratung möglicherweise fahrungeeigneter Patienten, wurde zur Begründung angeführt. Sie seien regelmäßig die ersten Ansprechpartner bei Fragen zur Fahreignung und deshalb sei ein intaktes Arzt-Patienten-Verhältnis notwendig, damit sich Patienten vertrauensvoll mitteilen könnten. Allerdings waren die Experten auch der Meinung, dass nach einer Ausschöpfung aller therapeutischer und beratender Optionen bei einem begründetem Verdacht auf fehlende Fahreignung eine Mitteilung an die Fahrerlaubnisbehörde künftig in Betracht zu ziehen sei. Jedoch müssten dafür die medizinischen Voraussetzungen, bei deren Vorliegen behandelnde Ärztinnen und Ärzte Kenntnisse an Behörden weitergeben dürften, noch präzisiert werden, damit Rechtssicherheit herrsche. Bis dahin sollten vorrangig niederschwellige Angebote zum Erhalt der Fahreignung und zu alternativer Mobilität in größerem Umfang etabliert und beworben werden.

  • Halterhaftung bei Verkehrsverstößen

    Der Verkehrsgerichtstag diskutierte diesmal auch umfangreich haftungsrechtliche Themen, darunter eine Halterhaftung bei Verkehrsverstößen. Eine solche lehnen die Verkehrsrechtsexperten ab. Sie sei sowohl verfassungs- als auch EU-rechtlich nicht zu begründen. Stattdessen müsse am Erfordernis der Fahrerermittlung festgehalten werden, da dies ganz wesentlich der Verkehrssicherheit diene. Um die Ermittlung des verantwortlichen Fahrers besser gewährleisten zu können, empfahl der zuständige Arbeitskreis eine Verlängerung der Verfolgungsverjährungsfrist bei Verstößen nach § 24 StVG von drei auf sechs Monate. Zugleich waren die Fachleute aber auch der Meinung, dass das derzeitige System der ausschließlichen Fahrerverantwortlichkeit den praktischen Erfordernissen nicht vollumfänglich genügt. Um Defizite für den Fall zu minimieren, dass der Fahrer nicht ermittelt werden kann, wurde der Gesetzgeber aufgefordert, die Einführung einer Halterverantwortlichkeit im Verwarnungsbereich mit Exkulpationsmöglichkeit (z.B. Fahrerbenennung) zu prüfen. Darüber hinaus sei die Einführung einer bußgeldbewehrten Fahrerbenennungspflicht durch den Halter in Betracht zu ziehen, zumindest aber die Verpflichtung des Fahrzeughalters zur Tragung der tatsächlich anfallenden Kosten des Verwaltungsverfahrens auch im fließenden Verkehr (analog § 25a StVG).

  • Fahrtenbuchauflage – Halterhaftung durch die Hintertür?

    Des Weiteren empfahlen die Fachleute eine Änderung des § 31a Abs. 1 StVZO durch den Verordnungsgeber. Bei erstmaligem punkterelevantem Verstoß solle dem Fahrzeughalter zwingend die Führung eines Fahrtenbuchs angedroht werden, wenn der Verantwortliche trotz der gebotenen Ermittlungen nicht habe festgestellt werden können. Im Wiederholungsfall solle dann binnen 15 Monaten ab dem Tattag des zur Androhung führenden Verstoßes eine Fahrtenbuchauflage angeordnet werden können (Ermessensentscheidung). Dies solle sicherstellen, dass die derzeit regional höchst unterschiedliche Anwendung der geltenden Norm künftig zu einer einheitlichen Anwendung der Vorschrift führe. Ergänzend solle eine effiziente Durchführbarkeit sowie eine wirksame Kontrolle der Einhaltung der Fahrtenbuchauflage sichergestellt werden.

  • KI-Haftung im Straßenverkehr

    Auf der Tagesordnung standen auch Haftungsprobleme beim autonomen Fahren. Nach Auffassung der Verkehrsrechtler ist der zunehmende Betrieb autonomer Kraftfahrzeuge auf den Straßen aber kein Anlass, die bewährte Halterhaftung aufzugeben oder zu ändern. Sie solle vielmehr zum Schutz des Geschädigten unbedingt beibehalten werden, der so auf einfachem Weg den Halter des gegnerischen Kraftfahrzeugs und dessen Pflichtversicherer auf Schadensersatz in Anspruch nehmen könne. Die Fachleute prognostizierten, dass die von der EU-Kommission in Aussicht stehende Richtlinie über KI-Haftung für die deutsche Verkehrsunfallhaftung keine Bedeutung erlangen wird. Sie begrüßten aber die von der EU-Kommission vorgeschlagene Anpassung der Produkthaftungsrichtlinie an digitale Produkte: Je mehr Einfluss der Hersteller auf die Steuerung des Kraftfahrzeugs gewinne, desto stärker rücke die Produkthaftung als Regressinstrument des Kfz-Haftpflichtversicherers in den Fokus. Denn beim autonomen Fahren würden nicht mehr Fahrfehler, sondern v.a. Produktfehler des Kraftfahrzeugs Ursache von Unfällen sein. Es wurde empfohlen, den Anwendungsbereich der Produkthaftung so zu erweitern, dass auch beruflich genutzte Gegenstände einbezogen und Unternehmen als Geschädigte anerkannt werden.

  • Hoheit über die Fahrzeugdaten

    Die Experten waren der Meinung, dass über die Freigabe der beim Betrieb anfallenden Fahrzeugdaten grds. der Datengenerierende entscheiden können muss (Datenhoheit). Das Ziel des sog. EU Data Acts, die Daten vernetzter Produkte Verbrauchern und Unternehmen zu gleichen Bedingungen zur Verfügung zu stellen und damit die Innovation und den fairen Wettbewerb zu ermöglichen, wurde ausdrücklich begrüßt. Der Zugang zu den Fahrzeugdaten bedürfe allerdings unverzüglich einer Lösung auf EU-Ebene. Die Bundesregierung wurde aufgefordert, ein Konzept vorzulegen, das den technischen Zugang zu den Fahrzeugdaten für die Nutzenden sowie berechtigte Dritte regelt und die Interessen von Verbrauchern, Wirtschaft, Forschung und Öffentlichkeit angemessen berücksichtigt. Empfohlen wurde, den bislang exklusiven technischen Zugriff der Hersteller auf die Fahrzeugdaten in ein anderes Modell zu überführen (z.B. eine Treuhänderlösung), bei dem der Hersteller gleichberechtigt wie andere Dritte behandelt wird. Notwendig sei auch eine Standardisierung der Daten und des Datenzugriffs, mit der die Datenverwendung ermöglicht werde. Dabei seien dem Datenschutz, der Datensicherheit und der Sicherheit im Straßenverkehr Rechnung zu tragen.

  • Reparaturkostenersatz bei Haftpflichtschäden

    Etwaige Änderungen der derzeitigen Regelungen zum Reparaturkostenersatz lehnten die Fachleute des Verkehrsgerichtstags ab. Das von der Rechtsprechung entwickelte Vier-Stufen-Modell sei grds. sachgerecht, lautete die Begründung. Dies gelte auch für die sog. 130%-Rechtsprechung (3. Stufe), wonach der Geschädigte sein Fahrzeug auch dann reparieren lassen dürfe, wenn die Reparaturkosten den Wiederbeschaffungswert des Fahrzeugs bis zu 30 % überstiegen. Hierdurch werde ein gerechter Ausgleich zwischen den Interessen des Geschädigten und des Schädigers bzw. dahinterstehenden Haftpflichtversicherers erreicht. Insbesondere werde vermieden, dass der Geschädigte mit Schwierigkeiten und Risiken konfrontiert werde, die mit der Ersatzbeschaffung verbunden seien. Dem Schädiger bzw. dem Haftpflichtversicherer stehe zwar grds. ein Überprüfungsrecht hinsichtlich der vom Geschädigten geltend gemachten Schadensersatzansprüche zu. Sofern den Geschädigten aber kein Auswahl- oder Überwachungsverschulden treffe, könne sein Ersatzanspruch nicht wegen einer möglicherweise überhöhten Reparaturrechnung gekürzt werden.

[Quelle: Verkehrsgerichtstag]

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