Der Europäisches Gerichtshof (EuGH) hat den Anspruch von Reisenden auf Schadensersatz auf psychische Schäden ausgedehnt. Fluglinien haften demnach nach einem Unfall nicht nur für körperliche, sondern auch für psychische Beeinträchtigungen ihrer Passagiere, entschieden die Luxemburger Richter im Oktober (EuGH, Urt. v. 20.10.2022 – C-111/21). Allerdings müssten die Geschädigten nachweisen, dass die psychischen Folgen nicht ohne ärztliche Behandlung abklingen können; auch müssten diese so schwer sein,dass sie sich auf die Gesundheit allgemein auswirkten.
Der Fall: Bei einem von der österreichischen Luftlinie Laudamotion im Jahr 2019 durchgeführten Flug von London nach Wien explodierte beim Start das linke Triebwerk des Flugzeugs. Die Fluggäste wurden daraufhin evakuiert; auch die Klägerin verließ das Flugzeug über einen Notausstieg, wurde aber durch den sog. Jetblast des rechten Triebwerks, das noch lief, mehrere Meter durch die Luft geschleudert. In der Folge wurde bei ihr eine posttraumatische Belastungsstörung diagnostiziert, deretwegen sie sich in ärztlicher Behandlung begeben musste. In Österreich erhob sie Klage gegen Laudamotion auf Feststellung der Haftung dieses Luftfahrtunternehmens gem. Art. 17 Abs. 1 des Übereinkommens von Montreal sowie auf Ersatz der von ihr aufgewandten Heilungskosten von 4.353,60 € und Schmerzensgeld von 2.500 € zzgl. Zinsen und Kosten. Der Fall ging bis zum Obersten Gerichtshof, der sich vor das Problem gestellt sah, dass im Montrealer Übereinkommen nur die Schadensereignisse „Tod“ und „Körperverletzung“ erwähnt werden, nicht jedoch psychische Beeinträchtigungen. Deshalb legte er die Rechtsfrage dem EuGH vor.
Die Luxemburger Richter bestätigten zunächst, dass psychische Schäden nicht ausdrücklich im
Allerdings „ruderten“ die Luxemburger Richter gleich wieder etwas zurück, um die Airlines keinen unübersehbaren Haftungsrisiken auszusetzen: Es müsse „die Notwendigkeit eines angemessenen Schadenersatzes“ mit der Notwendigkeit in Einklang gebracht werden, für einen „gerechten Interessenausgleich zwischen Luftfahrtunternehmen und Reisenden“ zu sorgen, schrieben sie in die Entscheidungsgründe. Die Haftung des Luftfahrtunternehmens auf der Grundlage von Art. 17 Abs. 1 des Übereinkommens von Montreal könne aus diesem Grund nur dann ausgelöst werden, wenn der verletzte Fluggast u.a. mittels eines medizinischen Gutachtens und Belegen über eine ärztliche Behandlung rechtlich hinreichend nachweise, dass eine Beeinträchtigung seiner psychischen Integrität vorliege, die er infolge eines „Unfalls“ im Sinne dieser Bestimmung erlitten habe und die von solcher Schwere oder Intensität sei, dass sie sich insb. in Anbetracht ihrer psychosomatischen Wirkungen auf seinen allgemeinen Gesundheitszustand auswirke und nicht ohne ärztliche Behandlung abklingen könne.
Nur eine solche Auslegung, so der EuGH, ermögliche es sowohl verletzten Fluggästen, nach dem Grundsatz des vollen Ausgleichs einen angemessenen Schadenersatz zu erlangen, als auch den Luftfahrtunternehmen, sich gegen betrügerische Schadenersatzklagen zu schützen, durch die ihnen eine „übermäßige, schwer feststell- und berechenbare Ersatzpflicht“ aufgebürdet würde, die ihre wirtschaftliche Tätigkeit gefährden oder sogar zum Erliegen bringen könnte.