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Juristentag beschäftigt sich mit Digitalisierung und Nachhaltigkeit

Nicht nur – wie im Vorjahr – virtuell, sondern wieder ganz traditionell „in Präsenz“ fand der diesjährige 73. Deutsche Juristentag in Bonn statt. In der alten Bundeshauptstadt berieten vom 21. bis zum 23. September mehr als 2.000 Juristen aus Justiz, Behörden, Anwaltschaft und Rechtslehre aktuelle Rechtsfragen zu Themen wie Digitalisierung und Nachhaltigkeit. Im Mittelpunkt standen dabei die Sicherheit und Haftungsfragen zu autonomen Systemen wie etwa selbstfahrende Autos. Auch das Thema Nachhaltigkeit beschäftigte die Experten; sie stellten die Frage, wie wir in Zukunft in unseren Städten leben wollen, sowohl was den Wohnraum als auch, was den Verkehr angeht. Erneut nahm auch die Rechtsprechung einen breiten Raum ein, sowohl mit Blick auf die Besetzung der Richterbänke als auch auf die Beweisführung im Strafprozess. Die wichtigsten Empfehlungen des diesjährigen Deutschen Juristentages an den Gesetzgeber sind nachfolgend kurz zusammengefasst dargestellt.

  • Haftungsfragen bei digitalen autonomen Systemen

    Mit der auf die Hersteller und Betreiber autonomer Systeme zielenden Frage „Empfehlen sich’Regelungen zu Verantwortung und Haftung?“ befasste sich der Arbeitskreis Zivilrecht. Diese Frage bejahten die Experten. Sie sprachen sich’dafür aus, in Abweichung von den derzeitigen EU-Vorgaben, die Entwicklungsrisiken solcher autonomen Systeme den Herstellern aufzubürden. Zu ihren Lasten sollte ein vom Vorliegen eines Produktfehlers unabhängiger Gefährdungstatbestand geschaffen werden, empfahlen die Juristen. Ein vergleichbarer Gefährdungstatbestand sollte auch zulasten der Betreiber (Halter) digitaler autonomer Systeme eingeführt werden. Parallel zur Schaffung neuer Gefährdungshaftungen müsse auch jeweils eine Pflichtversicherung etabliert werden. Eine haftungsersetzende gesetzliche Unfallversicherung (sog. KI-Versicherung) lehnten die Experten hingegen ab.

  • Die nachhaltige Stadt der Zukunft

    Mit der Frage, welche Neuregelungen sich zu Verkehr, Wohnen und Umweltschutz empfehlen, befasste sich der Arbeitskreis Öffentliches Recht. Er kam zu dem Schluss, dass die nachhaltige Stadt der Zukunft „eine gerechte, grüne und produktive Stadt“ sein müsse. Obwohl die Fachleute sich für die Vielgestaltigkeit kommunaler Gebietskörperschaften aussprachen (keine „Einheitsstadt“), sahen sie doch die Notwendigkeit, insb. bei den digitalen Verwaltungskompetenzen sog. Insellösungen zu vermeiden und einheitliche, vernetzbare Lösungen zu entwickeln. Es sei eine gesamtstaatliche Aufgabe, eine IT-Architektur zu entwickeln, welche sich an den weltweiten Standards zu Datenerhebung und -haltung orientiert. Der Bundesgesetzgeber solle die Städte zudem durch Änderung des BauGB verpflichten, Analysen zu den Entwicklungspotenzialen ihrer Flächen durchzuführen und ihnen hierfür einheitliche Kriterien zur Flächenbewertung vorgeben. Zugunsten der Einwohner müsse sowohl der Klimaschutz als auch der Lärmschutz verbessert werden, etwa durch erweiterte Solarpflichten sowie durch die Verpflichtung, veraltete Anlagen und Verkehrswege zu sanieren. Auch der Mieterschutz müsse gestärkt werden; die Experten empfahlen eine ganze Reihe von Instrumenten, etwa die Mietpreisbremse, die Stärkung des kommunalen Vorkaufsrechts sowie die’Abschöpfung von Bodenwertsteigerungen.

  • Rentensystem und Demografie

    Mit den Herausforderungen der Altersvorsorgesysteme durch die demografische Entwicklung befasste sich der arbeits- und sozialrechtliche Arbeitskreis. Er sprach sich mit großer Mehrheit dafür aus, das derzeitige beitragsfinanzierte System der sozialen Rentenversicherung beizubehalten, jedoch durch verschiedene Maßnahmen zu konsolidieren. So solle, beginnend ab 2030, das Renteneintrittsalter erhöht werden. Das Sicherungsniveau der Altersrente sollte hingegen nicht weiter abgesenkt werden, auch seien Beitragserhöhungen für die Beitragszahler zu vermeiden. Die derzeitigen Möglichkeiten, sich’von der gesetzlichen Rentenversicherung befreien zu lassen, sollten beschränkt werden. Hingegen müsse die private Vorsorge – mit Blick auf eine Vereinfachung – weiter gestärkt und ggf. staatlich gefördert werden.

  • Besetzung von Richterämtern

    Mit der Frage, wie Richterposten besetzt werden sollten, damit die Unabhängigkeit der Justiz gewährleistet bleibt, befasste sich ein weiterer Arbeitskreis. Weitgehend einig waren sich dessen Experten, dass rechtliche Rahmenbedingungen notwendig sind, um die richterliche Unabhängigkeit bei Ernennungen und Beförderungsentscheidungen abzusichern. Vorschläge, solche personellen Entscheidungen einem einzurichtenden besonderen Justizverwaltungsrat oder – wie in einigen anderen europäischen Ländern – einer unabhängigen Besetzungskommission zu übertragen, fanden allerdings keine Mehrheit auf der Tagung. Vielmehr sprachen sich die Teilnehmer dafür aus, zwar das bisherige Ernennungs- und Beförderungssystem beizubehalten, jedoch im Detail zu verbessern. So solle u.a. das Anforderungsprofil bei Ersternennungen konkretisiert werden, etwa was die „soziale Kompetenz“ eines Bewerbers angeht. Auch bei Beförderungen müsse das Anforderungsprofil besser definiert werden. Im Beurteilungswesen wurde noch Aus- und Fortbildungsbedarf festgestellt. Eine Gefahr „erheblicher Einflussnahme und Steuerung“ durch politische Parteien sahen die Experten speziell bei Bundesrichterwahlen. Hier plädierten sie dafür, dass für’die Wahl eines Kandidaten – wie schon bei Wahlen zum BVerfG – zukünftig eine Zweidrittelmehrheit im Wahlausschuss nötig ist. Zudem müssten die Wahlen transparenter als bisher werden, etwa was die Besetzungsvorschläge, die Kriterien und das Verfahren angeht.

  • Beweiserhebung im Strafprozess

    Mit Fragen der Beweiserhebung im Strafverfahren beschäftigte sich der Arbeitskreis Strafrecht. Im Fokus der Experten stand der Unmittelbarkeitsgrundsatz im Strafprozess. Hier stellte sich die Frage, ob dieser in seiner aktuellen Ausgestaltung noch zeitgemäß ist oder ob sich zunehmend eine „Erosion“ in Form von „Beweistransfers“ feststellen lässt. In dem Spannungsverhältnis zwischen Unmittelbarkeitsgrundsatz und Aufklärungsmaxime betonte eine klare Mehrheit, dass die materielle Unmittelbarkeit der Beweiserhebung ein tragendes Prinzip des Strafverfahrens darstellt, v.a. in Form des Grundsatzes der persönlichen Vernehmung in der Hauptverhandlung. Die Zulässigkeit von Beweistransfers befürworteten die Strafrechtler nur in klar definierten Ausnahmefällen. So solle etwa auf frühere richterliche Vernehmungen zurückgegriffen werden dürfen, wenn Zeugen oder Sachverständige in absehbarer Zeit nicht vernommen werden können; auch solle ein Gericht bei Gefahr für das Wohl von Beweispersonen frühere Protokolle oder Bild-Ton-Aufzeichnungen hinzuziehen dürfen. Im Ergebnis klar abgelehnt wurde von den Experten die These, dass man der Aufklärungsmaxime in Zukunft einen Vorrang vor dem Unmittelbarkeitsgrundsatz einräumen sollte.

[Quelle: DJT]

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