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Empfehlungen des 60. Deutschen Verkehrsgerichtstags

Mitte August fand in Goslar der 60. Deutsche Verkehrsgerichtstag statt. Drei Tage debattieren mehr als 1.200 Experten aus ganz Deutschland über aktuelle Themen wie Cannabis im Straßenverkehr und die Sicherheit des Radverkehrs. Auf der Tagesordnung standen diesmal außerdem das Rehabilitationsmanagement, die Haftung für langsame Fahrzeuge wie z.B. E-Scooter sowie die Beurteilung der Fahreignung durch Gerichte und Behörden. Der Kongress zählt zu den wichtigsten Treffen von Fachleuten für Verkehrssicherheit und Verkehrsrecht in Deutschland, seine Empfehlungen finden oft Niederschlag in der einschlägigen Gesetzgebung. Traditionell findet die Veranstaltung Anfang des Jahres statt, wurde wegen der Pandemie in diesem Jahr allerdings kurzfristig in den August verschoben. Die wichtigsten Empfehlungen des diesjährigen Verkehrsgerichtstags sind nachfolgend kurz skizziert.

  • Cannabiskonsum und Straßenverkehr

    Die Verkehrsrechtsexperten des zuständigen Arbeitskreises sind zu der Auffassung gelangt, dass nach dem gegenwärtigen Stand der Wissenschaft für Cannabis weder im Strafrecht noch im Ordnungswidrigkeitenrecht mit Alkohol vergleichbare Grenzwerte festgelegt werden können. Der aktuell angewandte Grenzwert von 1,0 ng THC pro ml Blutserum liege so niedrig, dass er den Nachweis des Cannabiskonsums zwar ermögliche, aber nicht zwingend einen Rückschluss auf eine verkehrssicherheitsrelevante Wirkung zulasse. Dies führe in der Praxis dazu, dass in einem nicht vertretbaren Umfang Betroffene sanktioniert würden, bei denen sich eine „Wirkung“ im Sinne einer möglichen Verminderung der Fahrsicherheit aus wissenschaftlicher Sicht nicht tragfähig begründen lasse. Der Arbeitskreis empfahl daher, den derzeit angewandten Grenzwert für die THC-Konzentration von 1,0 ng THC pro ml Blutserum „angemessen“ heraufzusetzen.

  • Sicherheit des Radverkehrs

    Der Radverkehr habe aus verschiedenen Gründen in den letzten Jahren rapide zugenommen und werde weiter zunehmen, stellten die Verkehrsrechtsexperten fest. Ihrer Ansicht nach muss dieser Entwicklung durch eine Stärkung der Verkehrssicherheit Rechnung getragen werden. Dies bedinge „zwingend“ eine neue Aufteilung des Verkehrsraums, u.a. zugunsten des Fahrrades, und die Schaffung durchgängig sicher befahrbarer Radnetze. Die personellen Kapazitäten von Ordnungsbehörden und Polizei müssten aufgestockt und die entsprechenden Aktivitäten intensiviert und koordiniert werden. In diesem Zusammenhang beklagte der zuständige Arbeitskreis, dass die Empfehlung des Verkehrsgerichtstags von 2017 zu polizeilichen Fahrradstaffeln bisher nur unzureichend umgesetzt wurde. Den Radfahrern sollten nach Auffassung der Experten vermehrt Verkehrsausbildung und Fahrsicherheitstrainings angeboten werden; bei Kindern und Jugendlichen sollte dies auch durch die verstärkte Integration in die Lehrpläne erfolgen. An den Fahrradhandel wurde die Bitte gerichtet, insb. die Käufer von Pedelecs zur Teilnahme an Trainings und zum Tragen von Helmen zu motivieren. Der Gesetzgeber wurde aufgefordert, für die rechtliche Zuordnung als Fahrrad die Maße und Gewichte von Pedelecs, Lastenrädern und Gespannen zu begrenzen.

  • Geschwindigkeitsreduzierte Fahrzeuge im Haftungsrecht

    Mit der Frage, ob E-Scooter, Krankenfahrstühle, Landmaschinen und andere geschwindigkeitsreduzierte Fahrzeuge vom Haftungsrecht noch angemessen behandelt werden, beschäftigte sich ein weiterer Arbeitskreis. Dessen Fachleute kamen zu dem Schluss, dass der generelle gesetzliche Ausschluss der Gefährdungshaftung für langsam fahrende Kraftfahrzeuge durch § 8 Nr. 1 StVG angesichts der geänderten Verhältnisse im Straßenverkehr nicht mehr zeitgemäß ist. Das Gefährdungspotenzial land- und forstwirtschaftlicher Kraftfahrzeuge sowie von Baufahrzeugen und sonstigen selbstfahrenden Arbeitsmaschinen, die bauartbedingt max. 20 km/h fahren könnten, habe sich im Laufe der Zeit aufgrund höherer Geschwindigkeiten der anderen Verkehrsteilnehmer sowie geänderter technischer Ausmaße und Ausstattungen deutlich erhöht. Deshalb sei eine Ausnahme von der Gefährdungshaftung nicht mehr gerechtfertigt. Auch das Gefährdungspotenzial neuer Typen langsam fahrender Kraftfahrzeuge, die bauartbedingt zwischen 6 km/h und 20 km/h fahren könnten, wie etwa E-Scooter, erscheine insb. wegen der erwartbaren Zunahme der Nutzung und der Enge des Verkehrsraums so hoch, dass sie ebenfalls der Gefährdungshaftung unterfallen sollten. Lediglich motorisierte Krankenfahrstühle sollten aufgrund des geringen Gefährdungspotenzials und aus sozialpolitischen Erwägungen weiter von der Gefährdungshaftung ausgenommen bleiben.

  • Zuständigkeiten bei der Fahreignungsbeurteilung

    Die Fahrerlaubnis kann sowohl von den Fahrerlaubnisbehörden als auch von den Strafgerichten entzogen werden. Die Vorkehrungen des Gesetzgebers, hier widersprüchliche Entscheidungen zulasten des Betroffenen zu vermeiden, werden nach Auffassung nicht weniger Experten in vielen Fällen verfehlt. Dennoch sprach sich der zuständige Arbeitskreis in Goslar dafür aus, das geltende System der Doppelkompetenz der Fahreignungsbeurteilung durch das Strafgericht und die Fahrerlaubnisbehörde beizubehalten. Allerdings solle die Fortbildung im Verkehrsverwaltungsrecht bei den Strafgerichten, Strafverfolgungsbehörden und in der Anwaltschaft intensiviert werden. Eine entsprechende Spezialisierung innerhalb der Strafgerichte sei wünschenswert, so die Verkehrsrechtsexperten.

  • Reha-Management bei Schwerverletzten

    Nach schweren Verkehrsunfällen mit Personenschaden komme es beim Übergang von einer Akutbehandlung im Krankenhaus in die Rehabilitation häufig zu Verzögerungen und zu erheblichen Defiziten an Versorgungsangeboten, beklagten die Fachleute des zuständigen Arbeitskreises. Dies gefährde den Heilungserfolg, weswegen es hier einen „dringenden Handlungsbedarf“ gebe. Sie wünschen sich „ein objektives und neutrales Rehabilitationsmanagement“, das allein im Interesse des Verletzten agiere. Aufgefordert, an der Schließung dieser Versorgungslücke mitzuarbeiten, wurde neben dem Gesetzgeber, der Ärzteschaft und der Versicherungswirtschaft auch die beteiligten Verkehrsrechtsanwälte, die ihre betroffenen Mandanten aktiv über Ansprüche und Angebote informieren sollten.

  • Änderungen im OWi-Recht

    Im vergangenen Jahr ist die Reform des Bußgeldkataloges in Kraft getreten. Eines der Hauptziele war es, durch eine Erhöhung der Geldbußen und neuer Tatbestände eine Veränderung des Fahrverhaltens zu erreichen. Ob dieses Ziel erreicht wurde, muss sich allerdings noch zeigen. Bereits jetzt empfehlen die Verkehrsrechtsexperten dem Gesetzgeber einige Nachbesserungen. Ihrer Auffassung nach sollten verkehrspsychologische Maßnahmen und andere vergleichbare Interventionen zur Verhaltensänderung als Alternative zu dem bestehenden Instrumentarium (Geldbuße und Fahrverbot) gestärkt werden. Auch forderten sie den Gesetzgeber auf, einen „Regelungskatalog für das Absehen vom Fahrverbot“ zu erstellen; darin seien neben Maßnahmen zur Verhaltensänderung auch berufliche, familiäre und finanzielle Aspekte zu würdigen. In geeigneten Fällen solle ein Fahrverbot auch auf Bewährung ermöglicht werden.

[Quelle: Verkehrsgerichtstag]

Hinweis der Redaktion:

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Eine Übersicht über unsere aktuellen Webinare nebst Anmeldebutton finden Sie auch jederzeit unter: https://www.zap-verlag.de/webinare!

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