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BVerfG kippt viele Regelungen im Bayerischen Verfassungsschutzgesetz

Das Bundesverfassungsgericht hat im April die weitreichenden Befugnisse der Behörden im Bayerischen Verfassungsschutzgesetzes (BayVSG) teilweise gekippt. Eine Reihe von Vorschriften wie die zur Online-Durchsuchung oder zum Ausspähen und Abhören von Wohnungen seien mit dem Grundgesetz unvereinbar, entschieden die Karlsruher Richter. Der Gesetzgeber muss nun nachbessern: Die beanstandeten Regelungen müssen bis spätestens Mitte nächsten Jahres überarbeitet werden, dürfen aber bis dahin weiter angewandt werden, mit Ausnahme der Regelung zum Abruf von Vorratsdaten: diese hat das BVerfG für nichtig erklärt (BVerfG, Urt. v. 26.4.2022 – 1 BvR 1619/17; s. auch die Kolumne von Dr. Helene Bubrowski in dieser Ausgabe, [Red.]).

Das BayVSG wurde 2016 neugefasst und dabei grundlegend neu strukturiert. Es unterscheidet zwischen allgemeinen Befugnissen der Informationsverarbeitung in Art. 5, der speziellen Befugnis zur Erhebung von Informationen mit nachrichtendienstlichen Mitteln in Art. 8 und besonderen nachrichtendienstlichen Mitteln, die in Art. 9 bis Art. 19a speziell geregelt sind. Die Informationsübermittlung einschließlich der Übermittlung personenbezogener Daten durch das Landesamt an andere Stellen ist allgemein in Art. 25 BayVSG geregelt. Spezielle Regeln für die Weiterverarbeitung personenbezogener Daten, die durch eine Wohnraumüberwachung oder durch einen verdeckten Zugriff auf informationstechnische Systeme erlangt wurden, finden sich in Art. 8b Abs. 2. Für die Weiterverarbeitung personenbezogener Daten, die durch besondere Auskunftsersuchen nach Art. 15 Abs. 2 und 3 sowie nach Art. 16 Abs. 1 erlangt wurden, enthält Art. 8b Abs. 3 spezielle Anforderungen.

Die Beschwerdeführer waren Mitglieder und zum Teil aktive Funktionsträger von Organisationen, die durch das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz beobachtet und auch in dessen Verfassungsschutzberichten erwähnt werden. Sie wenden sich gegen verschiedene im Bayerischen Verfassungsschutzgesetz geregelte Datenerhebungs- und Übermittlungsbefugnisse. Obwohl die Verfassungsbeschwerde in einigen Punkten für unzulässig erachtet wurde, weil die Beschwerdebefugnis nicht hinreichend dargelegt worden sei – so etwa bei den Auskunftsersuchen an andere Behörden – war das Rechtsmittel insgesamt erfolgreich: Die Karlsruher Richter erklärten zahlreiche Befugnisse der Verfassungsschutzbehörden für nicht mit dem Grundgesetz vereinbar. Gekippt wurden die Befugnisse zur Wohnraumüberwachung, zur Online-Durchsuchung, zur Handy-Ortung, zur Observation außerhalb der Wohnung, zu verdeckten Mitarbeitern, zur Auskunft aus einer Vorratsdatenspeicherung und zur Informationsübermittlung durch das Landesamt. Die genannten Befugnisse der Behörden verstoßen nach Auffassung der Richter teilweise gegen das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) in seiner Ausprägung als Schutz der informationellen Selbstbestimmung und teilweise in seiner Ausprägung als Schutz der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme, teilweise gegen das Fernmeldegeheimnis (Art. 10 Abs. 1 GG) und teilweise gegen die Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13 Abs. 1 GG); zudem sind die angegriffenen Befugnisse der Verfassungsschutzbehörden nach Auffassung der Verfassungsrichter „durchweg“ auch nicht mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne vereinbar.

In ihrer Entscheidung machte der Senat klar, dass es ihm nicht darum ging, ob ein bestimmtes Instrument überhaupt eingesetzt werden darf. Vielmehr stellte sich die Frage, unter welchen Bedingungen der Einsatz freiheitseinschränkender Mittel gerechtfertigt ist. Hierbei verglichen sie die Befugnisse der Verfassungsschutzbehörden mit denjenigen der Polizei. Maßnahmen, die zu einer weitestgehenden Erfassung der Persönlichkeit führen könnten, müssten denselben Verhältnismäßigkeitsanforderungen unterliegen wie polizeiliche Überwachungsmaßnahmen, befanden die Richter. Sonstige heimliche Überwachungsbefugnisse von Verfassungsschutzbehörden müssten hingegen nicht an das Vorliegen einer Gefahr im polizeilichen Sinne geknüpft werden. Vorauszusetzen sei vielmehr ein hinreichender verfassungsschutzspezifischer Aufklärungsbedarf. Diesen und die Maßgaben zur jeweils erforderlichen Beobachtungsbedürftigkeit müsse der Gesetzgeber jeweils hinreichend bestimmen und normenklar regeln. Besondere Anforderungen bestünden, wenn Personen in die Überwachung einbezogen würden, die nicht selbst in der Bestrebung oder für die Bestrebung tätig seien.

Diese Voraussetzungen sieht das BVerfG bei den o.g. Befugnissen im BayVSG als nicht erfüllt an. Teils fehlte es an hinreichend bestimmten Eingriffsvoraussetzungen, teils an einer Begrenzung des zulässigen Adressatenkreises und oft fehlte es an der gebotenen Normenklarheit. Das Verfassungsgericht ordnete deshalb eine Neuregelung bis zum Ablauf des 31.7.2023 an; bis dahin bleiben die beanstandeten Regelungen mit einschränkenden Maßgaben in Kraft.

Der Deutsche Anwaltverein (DAV) hat die Entscheidung des BVerfG bereits als „Signal-Urteil“ begrüßt. Der Verein erwartet, dass ähnlichen Bestrebungen in anderen Bundesländern damit ein verfassungsrechtlicher Riegel vorgeschoben werde. Es müsse vermieden werden, dass sich die übrigen Verfassungsschutzämter ein Beispiel an Bayern nehmen, erklärte der DAV Anfang Mai. In jedem Fall sei das anwaltliche Berufsgeheimnis zu schützen: „Der verfassungsrechtlich gebotene Schutz von Berufsgeheimnisträgern fehlt im BayVSG für die meisten Überwachungsmaßnahmen völlig, oder es gibt eine unzulässige Differenzierung zwischen Strafverteidigern und sonstigen Rechtsanwält:innen, kritisierte DAV-Hauptgeschäftsführerin Dr. Sylvia Ruge.

[Quellen: BVerfG/DAV]

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