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StPO-Änderungen auf dem Prüfstand

Einige der erst im vergangenen Jahr noch vom alten Bundestag auf den Weg gebrachten Änderungen in der Strafprozessordnung beschäftigen jetzt bereits wieder die Parlamentarier. Im Fokus stehen dabei das im Sommer in Kraft getretene Gesetz zur Verbesserung des strafrechtlichen Schutzes gegen sog. Feindeslisten und zur Strafbarkeit der Verbreitung und des Besitzes von Anleitungen zu sexuellem Missbrauch von Kindern sowie das vom Bundesrat zwar schon gebilligte, derzeit aber noch in der Ausfertigung befindliche „Gesetz zur Herstellung materieller Gerechtigkeit“, das die Wiederaufnahme bereits rechtskräftig abgeschlossener Mordprozesse erlauben soll.

Bei dem im Sommer in Kraft getretenen neuen § 110d StPO sollen „redaktionelle Fehler“ bereinigt werden. Bemängelt werden hier fehlerhafte Verweise auf andere Vorschriften, die den Richtervorbehalt sicherstellen sollen. Zu diesem Zweck hat die Unionsfraktion einen neuen Gesetzentwurf eingebracht, der im Bundestag im vereinfachten Verfahren weiter behandelt werden soll. Sie begründet den neuen gesetzlichen Anlauf damit, dass die Verweisungsfehler zwar bisher von der Praxis „im Wege der Auslegung“ überspielt würden. Dies führe allerdings zu Rechtsunsicherheiten, die im wichtigen Bereich des Kinderschutzes und der Ermittlungsarbeit nicht akzeptabel seien.

Das noch nicht in Kraft getretene Gesetz, mit dem auch rechtskräftig freigesprochenen Mordverdächtigten unter Umständen erneut der Prozess gemacht werden kann (vgl. dazu zuletzt Anwaltsmagazin ZAP 19/2021, S. 942), könnte demnächst ebenfalls wieder geändert werden. Es „hängt“ seit Monaten im Bundespräsidialamt fest, weil der Bundespräsident sich offenbar noch nicht zu einer Unterzeichnung durchringen konnte. Das Gesetz war gegen den vehementen Protest von Verfassungs- und Strafrechtlern, beiden Anwaltsverbänden und auch gegen Bedenken aus dem Bundesjustizministerium selbst zustande gekommen. Dennoch hatte der Bundesrat die umstrittene Regelung im September gebilligt, seither prüft das Bundespräsidialamt.

Die verfassungsrechtlichen Bedenken, die jetzt offenbar auch den Bundespräsidenten beschäftigen, drehen sich um das Doppelbestrafungsverbot des Art. 103 GG („ne bis in idem“): Wer bereits einmal freigesprochen worden ist, soll nicht noch einmal wegen der gleichen Tat bestraft werden können. Aus diesem Grund kann ein Strafverfahren zum Nachteil des Verurteilten derzeit nach § 362 StPO nur in besonderen Härtefällen wieder aufgerollt werden. Nach der Verabschiedung des Gesetzes hatten sich mehrere Parlamentarier an Frank-Walter Steinmeier gewandt mit der Bitte, das Gesetz nicht zu unterzeichnen. Neben einem inhaltlichen Verstoß gegen Art. 103 GG machten sie einen weiteren, formellen Verfassungsverstoß geltend: Da die StPO-Änderung das verfassungsrechtlich fundierte Doppelbestrafungsverbot teilweise beseitige, hätte sie im Parlament mit Zweidrittelmehrheit beschlossen werden müssen.

Im Schrifttum wird bereits darüber diskutiert, wie es mit dem Gesetzesvorhaben weitergehen könnte. Neben einer Ausfertigung des Gesetzes trotz etwaiger Bedenken könnte der Bundespräsident auch die neu im Amt befindliche Bundesregierung um eine weitere Stellungnahme bitten. Aus dem Koalitionsvertrag, der u.a. eine „systematische Überprüfung des Strafrechts“ vorsieht, wollen einige Beobachter herausgelesen haben, dass die neue Regierungskoalition das Projekt vielleicht stoppen könnte. Aber auch für den Fall, dass das Gesetz doch noch zustande kommt, haben sowohl bereits Grünen- als auch FDP-Abgeordnete in Aussicht gestellt, die umstrittene Regelung wieder auf die Tagesordnung zu setzen.

[Red.]

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