DAV äußert Vorbehalte gegen Videoverhandlungen
Der Deutsche Anwaltverein (DAV) hat sich kürzlich zu einem Fragenkatalog des Bundesjustizministeriums (BMJV) betreffend die Durchführung von Videoverhandlungen innerhalb der ordentlichen Gerichtsbarkeit geäußert. Das BMJV wollte u.a. wissen, wie die Erfahrungen der Anwaltschaft mit dem Einsatz der Videokonferenztechnik sind, wie die Akzeptanz bei den Verfahrensbeteiligten eingeschätzt wird und wo Probleme, etwa bei der Beweiserhebung, gesehen werden.
Der DAV kommt in seinen Antworten an das Ministerium zu dem Ergebnis, dass zumindest Videoverhandlungen, die ohne die Zustimmung aller Prozessbeteiligten anberaumt werden, abzulehnen sind.
Die Durchführung einer rein virtuellen mündlichen Verhandlung berühre die Verfahrensgrundsätze der Mündlichkeit (§ 128 Abs. 1 ZPO) und der Öffentlichkeit (Art. 6 Abs. 1 EMRK, § 169 Abs. 1 S. 1 GVG), argumentiert der DAV. An diesen wesentlichen Verfahrensgrundsätzen solle auch im digitalisierten Zivilprozess grds. festgehalten werden. Das Recht der Parteien, in Anwesenheit des Richters unmittelbar an der mündlichen Verhandlung teilzunehmen, dürfe nicht beschränkt werden. Eine „Teilnahme vor Ort“ müsse daher möglich sein. Daraus folge, dass eine rein virtuelle Verhandlung jedenfalls nur mit Zustimmung der Parteien, nicht aber gegen ihren Willen angeordnet werden dürfe.
Ansonsten, so schildert der DAV, sei die grundsätzliche Bereitschaft zur Nutzung von Videokonferenztechnik in der Anwaltschaft groß. Es bestünden aber teilweise Vorbehalte zur Nutzung in konkreten Prozesssituationen, z.B. bei Zeugenvernehmungen oder Parteieinvernahmen, da die Glaubwürdigkeitsprüfung- und -einschätzung durch die jetzige Nutzung der Videokonferenztechnik nicht in gleichem Maße möglich sei, wie bei klassischen Verfahren. Auch fehle manchmal bei Videoverhandlungen die „Dynamik“, d.h., der Zeuge/die Partei habe mehr Zeit (oder könne sich mehr Zeit verschaffen), auf vielleicht unbequeme Fragen zu reagieren.
Viele Kollegen begrüßten, so berichtet der DAV weiter, auch die Möglichkeit, gerade absehbar kurze Verhandlungstermine – zumal an entfernten Gerichtsstandorten – zeit- und kostensparend per Videoverhandlung durchführen zu können. Davon profitierten auch die Parteien, die bei Durchführung der Verhandlung per Videokonferenz häufiger die Gelegenheit zur Teilnahme nutzten. Auch weitere Verfahrensbeteiligte seien Videoverhandlungen gegenüber grds. aufgeschlossen, zumal gerade während der Pandemie insgesamt Videokonferenzsysteme sehr häufig genutzt worden seien.
Technische Störungen würden zwar „immer mal wieder“ auftreten, aber nicht in einer signifikanten Größenordnung. Tatsächliche Unterbrechungen seien hingegen selten bis nicht vorkommend. Zweckmäßig wäre es in jedem Fall, so der DAV, den Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten während der Verhandlung eine direkte Telefondurchwahl zu dem die Verhandlung leitenden Richter zur Verfügung zu stellen, um diesen bei auftretenden Störungen hiervon unmittelbar informieren zu können. Nicht besonders bedienerfreundlich sei hingegen der Einsatz einer großen Zahl unterschiedlicher Videokonferenzsysteme. Auch wenn diese letztlich alle dieselben Funktionen hätten, unterschieden sie sich doch in der Bedienung.
Die vollständige, 22-seitige Stellungnahme des DAV zu dem Fragenkatalog des Bundesjustizministeriums kann unter https://anwaltverein.de/de/newsroom/sn-48-21-videoverhandlungen eingesehen werden.
[Quelle: DAV]