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Wenn „Magnum“ eine Anwaltskanzlei besucht

Im Pilotfilm der Achtzigerjahre-Serie Magnum muss sich der TV-Detektiv unerkannt auf ein Grundstück pirschen und den geparkten Ferrari „stehlen“. Glückt ihm das, darf er als Sicherheitsberater mietfrei im Gästehaus wohnen. Raoul Classen macht es ähnlich in Anwaltskanzleien. Na ja, nicht ganz so, und wohnen will er da auch weniger. Schwachstellenanalyse nennt sich sein Job dann. Classen ist seit rund 30 Jahren als Detektiv tätig, vor allem mit Juristen arbeitet er eng und gern zusammen. Ein Gespräch über abhörsichere Konferenzräume, spontane Parkausflüge mit Anwälten und warum Gerichtsflure die perfekte Informationsquelle sind.

Raoul Classen, gebürtig aus Hamburg, arbeitet bei der DETEK AG und greift dort auf ein Netzwerk von etwa hundert Ermittlern, Experten und Gutachter zu. Classen ist operativer Leiter, verantwortlich für alle Ermittlungen in Deutschland und Europa, und gehört der Einsatzzentrale Hamburg an. Aufklärung und Abwehr von Wirtschaftsspionage ist ein persönlicher Tätigkeitsschwerpunkt, er ermittelt jedoch auch in Strafverfahren und ist auf sonstigen Ebenen breit aufgestellt. Wie er zu Anwälten als Auftraggeber kam und was er für Juristen ermitteln muss, erklärt Classen im Interview.

Ermitteln wir Ihren Werdegang. Wann begann Ihre Detektivkarriere?

Das geht bis ins Jahr 1997 zurück, als ich mit privaten Ermittlungen begann. Ich hatte viele Jahre bei der NATO in Brüssel gearbeitet, im Bereich der Spionageabwehr, und wollte mich Mitte der Neunzigerjahre neu orientieren. Ein mir bekannter Mitarbeiter vom Bundesnachrichtendienst gab mir einen Tipp: Informationsbeschaffung in und für die Wirtschaft habe Zukunft, meinte er. Als ich dann bei der DETEK AG begann, bestanden schon Strukturen und Verbindungen zu der ein oder anderen Kanzlei. Ich begann also nicht bei null, sondern hatte großes Glück, bereits in ein Netzwerk zu stoßen, das schon über viele Jahre gewachsen war.

Juristen als Auftraggeber lernten Sie dann schnell schätzen

Das hat sich dann in den Folgejahren fortentwickelt, dadurch dass ich viele Referate und Vorträge gehalten hatte und halte, kürzlich beispielsweise auf einem Kongress für Strafrechtler. So entstanden viele Kontakte zu Anwälten und Kanzleien, das Netzwerk wuchs dann auch ziemlich rasch.

So rasch, dass Sie heute auch schon einmal „heimlich“ durch Kanzleien marschieren

(lacht) Das kommt vor, ja. Das nenne ich mit meinen Kollegen dann den Walk through nach 18.00 Uhr. Die Idee kam, als ich abends spät noch mit einem auftraggebenden Anwalt zusammensaß. Der meinte, dass ich das doch mal in seiner Kanzlei tun solle. Das läuft dann so ab, dass ich allein oder mit Berufskollegen irgendwann nach Büroschluss durch die Räume flaniere. Wir entdecken jede Menge: Akten und Datenträger, die offen herumliegen oder auf Pappschildern und Zetteln notierte Passwörter. In den Mülleimern stecken Blätter mit Mandanteninformationen, Aktenauszüge oder Verbindungsnachweise, die eigentlich in den Schredder gehören. Einmal fanden wir eine unverschlossene Schublade mit ordentlich Bargeld vor, und natürlich liegen oft unzählige mobile Endgeräte einfach herum. Unser „Besuch“ wird dann dokumentiert in einer professionellen Schwachstellenanalyse, die kritische Punkte in Sachen Bürosicherheit zusammenfasst. Es gibt auch Dinge, an die kaum jemand denkt, zum Beispiel wie sicher der Briefkasten ist. Ist der Einwurfschlitz so groß, dass sich Post herausfingern lässt? Wie sicher ist er überhaupt montiert? Wie gut ist der Kanzleieingang gesichert? Listet man einmal dezidiert alle Sicherheitslücken auf, sind Anwälte oft verblüfft und machen sich dann intensiver Gedanken über Kanzleiorganisation und Einbruchsprävention.

Noch spannender wird es, wenn Sie für Anwälte bzw. deren Mandanten ermitteln. Wie werden Sie da aktiv?

Anwälte wissen meist nicht, wie Detektive ihre juristische Arbeit unterstützen können.

Zu den klassischen Aufgaben gehört die Beweisermittlung, also im Auftrag von Anwälten Zeugen zu ermitteln, die Mandanten in Strafverfahren entlasten können. Viele Unternehmen wollen sich vor Spionage oder gefälschten Identitäten schützen und sind vorsichtig geworden. Einige Studien schätzen, dass gut jeder dritte Lebenslauf gefälscht ist, der bei Personalern auf dem Schreibtisch landet. Man schaut daher oft genauer hin, wer sich für was bewirbt. Konferenzsicherheit und Lauschabwehr sind weitere zentrale Aufgabenfelder. Anwälte kontaktieren mich, wenn es in den Gesprächen um Patente, Aufenthalte von Personen oder Firmeninterna geht, die keinesfalls nach außen dringen sollen.

Wie sieht dann der perfekte Besprechungsraum aus?

Idealerweise ist der völlig leer, mittig ein Glastisch mit schlichten Stühlen drumherum, und an den Fenstern schallschluckende Vorhänge. Damit erreicht man dann schon eine hohe Sicherheitsstufe, ohne viel Geld investieren zu müssen.

Eigentlich ganz einfach

So ist es, denn je aufwendiger die Überprüfung eines Raums ausfällt, desto teurer wird das Ganze auch. Wenn man mit Hightech durch die Gegend fährt, Räume visuell akribisch auf Abhörelektronik prüft, kritische Gegenstände röntgt oder gleich entfernen muss, also wenn man sozusagen jede Steckdose checken muss, dann ist man schnell im Bereich fünfstelliger Summen. Deshalb sind neutrale Orte eine sinnvolle Strategie. Wir haben für Anwaltsbesprechungen auch schon Zugabteile auf ICE-Strecken oder ein Treffen in einer Parkanlage organisiert, ohne den Beteiligten den Ort bekanntzugeben. Man kann auch kurzfristig Treffpunkte ändern, um einen Überraschungseffekt zu haben.

Waren Sie auch schon einmal sehr eng mit Anwälten direkt vor Ort aktiv?

Es gab einen Fall, da war der Anwalt von einem Unternehmen mandatiert, das eigene Mitarbeiter verdächtigte, Waren zu stehlen. Die Polizei sollte nicht eingeschaltet werden. Das ist nicht selten, denn es geht auch immer um die Reputation des Unternehmens. Wir haben dann observiert und herausgefunden, wer stiehlt und wohin das Diebesgut gebracht wurde. Es folgte eine konzertierte Aktion, an der am Ende der Anwalt des Unternehmens, der Geschäftsführer und ich vor Ort waren und die Diebe dort überrascht haben.

Wichtig ist, dass Ihre gesammelten Beweise gerichtsverwertbar sind. Was heißt das?

Es ist so, dass man alles, was man mittels aktiver Abhörvorgänge bzw. Lauschangriffe erfährt oder aufzeichnet, nicht verwerten kann. Man muss die Informationen also passiv erlangen. Ein gutes Beispiel ist, wie mich ein Anwalt hinzuzog, als dessen Mandantin von einer Geschäftspartnerin erpresst wurde. Diese wusste von falschen Steuererklärungen der Mandantin. Unsere Strategie war, dass die Mandantin die Partnerin noch einmal zu einem Gespräch in ein Hotel lud. Zuvor bereiteten wir sie genau vor, wie sie das Gespräch zu führen hatte, und zwar so, dass die Partnerin erneut deutlich schilderte, dass sie für ihr Schweigen Geld verlange. Sie wusste allerdings nicht, dass an einigen Tischen rundherum mehrere Ermittler einschließlich mir saßen, die mithörten und den Erpressungsversuch bezeugen konnten.

Das landet dann nicht selten vor Gericht. Sie sagen also auch häufig als Zeuge aus?

Detektive sind professionelle Zeugen, die auch wissen, wie wichtig klare und unmissverständliche Aussagen sind. Es wird obligatorisch ein Ermittlungsbericht angefertigt, in dem ein Einsatz wie eine Observation oder das Mithören einer Unterhaltung, wie eben das gerade genannte Erpresser-Gespräch, genau dokumentiert wird. Das sind präzise und glaubwürdige Berichte, die dann auch die Richter schätzen, weil sie das Wesentliche enthalten und auch Nachfragen in der Verhandlung exakt beantwortet werden. Ich kann mich auch nicht erinnern, dass wir in den letzten Jahren einen Prozess verloren haben, weil in irgendeiner Form schlecht beobachtet worden wäre.

Sie halten sich aber auch gerne vor den Gerichtssälen auf. Dürfte anderen Menschen eher nicht so gehen.

Es sind eben ideale Informationsorte. Häufig sprechen sich nervöse Zeugen vor einer Verhandlung direkt vor dem Gerichtssaal oder in den Raucherzonen ab. Das Oberlandesgericht Hamburg, das ich selbst kenne, ist ein altes Gebäude mit langen Fluren und hat eine gute Akustik. Bedingungen, wie sie auch viele andere Gerichtsgebäude aufweisen. Prozessbeteiligte tauschen sich hier untereinander oder mit ihren Anwälten aus. Wenn man da in Hörweite ist, erhält man wertvolle Informationen, die man dann noch direkt in die Verhandlung einbringen kann und die das Blatt wenden können.

Warum arbeiten Sie gern mit Juristen zusammen?

Die meisten Anwälte haben keinen permanenten Bedarf an Ermittlern, es kommen immer wieder kleinere Recherchen, manche melden sich alle paar Jahre. Hausanwälte von Firmen und Unternehmen kommen auf mich zu, wenn es interne Schwierigkeiten gibt. Mit Anwälten

arbeite ich gerne zusammen, da im Vorfeld juristisch viele Fakten aufgearbeitet sind und mir vorgegeben wird, auf welche Punkte es detailliert ankommt. Die Aufträge sind von Beginn an präzise und vor allem weiß ich, dass mir ein juristischer Profi gegenübersitzt, der mir auch den zulässigen Rahmen erläutert, in dem wir uns bewegen dürfen, damit meine Arbeit auch verwertbar ist. Zudem habe ich als Auftragnehmer dasselbe Zeugnisverweigerungsrecht gegenüber Ermittlungsbehörden wie Anwälte und deren Mitarbeiter auch.

Wie ist Ihre Zunft in Deutschland aufgestellt?

Die Branche ist überschaubar, es gibt knapp 1000 Ermittler in Deutschland, die meisten sind Ein-Mann-Betriebe. Und sie kommen meist aus dem Polizeidienst, von der Bundespolizei oder dem Zoll, also staatlichen Ermittlungsbehörden. Also dort, wo man das Handwerk lernt.

Wie findet ein Anwalt den richtigen Detektiv und welche Fehler sollte er vermeiden?

Es gibt Verbände in Deutschland, in denen Detektive organisiert sind, ich selbst bin im Bundesverband Deutscher Detektive e.V. Wer sich mit der Ermittler-Branche überhaupt nicht auskennt, kann über die Verbände suchen. Wer in den BDD hinein will, muss Kriterien erfüllen und Qualifikationen nachweisen, es gibt klare Qualitätsstandards. Ein großer Fehler sind immer wieder mangelhaft abgestimmte Honorarfragen. Am besten sollte ein Anwalt bei einem Auftrag konkrete Budgets, also maximale Summen festlegen.

Warum?

Eine Observation beispielswiese ist eine der kostenintensivsten Aufträge. Ein Tagesprofil beginnt morgens um 6.00 Uhr, dauert manchmal bis 21.00 oder 22.00 Uhr abends. Da summieren sich schnell zwölf und mehr Arbeitsstunden, es sind dann auch mehrere Ermittler eingebunden, da eine Person allein das nicht leisten kann, wenn das seriös abgewickelt werden soll. Da kann man bei einer Woche Arbeit schnell bei Kosten von 15.000 bis 20.000 EUR liegen. Anwälte sollten stets eine Kostenkalkulation verlangen bzw. ein Budget festlegen.

Nicht das einzige Risiko

Der Anwalt beauftragt uns meistens namens des Mandanten. Es kann geschehen, dass dieser jedoch nicht mit dem Ergebnis der Ermittlungen zufrieden ist. Und dann auch nicht zahlen will. Der Anwalt hat aber den Auftrag erteilt und ist damit auch Vertragspartner, der das Honorar schuldet, sofern er sich nicht gegenüber dem Mandanten insoweit schriftlich abgesichert hat. Diese Kostenfalle muss der Anwalt stets im Blick haben, der Mandant schließt daher am besten den Vertrag immer direkt mit der Detektei ab.

Gehen Anwälte die Suche nach guten Ermittlern zu oberflächlich an?

Die Zusammenarbeit mit einem Detektiv ist eine Vertrauenssache. Die Entscheidung, wen man beauftragt, sollte ein Anwalt nicht ad hoc treffen. Ein guter Ansatz ist: Man lädt den Ermittler zu einem persönlichen Gespräch ein oder besucht ihn an seiner Büroanschrift. So erhält man einen ersten Eindruck und kann sich auch die Biografie anschauen. Wie lange macht er oder sie den Job schon? Wurde schon mit Anwälten gearbeitet und welcher Erfahrungsschatz ist vorhanden, der vielleicht zu dem konkreten Problem passt? Einfach im Internet suchen oder in Branchenverzeichnisse schauen geht natürlich schneller, ist aber kaum das beste Vorgehen.

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